Witz
Ein Witz ist ein kurz formulierter Sachverhalt, der in der Pointe die plötzliche Option eröffnet, dem angebotenen Sachverhalt nicht mehr mit dem gebotenen Ernst zu begegnen. Im Moment, in dem der Witz in Gesellschaft erzählt wird, pflegen die Zuhörer den heiklen Positionswechsel durch das Lachen zu signalisieren - in der Gruppe muss sichtbar bleiben, was letztlich ernst ist, und was nicht. Der Witz findet seine besonderen Entfaltungsformen vor allem in zwanghaft mit dem Gebot zum Ernst ausgelegten Bereichen. Siehe hierzu auch den Artikel Humor.
Witz bezeichnet aber auch in sprachlich altem Sinne in witzlos den Verstand oder den Kern einer Sache, den Clue.
Der etymologisch alte Begriff Witz
Das Wort „Witz“ ist etymologisch verwandt mit dem englischen wit „Humor“, leitet sich aber vom althochdeutschen wizzi „Wissen“, „scharfe Beobachtung“ zu „wissan“, „gesehen haben“ (vergl. englisch wit auch: „geistige Wendigkeit“, witness „Zeuge“, „etw. miterleben“) ab. Dieser semantische Kontext steckt noch in Gewitztheit („Schläue“, „rasche Auffassungsgabe“).
Das ursprünglichere Konzept von „Witz“ entspricht aber etwa dem heutigen Sachverstand und hat sich in einigen deutschen Wörtern erhalten: witzlos („ohne Zweck“, „blöde“: Das ist witzlos „Das bringt nichts“), Mutterwitz („Bauernschläue“), Spielwitz („Taktik“) und Aberwitz (mit aber- „darüber hinaus“, vergl. Aberglaube: „über den Verstand hinausgehend“, im ursprünglichen Sinne also „transzendent“).
Analog ist auch der Gebrauch in der Redewendung Die Sache ist nicht ohne Witz.
Der Clou
Auch Witz an der Sache verwendet man, um auszudrücken, dass es sich bei einem bestimmten Detail eines Themenkomplexes um den Kernpunkt, den wesentlichen Teil handelt. Beispiel: Und deswegen hat er das so gemacht? Ja, das war doch der Witz an der Sache.
Im 19. Jahrhundert ist die Bedeutungswandlung zum heutigen Verständnis aber schon abgeschlossen, und ein französisches Lehnwort bietet sich als Variante: Clou (aus lateinisch clavus wörtlich „Nagel“, vergl. Den Nagel auf den Kopf treffen): Eine auszeichnende Besonderheit, eine herausragende Situation oder ein guter, unerwarteter Einfall, der Kern der Sache, der Schlüssel zu einer Lösung.
- Das war der Clou des Abends!, Der Clou des Ganzen war...
Der Witz nach moderner Vorstellung
Historisches
Der Witz ist eine psychische Leistung und wurde erstmals von Sigmund Freud wissenschaftlich untersucht. (Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten; Wien 1905) Freuds Ansicht nach entsteht ein Witz dadurch, dass es dem Erzähler wie dem Zuhörer möglich ist, verdrängte oder bedeckt zu haltende Vorstellungen frei aufrufen oder äußern zu können, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Durch den plötzlichen Wegfall einer beständigen psychischen Unterdrückung dieser Vorstellungen tritt Erleichterung ein. Dies deswegen, weil die Unterdrückung von aufkommenden Vorstellungen ein aktiver Prozess ist, der unbewusst Aufmerksamkeit und psychischen Aufwand erfordert. Fällt dieser Aufwand plötzlich weg, so wird das als angenehm und erheiternd empfunden.
Freud meint, dass man an den Witzen einer jeden Kultur oder Gemeinschaft erkennen kann, was dort gerade unterdrückt wird. Heute ist bekannt, dass es in vielen Teilen Afrikas bsw. viele Witze gibt, die in Zusammenhang mit verschwenderischem Umgang mit Nahrung oder Wasser stehen, weil es dort in diesem Bereich viele unterdrückte Vorstellungen und Wünsche gibt. Solche Wasser- oder Nahrungswitze wirken auf Menschen westlicher Kulturen nicht lustig, sondern eher merkwürdig. Bei uns werden vor allem sexuelle Wünsche unterdrückt, weshalb in unserer Kultur mindestens die Hälfte aller Witze sexuellen Inhalts sind. Auch politische Witze sind nur vor dem Hintergrund einer Unterdrückung zu verstehen.
Von den nachfolgenden Psychoanalytikern haben sich nur noch sehr wenige mit dem Witz als Untersuchungsobjekt beschäftigt, weshalb die psychoanalytische Theorie in diesem Bereich zu Gunsten anderer Erklärungsansätze in den Hintergrund getreten ist. Dennoch gehört dieses Werk zu den meistgelesenen psychoanalytischen Schriften, nicht zuletzt, weil es eine große Reihe ausgezeichneter Witze enthält und ins Denken Freuds einführt.
Konstruktionsschemata
Nach André Jolles kann man den Witz als eine einfache narrative Form verstehen. Seine reguläre Darbietung ist die kurze Erzählung, die einen offenbaren Punkt der Distanzierung vom andernfalls gebotenen Ernst birgt. Möglich sind ebensogut Bildwitze, bei denen der Betrachter den Plot selbst ergänzt und mit dem Moment garniert, das die Distanzierung vom gebotenen Ernst erlaubt. Eine groteske Verzerrung, ein offenkundig unwahrscheinliches Bildmoment kann die Distanzierung vom andernfalls gebotenen Ernst gestatten. Im mündlichen Vortrag kann das Signal zur Distanzierung allein mit einem Blick oder einer Geste zwischen dem Erzähler und den Zuhörern geschehen - die Regel ist jedoch ein Plot, bei dem der bekannte Ablauf bereits das Signal birgt, an welcher Stelle die Zuhörenden sich vom Ernst der Situation befreien können.
Witze finden ihre Sujets in allen Bereichen, die mit Geboten zu ernsthaftem Verständnis, Mitgefühl, menschlicher Wärme und Achtung ausgestattet sind: Sprachwitze erlauben es, der Bedeutungsausstattung der Sprache nicht länger ernst gegenüberzustehen, Sex-Witze erlauben es, dem mit Tabus und der Aufforderung zu Intimität und Mitgefühl belegten Bereich mit Weigerungen des eingeforderten Ernstes zu begegnen. Politische Witze erlauben es, einem politisch repressivem Regime mit einer Verweigerung des eingeforderten ernsthaften Respektes zu begegnen. Witze über Krankheit und Tod gedeihen im "schwarzen Humor" in den Feldern, die mit letzter Konsequenz Ernst einfordern.
Witze werden in der Regel nach standardisierten Konstruktionsschemata gebildet. Eine Erzählung wird etwa mit drei Steigerungen ausgestattet. Unter den Zuhörern besteht das Vorwissen, dass die letzte Steigerung die Situation so grotesk werden lässt, dass niemand die angebotene Geschichte länger ernst nehmen muss. Standard ist hier der Witz, der etwa einen Amerikaner, einen Franzosen und einen Russen vor ein ernsthaftes Problem stellt, ersterer verhält sich in der Situation bereits merkwürdig, zweiterer steigert dies, letzterer jedoch agiert ganz offenbar grotesk, womit das Signal zur Distanzierung vom situationsgebotenen Ernst gegeben ist.
Nicht minder beliebt ist die Konstruktion mit einer Frage, auf die eine unerwartete Antwort gegeben wird - der Zuhörer gibt für sich die eingeforderte Antwort, der Erzähler die Antwort, von deren Ernst sich jeder befreien kann. Die Witze mit der Eröffnung "Frage an Radio Eriwan" folgen diesem Konstruktionsschema.
Die doppelte - riskante und unriskante - Bedeutung von Worten gewinnt im Witz häufig Funktion: Weiß Ferdl betritt in den Tagen des Nationalsozialismus die Bühne mit einem Hitlerbild, sucht einen Platz, um es an die Wand zu hängen, stellt es dann auf dem Boden ab und überlegt endlich laut: "Man weiß nicht, ob man ihn aufhängen oder an die Wand stellen soll" - das ist maximal ernst formuliert im Sinne von "Hitler durch den Strang oder ein Erschießungskommando exekutieren", es erlaubt gleichzeitig die Befreiung vom Ernst der Situation - der Kabarettist kann sich darauf zurückziehen, hier dem Bild doch nur den eingeforderten Respekt erwiesen zu haben; es ist angeblich würdig, in allen Amtsstuben und Klassenzimmern zu hängen.
Die Erzählung des Witzes pflegt Gruppenkonsens einzufordern und vorauszusetzen. Es gibt Insiderwitze, über die nur lachen kann, wer den Sachverhalt, etwa ein bestimmtes Computerproblem, in seinem Ernst versteht. Heikel ist es in der Regel darum auch, als Fremder mit einer Gruppe mitzulachen, in der ein Witz erzählt wird (etwa auf einer Eisenbahnfahrt im Gruppenabteil). Das Lachen der Gruppe erstirbt meist, sobald ein Außenstehender mitlacht. Es ist erst einmal nur den Gruppenmitgliedern erlaubt, sich vom Ernst des Themas zu distanzieren. Wer nicht dazugehört, darf sich nicht unaufgefordert über etwas erheben, was der Gruppe letztlich gerade sehr ernst ist.
Sigmund Freud befasste sich mit dem Witz, in dem er eine Technik des Unbewussten zur Einsparung von Konflikten und zum Lustgewinn sah. Durch die emotionale Solidarisierung mit Gleichgesinnten wirkt der Witz nach Freud gegen Autorität, gegen Sinn - oder auch gegen Andersdenkende.
Symptomatisch ist am Ende, dass der Witz verfliegt, sobald man ihn erklärt. Im Moment der Erklärung wird der Pointe das Überraschungsmoment genommen, sie ist nicht länger Auslöser der Distanzierung vom eingeforderten Ernst. Stattdessen wird gerade geklärt, was der Ernst der Situation ist und damit wieder das Gebot zum Ernst hergestellt.
Klassifikation der Witze
Witze lassen sich nach verschiedenen Gesichtspunkten klassifizieren. Inhalt (Subjekt) oder ihrem Aufbau, dem "Mechanismus" - also einem ihnen anhaftenden Merkmal, bzw. der Kaschierung durch Demütigung, herabsetzende Bloßstellung oder auch auch sexuelle Abartigkeiten.
Kategorien nach dem Subjekt
- Politischer Witz
- Witze über Minderheiten und Randgruppen
- Wissenschaftlicher Witz
- Jüdischer Witz
- Häschenwitz
- sexueller Witz
- Gôgen-Witz
Kategorien nach dem Aufbau
- Antiwitz (Aufbau)
- Kalauer (Aufbau)
- naive Witze (Aufbau)
- Zoten (Aufbau)
- Verwechslungswitz
Siehe auch
- Mutterwitz, Anglerlatein Jägerlatein, Seemannsgarn, Sponti-Spruch, Treppenwitz, Chindogu, Witzbold
- Schlagfertigkeit
- Politischer Witz
- Der tödlichste Witz der Welt
Literatur
- Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, ISBN 3-5961-0439-4