Mirabai
Mirabai (Devanagari मीराबाई, Mīrābāī; * um 1498; † 1546) ist eine indische Mystikerin und Dichterin. Sie ist nicht nur wegen ihrer eigenwilligen Persönlichkeit eine höchst faszinierende Frauengestalt der Religionsgeschichte. Ihre ganz persönlich gehaltenen ekstatischen Liebes-, Preis- und Klagelieder sind durch die Jahrhunderte lebendig geblieben und werden noch heute auf dem indischen Subkontinent von Hindus, Sikhs, Muslimen und Christen gleichermaßen rezitiert, gesungen und von den indischen Radiostationen ausgestrahlt. Es gibt zahlreiche Buchausgaben, CDs mit Vertonungen ihrer Lieder; ihr Leben wurde Gegenstand eines Spielfilms. Ihre Verse gehören zum Schatz der Weltliteratur und stehen neben denen der Dichter-Mystiker Hafis, Rumi, Kabir und Hildegard von Bingen.
Leben
Geboren als Rajputenprinzessin des Herrschers von Merta in Nordindien, verschrieb sich Mirabai schon als Kind der Bhakti-Verehrung Krishnas und betrachtete sich als seine Gattin seit Geburten. Nichtsdestotrotz wurde sie 1516 an den Sohn des Herrschers von Mewar (Hauptstadt Chittor), des mächtigsten Fürsten der Rajputen vom Klan der Sisodiyas, verheiratet. Mirabai konnte sich gegen die politische Heirat nicht wehren. Aber sie erklärte ihrem jungen Gatten Bhojraj, dass sie Krishnas Gattin sei und weigerte sich, die Ehe zu vollziehen. Während ihr Ehemann Verständnis zeigte, ihr einen Tempel bauen ließ und eine zweite Frau heiratete, erregte Mirabais Weigerung das Missfallen der königlichen Schwiegerfamilie, das noch verstärkt wurde, als Mirabai die Verehrung der Schutzgöttin der Sisodiyas vernachlässigte. Als Bhojraj nur drei Jahre später in kriegerischen Auseinandersetzung starb, wurde für Mirabai die Lage am Königshof sehr schwierig. Der Nachfolger versuchte, sie zu vergiften. Die Legende berichtet, dass Krishna den Gifttrank in Nektar verwandelte. Auch zwei weitere Mordanschläge überlebte sie. Zeitweise hielt man sie gefangen. Die ständigen Kriege schwächten die Herrschaft der Sisodiyas. Mirabai gelang es, den Königshof zu verlassen. Sie legte die gelben Gewänder der Heiligen (Yogis) an und zog nach Dvarka, des Fürstensitzes von Krishna. Ihr weiteres Leben liegt im Dunkel. Sie soll 1546 gestorben sein. Andere Quellen besagen, dass sie - von vielen verehrt als Heilige - zwanzig Jahre länger lebte.
Werk
Mirabai gehört zu den Dichtern der "Bhakti-Tradition", einer mystisch-religiösen Bewegung in Nordindien im 13.-17. Jh. Die Anhänger der Bhakti lösten sich von den festen Ritualen und Zeremonien des Brahmanismus und ebenso vom strengen Kastendenken. Vor Gott gab es keine Unterschiede, und man konnte sich ihm direkt, ohne die Einhaltung der Riten oder die Vermittlung der Brahmanenpriester, nähern. Den Bhaktianhängern kam es allein auf die persönliche und selbstlose Hingabe an Gott oder an eine eigene Wahlgottheit an. Ähnlich wie die muslimischen Sufis suchten sie die innere liebende Vereinigung mit Gott. Ähnliches kennen wir auch von den christlichen Nonnen, die sich als Braut Christi bezeichnen, insbesondere auch aus den Versen der Teresa von Avila.
Von Kindheit an verehrte Mirabai Krishna. In ihren Liebesversen spricht sie ihn als Gattin, Geliebten, Dienerin an. Sie preist die Schönheit ihres Geliebten und ruft ihn immer wieder mit anderen Namen an – z.B. als „Dunkler“, denn sein Teint war ganz dunkel. Auf Gemälden wird Krishna deswegen oft mit blauer Farbe dargestellt. Andere Namen wie Edler, Betörer, Schauspieler, beziehen sich auf seine Eigenschaften oder auf Episoden und Legenden aus seiner Kindheit. Immer wieder spricht sie ihn als „Bergeheber“, Giridhara, an. Den Beinamen „Bergeheber“ erhielt Krishna als er noch bei seinen Pflegeeltern lebte, die Kuhhirten waren. Er rettete die Dorfbewohner vor dem Zorn des Götterkönigs Indra, der Wasserfluten auf sie herabregnen ließ, indem er den Berg Govardhan hochhob, und ihn wie einen Schirm für die Dorfbewohner auf seinem kleinen Finger hochhielt.
Es gibt viele Verse Mirabais, die auf die legendären Episoden aus Krishnas Kindheit und Jugend in Vrindavan und Braj anspielen. Sie dichtet aus dem Blickwinkel der Kuhhirtinnen, die allesamt in Krishna, den Frauenliebling, verliebt waren. So sehr waren sie in ihn vernarrt, daß sie ihm immer wieder seine Neckereien und Streiche verziehen.
Mirabais Gefühle umfassen die ganze Spannweite einer glühend Liebenden: ekstatische Glücksgefühle wechseln ab mit unerträglichen Trennungsschmerzen in Phasen der Gottferne, die sogar physische Krankheit auslösen. Es gibt Verse, in denen sie sich gänzlich hilflos fühlt und um Krishnas Gegenwart bittet und bettelt. Dann ist sie wieder selbstbewußt genug, ihm Vorwürfe für sein Ausbleiben zu machen. Vielen Menschen hat er in Not und Bedrängnis geholfen. Er gilt als der Retter der Armen und Hilfsbedürftigen. Warum wird eine Hure erlöst, wenn sie nur zufällig mit seinem Namen auf den Lippen stirbt, aber nicht sie, die täglich sein Lobpreis singt? Warum eilt er sogar herbei, wenn ein Elefant um Hilfe vor dem Ertrinken im Fluß schreit, bleibt ihr aber trotz ihres Flehens und all ihrer Verehrung fern? Es gibt durchaus bittere Verse von ihr, in denen sie vor der Liebe zum Yogin warnt. Doch selbst in diesen Liedern bekräftigt sie im Schlußvers ihre Liebe und Hingabe einzig zu Krishna.
Von Mirabai sind über tausend Lieder überliefert. Die textkritische Caturvedī-Ausgabe beschränkt die Auswahl der Verse auf 202, die als authentisch gelten können.
Mirabai war bereits eine bekannte Persönlichkeit, als sie in Mewar (Rajasthan) ihre Lobpreisungen (Bhajans) im Tempel außerhalb der Palastanlagen vor Pilgern sang. Es liegt nahe, daß die Pilger ihre Verse als Liedkompositionen über Rajasthan hinaustrugen, wo sie – eingefärbt in die jeweiligen Regionalsprachen – über Generationen hinweg mündlich überliefert und oftmals frei nachgedichtet wurden. Wahrscheinlich wurden ihre Lieder in weiten Teilen Nord indiens populär, noch bevor sie Rajasthan verließ, um in Braj (heute West Uttar Pradesh, Grenzregion zu Rajasthan) und Dvarka (Gujarat) zu leben. Die oralen Traditionen und die Biographie der Dichterin haben dazu geführt, daß ihre Verse in mehreren Sprachen überliefert wurden: hauptsächlich in Rajasthani, Braj und Gujarati. Spuren von Punjabi, Standardhindi und sogar östlichen Dialekten lassen sich in ihnen finden. Fast alle Verse Mirabais sind als Lieder erhalten, deren Tonfolgen (Ragas, Raginis) festgelegt sind. Die Verse sind in Metren verfaßt, deren strenge Form zugunsten der Vertonung nicht immer durchgehalten wurde. Die erste Zeile der Lieder dient als Verstitel und ist zugleich der Refrain. In der letzten Zeile wird immer der Name der Dichterin erwähnt und gilt als ihr Siegel.
Bibliographie
Mirabai: Liebesnärrin. Die Verse der indischen Dichterin und Mystikerin. Kelkheim, 2006 (ISBN 3-935727-09-7)
Caturvedī, Ācārya Parashurām(a), Mīrāʼnbāī kī padāvalī,(16. Auflage), Prayāg 1976
Alston, A.J., The Devotional Poems of Mīrābāī, Delhi 1980
Bly, Robert / Hirshfield, Jane, Mīrābāī: Ecstatic Poems, Boston, Massachusetts 2004
Levi, Louise Landes, Sweet On My Lips: The Love Poems of Mirabai, New York 1997
Schelling, Andrew, For Love of the Dark One: Songs of Mirabai, Prescott, Arizona 1998
Goetz, Hermann, Mira Bai: Her Life and Times, Bombay 1966
Gedichte
Übersetzung Shubhra Parashar, (c) YinYang Media Verlag, Kelkheim
Premanī premanī premanī re …
Der Dolch der Liebe hat sich in mein Herz gebohrt.
Ja, Liebes, der Dolch der Liebe, der Liebe, der Liebe!
Ich ging, um von der Yamunā Wasser zu holen,
Auf dem Kopf trug ich den goldenen Krug.
Hari hat mich mit dem ungezwirnten Faden der Liebe umgarnt,
Ich gehe in die Richtung, in die er mich zieht.
Hari mhārā jīvaņa prāņa adhāra
Hari, Du bist die Stütze meines Lebens.
Hab keine Zuflucht sonst außer Dir,
Nirgendwo in den Drei Welten.
Nichts gefällt mir ohne Dich,
Besah ich doch die ganze Welt.
O Herr Mīrās! Ich bin Deine Dienerin,
Schau doch bei mir vorbei!
Sāʼnvare māryā tīra
Sāʼnvarā schoß mit seinem Pfeil.
Der Pfeil ging durch mich hindurch,
Sāʼnvarā hat mit seinem Pfeil geschossen.
Die Trennung brennt in meinem Herzen,
Von Unruhe geplagt ist mein Körper.
In Aufruhr ist mein Geist, läßt keine klaren Gedanken zu,
Er hat ihn mit der Liebeskette gefesselt.
Was weiß schon mein Liebster,
Was weiß er schon von meinem Schmerz?
Nichts steht in meiner Macht, o Freundin,
Zwei Tränen fließen aus meinen Augen.
O Herr Mīrās, ohne Deinen Anblick
Will mein Herz sich nicht beruhigen.
Mhāro paranāma Bāʼnke Bihārījī
Ich grüße Dich, o Bāʼnke Bihārījī!
Dich, der jung ist und keck,
Grüße Dich, den Genießer!
Dich, der sich gerne vergnügt!
Dich, der die Pfauenfederkrone trägt,
Dessen Stirn der tilaka schmückt,
Dich, der Ohrringe trägt,
Dessen Haarlocken dunkel sind.
Setzest Du die Flöte auf Deine Lippen
Und spielst,
Entzückt selbst Dich ihr lieblicher Klang,
Du berauschst die Frauen vom Lande Braja.
Entrückt war Mīrā,
Als sie diese Schönheit erblickte,
Die Schönheit des Mohana, des Giridhārī!
Des Betörers, des Bergehebers!
Mhāro Gokula ro Brajavāsī
Er ist unser Braja-Bewohner,
Er stammt aus Gokula.
Sehen die Menschen Brajalīlā,
Das göttliche Spiel im Braja-Lande,
So freuen sie sich;
Überaus glücklich sind
Die Frauen von Braja.
Sie tanzen, sie singen,
Sie klatschen den Takt,
Sie werden der Wonne teilhaftig,
Da sie Kŗişhņas Lächeln sehen.
Nandas und Yaśhodās Verdienst
Ist es, Freundin,
Daß er erschienen,
Avināśhī, der Unvergängliche.
Gelbes Tuch ist gebunden um seine Taille,
Um den Hals die Vaijyantī-Kette,
Seine Hand schmückt
Die Flöte, Liebes.
Mīrās Herr ist Giridhara Nāgara,
Der Bergeheber, der Edle,
Zeige Dich mir,
Deiner Dienerin.
Paga bāʼndha ghūʼngharyāʼn ņācyāʼnrī
Ich tanzte mit Fußglöckchen an meinen Füßen.
„Mīrā ist wahnsinnig“, sagten die Leute,
„Diese Sippenzerstörerin“, schimpfte die Schwiegermutter.
Den Giftbecher schickte ihr der König,
Mīrā lachte, als sie ihn austrank.
Körper und Geist habe ich zu Haris Füßen geopfert,
Bei seinem Anblick werde ich Nektar trinken.
Mīrās Herr ist Giridhara Nāgara,
In Deine Zuflucht werde ich gelangen.
Mīrā magana bhaī …
Mīrā wurde glückselig, denn sie besang die Tugenden Haris.
Einen Schlangenkorb schickte ihr der König,
Mīrā persönlich wurde er überreicht.
In Ruhe nach dem Bad schaute sie sich den Inhalt an,
Und fand darin den heiligen śhālagrama-Stein.
Den Giftbecher schickte ihr der König,
Verwandelt wurde das Gift für Mīrā in Nektar.
Sie wusch sich die Hände und trank davon,
Sie wurde unsterblich, als sie es austrank.
Das Prunkbett aus Spießen schickte ihr der König,
„Gebt es ihr, damit sie darauf schlafe.“
Abenddämmerung, dann die Nacht:
Mīrā legte sich schlafen,
Es war ihr, als läge sie auf Blumen.
Mīrās Herr hilft immer,
Alle Übel hält er von ihr fern.
Ich wandele umher, versunken in Gotteshingabe,
Ich habe mich Giridhara geopfert.
Mhā suņayā Hari adhama udhāraņa …
Ich habe gehört, daß Hari die Gefallenen rettet,
Er rettet Gefallene, erlöst sie von der Welt.
Die Hilfeschreie des ertrinkenden Elefanten
Riefen Dich herbei, um die Not Deines Schützlings
Zu beenden.
Du verlängertest das Gewand Draupadīs,
Um den Hochmut Duhśhāsanas zu bezwingen.
Du bliebst treu dem Wort Prahalādas,
Und rissest auf den Bauch des Hiraņyākaśhipu.
Ahalyā, des Sehers Gattin fand Deine Gnade,
Schnell beseitigtest Du Sudāmās, Deines Freundes, Leid.
O Herr Mīrās, erhöre meine Bitte,
Warum nun diese Saumseligkeit?
Jogiyārī prītaŗī hai dukhaŗā ro mūla
Des Leides Wurzel ist die Liebe zum yogī.
Freundlich macht er mir süße Lügenversprechen,
Später vergißt er sie.
Sie zu brechen, zögert er nicht,
Als bräche er die Jasminblüte vom Zweig ab.
Mīrā sagt: „O Herr, wenn ich Dich nicht sehe,
Durchbohrt ein Speer mein Herz.“
Prabhujī kahāʼn gayā nehaŕā lagāya
O Herr! Wohin bist Du verschwunden,
Nachdem Du Liebe geweckt hast?
Verlassen hast Du mich, Vertrauensbrecher!
Verlassen – zuvor entfachtest Du aber die Liebesflamme!
Erst ruderte er mit mir auf dem Liebesboot,
Dann ließ er mich zurück im Einsamkeitsozean!
O Herr Mīrās! Wann sehe ich Dich?
Unerträglich ist’s ohne Dich!
Weblinks
Mehr über Mirabai, ihr Leben und Verse
englische WEB-Seiten zu Mirabai, auch mit Versbeispielen und weiterführenden Links:
http://www.poemhunter.com/mirabai/resources/poet-37920/page-1/
http://home.infionline.net/~ddisse/mirabai.html
http://www.womeninworldhistory.com/heroine12.html
Personendaten | |
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NAME | Mirabai |
ALTERNATIVNAMEN | Meera, Mira, Mirabei, Meerabai |
KURZBESCHREIBUNG | indische Mystikerin und Dichterin |
GEBURTSDATUM | ca. 1498 |
STERBEDATUM | 1546 |