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Artikel 38 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland

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Art. 38 des deutschen Grundgesetzes befindet sich im dritten Abschnitt des Grundgesetzes, der Bestimmungen zum Bundestag enthält.

Normierung

Art. 38 GG lautet seit seiner letzten Veränderung vom 1. August 1970 wie folgt:

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

Art. 38 GG steht in systematischem Zusammenhang zu den grundgesetzlichen Bestimmungen bezüglich des Bundestags. Die Norm besitzt mehrere Funktionen: Art. 38 Absatz 1 Satz 1 GG normiert die Grundlagen der Bundestagswahl.

Gemäß Art. 93 Absatz 1 Nummer 4a GG handelt es sich bei Art. 38 GG um ein grundrechtsgleiches Recht. Daher kann die Verletzung eines Rechts aus Art. 38 GG mittels einer Verfassungsbeschwerde gerügt werden.

Entstehungsgeschichte

Bundestagswahlen

Art. 38 Absatz 1 Satz 1 GG regelt zum einen die Grundsätze der deutschen Bundestagswahl.

Wahlgrundsätze

Die Bundestagswahl muss gemäß Art. 38 Absatz 1 Satz 1 GG allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim ausgestaltet sein. Für Landtagswahlen gilt Art. 38 GG zwar nicht unmittelbar, allerdings beeinflusst er über die Homogenitätsklausel des Art. 28 Absatz 1 Satz 1 GG die Rechtslage in den Ländern, sodass sich dortige Wahlen an den Kriterien des Art. 38 Absatz 1 Satz 1 GG orientieren müssen. Art. 38 Absatz 1 Satz 2 GG beschreibt die grundlegende Rechtsstellung des Bundestagsabgeordneten. Ferner beeinflussen die Grundsätze des Art. 38 Absatz 1 Satz 1 GG die Ausgestaltung von Wahlen innerhalb öffentlich-rechtlicher Verbände, etwa der Sozialversicherung.[1]

Allgemeinheit

Das Kriterium der Allgemeinheit fordert, dass alle Wahlberechtigten den gleichen Zugang zur Wahl besitzen. Dies bezieht sich sowohl auf das aktive als auch auf das passive Wahlrecht. Ersteres beschreibt das Recht, zu wählen, letzteres das Recht, gewählt zu werden. Die Allgemeinheit der Wahl verbietet es beispielsweise, bestimmten Personen oder Gruppen die Abgabe ihrer Stimme zu erschweren.[2][3] Ebenfalls unzulässig ist es, die Zulassung politischer Parteien zur Wahl anhand unterschiedlicher Kriterien zu beurteilen.[4] Das Prinzip der Allgemeinheit der Wahl kann durch kollidierendes Verfassungsrecht beschränkt werden.[5] Eine entsprechende Beschränkung enthält Art. 38 Absatz 2 GG, der das Wahlrecht an die Vollendung des achtzehnten Lebensjahrs knüpft. Eine weitere Beschränkung stellen die Inkompatibilitätsvorschriften des Grundgesetzes dar, die eine Wahl zum Abgeordneten verbieten. Dies gilt beispielsweise gemäß Art. 55 Absatz 1 GG für den Bundespräsidenten.

Unmittelbar

Das Kriterium der Unmittelbarkeit der Wahl fordert, dass die Stimme des Bürgers das Wahlerergebniss ohne Zwischenschritte beeinflusst.[6][7] Hiermit unvereinbar wäre beispielsweise die Zwischenschaltung von Wahlmännern, wie sie im Wahlsystem der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl erfolgt. Auch das ruhende Mandat verstößt gegen das Prinzip der Unmittelbarkeit.[8]

Frei

Frei ist eine Wahl, bei der kein hoheitlicher Zwang auf den Wähler ausgeübt wird, sodass dieser seinen Willen bezüglich seiner Wahlentscheidung eigenständig bilden kann. Unzulässig ist es beispielsweise, wenn ein staatliches Organ den Wähler zugunsten oder zulasten einer Partei beeinflusst.[9]

Gleich

Die Wahlgleichheit ist gewahrt, wenn jeder Wähler sein Wahlrecht in gleicher Weise ausüben kann. Für das aktive Wahlrecht bedeutet dies, dass das Wahlverfahren so ausgestaltet werden muss, dass jede abgegebene Stimme einen annähernd gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis besitzt. Dies setzt beispielsweise voraus, dass alle Stimmen den gleichen Zählwert besitzen. Bezüglich des passiven Wahlrechts hat die Wahlgleichheit zur Folge, dass jedem Kandidat die gleiche Chance eingeräumt wird, gewählt zu werden.[10] Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann das Prinzip der Gleichheit lediglich durch kollidierendes Verfassungsrecht beschränkt werden, das ein ähnliches Gewicht wie die Wahlrechtsgleichheit besitzt.[11] Als zulässig erachtet das Gericht etwa die 5%-Sperrklausel gemäß § 6 Absatz 3 Satz 1 des Bundeswahlgesetzes (BWahlG).[12] Einen Verstoß gegen die Wahlgleichheit stellte hingegen das negative Stimmgewicht dar.[13]

Geheim

Eine Wahl ist geheim, wenn für Dritte nicht erkennbar ist, für welchen Kandidaten der Wähler seine Stimme abgibt. Beschränkungen der Geheimheit der Wahl ergeben sich insbesondere aus dem Interesse an deren Funktionsfähigkeit.

Öffentlich

In der Rechtswissenschaft anerkannt ist weiterhin das Kriterium der Öffentlichkeit der Wahl, das sich aus Art. 38 Absatz 1 Satz 1 und Art. 20 Absatz 1, 2 GG ableitet. Dieses setzt voraus, dass der Wähler den Wahlvorgang verfolgen und überprüfen kann. In einem Konflikt steht diese Voraussetzung beispielsweise mit der Einführung von Wahlcomputern. Diese sind zulässig, wenn der Bürger deren Arbeitsvorgänge kontrollieren kann.[14]

Rechtsstellung des Abgeordneten

Der Bundestagsabgeordnete vertritt gemäß Art. 38 Absatz 1 Satz 2 GG das gesamte deutsche Volk. Gemäß Art. 38 Absatz 1 Satz 2 GG ist er ausschließlich seinem Gewissen unterworfen und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. Diese Stellung bezeichnet die Rechtswissenschaft als freies Mandat. Die Unabhängigkeit des Abgeordneten soll gewährleisten, dass dieser seinen Willen im Parlament ausschließlich anhand der eigenen Überzeugung bildet.[15]

Das freie Mandat darf nach dem Wortlaut des Art. 38 GG nicht beschränkt werden. In der Rechtswissenschaft ist allerdings anerkannt, dass kollidierendes Verfassungsrecht dem freien Mandat Schranken setzt. Dies beruht darauf, dass Verfassungsbestimmungen als gleichrangige Prinzipien grundsätzlich nebeneinander stehen, weswegen sie sich nicht gegenseitig verdrängen. Begrenzt wird das freie Mandat beispielsweise durch das Interesse an der Funktionsfähigkeit des Parlaments.[16][17]

Rechte und Pflichten

Um das Mandat effektiv wahrzunehmen, das ihm durch seine Wahl erteilt wurde, besitzt der Abgeordnete zahlreiche parlamentarische Beteiligungsrechte. Hierzu zählt etwa das Recht zur Mitwirkung an Beratungen und Beschlüssen im Plenum und in Ausschüssen. Die Mitwirkung erfolgt durch die Beteiligung des Abgeordneten an Beratungen und Abstimmungen: Der Abgeordnete besitzt das Recht, Redebeiträge zu erbringen[18], Vorschläge einzubringen[19] und Fragen zu stellen. Näher ausgestaltet werden diese Rechte durch die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags (GOBT).

Weiterhin besitzt der Abgeordnete das Recht, sich gemeinsam mit anderen Abgeordneten zu einer Fraktion zusammenzuschließen.[20][21] Bei einer parlamentarischen Fraktion handelt es sich um eine Untergliederung des Bundestags, der gemäß § 10 Absatz 1 GOBT mindestens fünf Prozent der Bundestagsabgeordneten umfasst. Verfassungsrechtlich wurzelt die Rechtsstellung der Fraktion als Zusammenschluss von Abgeordneten in Art. 38 Absatz 1 Satz 2 GG. Daher besitzt die Fraktion zahlreiche parlamentarische Beteiligungsrechte.[22] Ein Fraktionsrecht kann durch kollidierendes Verfassungsrecht beschränkt werden. Als solches kommt auch hier das Interesse an der Funktionsfähigkeit des Parlaments in Betracht.

Weitere Abgeordnetenrechte normiert die Verfassung als Ausprägung des Art. 38 Absatz 1 Satz 2 GG. Gemäß Art. 46 GG genießt der Abgeordnete Indemnität und Immunität. Ersteres bezeichnet den Schutz vor rechtlichen Nachteilen, die an ein Handeln des Abgeordneten in Ausübung seiner Abgeordnetentätigkeit anknüpft. Letzteres bezeichnet den Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung während der Amtszeit. Gemäß Art. 47 GG besitzt der Abgeordnete ein das Recht, das Zeugnis über Tatsachen zu verweigern, von denen er als Abgeordneter Kenntnis erlangt. Soweit dieses Zeugnisverweigerungsrecht reicht, ist er auch vor Beschlagnahmen geschützt.

Die Wahrnehmung des Abgeordnetenamts steht im Mittelpunkt der Tätigkeit des Abgeordneten. Nebentätigkeiten sind daher gemäß § 44a Absatz 1 Satz 1 des Abgeordnetengesetzes nur soweit zulässig, wie sie die Ausübung des Abgeordnetenamts nicht behindern.

Prozessuale Stellung

Der Abgeordnete ist als Mitglied des Bundestags Inhaber eines öffentlichen Amts. Daher wird er im Rahmen seiner parlamentarischen Tätigkeit als Bestandteil der Staatsgewalt nicht durch Grundrechte geschützt. Vielmehr ist er gemäß Art. 1 Absatz 3 GG grundrechtsverpflichtet. Greift ein Verfassungsorgan in ein Abgeordnetenrecht ein, kann sich der Abgeordnete daher nicht mithilfe einer Verfassungsbeschwerde zu Wehr setzen. Statthaft ist diesbezüglich stattdessen ein Antrag im Organstreitverfahren.

Rügt der Abgeordnete die Verletzung seines Abgeordnetenrechts allerdings gegenüber Stellen, die nicht im Organstreitverfahren parteifähig sind, kann er diesbezüglich Verfassungsbeschwerde erheben. Diese ist ebenfalls statthaft, wenn der Abgeordnete die Verletzung eines außerparlamentarischen Rechts rügt.

Art. 38 Absatz 3 GG

Literatur

  • Siegfried Magiera: Art. 38. In: Der BibISBN-Eintrag Vorlage:BibISBN/3406668869 ist nicht vorhanden. Bitte prüfe die ISBN und lege ggf. einen neuen Eintrag an.
  • Michael Morlok: Art. 38. In: Horst Dreier (Hrsg.): Grundgesetz Kommentar: GG. 3. Auflage. Band II: Artikel 20-82. Mohr Siebeck, Tübingen 2015, ISBN 978-3-16-150494-5.
  • Christian von Coelln: Art. 21. In:Christoph Gröpl, Kay Windthorst, Christian von Coelln (Hrsg.): Grundgesetz: Studienkommentar. 3. Auflage. C. H. Beck, München 2017, ISBN 978-3-406-71258-6.
  • Winfried Kluth: Art. 21. In: Christian Volker Epping, Christian Hillgruber (Hrsg.): Beck’scher Online-Kommentar GG, 34. Edition 2017.
  • Philip Kunig: Art. 21. In: Der BibISBN-Eintrag Vorlage:BibISBN/3406581625 ist nicht vorhanden. Bitte prüfe die ISBN und lege ggf. einen neuen Eintrag an.
  • Bodo Pieroth: Art. 38. In: Der BibISBN-Eintrag Vorlage:BibISBN/3406661198 ist nicht vorhanden. Bitte prüfe die ISBN und lege ggf. einen neuen Eintrag an.
  • Rudolf Streinz: Art. 21. In: Hermann von Mangoldt, Friedrich Klein, Christian Starck (Hrsg.): Kommentar zum Grundgesetz. 6. Auflage. Band 2: Artikel 20–82. Vahlen, München 2010, ISBN 978-3-8006-3732-4.

Einzelnachweise

  1. BVerfGE 30, 227 (246): Vereinsname.
  2. BVerfGE 99, 69 (77): Kommunale Wählervereinigungen.
  3. BVerfGE 36, 139 (141): Wahlrecht Auslandsdeutscher.
  4. BVerfGE 3, 19 (31): Unterschriftenquorum.
  5. BVerfGE 11, 266 (272): Wählervereinigung.
  6. BVerfGE 3, 45 (49): Nachrückende Ersatzleute.
  7. BVerfGE 7, 63 (68): Listenwahl.
  8. Siegfried Magiera: Art. 38, Rn. 83. In: Der BibISBN-Eintrag Vorlage:BibISBN/3406668869 ist nicht vorhanden. Bitte prüfe die ISBN und lege ggf. einen neuen Eintrag an.
  9. BVerfGE 44, 125 (139): Öffentlichkeitsarbeit.
  10. BVerfGE 41, 399 (413): Wahlkampfkostenpauschale.
  11. BVerfGE 95, 408 (418): Grundmandatsklausel.
  12. BVerfGE 82, 322: Gesamtdeutsche Wahl.
  13. BVerfGE 121, 266: Landeslisten.
  14. BVerfGE 123, 39 (71): Wahlcomputer.
  15. Siegfried Magiera: Art. 38, Rn. 46. In: Der BibISBN-Eintrag Vorlage:BibISBN/3406668869 ist nicht vorhanden. Bitte prüfe die ISBN und lege ggf. einen neuen Eintrag an.
  16. BVerfGE 118, 277 (324): Verfassungsrechtlicher Status der Bundestagsabgeordneten.
  17. BVerfGE 80, 188 (219): Wüppesahl.
  18. BVerfGE 60, 374 (380): Redefreiheit und Ordnungsrecht.
  19. BVerfGE 1, 144 (153): Geschäftsordnungsautonomie.
  20. BVerfGE 43, 142 (149): Verfassungsbeschwerde einer Parlamentsfraktion.
  21. BVerfGE 112, 118 (135): Vermittlungsausschuss.
  22. Michael Morlok: Art. 38, Rn. 176. In: Horst Dreier (Hrsg.): Grundgesetz Kommentar: GG. 3. Auflage. Band II: Artikel 20-82. Mohr Siebeck, Tübingen 2015, ISBN 978-3-16-150494-5.