Leben des Galilei
Bertolt Brechts Theaterstück Leben des Galilei wurde 1938 im dänischen Exil fertig gestellt und am 9.9.1943 in Zürich uraufgeführt. Andere Stücke folgen Brechts Theorie des epischen Theaters konsequenter, was Brecht selbst erkennt. So nennt er das Stück in seinem Arbeitsjournal in formaler Hinsicht einen „Rückschritt“ (vgl. Hahnengrep, Karl-Heinz, Klett Lektürenhilfe: Leben des Galilei, Stuttgart 1992, S.5). Aufgrund der Aktualität des Themas wird die Aussage des Stückes heute oft auf die Verantwortung des Wissenschaftlers für die Gesellschaft verkürzt. Dieses Motiv ist jedoch nur eines unter vielen in dem Stück und stand für Brecht damals auch nicht im Vordergrund. Neben dem bereits genannten sind der Konflikt von Wissenschaft und Obrigkeit (in diesem Fall die Kirche), die Frage nach dem Wert und der Verwertbarkeit von Wissen und die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Wissenschaft zentrale Aspekte des Stücks.Brecht schrieb 1945 in Los Angeles eine zweite Fassung des Stücks, wo er auf Grund der politischen Ereignisse und der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki das letzte Bild änderte und so die Verantwortung der Wissenschaft als zentrale Aussage des Stücks hervorhob während er in der ersten Fassung vor allem die Darstellung des Umgangs mit der Macht beabsichtigte.
Inhalt
Das Stück besitzt einen historischen Hintergrund und spielt im Italien des 17. Jahrhunderts, einer Zeit des Umbruchs und der Erneuerung. Es erstreckt sich über einen Zeitraum von 28 Jahren. Der geniale Physiker Galileo Galilei, der notorisch unter Geldmangel leidet, beweist mit Hilfe der neuen Erfindung des Fernrohrs das Kopernikanische Weltbild und widerlegt somit die Vorstellung des alten ptolemäischen Weltbilds, das die Erde als Mittelpunkt des Universums sieht. Dies führt zu einem scharfen Konflikt mit der katholischen Kirche, die ihm die Verbreitung dieser „ketzerischen“ Lehre untersagt. Der allmähliche Umsturz des alten Weltbilds löst bei den Mächtigen in Kirche und Politik außerdem Besorgnis über einen daraus folgenden gesellschaftlichen Umsturz aus. Galilei wird nach einigen internen Streitigkeiten innerhalb der Kirche schließlich von der Inquisition inhaftiert, die von Galileo fordert, seine Lehre zu widerrufen, was er nach einigem Zögern auch tut. Fast völlig erblindet geht Galilei nach dem Widerruf seiner Lehre Forschungen in einem Landhaus nach, das er nicht mehr verlassen darf. Als ihn sein ehemaliger Schüler Andrea Sarti besuchen kommt, eröffnet er ihm, dass er ein Exemplar seiner verbotenen Schrift, die Discorsi, außer Landes schmuggeln lassen möchte. Gegenüber Andrea gibt er zu, dass er von einem schlechten Gewissen geplagt wird, da er seine Lehre widerrufen hat und dies nicht um seinen Forschungen weiter nachgehen zu können, sondern aus Angst vor der Folter. Andrea willigt ein und schafft die verbotenen Schriften außer Landes.
Epische Strukturelemente
Wie bereits erwähnt, folgt Leben des Galilei noch nicht konsequent der Brecht'schen Dramentheorie. Vielmehr lassen sich hier auch noch einige Abschnitte finden, die in klassisch-aristotelischer Weise aufgebaut sind. Sehr viele typische Elemente des epischen Theaters, die beispielsweise in Der gute Mensch von Sezuan zu finden sind, fehlen. Ein episches Strukturelement, welches vorhanden ist, sind die zahlreichen Reflexionsdialoge, die eine reflektierend-kommentierende Perspektive darstellen und die eigentliche Bühnenhandlung ergänzen und verfremden. Ein weiteres angewandtes Mittel stellt das Gegenüberstellen inhaltlich konträrer Bilder dar, die dicht aufeinanderfolgen. So setzt das päpstliche Collegium Romanum im 6. Bild einen Denkprozess in Gang, der die ambivalente Haltung der Kirche entlarvt, die einerseits von Galilei profitieren möchte, ihn aber andererseits verfolgt. Dieses Mittel der Kontrastierung findet sich auch in der Sprache des Stücks wieder: Viele Sätze besitzen eine antithetische Struktur, stellen also zwei widersprüchliche Thesen gegenüber: „die alte Zeit ist rum, es ist eine neue Zeit“ (S. 9), „Sollen wir die menschliche Gesellschaft auf Zweifel begründen und nicht mehr auf den Glauben?“ (S. 105). Ein weiteres Element der Verfremdung stellt die Komik dar, die erzeugt wird, wenn sich beispielsweise eine handelnde Personen der Lächerlichkeit preisgibt, indem sie sich selbst widerlegt oder wenn Sprache und Handlung in einem offensichtlichen Widerspruch zueinander stehen, wie im 6. Bild, als der alte Kardinal, nachdem er überheblich verkündete, es komme „unwiderleglich alles an auf mich, den Menschen“, erschöpft zusammenbricht. Auch die oft zitierten Bibelstellen sind ein Stilmittel des epischen Theaters. Die ursprünglich in einem religiösen Zusammenhang stehenden Bibelzitate werden oft zur Rechtfertigung politisch-gesellschaftlicher Positionen von allen Seiten zitiert und somit in einen völlig fremden Zusammenhang gestellt, so z.B. im Zitatduell zwischen Galilei und den zwei Kardinälen im 7. Bild.
Anmerkung: Ironischerweise sind die vermeintlichen Bibelzitate der Kardinäle gar keine Bibelzitate.