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Kurt Schumacher

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Kurt Schumacher auf der 2 DM-Münze

Kurt Schumacher (* 13. Oktober 1895 in Culm, Westpreußen ; † 20. August 1952 in Bonn) war Parteivorsitzender der SPD von 1946-1952 und SPD-Fraktionsvorsitzender im ersten Deutschen Bundestag von 1949-1952.

Kurt Schumacher war in der Zeit von 1945 bis 1949 maßgeblich am Wiederaufbau der SPD in Westdeutschland beteiligt. In den ersten Jahren der Bundesrepublik war Schumacher der große Gegenspieler Konrad Adenauers. Auch wenn sich Schumacher langfristig mit seinen politischen Vorstellungen zum größten Teil scheiterte ist, gehört er doch zu den Gründervätern der Bundesrepublik Deutschland.

Leben

Schumacher stellt nach seiner Promotion in Rechtswissenschaften sein gesamtes Leben aktiv in den Dienst der SPD. Vor 1933 ist er zunächst Redakteur einer Parteizeitung, dann Landtags- und Reichtagsabgeordneter. Den größten Teil der Zeit des Nationalsozialismus muss er im KZ verbringen. Nach 1945 wird er unumstrittener Parteiführer und eine der prägenden Gestalten der frühen Bundesrepublik.

Im Gegensatz zum "Fuchs" Adenauer beschreibt Peter Merseburger ihn als "Löwen". Ausgesprochen, willensstark, polemisch und scheinbar unbeirrbar in seinen Vorstellungen bildet er das in der Wahrnehmung der Zeitgenossen ebenso charismatische Gegenbild zum ersten Kanzler. Der preußische Sozialist Schumacher war in den ersten Jahren der Bundesrepublik in der öffentlichen Meinung der klar dominierende Politiker Westdeutschlands. Erst durch die Wahl des rheinländischen Katholiken Adenauers zum Kanzler und den fast zeitgleich einsetzenden endgültigen körperlichen Verfall Schumachers wandelte sich dieses Bild.

Seine Forderungen trug Schumacher mit leidenschaftlicher Radikalität vor. Einen Arm hatte er im Ersten Weltkrieg verloren, sein linkes Bein musste 1948 amputiert werden; die Zeit im Konzentrationslager hatte seiner Gesundheit schwer geschadet. Ausgemergelt und körperlich beschädigt, war der Kettenraucher doch mit einem scheinbar bis zum Starrsinn reichenden unbeugsamen Willen versehen und wirkte auf viele seiner Zeitgenossen und Gesprächspartner wie ein lebendes Symbol moralischer Aufrichtigkeit und des unbeugsamen Kampfes für einen freiheitlichen Sozialismus.

Zeit bis 1945

Kindheit und Schulzeit

Schumacher wird als viertes Kind und einziger Sohn der evangelischen Kaufleute Carl Schumacher und Gertrud geb. Meseck geboren, der Eintrag im Standesamt lautet "Curt Ernst Carl" Schumacher. Sein Vater Carl hatte nicht nur einigen geschäftlichen Erfolg, er war auch politisch aktiv. Der Anhänger des Freisinns übte für viele Jahre das Amt des Culmer Stadtverordnetenvorstehers aus, höchstwahrscheinlich (genaue Daten sind nicht überliefert) auch mit Unterstützung der polnischen Abgeordneten. Ab 1911 war Carl auch Kreistagsabgeordneter, 1914 und 1917 vertrat er Culm bei den Verhandlungen des Reichsverbandes deutscher Städte. Schumacher las in dieser Zeit die Sozialistischen Monatshefte - die Zeitschrift des revisionistischen Flügels der SPD und den März, eine linksliberale von Hermann Hesse und Ludwig Thomas herausgegebene Zeitschrift. Der junge aus gutbürgerlichem Haus gilt innerhalb der Schule als überzeugter Sozialdemokrat, leidet aber unter der Vereinsamung, die eine solche Haltung innerhalb der westpreußischen Gesellschaft bringt.

In einem Selbstportrait, das Schumacher 1924 zur Bewerbung bei einem Doktorvater anfertigte schrieb er: Mein Interesse für historische und politische sowie philosophische Dinge brachte mich sehr frühe dem Sozialismus nahe. Die üble und ungünstige Umgebung, die eine ostmärkische Kleinstadt für solche Interessen nun einmal ist, hat mich notgedrungen sehr frühzeitig zu einer Schablonisierung meiner Ansichten gebracht - spätestens seit meinem 15. Jahre zählte ich mich innerlich zur Sozialdemokratischen Partei. Allerdings fehlte diesen "Schablonen" dadurch manches ihrer Gefährlichkeit, dass ich durch die Lektüre Bernsteins (was mir heute etwas sehr sonderbar vorkommt) Sozialdemokrat im Parteisinn geworden bin. Die Prägung durch Bernstein und dessen Stellung gegen den orthodoxen Marxismus begleitet Schumacher sein ganzes Leben lang.

Culm liegt nur 30 Kilometer von der Grenze des damals zaristischen Russlands entfernt. Seine Mitschüler sind zum größten Teil Polen, in seiner Abschlussklasse befanden sich acht Deutsche und 14 Polen. Am Gymnasium in Culm war einige Jahre vor Schumachers Schulbeginn der gebrauch der polnischen Sprache verboten wurden, ein Verbot das jährlich rituell in einer großen Versammlung wiederholt wurde.

Die Reichseinigung unter Bismarck war für ihn ein Fortschritt gegenüber dem Partikularismus früherer Tage. Sein Widerstand gegen Junkerherrschaft und Militarismus richtete sich nicht gegen Deutschland oder Preußen - war Preußen doch unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Otto Braun ein "Bollwerk der Demokratie" in der Weimarer Republik gewesen.

Kriegsfreiwilliger

Am 2. August 1914, bei der ersten möglichen Gelegenheit, als einer von zwei Schülern des Gymnasiums Culm und noch völlig im unklaren wie sich dies auf seine Schullaufbahn auswirkt, trägt sich Schumacher in der Situation des Augenblicks als Kriegsfreiwilliger ein. Sein Entschluß fällt unter anderem aus der Überlegung, dass für die Grenzstadt Culm die akute Gefahr besteht zur Frontstadt zu werden und Opfer einer Belagerung zu werden. Er kehrt noch einmal kurz zur Schule zurück, um das Notabitur abzulegen. Sein - nicht selbstgewähltes - Aufsatzthema im Abitur bezieht sich zeitgemäß auf das Schiller-Thema. Will. ruf' ich aus, das Schicksal mit uns enden, So stirbt sich's schön, die Waffe in den Händen. Schumacher ist noch jahrzehnte später tief beeindruckt davon, dass sich in den darauffolgenden Tagen auch der größte Teil seiner polnischen Mitschüler auf deutscher Seite als Kriegsfreiwillige melden. Als Soldat im Infanterie-Regiment Nr. 21 wird er bereits am 2. Dezember 1914 in Wloclawek bei Lodz (Polen) so schwer verwundet, dass ihm der rechte Arm amputiert werden muss und er aus dem Kriegsdienst entlassen wird. Schumacher, getroffen durch zwei Querschläger durch den Oberarm und zwei Schüsse durch die Hand, bleibt 26 Stunden auf dem Feld liegen, getroffen von weiteren Granatsplittern am Oberschenkel, bevor er ins 50km entfernte Feldlazarett geschleppt wird. Der 1,85 m große Schumacher fällt in dieser Zeit, zusätzlich auch noch von der Ruhr befallen von 72 kg auf 43 kg Gewicht. Am 10. Oktober 1915 wird Schumacher offiziell aus dem Militär entlassen. Dafür, seinen rechten Arm im Krieg gelassen zu haben, erhielt er eine monatliche Rente von 33,75 Mark zusätzlich einer Kriegszulage von 15 Mark und der einfachen Verstümmelungszulage von 27 Mark sowie das Eiserne Kreuz Zweiter Klasse.

Culm fällt nach dem ersten Weltkrieg an Polen, seine Familie wird ihrer wirtschaftlichen Existenz beraubt.

1915 beginnt er ein Studium der Rechtswissenschaft und der Nationalökonomie an den Universitäten Halle, Leipzig, Berlin und Berlin, welches er 1919 mit dem ersten juristischen Staatsexamen beendet. Er wurde Mitarbeiter im Reichsarbeitsministerium. Da er in Berlin keinen Doktorvater findet, promoviert er 1926 an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster zum Dr. jur. Das Thema seiner Dissertation lautet: "Der Kampf um den Staatsgedanken in der deutschen Sozialdemokratie."

In der SPD

Schon seit 1918 ist Schumacher Mitglied der SPD. Er wird Mitglied des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten und unter anderem zusammen mit Otto Braun Mitglied des Berliner Arbeiter- und Soldatenrates. 1920 wird die SPD auch sein Arbeitgeber, er wird politischer Redakteur der Stuttgarter sozialdemokratischen Zeitung "Schwäbische Tagwacht". In Stuttgart fällt Schumacher als leidenschaftlicher Redner und als früher Gegner der Nationalsozialisten auf. 1924 wird er Stuttgarter Vorsitzender des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. 1930 wird er Vorsitzender der SPD in Stuttgart.

1924 wird er Mitglied des Landtages von Württemberg. Hier ist er seit 1928 Mitglied im Vorstand der SPD-Fraktion. 1931 scheidet er aus dem Landtag aus.

1930 wird Schumacher zum ersten Mal in den Deutschen Reichstag gewählt. Er tritt als entschiedener Gegner der Tolerierungspolitik gegenüber dem Kabinett Heinrich Brüning auf. Seit 1932 ist er hier Mitglied im SPD-Fraktionsvorstand. Er gehört auch dem nach der Machtergreifung Hitlers unter erschwerten Bedingungen gewählten Reichstag an und stimmt mit der SPD-Reichstagsfraktion am 23. März 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz. Am 10. Juni plädiert er auf einer Sitzung der SPD-Reichstagsfraktion für die illegale Arbeit der Partei, ebenso am 19. Juni auf einer SPD-Reichskonferenz. Er ist im Gegensatz zur Parteiführung, die glaubt es könne nicht schlimmer als zu Zeiten von Bismarcks Sozialistengesetzen werden, Vertreter einer unnachgiebigen Haltung gegenüber den Nationalsozialisten. Vom 13. Juni an wird Schumacher steckbrieflich gesucht.

Am 6. Juli 1933, gut zwei Wochen nach dem Verbot der SPD, wird Schumacher in Berlin verhaftet, nachdem er an einem geheimen sozialdemokratischen Treffen im Schwarzwald teilgenommen hatte. Schumacher hatte die Chance, einen Verzichtserklärung auf politische Betätigung zu unterschreiben und sich damit seine Freiheit zu erkaufen. Er lehnte ab. Daraufhin wurde er über einen Zeitraum von neun Jahren, neun Monaten und neun Tagen in verschiedenen Konzentrationslagern gefangen gehalten, zunächst bis Dezember 1933 im KZ Heuberg, danach bis Juli 1935 im KZ Oberer Kuhberg in Ulm, anschließend im KZ Dachau und zeitweilig im KZ Flossenbürg. Er lehnt dort jeglichen Kontakt zu kommunistischen Gefangenen ab, da er sie für mitschuldig an der Machtübernahme der Nazis hält. Durch einen Hungerstreik erreicht Schumacher es zwischenzeitlich, dass er nicht mehr im Steinbruch arbeiten muss.

Am 16. März 1943 wird er als schwerkranker Mann nach Hannover entlassen, wo er sich zwangsweise bis zur Befreiung am 10. April 1945 aufhalten muss.

Nach dem Attentat am 20. Juli 1944 wird er erneut inhaftiert, vom 24. August - 20. September 1944 im KZ Neuengamme, allerdings nach kurzer Zeit wieder freigelassen.

Wiederaufbau der SPD

Unmittelbar nach Kriegsende und der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus begann Kurt Schumacher mit dem Wiederaufbau der SPD. Wie August Bebel auch, wird Schumacher als wahrer Volkstribun, mitreißender Redner, Führer an den glaubte, wer zur SPD gehörte (Peter Lösche) beschrieben.

Er wollte die Fehler der Weimarer Republik vermeiden und griff in seinen inhaltlichen Konzepten auf Überlegungen schon aus der Weimarer Zeit und auf die der Sozialdemokraten im Exil zurück. Zum ersten mal in der Geschichte der SPD gelang es ihm, einen breiten Konsens darüber herzustellen, die SPD zu einer pluralistischen linken Volkspartei auszubauen, die programmatisch einen demokratischen Sozialismus propagierte. Er bahnte somit den Weg für das Godesberger Programm, trieb die programmatische Entwicklung der Partei zu den späteren Grundsätzen jenes 1959 verabschiedeten Programms nicht nur voran, sondern erstickte auch innerparteiliche Diskussionen, die immer wieder beispielsweise von Carlo Schmid angeregt wurden, im Keim.

Bereits am 6. Mai 1945, zu einem Zeitpunkt als die Bildung politischer Parteien von der britischen Besatzungsmacht noch verboten war, wurde Schumacher von etwa 130 sozialdemokratischen Funktionären in Hannover zum lokalen Vorsitzenden gewählt.

Schumacher bewies in dem Nachkriegschaos großes organisatorisches Geschick und stieg in kurzer Zeit zur unangefochtenen Führungsfigur der Sozialdemokratie in den westlichen Besatzungszonen auf. Im Juli 1945 gaben ihm elf westdeutsche Parteibezirke die Vollmacht, "den früheren Reichtagsabgeordneten Dr. Kurt Schumacher mit der organisatorischen und politischen Führung der Partei im gesamten Reich" zu beauftragen. Am 10. Mai 1946, vier Wochen nach der von ihm heftig bekämpften Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED in der sowjetischen Zone wurde Schumacher schließlich mit 244 von 245 Stimmen zum Parteivorsitzenden der SPD in den drei westlichen Besatzungszonen gewählt. Das "Büro Dr. Schumacher" in Hannover entwickelte sich zur faktischen Parteizentrale, seine Mitarbeiter wie Erich Ollenhauer, Egon Franke, Alfred Nau, Herbert Kriedemann und Herta Gotthelf bildeten das organisatorische Grundgerüst der SPD.

Autoritärer Führungsstil

Schumacher sah die Partei als wichtigste Trägerin des politischen Systems an. Im Nachkriegschaos, angesichts der großen Aufgaben, denen sich die frühe bundesdeutsche Politik stellen musste, sicher aber auch persönlichkeitsbedingt, war für ihn die Einheit der Partei eines der wichtigsten Ziele.

Zu den Schattenseiten Kurt Schumachers gehört sein autoritärer Führungsstil. Der in seinem Führungsstil vollkommen gegenstzlich gelagerte Willy Brandt charakterisierte ihn in seinem Buch "Links und frei": Ich begriff - etwas widerstrebend - die magnetische Wirkung, die er auf viele ausübte. Er bat nicht, er forderte. Er wog nicht Argumente gegeneinander ab, sondern schleuderte das Ergebnis seines Nachdenkens in den Zuhörerkreis - und dies mit erheblichem Stimmaufwand.

Schumacher verlangte von den Mitgliedern der SPD eine eiserne Parteidisziplin und war Verfechter des Fraktionszwangs. SPD-Politiker, die öffentlich eine abweichende Meinung vertraten, wurden von ihm scharf angegriffen (z.B. Wilhelm Hoegner und Wilhelm Kaisen). Im Fall Hoegner geriet der fast schon militante Zentralist mit dem ebenso vehementen bayerischen Föderalisten aneinander. Während Hoegner Schumachers Diktator-Allüren kritisierte, sah Schumacher in Hoegner nicht ganz zu unrecht einen Separatisten, der mit der Bayernpartei darüber wetteiferte, wer der überzeugtere Bayer sei. Mit Hilfe seines Büros, der bayerischen SPD, die von Hoegners Positionen ebenfalls für weit übertrieben hielt, und des ehemaligen Londoner Emigranten Waldemar von Knoeringen gelang es Schumacher schließlich, Hoegner innerhalb der SPD zu isolieren.

Im Fall Paul Löbe begründete Schumacher: Die individuelle Meinungsfreiheit ist auch in der Öffentlichkeit gesichert. Wenn aber einmal Entschlüsse vorliegen, dann müssen sie auch respektiert werden. Es kann auch nicht nach Beschlussfassung die Diskussion in jedem Moment von neuem beginnen. Die demokratische Freiheit lag für Schumacher in der Einordnung in die große Idee, deren praktische Gestaltung demokratisch fixiert ist.

Innerhalb der SPD gab es wenige, die widersprachen, geschweige denn seinen Führungsanspruch in Frage stellten. Das Fraktionsmitglied Heinrich Ritzel erklärt die Tatsache, dass Schumacher auch in parteiinternen Diskussionen kaum widerspruch erntete, damit, dass die scharfe Art der Schumacherschen Argumentation viele bereits frühzeitig verstummen ließ, andere schwiegen gegenüber dem Mann, der durch seine physischen Leiden so etwas wie Unantastbarkeit ausstrahlte. Einer der wenigen, die Schumachers Stil offen kritisierten, war Paul Löbe. In einem Brief an Schumacher schrieb er: ... Du weißt wie sehr wir Dich alle schätzen ... daß aber nun überhaupt keine andere Meinung in der Partei laut werden soll als die Deine, scheint mir etwas zu viel verlangt ... wohl zehnmal haben Genossen mich schon gefragt, ist denn niemand da, der Kurt das einmal offen sagt. Ja, ja, es gibt Leute, die sich davor zu fürchten scheinen. Schließlich aber kann eine gesunde Politik nicht nur dadurch betrieben werden, daß man die anderen rechts und links dreimal täglich vor den Kopf stößt.

Im Gegensatz aber zu möglichen Kontrahenten hatte Schumacher die Vorteile klar auf seiner Seite. Er besaß ein kohärentes politische Konzept für die Nachkriegszeit, er hatte die Achtung und den Respekt der Parteimitglieder, den politischen Durchsetzungswillen und eine Organisation, um diesen Willen auch durchzusetzen - alles Faktoren, die den anderen fehlten.

Erster Oppositionsführer der Bundesrepublik

Schumacher lehnt 1946 das Angebot der Alliierten ab, Ministerpräsident Baden-Württembergs zu werden, da er sich nicht regional in seinen Aktionen beschränken will. Er wird allerdings im selben Jahre zum Vorsitzenden des Zonenbeirats in der Britischen Besatzungszone gewählt.

1949 wird Kurt Schumacher in den ersten Deutschen Bundestag gewählt. Die SPD unterliegt nach anfänglich gegenteiligen Prognosen mit 29,2 % der Stimmen gegenüber CDU/CSU, die 31,0 % der Stimmen auf sich vereinigen können.

Im Gegensatz zu vielen anderen in der SPD, namentlich den Landespolitikern Wilhelm Kaisen (Bremen), Max Brauer (Hamburg) und Hermann Lüdemann (Schleswig-Holstein) sprach er sich entschieden gegen eine Große Koalition und damit für eine Oppositionsrolle der SPD aus. Beide unumstrittene Parteiführer der großen Parteien sind gegen starke innerparteiliche Opposition für eine klare Richtungsentscheidung durch die Wahlen. Auch persönlich wäre sowohl ein Minister Schumacher in einem Kabinett Adenauer als auch die umgekehrte Konstellation nur schwer vorstellbar gewesen. Bereits auf einer Wahlversammlung im Oktober 1946 sah er die Rolle der SPD in der Opposition als Möglichkeit. Die Sozialdemokraten fürchteten sich auch nicht vor einem gefährlichen Leben in der Opposition, den wir Sozialdemokraten sagen uns, es ist besser für uns und die Welt, wenn die Opposition einmal von einer internationalistischen demokratischen Partei als von Chauvinisten und Nationalisten und allen Reaktionären, die ja augenblicklich bei der CDU untergekrochen sind, soweit sie nicht im Osten des Reiches bei der SED sind.

Konrad Adenauer wird erster Bundeskanzler, Kurt Schumacher wird als erster Oppositionsführer sein Gegenspieler im Bundestag. Im Gegensatz zur Praxis in der Weimarer Republik begriff er die Oppositionsrolle stets als konstruktiv. Die Opposition sollte nicht in erster Linie die Regierung kritisieren, sondern selbst in der Lage sein, bessere oder zumindest gleichwertige Konzeptionen zu liefern. Mit dieser parlamentarischen Stiländerung hinterließ er vielleicht sein wichtigstes Vermächtnis für das Politische System der Bundesrepublik.

Schumacher war unumstrittener Führer der SPD-Fraktion; obwohl er mit dem Plan scheitert, den Fraktionszwang in die Geschäftsordnung schreiben zu lassen, übt er ihn praktisch konsequent aus. Er war, auch aus der Weimarer Erfahrung heraus, der Ansicht, dass das Parlament ebenso wie eine handlungsfähige Regierung eine geschlossene Opposition benötigte, die auch in der Lage wäre die Regierung zu übernehmen. In der deutschen Tradition schuf er so erst das Amt des Oppositionsführers.

1949 kandidiert Schumacher bei den Wahlen zum Amt des Bundespräsidenten, unterliegt aber dem FDP-Kandidaten Theodor Heuss, der auch von den Unionsparteien mitgetragen wird (s. Bundespräsidentenwahl 1949). Dieses Verhalten Schumachers ist aber nicht im Sinne eines Rückzuges aus der aktiven Politik hin zur Übernahme einer repräsentativeren Aufgabe zu verstehen. Dadurch daß er sich selbst zur Wahl stellte, beugte Schumacher immer lauter werdenden Forderungen aus Koalitionskreisen, einen SPD-Politiker an die Spitze des Staates zu wählen, vor.

Am 20. August 1952 stirbt der schwerkranke Schumacher an den Spätfolgen der langen KZ-Haft in Bonn.

Beigesetzt wurde er in Hannover.


Politische Vorstellungen Schumachers

Zentral für Schumachers politische Vorstellungen war der Begriff des Volkes in seinen beiden Bedeutungsebenen, sowohl als Begriff für den dritten Stand der französischen Revolution, die ausgebeuteten und unterdrückten Massen, als auch im Sinne eines Staatsvolkes. Kurt Schumacher wollte ein demokratisches und sozialistisches ungeteiltes Deutschland, möglichst in den Grenzen von 1937, das möglichst schnell seine Souveränität wiedererlangen und seinen Platz unter den freien Völkern Europas einnehmen sollte. Er stand in der Tradition der Revolution von 1918, er kämpfte für einen Verfassungsstaat, freie Wahlen, Parteiendemokratie, Parlamentarismus, die Überwindung des Obrigkeitsstaates und der kapitalistischen Klassengesellschaft. Für ihn war die SPD die einzige Partei, die weder durch den Nationalsozialismus noch durch den Stalinismus belastet war, und deshalb als einzige in der Lage, ein freies Deutschland in ein freies Europa zu leiten und so zum Spannungsabbau zwischen den Großmächten beizutragen. Schumacher besaß in seinen Politikkonzeptionen den Vor- und Nachteil, nie administrative Macht inne zu haben: Den Vorteil, weil er seine Vorstellungen so nie an der Realität messen musste, undurchführbare Pläne nicht offensichtlich wurden und innere Widersprüche weniger offensichtlich wurden; den Nachteil, dass er so kaum einem Druck zum Lernen ausgesetzt war. Er konnte die Positionen beibehalten auch in einer weltgeschichtlichen Lage, die sich rapide änderte. So führte er die SPD in eine programmatische Isolation, aus der sich wieder zu befreien sie lange Zeit, bis in die 1960er hinein, braucht.

Sozialismus

Schumacher entstammte dem Erbe der Bebelschen SPD. Für ihn war die Überwindung des Klassenkampfes eines der zentralen Politikziele. Seiner Meinung nach konnte dies nur durch die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien geschehen. Er war tief vom Scheitern der Weimarer Republik geprägt und meinte eine der Ursachen dafür in der mangelnden Demokratisierung der Wirtschaft zu sehen. Insbesondere im Nachkriegschaos plädierte er, ähnlich wie die Labour-Party in Großbritannien, für eine Planwirtschaft, um die Versorgung der Bevölkerung mit dem notwendigsten sicherzustellen.

Demokratie

Folgend seinem Volksbegriff bedeutete Demokratie für Schumacher Volksherrschaft und damit die Herrschaft der Arbeiter und normalen Menschen. Die Massen stellten bei weitem die Mehrheit in der Bevölkerung, und wenn sie sich ihrer erst bewusst geworden waren, würden sie die wahre Volksherrschaft durch Wahlen herstellen. Konzeptionen wie die der Bolschewiki, die die Volksherrschaft erst nach einer Zeit der Diktatur des Proletariats anvisierten, lehnte er ab. Für ihn führten nur demokratische Verfahrensweisen auch zu einer Volksherrschaft.

Antikommunismus

Von Schumacher heutzutage am Bekanntesten ist wahrscheinlich das Zitat der "Kommunisten als rotlackierte Faschisten". Schumacher warf der KPD "Klassenverrat" vor, da sie die Weimarer Republik nicht nur nicht verteidigten, sondern aktiv zu ihrem Untergang und damit dem Aufstieg des Nationalsozialismusses beitrugen. Für ihn war die KPD ein willenloses Vollsteckungsorgan der sowjetischen Außenpolitik, in ihren Beschwörungen von Demokratie und Deutscher Einheit verlogen. Mit einer neo-Nationalistischen Sprache, die gleich der des alten Nazismusses sei, betreibe die KPD und später die SED eine nationalrussische Politik mit nationaldeutschen Phrasen. Auf ein Verhandlungsangebot der Volkskammer reagiert er am 30. Januar 1951 im Bundestag mit seiner üblichen ätzenden Schärfe: Die deutschen Demokraten können nur mit Deutschen über Deutschland verhandeln, aber nicht mit Gesinnungsrussen, deren Deutschtum eine bloße Äußerlichkeit ist.

Bereits im Sommer 1945 vollzieht er eine Trennung von der Ost-SPD unter Otto Grotewohl, obwohl das Bestreben nach einer "Einheit der Arbeiterklasse" in beiden Parteien stark war, obwohl es in anderen Ländern wie Italien oder Frankreich eine gemeinsame "Antifaschistische Front" von Kommunisten und Sozialdemokraten gab und obwohl 1945 selbst noch die Westmächte auf eine Zusammenarbeit mit der UdSSR setzten. Er betrieb diesen Kurs, obwohl er auch wusste, wie sehr er den Wahlergebnissen der SPD schaden würde. Lagen die Hochburgen der Arbeiterbewegung doch vor allem in den östlichen Landesteilen, während die bürgerlichen Parteien im katholischen Westen und Süden der neuen Bundesrepublik stärker waren.

Patriotismus

Der Politologe Hans-Peter Schwarz beschreibt Schumacher als "mit Getöse national." In einem Aufruf aus dem Jahr 1945 schrieb Schumacher: Mag das Verbrechen des deutschen Nazismus an der Welt noch so schwer sein, das deutsche Volk kann und darf nicht darauf verzichten, sein Reich ... als nationales und staatliches Ganzes zu behaupten. Für die arbeitenden Massen sind Idee und Tatsache des Deutschen Reiches nicht nur nationalpolitisch, sondern auch klassenpolitisch eine Notwendigkeit. Ihr politischer und wirtschaftlicher Befreiungskampf ist ohne diese Grundlage zur Erfolglosigkeit verurteilt.

Der gebürtige Preuße war fest davon überzeugt, dass es einer der schwersten Fehler der Weimarer Linken gewesen sei, die "nationale Idee" den Konservativen und Nationalsozialisten zu überlassen. Nie wieder sollte die SPD als national illoyal diskreditiert werden können. Mit Leidenschaft griff er zwar alle Kräfte an, die seiner Überzeugung nach mit dem Nationalsozialismus paktiert hatten. Für ihn verlief der Gegensatz nicht zwischen national und international, sondern zwischen national und nationalistisch. Nationalismus war 1947 für ihn die heutige Form des Nihilismus in der Welt und damit zutiefst abzulehnen. Die Rolle der SPD sah er 1950 in den Verhandlungen zum Europarat darin, durch Wahrung der nationalen Rechte den Nationalismus unmöglich zu machen und ihn unter Zustimmung des ganzes Volkes zerschlagen zu können.

Seine Art, dem Patriotismus Ausdruck zu verleihen, machte es allerdings seinen Gegnern leicht, ihn außenpolitisch als linken Nationalisten zu isolieren. Insbesondere da Schumacher als aktiver Widerstandskämpfer bereits im KZ saß, während viele westliche Staatsmänner Adolf Hitler noch hofierten, meinte er es sich leisten zu können, auf Augenhöhe, wenn nicht sogar aus einem Gefühl moralischer Überlegenheit heraus gegenüber den Siegermächten auftreten zu können. Auch nach dem Krieg arbeiteten die westlichen Staaten mit den Repräsentanten der Klassen und Schichten zusammen, die nach Schumachers Meinung die Republik nur ungenügend verteidigten. Er kam in die Situation, im Ausland als deutscher Nationalist verschrien zu sein, während die seiner Meinung nach Steigbügelhalter des Nationalsozialismus schon wieder hofiert wurden.

Aus den Erfahrungen mit dem Vertrag von Versailles und der deutschen Erfüllungspolitik meinte Schumacher, dass Härte allein nötig wäre, um wieder eine nationale Gleichberechtigung Deutschlands auf internationaler Bühne zu erreichen. Schumachers Position zur Europäischen Einigung und zur Westbindung der Bundesrepublik blieb inkohärent. Einerseits legte ihn seine leidenschaftliche Ablehnung der Sowjetunion und des dort praktizierten Realsozialismus in der Situation des beginnenden Kalten Krieges faktisch auf eine Westbindung fest. Andererseits widersetzte er sich den Schritten, die diesen Weg gingen - Europarat, Montanunion und EVG. Diese erschwerten seiner Auffassung nach die deutsche Wiedervereinigung dauerhaft oder machten sie ganz unmöglich. Kritisch gegenüber Frankreich, Großbritannien und erst recht der von ihm als kapitalistische Vormacht empfundenen USA verweigert er sich den Schritten, die eine Westbindung konkretisiert hätten. Verglichen mit den Werten der Aufklärung und eines freiheitlichen Sozialismus empfand er die faktische Situation in diesen Ländern als zutiefst unbefriedigend und konnte sich zu einer echten Zusammenarbeit mit ihnen nicht überwinden.

Schumacher profiliert sich im Bundestag als scharfer Gegner der Politik der Westeinbindung durch Konrad Adenauer. Er sieht hierin die Gefährdung einer baldigen Wiedervereinigung. Im Zuge der Auseinandersetzungen um das Petersberger Abkommen bezeichnet er Adenauer in der Nacht vom 24. November auf den 25. November 1949 als den "Bundeskanzler der Alliierten" und wird daraufhin für mehrere Sitzungstage aus dem Bundestag ausgeschlossen. Später nimmt er dieses Zitat zurück. Er ist der Urheber der von Adenauer übernommenen "Magnet-Theorie" und gilt als strukturbildender Politiker, demzufolge die Opposition immer auch die Regierung von morgen zu sein habe.

Literatur

  • Albrecht, Willy (Hrsg.). 1985. Kurt Schumacher: Reden - Schriften - Korrespondenzen 1945-1952. Berlin, Bonn/Bad Godesberg. Quellenedition.
  • Dowe, Dieter (Hrsg.). 1996. Kurt Schumacher und der "Neubau" der deutschen Sozialdemokratie nach 1945. Bonn/Bad Godesberg.
  • Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. (Hrsg.). 1996. Kurt Schumacher und seine Politik. Berlin, Argon Verlag. Wissenschaftliches Symposium am 30. Oktober 1995. ISBN 3-87024-793-2
  • Koeppen, Wolfgang. 1953. Das Treibhaus. (Die Person Knurrewahn ist ein leicht verfremdetes Portrait Kurt Schumachers.)
  • Merseburger, Peter. 1995. Der schwierige Deutsche Kurt Schumacher. Eine Biographie. Stuttgart. (Erhebt keinen wissenschaftlichen Anspruch, ist aber eine lesenswerte Synthese des allgemeinen Kenntnisstandes)
  • Schober, Volker. 2000. Der junge Kurt Schumacher 1895-1933. Reihe Politik- und Gesellschaftsgeschichten des Historischen Forschungsseminars der Friedrich-Ebert-Stiftung Bd. 53; Bonn, J. H. W. Dietz Nachfolger. ISBN 3-8012-4110-6
  • Wesemann, Fred. 1952. Kurt Schumacher. Ein Leben für Deutschland. Frankfurt a. M. Wurde in den biographischen Fakten und Zitaten teilweise noch von Schumacher korrektur gelesen und besitzt so teilweise Quellencharakter.

Bundesvorsitzender der SPD:
Kurt Schumacher | Erich Ollenhauer | Willy Brandt | Hans-Jochen Vogel | Björn Engholm | Johannes Rau | Rudolf Scharping | Oskar Lafontaine |
Gerhard Schröder | Franz Müntefering


Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion:
Kurt Schumacher | Erich Ollenhauer | Fritz Erler | Helmut Schmidt | Herbert Wehner | Hans-Jochen Vogel | Hans-Ulrich Klose | Rudolf Scharping |
Peter Struck | Ludwig Stiegler | Franz Müntefering |