Unfehlbarkeit
Unfehlbarkeit bedeutet Irrtumslosigkeit, Fehlerlosigkeit, Perfektion im Tun. Eine Person oder Institution wäre dann unfehlbar, wenn sie frei von Fehleinschätzungen, irrtümlichen Entscheidungen und fehlerhaften Handlungen wäre. Nach menschlichem Ermessen ist dies nicht möglich. Im Glauben einzelner Religionen, Konfessionen und Ideologien spielt die Unfehlbarkeit eine Rolle.
Grundlage theologisch begründeter Unfehlbarkeit ist hier nicht der Mensch, sondern Gott, der einem Menschen die Unfehlbarkeit aus bestimmten Gründen verleiht. Ein allmächtiger Gott kann nach dieser Meinung die Unfehlbarkeit eines Menschen bewirken. Kritiker sehen hierin den Versuch einer Selbstimmunisierung der Lehre.
Die Religionspsychologie beschreibt den Wunsch des Kindes nach Unfehlbarkeit der Eltern. Dabei gilt der Glaube des Menschen an die Unfehlbarkeit für bestimmte Entwicklungsstufen als normal.
Römisch-katholische Kirche
Grundlagen und Definitionen
Nach römisch-katholischem Glauben hat Christus seiner Kirche zugesagt, der Heilige Geist werde sie in der Wahrheit lehren und erhalten (Joh 16,13), und ihr das Bischofs- und Petrusamt für den Dienst der Einheit in der Wahrheit eingestiftet (Matth 16,18). Daher gelten bestimmte Entscheidungen des Papstes als Nachfolger des Apostels Petrus als unfehlbar. Die Unfehlbarkeit bezieht sich nur auf letztgültig proklamierte Glaubens- und Morallehrentscheidungen. Sie wurde mit dem Konzilsdekret Pastor aeternus auf dem 1. Vatikanischen Konzil 18. Juli 1870 unter Papst Pius IX. selbst als (unfehlbarer) Glaubenssatz verkündet. Die Definition lautet:
- Zur Ehre Gottes, unseres Heilandes, zur Erhöhung der katholischen Religion, zum Heil der christlichen Völker lehren und erklären wir endgültig als von Gott geoffenbarten Glaubenssatz, in treuem Anschluss an die vom Anfang des christlichen Glaubens her erhaltene Überlieferung, unter Zustimmung des heiligen Konzils:
- Wenn der Römische Papst in höchster Lehrgewalt (= ex cathedra) spricht, das heißt: wenn er seines Amtes als Hirt und Lehrer aller Christen waltend in höchster apostolischer Amtsgewalt endgültig entscheidet, eine Lehre über Glauben oder Sitten sei von der ganzen Kirche festzuhalten, so besitzt er auf Grund des göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen ist, jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei endgültigen Entscheidungen in Glaubens- und Sittenlehren ausgerüstet haben wollte. Diese endgültigen Entscheidungen des Römischen Papstes sind daher aus sich und nicht aufgrund der Zustimmung der Kirche unabänderlich.
Nur wenn in aller Form ("Ex cathedra") eine Glaubensüberzeugung zum Dogma erklärt wird, gilt diese als verbindlich und irrtumsfrei. Es dürfen jedoch nur solche Glaubensüberzeugungen zum Dogma erklärt werden, die nicht im Widerspruch zur Hl. Schrift und zur apostolischen Tradition stehen, die in dem römischen Teil der katholischen Kirche geglaubt (sensus fidei) und von der Mehrheit der Bischöfe akzeptiert werden. Die Intention der päpstlichen Unfehlbarkeit ist also, dass der Papst bei einem Streit innerhalb der Kirche das "letzte Wort" hat. Das Unfehlbarkeitsdogma will nicht als Freibrief für willkürliche Erfindungen verstanden sein.
1854, also bereits vor dem Inkrafttreten des Dogmas, gab es bereits eine Verkündung, die dessen Bedingungen erfüllte, nämlich die von der "Unbefleckten Empfängnis Marias". Die römisch-katholische Kirche partizipiert an dem Dogma insofern, als dadurch Glaubenszweifel ausgeräumt werden, entsprechend Katechismus der Katholischen Kirche von 1992, Paragraph 889:
- "Um die Kirche in der Reinheit des von den Aposteln überlieferten Glaubens zu erhalten, wollte Christus, der ja die Wahrheit ist, seine Kirche an seiner eigenen Unfehlbarkeit teilhaben lassen."
Ausformungen und theologische Diskussion
Es verwundert nicht, dass die Unfehlbarkeit auch innerhalb der Kirche zu einem kontroversen Meinungsaustausch führte. So wurde die Unfehlbarkeit einerseits vehement abgelehnt und führte beispielsweise zur Trennung zwischen den Altkatholiken und den römischen Katholiken (siehe weiter unten). Andererseits ging die Definition des Ersten Vatikanischen Konzils anderen nicht weit genug. Über die Definition des Konzils hinaus wird die Unfehlbarkeit gelegentlich auch anderen Rechtsinstanzen der römisch-katholischen Kirche zugeschrieben. In jedem Fall gelten jedoch die Elemente obiger Definition für die Unfehlbarkeit als unverzichtbar. So muss die als unfehlbar vorgetragene Lehre vom Papst (mit-) verkündet werden und bei der Verkündigung der Lehre muss hinreichend deutlich auf die Unfehlbarkeit der Lehrentscheidung verwiesen werden.
Der Papst im allgemeinen
Nach obiger Definition der Unfehlbarkeit gelten Entscheidungen des Papstes in Glaubensfragen nur dann als unfehlbar, wenn er ex cathedra spricht. Dies beinhaltet, dass er seine Aussage sinngemäß als endgültig und verbindlich bezeichnen muss. Darüber hinaus wird gelegentlich irrtümlich die Meinung vertreten, er sei immer dann unfehlbar, wenn er sein Lehramt ausübe, beispielsweise bei Predigten, Apostolischen Rundschreiben oder Enzykliken. In der Kirchengeschichte finden sich Lehrmeinungen von Päpsten, die später von anderen Päpsten als Irrlehren beurteilt wurden, so bei Johannes XXII., Honorius I. und Nikolaus I.; diese Lehrmeinungen wurden auch als Predigten und somit im Rahmen des ordentlichen Lehramts vorgetragen. Somit wird dem Papst in Ausübung seines ordentlichen Lehramts keine Unfehlbarkeit zugestanden. Trotzdem ist im Allgemeinen zu vermuten, dass die Bischöfe oder der Papst in Ausübung des ordentlichen Lehramtes die korrekte Lehre verkünden - dies gilt nicht bei bekannten Häretikern. Auch ist der Papst nicht sündenfrei, weshalb er wie andere Gläubige die Beichte ablegt.
Bischöfe
Gelegentlich wird einzelnen Bischöfen oder bestimmten Bischofsversammlungen die Unfehlbarkeit zugesprochen. Allerdings wurden in der Kirchengeschichte jedoch sowohl von einzelnen Bischöfen als auch von Bischofskollegien Meinungen gelehrt, die später von der Kirche als Häresie abgelehnt wurden. Ein Beispiel sind die Beschlüsse einer Synode von Ephesus im Jahr 449, die im Jahr 451 vom Konzil von Chalkedon abgelehnt und zurückgewiesen wurden. Aus diesem Grund wird einzelnen Bischöfen und Bischofssynoden nicht die Unfehlbarkeit zugestanden. Den Bischöfen im Allgemeinen und in ihrer kollegialen Gesamtheit wird die Unfehlbarkeit nur insoweit zugestanden, als sie eine unfehlbare Lehrentscheidung in Einheit mit dem Papst vortragen. Die Unfehlbarkeit wird immer dann durch die Mitwirkung des Papstes sichergestellt.
Konzilien
Konzilien besitzen gemäß katholischer Lehre dann die Unfehlbarkeit, wenn sie eine Lehre als endgültig und verbindlich bezeichnen und wenn der Papst dem jeweiligen Dokument zustimmt. Allerdings bezieht sich die Unfehlbarkeit nicht auf alle Konzilstexte, sondern lediglich auf die hinreichend als unfehlbar gekennzeichneten Passagen. Auch in diesem Fall wird die Unfehlbarkeit durch die Mitwirkung des Papstes sichergestellt. Interessant ist, dass der Papst ohne Zustimmung eines Konzils, das Konzil jedoch nur in Einheit mit dem Papst Glaubenssätze dogmatisieren kann; somit ist die Zustimmung eines Konzils irrelevant; allerdings wird der Papst nicht gegen die Ansicht des Kollegiums der Bischöfe entscheiden können, ohne selbst den Boden des katholischen Glaubens zu verlassen.
Konzilstexte im allgemeinen werden nicht als unfehlbar angesehen. Darüber hinaus wird es bei der großen Menge veröffentlichter Konzilstexte als vermessen angesehen, alle Texte wären vollkommen fehlerfrei. Die Dogmatisierung umfangreicher Abhandlungen würde eher zu Glaubensunsicherheit denn zu einer Präzisierung des Glaubens führen, insbesondere wenn der jeweilige Text mehr als eine Interpretation zulässt. Im Gegenzug wurde in vielen Konzilsdokumenten (beispielsweise in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche Christi des ersten vatikanischen Konzils) genau festgelegt, welche Absätze unfehlbar sind. Außerdem werden die als dogmatisch verkündeten Glaubensinhalte besonders prägnant formuliert, um den Interpretationsspielraum zu reduzieren.
Ein besonderes Beispiel ist das Zweite Vatikanische Konzil, es verzichtete vollkommen darauf, neue Glaubenssätze zu verkünden und als dogmatisch, endgültig oder verbindlich einzustufen. Formulierungen wie "wir erklären feierlich", "wir lehren endgültig" fehlen. Papst Johannes XXIII brachte dies zum Ausdruck, indem er das Konzil als pastoral (im Gegensatz zu dogmatisch) einberief. Da den Konzilsvätern andererseits die einschlägigen theologischen Argumente und Formfragen zur Unfehlbarkeit bekannt waren, wird davon ausgegangen, dass sie absichtlich auf die Dogmatisierung einzelner Aussagen verzichteten.
Allgemeines Glaubensgut und Tradition
Allgemein nimmt die katholische Kirche an, dass das gesamte, von Gott geoffenbarte Glaubensgut (auch Depositum fidei) seit der Urkirche vorhanden ist, soweit es für die Kirche notwendig ist. Sie nimmt ferner an, dass die an sich fehlerfreie, göttliche Offenbarung zwar örtlich und zeitlich begrenzt von Häretikern verfälscht wurde, aber von der kirchlichen Tradition im allgemeinen korrekt weitergegeben wurde. Glaubenssätze dürfen folglich nicht dem widersprechen, was "immer und überall" von der Kirche geglaubt worden ist. Dies bedeutet, dass der betreffende Glaubenssatz bereits vor seiner Dogmatisierung wahr war, dass nur lediglich die Kirche kein Urteil darüber abgegeben hatte.
Hierbei werden gelegentlich die Unfehlbarkeit dieser göttlichen Offenbarung mit der päpstlichen Unfehlbarkeit verwechselt oder gleichgesetzt. Hierbei bezieht sich jedoch die päpstliche Unfehlbarkeit auf das päpstliche Urteil, welche Glaubensinhalte nun der göttlichen Offenbarung entstammen, und welche Aussagen Verfälschungen darstellen.
Orthodoxe Kirche
Die Orthodoxe Kirche kennt nur die Unfehlbarkeit der Kirche. Dieser Glaube besagt, der Heilige Geist werde nicht zulassen, dass die gesamte Kirche sich in Irrlehren verliert, sondern werde einen Weg schaffen, dies zu verhindern. Jedoch ist keine einzelne Person oder Institution unfehlbar - auch nicht ein Ökumenisches Konzil.
Altkatholische Kirche
Die altkatholische Kirche entstand aus einer innerkatholischen Widerstandsbewegung, die das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes nicht akzeptierte. Sie kennt daher keine unfehlbare Instanz in der Kirche, steht aber dem oben genannten Glauben der orthodoxen Kirche über die Unfehlbarkeit der Kirche nahe.
Evangelische Kirchen
Die Evangelischen Kirchen lehnen die Lehre von der wie auch immer gearteten Unfehlbarkeit vergangener oder heute lebender Personen (außer Jesus Christus) ab. Manche Evangelischen Kirchen – insbesondere im protestantischen Fundamentalismus und einigen Gruppen in der evangelikalen oder Pfingstbewegung – betrachten jedoch die Bibel als unfehlbar, wobei diese Unfehlbarkeit unterschiedlich definiert bzw. verstanden wird.
Islam
Bei den Schiiten gibt es die "Vierzehn Unfehlbaren". Zu ihnen zählen die Zwölf Imamen, der Prophet Mohammed und, als einzige Frau, dessen Tochter Fatima.
Baha'i
Bei den Baha'i wird über die Unfehlbarkeit der Beschlüsse des international gewählten Hauses der Gerechtigkeit diskutiert.