Scharfschütze
Als Scharfschützen werden Soldaten bezeichnet, die durch selektiven, gezielten Schusswaffeneinsatz ihren Kampfauftrag bzw. Einsatzzweck erreichen. Eine prinzipiell ähnliche Rolle kommt den Präzisionsschützen der Polizei zu. Rahmenbedingungen des Einsatzes, Verlauf, Ziele und Rechtsgrundlagen des Einsatzes unterscheiden sich dabei jedoch grundlegend. Gemeinsam ist Scharf- und Präzisionsschützen, dass sie eine hochspezialisierte Ausbildung durchlaufen und auf sehr spezielle Einsatzmittel (v. a. Scharfschützenwaffen) zurückgreifen. Beide Arten von Schützen erfüllen auch eine Reihe weiterer wichtiger Funktionen als Aufklärer und Beobachter, beim Identifizieren und Sichern potentieller Stellungen für Heckenschützen und in Sonderrollen, zum Beispiel als Artilleriebeobachter.
Militärscharfschützen
Militärische Scharfschützen (engl. Sniper) sind Soldaten, die neben den normalen Anforderungen für Präzisionsschützen darin ausgebildet sind, in einem kleinen Team oder allein unabhängig und versteckt zu operieren, um ihre Ziele zu erfüllen. Sie wirken im Allgemeinen auf große Distanzen, nicht selten hinter den feindlichen Linien. Sie bekämpfen wertvolle Einzelziele des Gegners aus einer gut getarnten Stellung heraus, mit meistens ein oder zwei Wechselstellungen.
In Zweierteams operieren sie vergleichsweise unabhängig. Diese Teams bestehen aus zwei Scharfschützen, einem Schützen (engl. Shooter) und einem Beobachter (engl. Spotter) der den ersten Schützen unterstützt. Schütze und Beobachter tauschen in bestimmten Abständen die Rollen. Ziel ist, die Kampfmoral des Feindes zu mindern, Feindkräfte zu binden/zu behindern (wie etwa beim Transport) und wertvolles Material oder Schlüsselpersonal zu neutralisieren. Dazu zählen in erster Linie gegnerische Scharfschützen, feindliche Führer, Bedienungspersonal von Geschützen u. ä., MG-Schützen, sowie Funker und Bediener von Kommunikationseinrichtungen.
Das Überleben des militärischen Scharfschützen hängt von perfekter Tarnung und Geländeausnutzung bei Annäherung und Absetzen ab, vom Vorhandensein ausreichend getarnter und gedeckt erreichbarer Wechselstellungen u.v.m. So fertigt normalerweise jeder Scharfschütze seine Tarnanzüge selbst.
Die Reichweite der Militärscharfschützen kann bis zu 2.500 Meter betragen, die übliche Einsatzreichweite beträgt etwa 600 bis 800 Meter. Die geringste Distanz hängt von den Versteck- und Tarnmöglichkeiten ab. Es wurden schon erfolgreiche Einsätze mit nur 90 Metern Entfernung durchgeführt. Die besten Gegenmaßnahmen gegen Scharfschützen sind der sofortige Einsatz von Rauchkörpern und wiederum eigene Scharfschützen. Ebenso das Täuschen und Verstecken von militärischen Rängen. So sollte das militärische Grüßen unterbleiben, genauso wie das Tragen von Offiziersuniformen. Horatio Nelson wurde von einem französischen Scharfschützen erschossen, weil dieser ihn an seiner Admiralsuniform erkannte.
Designated Marksman
Als Squad Designated Marksman werden in der United States Army und dem United States Marine Corps Schützen bezeichnet, die ihren Squad direkt unterstützen, indem sie Ziele in 200–600 Metern Entfernung mit gezieltem Einzelfeuer bekämpfen. Diese Soldaten agieren als regulärer Teil ihrer Gruppe, haben aber einen zusätzlichen Lehrgang absolviert und sind mit modifizierten Varianten des regulären M16 (Zielfernrohr, schwerer Lauf, Zweibein) oder, wie z. B. bei den Marines, mit speziellen DMRs (Designated Marksman Rifles) ausgerüstet. In der israelischen Armee heißen diese ZF-Schützen Kalat Saar. Als deutsche Übersetzung dieses Begriffs wird manchmal das Wort „Gruppenscharfschütze“ verwendet.
„Erfunden“ wurde der Designated Marksman wahrscheinlich während des zweiten Weltkriegs, als man auf deutscher Seite Scharfschützen in Infanteriegruppen einband, damit diese sich besser gegen russische Scharfschützen verteidigen konnten. Dies wurde dann auch von den Amerikaner als Antwort auf deutsche Scharfschützen an der Westfront getan. Nach dem Krieg wurde dieses Prinzip nur von der Sowjetunion standardmäßig weitergeführt. Dort gab es in jeder Gruppe einen Schützen der mit einem Dragunow-Scharfschützengewehr im Kaliber 7,62x54R ausgerüstet war.
Präzisionsschützen
Als Präzisionsschütze wird im Allgemeinen ein Schütze bezeichnet, der durch seine Ausrüstung und Ausbildung in der Lage ist, auf größere Distanz präzise Ziele zu bekämpfen. Sie verfügen jedoch nicht über die „Einzelkämpferausbildung“ eines militärischen Scharfschützen.
Polizeiliche Präzisionsschützen haben die Aufgabe, durch gezielte Schüsse eine extreme Gefahrensituation abzuwenden, also z. B. Verbrechensopfer zu retten. Außerdem dienen sie als Beobachter (in den meisten Fällen ihre einzige Funktion) und helfen bei der Planung von Sicherungsmaßnahmen bei gefährdeten Ereignissen. Im Vergleich mit dem Militär ergeben sich für ihren Einsatz völlig andere Restriktionen und Rechtsgrundsätze (Polizeirecht vs. Kriegsrecht), auch der eigentliche Einsatz unterscheidet sich fundamental. Polizeischützen schießen auf vergleichsweise kurze Entfernungen, zwischen 50 und 120 Meter, während militärische Scharfschützen Distanzen von bis zu 2.500 Metern abdecken. Sie stehen dabei in ständigem Kontakt zur Einsatzleitung, die auch das Ziel klar festlegt und den Zeitpunkt des Schusses befiehlt. Außerdem müssen Präzisionsschützen der Polizei mit dem ersten Schuss unabdingbar den Verbrecher an der Fortsetzung der Tat hindern. Hierzu wird meistens der Hirnstamm anvisiert, da durch einen Treffer in diesem Bereich meist eine sofortige Bewußtlosigkeit eintritt und jede bewußte und unbewußte Bewegung unterbleibt (Querschnittslähmung) kann ein Geiselnehmer seinem Opfer keinen Schaden mehr zufügen.
Viele Probleme für militärische Scharfschützen entfallen im Polizeieinsatz. Tarnung spielt keine so starke Rolle wie beim Militär, da Polizeischützen in der Regel nicht durch Feindaufklärung und Beschuss bedroht sind und nach der Schussabgabe nicht verborgen bleiben müssen. Ebenso dauert ein polizeilicher Präzisionsschützeneinsatz nur wenige Stunden, in denen sich die Schützen abwechseln können. Ein Problem für zivile Präzisionsschützen in Deutschland ist jedoch die teilweise unklare Gesetzeslage hinsichtlich des finalen Rettungsschusses (siehe dort). Auch in Bundesländern, in denen dieser letzte Ausweg erlaubt ist, würde die Justiz nach dem Einsatz prüfen müssen, ob der Schuss tatsächlich erlaubt war.
Siehe auch: Präzisionsschützenkommando
Geschichte
Die historischen Wurzeln der Scharfschützen reichen wenigstens bis zu den napoleonischen Kriegen zurück. So wurde in England bereits 1800 eine experimentelle Scharfschützeneinheit ins Leben gerufen, die 1802 in das reguläre Feldheer als 95th (Rifle) Regiment aufgenommen wurde. Ähnliche Einheiten finden sich mit den Tirailleurs auch auf französischer Seite. Im amerikanischen Bürgerkrieg werden erneut eigenständige Scharfschützeneinheiten aufgestellt, so etwa die Freiwilligen der „Berdan-Sharpshooters“.
Die Entwicklung des modernen Scharfschützenwesens i. e. S. beginnt mit dem Ersten Weltkrieg. Zunächst wurde hier noch auf mit Zielfernrohren bestückte Jagdwaffen zurückgegriffen, aber bereits ab 1916 beginnt in England und Deutschland die gezielte Auswahl besonders geeigneter Läufe aus der aktuellen Gewehrproduktion.
Im Zweiten Weltkrieg wurden Scharfschützen von allen Kriegsbeteiligten eingesetzt; besonders bekannt geworden sind neben den Angehörigen der Wehrmacht die weiblichen Scharfschützen der Roten Armee. Deutsche Scharfschützen wurden u. a. in Österreich in speziellen Scharfschützenschulen ausgebildet. Das Scharfschützenabzeichen im 3. Reich war höher angesehen als das Ritterkreuz und beim 50. bestätigten Feindabschuss wurde man vom Reichsmarschall Hermann Göring persönlich zur Jagd auf einen Hirsch eingeladen. Ein bestätigter Abschuss musste von einem Offizier gesehen und bestätigt worden sein. Da die Scharfschützen aber meist alleine auf „freier Jagd“ waren, dürfte die tatsächliche Abschusszahl weit höher liegen als die Anzahl der bestätigten Abschüsse.
Im Korea- und im Vietnamkrieg setzte sich die Einsicht in die Bedeutung spezialisierter Scharfschützen durch. Man erkannte, dass das Verhältnis abgefeuerter Munition und Treffer zu weit auseinander lag. So schuf man in den USA sogenannte Sniperschools, um den Soldaten das effektive Schießen beizubringen. Mit der Anpassung der deutschen Streitkräfte an die Erfordernisse der Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges ist auch in der Bundeswehr die Bedeutung der Scharfschützen enorm gewachsen. Entsprechende Bemühungen um Ausbildung und Ausrüstung werden unternommen.
Die Entwicklung des polizeilichen Scharfschützenwesens lässt sich mit dem Aufkommen des Terrorismus und ähnlicher Schwerstkriminalität in den 1970er Jahren ansetzen.
Wortbegriff
Das Wort „Schütze“ entstand im deutschen Sprachraum als ein Ausdruck für „Sender für Geschosse“, wobei kein Bezug zu der Form des Projektils oder der Schusswaffe bestand. Die Gebrüder Grimm als Autoren des Deutschen Wörterbuches leiten die Entwicklung dieses Begriffes aus dem althochdeutsch „scuzzo“ ab und verweisen auf die verwandten Worte in anderen Sprachräumen, „skut“ im Angelsächsischen, „skytt“ und „skytte“ im schwedischen und dänischen. In Anlehnung daran verweisen spätere Sprachforscher auf die enge Beziehung zum friesischen „sketta“ und dem niederdeutschen „schütte“, aus dem dann im mittelhochdeutschen „schütze“ entstand.
Die französische Sprache bezieht ihr Wort für Schütze, „tireur“ aus dem Verb „tirer“, d. h. „ziehen“, und beschreibt damit die Tätigkeit beim Abfeuern eines Bogen, einer Armbrust (Sehne) oder einer Schusswaffe (Abzug), während der lateinische Schütze nach seiner Waffe oder dem Geschoss bestimmt wurde, „sagittarii“ (Pfeilschießer), und „ballistarii“ (Schleuderer).
Die Bezeichnung für einen besonders guten Schützen entstand in der deutschen Umgangssprache in Verbindung mit dem Wort „scharf“, welches auch mit „Scharfblick“, „scharfes Auge“, aber auch mit „scharfe Munition“ eine besondere Bedeutung erhält. Die Franzosen kennen da nur die Steigerung des „tireur d'elite“, des Meisterschützen oder Eliteschützen. Am Aufschlussreichsten sind die im englischen entstandenen Begriffe. So bezeichnet „marksman“ jemand, der mit Genauigkeit das „mark“ (Ziel) trifft.
Der „sharpshooter“ entstand als eine direkte Weiterführung des deutschen Begriffs, genau wie im Deutschen, ist spätestens seit dem 17. Jahrhundert bekannt. Auch die Herleitung von den amerikanischen "Sharpshooters", den Schützeneinheiten mit weitrechenden Sharps-Gewehren, ist möglich.
Zusätzlich kam der Begriff „Sniper“ für den militärischen Spezialisten auf, hier aus der Jagd, jemand der eine „snipe“ (Schnepfe) treffen konnte, musste schon ein sehr guter Schütze sein. Sniper ist inzwischen auch im Deutschen und z. B. im Russischen Snajper – Снайпер eine gebräuchliche Bezeichnung für Scharfschützen.
Das Schimpfwort „Heckenschütze“ entwickelte sich aus der Umgangssprache des Mittelalters und steht in Beziehung zu den im Hinterhalt lauernden „Heckenräuber“. Es fand in den militärischen Sprachgebrauch noch in einem anderem Zusammenhang Eingang. Das preußische Exerzierreglement von 1714 sah zur Abwehr umherstreifender Kavallerie das „Heckenfeuer“ vor. Aus jedem halben Peloton (Aufstellungsart beim Gefecht) traten zwei Rotten hervor, gaben ihre gezielte Salve ab und traten wieder zurück. Sie traten dabei oft an die „Hecke“ heran, ein Gewirr von Holzgestrüpp, gefällten Bäumen und Ästen, „Abatis“ genannt, welches dem Feind als erstes Hindernis in den Weg gelegt wurde. Das Heckenfeuer war kein Einzelfeuer, sondern Salvenschießen, wobei das Zielen eher sekundär war.
Filme
- 1993: Sniper – Der Scharfschütze, Spielfilm über US-Scharfschützen im Einsatz gegen Kartelle in Panama.
- 2001: Duell – Enemy at the Gates, ein Film über Scharfschützen während der Schlacht von Stalingrad (siehe auch: Wassili Grigorjewitsch Saizew)
- 2005: Jarhead – Willkommen im Dreck, Hollywood-Film über eine Scharfschützeneinheit im Zweiten Golfkrieg
Siehe auch
Literatur
- Visier: Scharfschützen, Visier-Magazin, Bad Ems, Sonderausgabe_34 September 2004
- Jan Boger: Jäger und Gejagte. Die Geschichte der Scharfschützen, Motorbuch-Verl., Stuttgart, 1987, ISBN 3-87943-373-9
- Peter Brookesmith: Scharfschützen. Geschichte, Taktik, Waffen, Motorbuch-Verl., Stuttgart, 2004, ISBN 3-613-02247-8
- Charles Henderson: Todesfalle. Die wahre Geschichte eines Scharfschützen in Vietnam, Heyne, München, 1993, ISBN 3-453-03687-5
- Ian V. Hogg (Text), Ray Hutchins (Photos): Moderne Scharfschützengewehre, Motorbuch-Verl., Stuttgart, 2004, ISBN 3-613-02014-9
- Peter Senich: Deutsche Scharfschützen-Waffen 1914-1945, Motorbuch-Verl., Stuttgart, 1996, ISBN 3-613-01732-6
- Bruno Sutkus: Im Fadenkreuz. Tagebuch eines Scharfschützen
- Christopher Whitcomb: Eiskalt am Abzug. ein Scharfschütze des FBI über seine gefährlichsten Einsätze, Goldmann, München, 2003, ISBN 3-442-15192-9
- Albrecht Wacker: Im Auge des Jägers (über Josef Allerberger), VS-Books, Motion 2000, ISBN 3-932-07727-X