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Soziale Frage

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Vorlage:Mehrfacheintrag Die Soziale Frage bezeichnete ein neuartiges und sehr komplexes - daher auch nicht genauer umschriebenes - Knäuel politischer Probleme, das sich im Deutschland des 19. Jahrhunderts durch Anwachsen und verstärkte Wahrnehmung neuartigen Elends bereits vor der Industrialisierung heraus kristallisiert hatte. Sie bezog sich meist auf den raschen sozialen Abstieg von vielen ohnehin wirtschaftlich schwachen sozialen Gruppierungen. Zwei Schlüsselmerkmale waren dabei ein sich beschleunigendes Bevölkerungswachstum und - bei überwiegend noch auf dem Lande lebender Bevölkerung - das ländliche Bauernlegen auf Grund der Aufhebung der Leibeigenschaft. Die Soziale Frage schließt die Suche nach Ursachen und Lösungen ein. Politische und wissenschaftliche Zurückführungsversuche auf eine einzige Ursache haben sie stets begleitet und können regelmäßig ihren ideologischen Ursprung nicht verleugnen.


Historischer Überblick

Entstehung

Der Begriff, der erstmals von Gerhard West zitiert wurde, setzte sich etwa ab 1830 langsam durch und umschreibt zunächst die mit dem Bevölkerungs- und Städtewachstum entstehende Verelendung, dann die mit dem Gesellenüberschuss (daher auch der "Handwerksburschenkommunismus" von Wilhelm Weitling) und den Arbeitsbedingungen der Frühindustrialisierung (12-Stunden-Tag, Kinder- und Frauenarbeit) verbundenen Konflikte. Die Soziale Krise wurde vielfach fühlbar (Unterernährung und frühes Siechtum, Untergang kleiner Wirtschaftsbetriebe – Höfe, Einzelhandel, Handwerk –, Wohnungsnot, starke Binnenmigration, neue Kriminalitätsformen).


Hierbei ist zu beachten, dass es haarsträubende Armut auch schon vorher gegeben hat, sowie auch - vor allem kirchliche und kommunale - Versuche ihrer Milderung. Wichtig wurden aber jetzt ihre neuartigen Formen, und, dass "Armut" nach der die Monarchien und Kirchen beunruhigenden Französischen Revolution 1789 in der öffentlichen Meinung und in alten und neuen Wissenschaften (Jurisprudenz, Nationalökonomie, Soziologie) entsprechend thematisiert wurde.

Den Inhalt des Begriffs der Sozialen Frage kann man wie folgt erklären: Im Zeitalter der Industrialisierung vollzogen sich enorme gesellschaftliche Veränderungen. Die feudale Agrargesellschaft wandelte sich in eine kapitalistische Industriegesellschaft; die allmähliche Auflösung der traditionellen sozialen Systeme wie etwa der Großfamilie oder der Bindung an den Grundherrn ließ auch die traditionellen sozialen Netze verschwinden; die Bevölkerungsexplosion führte zu verstärkter Landflucht und einem Überangebot an Arbeitskräften in den Industriezentren. Dieses Überangebot wirkte sich negativ auf das Lohnniveau aus, was wiederum dazu führte, dass mehrere Mitglieder einer Familie arbeiten mussten, um die bloße Existenz zu sichern; die dadurch in großer Zahl auf den Arbeitsmarkt drängenden Frauen und Kinder erlaubten es den Arbeitgebern, das Lohnniveau noch weiter zu drücken. Arbeitszeiten von 15 Stunden pro Tag waren nicht ungewöhnlich, Nacht- und Sonntagsarbeit durchaus üblich, außerdem wurde auf Gesundheit und Sicherheit der Arbeiter wenig Rücksicht genommen. Folge dieser Arbeitsbedingungen und -verhältnisse waren Verarmung, katastrophale Wohnverhältnisse (teilweise nur ein Zimmer pro Familie), körperliche und psychische Schäden, sinkende Lebenserwartung sowie eklatanter Bildungsmangel. © 1993-2003 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.

Lösungsversuche

Zur Lösung dieser Probleme engagierten sich bäuerliche, bürgerliche, kirchliche und besonders dann sozialistische (marxistische) Bewegungen, neben zunächst den neuzeitlichen Genossenschaften und z.B. dem katholischen Kolping-Bund bald die Gewerkschaften, schließlich dann auch Parteien (im Deutschen Reich u.a. die SPD). Die Betriebe, in denen die Arbeiter angstellt waren, versuchten deren Lage zu verbessern, in dem sie ihnen günstige Wohnungen stellten und ihre Löhne, wenn auch nur gering, etwas anhoben. Auch die staatliche Sozialpolitik versuchte eine Entschärfung dieser Konflikte durch Sozialreformen, sowie unter den Wissenschaften zumal die Nationalökonomie (vgl. den Kathedersozialismus). Auch die parallel anwachsende Frauenbewegung, nach 1900 auch die Jugendbewegung waren Antworten auf die Soziale Frage, alle mit durchaus voneinander abweichender Strategien der Problembekämpfung. (Vgl. auch Tönnies, Die soziale Frage bis zum Weltkriege, zuletzt Berlin/New York 1982.) Erste konkrete Lösungsansätze sind in den Sozialgesetzgebungen Bismarcks zu finden, die 1883 mit dem Krankenversicherungsgesetz ihren Anfang hatten. genau

Marxistische Sicht

Aus der Sicht der Arbeiterbewegung war die Soziale Frage ein Resultat des Klassenkampfes zwischen Kapital und Arbeit (siehe Marxismus),

Ende des Schlagworts von der "Sozialen Frage"

Die großen Krisen ab 1914 (Erster Weltkrieg 1914-18, die Hyper-Inflation bis 1923, die „Weltwirtschaftskrise“ ab 1929, die populistische Verbrechensherrschaft ab 1933 und der Zweite Weltkrieg (1939-45)) wurden nicht mehr als „Soziale Frage“ diskutiert. Der Ausbau des Sozialstaats und die Anhebung des allgemeinen Wohlstandniveaus nach 1950 trugen maßgeblich dazu bei, dass die "Soziale Frage" als Arbeiterfrage in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zumindest in den Industrieländern als Begriff in Vergessenheit geriet.

Wiederaufnahme

In Deutschland begann in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre eine Diskussion unter dem Stichwort Neue Soziale Frage. Ausgangspunkt war die Feststellung, dass sich im modernen Sozialstaat neue Formen der strukturellen Armut und Ausgrenzung ergeben hätten, die es zu beheben gelte (z. B. bei Nichtorganisierten, Alten, Alleinerziehenden usw.). Heute kommen unter dem Eindruck von Massenarbeitslosigkeit, Armut und Verslummung auch unter Erwerbstätigen (Working Poor) weitere Formen der Ausgrenzung dazu, die von einigen als Gefährdung der politischen Stabilität wahrgenommen werden.

Siehe auch