Kategorientheorie
Die Kategorientheorie, oder kategorielle Algebra, ist ein Zweig der Mathematik, der sich Anfang der 1940er Jahre zuerst im Rahmen der Topologie entwickelte; MacLane nennt seine 1945 gemeinsam mit Eilenberg entstandene »General Theory of Natural Equivalences« (in Trans. Amer. Math. Soc., 58, 1945) die erste explizit kategorientheoretische Arbeit. Die Grundbegriffe dieser Arbeit sind Kategorie, Funktor und natürliche Transformation. Um den letzteren Begriff zu präzisieren, wurden die anderen eingeführt.
Die Kategorientheorie kann verstanden werden als ein "Jargon" zum Ausdrücken verschiedener mathematischer Theorien. Viele Theorien betrachten Mengen mit einer zusätzlichen Struktur, z.B. eine Topologie, eine Ordnung oder eine oder mehrere Verknüpfungen (Gruppe, Ring, Algebra). Dazu werden häufig Abbildungen zwischen solchen Objekten untersucht, die diese Struktur "respektieren": z.B. stetige, monotone oder lineare Funktionen. Die Kategorientheorie betrachtet nun nur die Begriffe "Objekt" und "Abbildung", sie abstrahiert also von der konkreten Struktur. Dadurch ermöglicht sie es, Beweistechniken, Konzepte und Ergebnisse unterschiedlicher Teildisziplinen der Mathematik zusammen zu führen. Zudem erleichtern die übergeordneten Begriffe das Erlernen neuer Theorien.
Die Sprache der Kategorien hat in vielen Bereichen der Mathematik Eingang gefunden. Es ist grundsätzlich möglich, die Mengenlehre, mithin die gesamte restliche Mathematik, in speziellen Kategorien, den Topoi, auszudrücken.
Der Begriff Kategorie
Eine Kategorie besteht aus zwei Teilen: zum einen eine Klasse von Objekten und zum anderen eine Klasse von Pfeilen (oder Morphismen) zwischen diesen Objekten. Die Morphismen müssen verknüpfbar sein, und die Verknüpfung muss assoziativ sein. Es gibt noch ein paar weitere weniger starke Bedingungen, deshalb hier die ganz exakte Definition (Verknüpfung von Morphismen ist im folgenden durch den "Kringel" o dargestellt):
- Zu jedem Pfeil f gibt es zwei Objekte, die Quelle, dom f, und das Ziel, cod f (können zusammenfallen).
- Zu jedem Objekt A gibt es (genau) einen Pfeil id(A) für den gilt dom id(A) = cod id(A) = A. (Identität)
- Zu jedem Paar von Pfeilen f, g mit cod f = dom g gibt es (genau) einen Pfeil h = f o g mit dom h = dom f und cod h = cod g. (Komposition)
- Die Komposition ist assoziativ, d.h., soweit definiert, gilt f o (g o h) = (f o g) o h.
- Die Identitäten sind bezüglich der Komposition neutral: id(dom f) o f = f = f o id(cod f)
Die Axiome für Kategorien sind sehr allgemein, es gibt also sehr viele Beispiele und sie sind keineswegs alle ähnlich. Immerhin kann man eine Reihe von Standardkategorien an den Anfang stellen:
- Set ist die Kategorie mit Mengen als Objekten und Abbildungen als Morphismen.
- Top, die Kategorie der topologischen Räume (Objekte) mit den stetigen Abbildungen (Morphismen). Eine wichtige Unterkategorie ist Top2, die Kategorie der Hausdorffräume mit stetigen Abbildungen.
- Grp, die Kategorie der Gruppen mit den Gruppenhomomorphismen
- NLinSp, die Kategorie der normierten linearen Räume mit den stetigen (=beschränkten) linearen Abbildungen. Unterkategorien sind z.B.: BanSp1 die Banachräume mit stetigen linearen Abbildungen, BanSp2, die Banachräume mit stetigen normreduzierenden Abbildungen und CBanAlg, kommutative komplexe Banachalgebren mit Einheit und normreduzierenden Algebrenhomomorphismen.
- ein Beispiel aus der Informatik ist Data, die Menge aller in einer vorgegebenen Programmiersprache verfügbaren Datentypen als Objekte und die Funktionen als Morphismen. Ein verwandtes Beispiel sind die XML-Dokumente als Objekte und XSL-Transformationen als Morphismen.
Isomorphie
Ein Kernbegriff der Kategorientheorie ist die Isomorphie. Ein Morphismus heißt Isomorphismus, wenn er eine linke und eine rechte Inverse besitzt. Zwei Objekte heißen isomorph, wenn es einen Isomorphismus zwischen ihnen gibt. Diese sehr allgemeine Definition ist konsistent mit allen anderen Definitionen von Isomorphismen in anderen Bereichen der Mathematik.
Bei der Untersuchung von Kategorien sucht man häufig nach Eigenschaften, die von Isomorphismen erhalten werden, so genannte "Invarianten". Beispiele für Invarianten in Top sind Abzählbarkeitseigenschaften (1. bzw. 2. Abzählbarkeitsaxiom), Trennungseigenschaften (T0,T1, Hausdorff, regulär, vollständig regulär, normal), Zusammenhangseigenschaften (zusammenhängend, pfadzusammenhängend) und Kompaktheit. Ein Beispiel für eine Invariante in BanSp1 ist "enthält einen zum Hilbertraum isomorphen Unterraum". Eine Invariante in CBanAlg ist z.B. das Spektrum eines Elements.
Von Interesse sind auch Techniken zum Nachweis der Isomorphie. Es gilt in jeder Kategorie: T ist Isomorphismus genau dann wenn eine (und damit alle) der folgenden Bedingungen erfüllt ist.
- T ist Monomorphismus und extremaler Epimorphimus
- T ist Epimorphismus und extremaler Monomorphismus
- T ist Monomorphismus und Retraktion
- T ist Epimorphismus und Schnitt
Die "Cokategorie", die entgegengesetzte Kategorie
Zu jeder Kategorie C läßt sich wie folgt eine entgegengesetzte Kategorie coC zuordnen:
- Die Objekte von coC sind die Objekte von C
- Die Morphismen von A->B zweier Objekte A, B von coC sind die Morphismen B->A aus der Kategorie C.
- Die Komposition f o g zweier Morphismen f,g aus coC ist definiert durch die Komposition g o f in C.
Die entgegengesetzte Kategorie von Top zeigt, dass es Kategorien gibt, deren Objekte auf Mengen basieren, deren Morphismen jedoch keine Funktionen sein müssen.
Viele kategorientheoretische Begriffe erlangen eine entgegengesetzte Bedeutung, indem man den Begriff in der entgegengesetzten Kategorie betrachtet. So ist jeder Epimorphismus ein Monomorphismus in der entgegengesetzten Kategorie. Weitere Begriffspaare sind:
- Produkt <--> direkte Summe (=Coprodukt)
- final <--> initial
- Kernel <--> Cokernel
- Schnitt <--> Retraktion
- Isomorphismus ist ein "selbst-entgegengesetzter" Begriff.
Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Systematik wird für den entgegengesetzten Begriff häufig die Vorsilbe co- verwendet.
Die Kategorie der Kategorien, natürliche Transformation
Eine Kategorie heißt klein, wenn die Klasse ihrer Objekte eine Menge ist. Viele wichtige Kategorien sind nicht klein.
Die kleinen Kategorien bilden selbst eine Kategorie: Die Objekte sind die Klasse der kleinen Kategorien und die Morphismen sind die Funktoren. Ein Funktor F ordnet jedem Objekt der einen Kategorie ein Objekt der anderen Kategorie zu und zudem ordnet der Funktor jedem Morphismus der einen Kategorie einen Morphismus der anderen Kategorie zu, wobei die Struktur der Verknüpfung erhalten werden muss: F(f o g) = (Ff) o (Fg)
Seien S, T Funktoren zwischen den Kategorien K, L: dann nennt man H eine natürliche Transformation von S nach T, wenn es zu jedem X in Ob K einen Morphismus HX in L gibt mit: wenn f ein Morphismus in K(X, Y) ist, dann gilt: Sf in L(SX, SY) und Tf in L(Tx, TY) und HY Sf = Tf HX.
Produkt, kartesisch abgeschlossen, adjungierter Funktor
Ein Produkt einer Familie {Ai : i aus I} von Objekten ist in der Kategorientheorie durch die eindeutige Existenz von Projektionen definiert.
Beispiele für Produkte sind in Set das kartesische Produkt, in Grp das direkte Produkt und in Top das topologische Produkt. Der dem Produkt entgegengesetzte Begriff ist Coprodukt; Beispiele hierfür sind in Set die disjunkte Vereinigung (d.h. die Vereinigung der Mengen { (a,i) : a aus Ai } über alle i aus I), in Grp die freien Produkte und in Top die topologische disjunkte Summe.
Falls es für jede endliche Familie von Objekten ein Produkt gibt, so sagt man, die Kategorie hat endliche Produkte. Falls es für jede Familie von Objekten einer kleinen Kategorie ein Produkt gibt, dann ist die Kategorie isomorph zu einem vollständigen Verband. Set, Top und Grp haben (beliebige) Produkte, BanSp hat endliche Produkte, aber nicht beliebige Produkte.
Spezielle Produkte sind die Mengen der Morphismen zwischen zwei Objekten A und B. Mit den obigen Bezeichnungen sind die Ai := A und I := B. Existieren Produkte dieser Form, heißt die Kategorie kartesisch abgeschlossen. Manche sprechen auch von der Existenz natürlicher Funktionenräume. Top ist nicht kartesisch abgeschlossen, aber alle kompakt erzeugten topologischen Räume X sind es (d.h. alle Räume, die final bezüglich der Inklusionen der kompakten Teilmengen von X sind, insbesondere alle pseudometrischen und alle lokalkompakten Räume).
In kartesisch abgeschlossenen Kategorien wird häufig folgende Konstruktion verwendet. Zu einem Objekt X betrachtet man die Menge aller Morphismen von X in einen besonderen Raum Q. Häufig wird Q sehr einfach gewählt: in Set betrachtet man Q = {0,1}, in BanSp1 wählt man oft als Q die reellen Zahlen und in CBanAlg nimmt man die komplexen Zahlen. Der so entstandene Funktionenraum X * wird häufig Dualraum genannt. Der Funktor, der jedem Objekt X das X * zuordnet und jedem Morphismus f: X->Y den Morphismus f *: Y *->X * vermöge f *(l):= l o f zuordnet, wird dualer Funktor, adjungierter Funktor oder exponentieller Funktor genannt, wobei jeder dieser Namen auch eine andere Bedeutung hat.
Diese Konstruktion ermöglicht es, Fragen an ein Objekt X in Fragen an das Objekt X* zu transformieren, die dann manchmal leichter zu beantworten sind. Besonders komfortabel sind die reflexiven Objekte, wo (X*)*=X gilt.
Reflektionen und Coreflektionen
Die Morphismen von X nach Y in einer Kategorie K bilden eine Menge, die man Mor(X,Y) oder K(X,Y) notiert. Sind alle Objekte und Morphismen einer Kategorie U auch Objekte bzw. Morphismen der Kategorie K, so nennt man U eine Unterkategorie von K. Gilt für alle Objekte X, Y in U: U(X, Y) = K(X, Y) so heist die Unterkategorie voll. So ist die Kategorie der abelschen Gruppen eine volle Unterkategorie der Kategorie der Grupppen.
Anmerkungen
Warnung: Kategorie kommt in der Mathematik noch einmal mit ganz anderer Bedeutung vor, nämlich in der Topologie (Mathematik) als Baire-Kategorie
Die Kategorientheorie ist ein ähnlich allgemeiner Ansatz wie die universelle Algebra, freilich von ganz anderer Art.
Mathematical Subject Classification (2000): 18-XX (mit homologischer Algebra in 18Gxx)
Siehe auch: Homologische Algebra sowie Kategorie (Allgemeinbegriff) und Kategorie in der Philosophie
Literatur
- MacLane, Saunders: Kategorien : Begriffssprache und mathematische Theorie, Berlin, 1972, vii, 295 pp. -- (Categories for the Working Mathematician <1971, dt.>) vergriffen engl. Ausgabe ISBN 0-387-98403-8
- Borceux, Francis: Handbook of categorical algebra, 3 vol (1: Basic category theory; 2: Categories and structures; 3: Categories of sheaves). -- Cambridge, 1994. (Encyclopedia of Mathematics and its Applications, 50/52) ISBN 0-521-44178-1, 0-521-44179-X, 0-521-44180-3
- Herrlich, Horst; Strecker, George E.: Category Theory. An Introduction, Boston, 1973
Netz-Verweise
In Arbeit