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Simulationshypothese

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Die Simulationshypothese des Philosophen Nick Bostrom ist die Konsequenz einer Annahme in einem Denkmodell. Dieses Denkmodell nennt Bostrom „Simulationsargument“. Es besteht aus drei grundsätzlichen Alternativen über die reale oder simulierte Existenz entwickelter Zivilisationen, von denen mindestens eine wahr ist. Nach der Simulationshypothese sind die meisten gegenwärtigen Menschen eine Simulation, also keine realen, materiellen Menschen. Die Simulationshypothese ist vom Simulationsargument zu unterscheiden, nach der drei Annahmen möglich sind. Sie ist nicht wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher als die beiden anderen Möglichkeiten des Simulationsarguments.

Annahmen

Nick Bostrom 2014

Bostrom geht in seinem Paper Are you living in a computer simulation (2003)[1] sowie in späteren, teils etwas weiter gefassten Interviews[2] von folgenden drei grundsätzliche Möglichkeiten technisch unreifer Zivilisationen wie der unseren aus. Mindestens eine der genannten Möglichkeiten ist wahr. Als reife Zivilisation oder posthumane Stufe bezeichnet Bostrom eine Zivilisation, die über die Computerleistung und das Wissen verfügt, um bewusste, selbstreplizierende Wesen in einem hohen Detaillierungsgrad (ggf. bis auf molekularer Nanobotebene) zu simulieren. Unreife Zivilisationen verfügen nicht über diese Fähigkeit. Bostroms drei Möglichkeiten sind:[1]

  1. Die menschliche Zivilisation stirbt sehr wahrscheinlich aus, bevor sie eine "posthumane" Stufe erreicht hat. Oder:
  2. Der Anteil posthumaner Zivilisationen, die daran interessiert sind, Vorgänger-Simulationen zu betreiben, ist nahezu Null. Oder:
  3. Wir leben sehr wahrscheinlich in einer Computersimulation.

Wenn (1) zutrifft, dann folgt fast sicher, dass keine menschlichen Zivilisationen mit unserem Stand technischer Entwicklung eine "posthumane Stufe erreichen wird. Wenn (2) zutrifft, dann existiert eine hohe Konvergenz unter den technologisch fortgeschrittenen Zivilisationen, wonach keine von ihnen Individuen besitzt, die Interesse daran haben, Simulationen über ihre Vorfahren zu betreiben (Vorgängersimulationen). Wenn (3) zutrifft, dann leben wir ziemlich sicher in einer Simulation, und zwar die allermeisten Menschen. Alle drei Möglichkeiten sind ähnlich wahrscheinlich.[2] Wenn wir heute nicht in einer Simulation leben, dann werden unsere Nachkommen mit ziemlicher Sicherheit niemals Vorgänger-Simulationen betreiben. Mit anderen Worten: Der Glaube daran, dass es eine signifikante Wahrscheinlichkeit gibt, dass wir eines Tages eine "posthumane" Stufe erlangen, auf der wir Computersimulationen betreiben, ist falsch, es sei denn, wir leben heute in einer Simulation.[1]

Struktur des Simulationsarguments

Ein Gehirn im Tank denkt, dass es läuft. Vorstellung und Realität stimmen in diesem Gedankenexperiment nicht Überbein.

Mindestens eine der drei obigen Möglichkeiten ist wahr. Bostrom argumentiert auf der zusätzlichen Annahme, dass die ersten beiden Möglichkeiten nicht eintreten, dass also erstens ein nicht geringer Anteil unserer Zivilisation tatsächlich technologische Reife erlangt und zweitens das Interesse eines nicht vernachlässigbaren Teils der Zivilisation bestehen bleibt, die Ressourcen zu nutzen, um Vorgängersimulationen zu entwickeln. Wenn dies zutrifft, erreicht in einer technologisch reifen Zivilisation der Umfang der Vorgänger-Simulationen astronomische Zahlen. Das erfolgt auf der Grundlage einer Extrapolation der hohen Computerleistung und deren exponentiellem Wachstums, über die eine fortgeschrittene Zivilisation verfügt und wenigstens zum Teil für Vorgängersimulationen verwendet.[3]

Die Konsequenz der Simulation unserer Existenz folgt laut Bostrom also zwingend aus der Annahme, dass die ersten beiden Möglichkeiten nicht richtig sind. Es gibt in diesem Fall viel mehr simulierte Menschen ähnlich wie wir als nicht simulierte. Für jeden historischen Menschen existieren Millionen simulierter Menschen. Mit anderen Worten heißt das: Beinahe alle Menschen mit unserem Erfahrungslevel leben eher in Simulationen als außerhalb. Die Folgerung der Simulationshypothese aus den drei grundsätzlichen Möglichkeiten und aus der Annahme, dass die ersten beiden Möglichkeiten nicht wahr sind, bezeichnet Bostrom als Struktur des Simulationsarguments.[3]

Das Simulationsargument impliziert nicht die Simulationshypothese, dass die Menschen Simulationen sind. Vielmehr zeigt das Simulationsargument alle drei genannten Möglichkeiten nebeneinander auf, von denen eine wahr ist. Es bleibt aber offen, welche das ist. Es ist nach Bostrom ebenso möglich, dass die erste Annahme eintritt, wonach alle Zivilisationen und damit die Menschheit aus irgendeinem Grund ausstirbt. Es gibt nach Bostrom keine Evidenz für oder gegen die Annahme der Simulationshypothese, dass wir simulierte Wesen sind, ebenso wenig für Richtigkeit der beiden anderen Annahmen.[3]

Überlegungen Bostroms zu den eigenen Annahmen

Nach Bostrom können wir nicht leugnen, dass ein strenger Constraint existiert, der verhindert, dass eine menschliche Zivilisation wie die unsere technologische Reife erlangt. Wir können ferner aus der heutigen Perspektive der Computerindustrie verneinen, dass tatsächlich alle ausreichend fortgeschrittenen Zivilisationen das Interesse daran verlieren, Vorgängersimulationen zu erschaffen. Möglicherweise verliert eine weiter fortgeschrittene Zivilisation jedoch aus ethischen oder anderen Gründen das Interesse daran, Vorgängersimulationen mit bewussten Wesen zu entwickeln. Aus diesen Gründen misst Bostrom der Simulationshypothese gegenüber den anderen beiden Alternativen keine übergroße Wahrscheinlichkeit zu. Sie ist für demnach aus seiner Sicht geringer als 50%.[3]

Bostrom macht auch auf den Nebeneffekt aufmerksam, dass, wenn wir heute bereits in einer Simulation leben und irgendwann in der Zukunft damit beginnen, Vorgängersimulationen zu entwickeln und zu betreiben, Simulationen von Simulationen in beliebig vielen Ebenen entstehen können. Solche ineinander "genesteten" Simulationen können auch schon vor unserer Zeit entstanden sein, so dass die Urheber unserer gegenwärtigen Simulation auch keine realen Wesen sein müssen.[3]

Physikalische Tests der Simulationshypothese

Galaxienkollision: Die Simulationshypothese umfasst alle Vorgänge zu allen Zeiten im Universum seit dem Urknall. Das heißt aber nicht unbedingt, dass alle Simulationsvorgänge immer im höchsten Detaillierungsgrad ablaufen müssen.[4]

Auch wenn Bostrom es in seinen schriftlichen Arbeiten nicht explizit hinzufügt, implizieren seine Überlegungen und kommt in Diskussionen mit ihm zur Sprache, dass in seinem Denkmodell nicht nur der Mensch sondern das gesamte Universum mit der Entwicklung seit dem Urknall sowie die Evolution des Lebens simuliert sein kann.[5] 2012 schlug ein Team um den Physiker Silas R. Beane eine Methode vor, um zu testen, ob die Simulationshypothese bestätigt werden kann.[4] In der Physik wird unterstellt, dass der Raum gleichmäßig, d.h. stufenlos ist und sich unendlich ausdehnt. Da Computerressourcen jedoch endlich sind, muss eine Simulation den Raum (Universum) in eine endliche Zahl diskreter Rasterpunkte einteilen. Nur darin könnten Urknall, Galaxien und Atome simuliert werden. Der kontinuierliche physikalische Raum lässt Strahlen aus allen Richtungen gleichermaßen zu. Fände man Nachweise für Abweichungen kosmischer Strahlen von der Kontinuität, würde das für eine Simulation des Universums sprechen. Bisherige Resultate deuten auf solche Abweichungen hin. Man fand eine Anisotropie in der Verteilung ultra-hoher energiereicher kosmischer Strahlen. Diese und andere Indizien reichen aber derzeit nicht aus, um die Simulationshypothese zu bestätigen oder abzulehnen.

Rezension

Pong
Computeranimation des Lotoseffekts

Bostroms Siulationsargument wurde vielfach kritisch analysiert. So wird angemerkt, dass es durchaus Anzeichen für potenzielle Leistungsgrenzen von Computern gibt. Ferner gäbe es keinen Beweis dafür, dass eine zukünftige, posthumane Zivilisation zu den diskutierten Simulationen fähig sein könne. Das würde bedeuten, dass Bostroms erste Annahme (1) wahr ist. Kritisiert wird auch das anthropische Prinzip, das Bostrom zugrunde legt. Aus diesem folgt, dass ein menschlicher Beobachter Ereignisse oder Ereignisalternativen, die seine eigene Existenz unwahrscheinlich machen, selbst für unwahrscheinlich hält oder vernachlässigt. Dieses Prinzip wird von manchen als philosophisch interpretiert, bzw. als nicht falsifizierbar oder auch als unwissenschaftlich angesehen. Ferner wurde festgestellt, das Bewusstsein der Wesen, die die Simulationen erzeugt haben, könne sich grundsätzlich von menschlichem Bewusstsein unterscheiden. Bostrom hat zu vielen Kritikpunkten Stellung bezogen. Insbesondere hält er es für vorstellbar, dass die Menschheit zukünftig empirisch überprüfen kann, ob sie in einer Simulation lebt.[2]

Eine der größten Herausforderungen der Simulationshypothese, die Erschaffung künstlichen Bewusstseins in Computern, wird nicht explizit diskutiert. Die Wissenschaft weiß heute noch nicht einmal, wie Bewusstsein im Gehirn überhaupt entsteht.

Auch Alternativen zu Bostroms Schlussfolgerungen wurden beschrieben.[6][7][8] Ein populärer Vertreter der Simulationstheorie ist Elon Musk.[9][10] Musks Ansichten implizieren die Arbeit Bostroms. Er betont die enormen Fortschritte von Videospielen seit ihren Anfängen, dem simplen Pong mit zwei Rechtecken und einem Punkt, der hin- und her bewegt wird bis zu den nur 40 Jahre späteren photorealistischen Animationsspielen, die von Millionen Spielern simultan online gespielt werden. Diese werden von Jahr zu Jahr besser und besitzen ein enormes Potenzial virtueller Realität, menschliches Leben und die Natur ununterscheidbar von echtem Leben zu simulieren. Das gilt auf lange Sicht gesehen selbst dann, wenn der technische Fortschritt beispielsweise um den Faktor 1000 reduziert wäre. Ein solcher Entwicklungsprozess kann nach Auffassung Musks bereits in der Vergangenheit abgelaufen sein und dazu geführt haben, dass wir heute in einer Simulation leben. Im Gegensatz zu Bostrom glaubt Musk, dass es nur eine eins zu mehrere Milliarden-Chance gibt, dass wir nicht in einer Simulation leben. Nach seiner Überzeugung gibt es Milliarden von simulierten Universen, die ununterscheidbar von unserem sind. Wir sind in einem davon. Musk kommt zu dem Schluss: "Wenn Zivilisationen nicht mehr fortschreiten, kann das auf Grund eines katastrophalen Ereignisses, das eine Zivilisation auslöscht, geschehen." - "Entweder wir erschaffen Simulationen, die nicht unterscheidbar von der Realität sind, oder Zivilisationen werden aussterben."

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b c Nick Bostrom: Are you living in a computer simulation? Philosophical Quarterly (2003) Vol. 53, No. 211, pp. 243-255 (Online)
  2. a b c The Simulation Argument FAQ
  3. a b c d e Nick Bostrom - The Simulation Argument (Full) (YouTube)
  4. a b Zeeya Merali: Do We Live in the Matrix? Physicists have proposed tests to reveal whether we are part of a giant computer simulation“, Discover, December 2013, 24–25 (Online)
  5. Are We Living in a Simulation? (YouTube)
  6. Brian Weatherson. "Are you a sim?" The Philosophical Quarterly 53.212 (2003): 425-431.
  7. Dainton, Barry. "On singularities and simulations." Journal of Consciousness Studies 19.1 (2012): 42.
  8. Davies, Paul, Charles William. "Multiverse cosmological models." Modern Physics Letters A 19.10 (2004): 727-743.
  9. Elon Musk Simulation Theory Interview (YouTube)
  10. Why Elon Musk says we're living in a simulation (YouTube)