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Staatsrat der DDR

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Datei:Fenster im Staatsrat.jpg
Ausschnitt aus dem Fenster im Gebäude des ehemaligen Staatsrates der DDR von Walter Womacka in Berlin.

Der Staatsrat war in der Deutschen Demokratischen Republik das formal höchste kollektive Gremium, das mit Gesetz über die Bildung des Staatsrates vom 12. September 1960 als Nachfolgeorgan des Amtes des Präsidenten der DDR nach dem Tod Wilhelm Piecks geschaffen wurde. Damit wurde der Staatsaufbau der DDR dem sowjetischen Vorbild weiter angeglichen.

Der Vorsitzende des Staatsrates war laut Verfassung der DDR von 1968 und diplomatischem Protokoll das formelle Staatsoberhaupt der DDR, im Gegensatz zu den nachrangigen obersten Staatsrepräsentanten des Vorsitzenden des Ministerrates als Chef der Regierung der DDR und dem Präsidenten der Volkskammer als Parlamentschef. Erster Staatsratsvorsitzender war Walter Ulbricht. Der Staatsrat bestand neben dem Vorsitzenden und seinen Stellvertretern aus 16 Mitgliedern und einem Sekretär. Sekretär des Staatsrates war bis 1971 Otto Gotsche. Die Mitglieder des Staatsrates wurden jeweils für fünf Jahre von der Volkskammer gewählt. Im Zuge der Entmachtung Ulbrichts verlor der von ihm geschaffene Staatsrat als Beratungs- und Entscheidungsgremium ab 1970 stark an Einfluss.

Zu seinen Aufgaben gehörten gemäß Artikel 66-75 der Verfassung der DDR die Ausschreibung von Wahlen zur Volkskammer und den anderen Volksvertretungen, die Berufung der Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates, die Ausübung des Amnestie- und Begnadigungsrechts, die verbindliche Auslegung und Verkündung von Gesetzen, die Ratifizierung von internationalen Verträgen, die Akkreditierung diplomatischer Vertreter und die Verleihung staatlicher Orden und Auszeichnungen. Der Staatsrat übernahm auch Ehrenpatenschaften für kinderreiche Familien.

Wichtige praktische Bedeutung hatte das Sekretariat des Staatsrates mit circa 200 Mitarbeitern als Bearbeiter der Eingaben von Bürgern (im DDR-Jargon so genannte Staatsratseingaben), formal im Eingabenerlass vom 27. Februar 1961 geregelt. Behörden und Betriebe waren zur Auskunft und Zusammenarbeit verpflichtet. Beschlüsse des Staatsrates erfolgten per Erlass mit Gesetzeskraft.

Weitere Staatsratsvorsitzende waren in der Folge Willi Stoph, Erich Honecker und Egon Krenz, die beiden letzteren auch zugleich Generalsekretäre des Zentralkomitees der SED und Vorsitzende des Politbüros der SED, welches die eigentlich einflussreichsten Funktionen im Machtgefüge der DDR waren. Letzter Staatsratsvorsitzender der DDR war während der Wendezeit 1989/1990 Manfred Gerlach. Stellvertretende Staatsratsvorsitzende waren jeweils alle Parteivorsitzenden der DDR-Blockparteien.

Am 5. April 1990 wurde der Staatsrat bei der konstituierenden Sitzung der ersten frei gewählten Volkskammer durch eine Verfassungsänderung abgeschafft. Da für die absehbar kurze Übergangsphase bis zur Vereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland das Amt des Staatspräsidenten nicht mehr eingeführt wurde, wurde gemäß dem neuen Artikel 75a der DDR-Verfassung das Präsidium der Volkskammer mit den Befugnissen des Staatsrates und der Präsident der Volkskammer mit den Befugnissen des Staatsratsvorsitzenden betraut. Sabine Bergmann-Pohl war damit als Volkskammerpräsidentin vom 5. April bis zum 2. Oktober 1990 das letzte Staatsoberhaupt der DDR.

Ähnliche oberste kollektive Staatsräte gab es in der Sowjetunion, der Volksrepublik Polen, in Rumänien sowie in Ex-Jugoslawien.

Gebäude des Staatsrates der DDR

Überblick über die Gesamtanlage am früheren Marx-Engels-Platz vom Fernsehturm: das Staatsratsgebäude ist links hinter dem Palast der Republik zu sehen
Datei:500mark-ddr-rev.jpg
Staatsratsgebäude auf dem nie in Umlauf gekommenen 500 Mark-der-DDR Geldschein

Der Staatsrat hatte seinen Sitz am Marx-Engels-Platz 1 (seit 1994 wieder Schloßplatz) in Berlin-Mitte. Hier fanden vor allem Auszeichnungsveranstaltungen und diplomatische Empfänge statt. Das Gebäude wurde in den Jahren 1963 bis 1964 errichtet. In die Fassade asymmetrisch integriert ist das so genannte „Karl-Liebknecht-Portal“, das ehemalige Portal IV des Stadtschlosses, von dessen Balkon aus Karl Liebknecht am 9. November 1918 die „sozialistische Republik“ ausgerufen hatte. Es besteht jedoch nur noch zu 20 Prozent aus Originalteilen. Die farbigen Glasfenster im Treppenhaus wurden von Walter Womacka gestaltet.

Von 1999 bis 2001 zur Fertigstellung des neuen Bundeskanzleramtes am Reichstagsgebäude hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen Berliner Dienstsitz im Staatsratsgebäude.

Das seit 1993 unter Denkmalschutz stehende Gebäude wurde von 2003 bis 2005 für 35 Millionen Euro grundsaniert und für Schulzwecke umgebaut. Die Machtsymbole der DDR sind bei der denkmalgerechten Sanierung erhalten geblieben, darunter das Glasbild von Womacka sowie ein Mosaik des DDR-Staatswappens mit Hammer und Zirkel nach einem Entwurf von Heinrich Jungbloedt in einem Vorlesungssaal.

Seit Anfang 2006 nutzen zwei private Hochschulen, die Managerhochschule European School of Management and Technology (ESMT) sowie die Hertie School of Governance, das ehemalige Staatsratsgebäude.