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Natürliche Theologie

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Mit Natürliche Theologie (auch: theologia naturalis oder philosophische bzw. rationale Theologie), wird die Lehre von Gott bezeichnet, die aus natürlichen Quellen schöpft. Mit 'natürlichen Quellen' sind hier insbesondere die menschliche Vernunft und die Betrachtung der Schöpfung, also der mit den Sinnen wahrnehmbaren Welt gemeint. Obwohl von Gott geredet wird, handelt es sich bei der natürlichen Theologie dem Anspruch nach nicht um Glauben und Religion, sondern um die denkerische Durchdringung des Weltzusammenhangs mit wissenschaftlich verantworteter und nachvollziehbarer Methodik. Die natürliche Theologie als eine nicht auf Offenbarung zurückgreifende Methode wurde insbesondere in Judentum, Christentum und Islam angewendet.

Die Natürliche Theologie wird zur Offenbarungstheologie abgegrenzt, welche die übernatürliche Offenbarung Gottes einbezieht. Ihre Wurzeln reichen zurück bis zu Platon (Idee der Ideen bzw. Idee des Guten); vertieft wurde sie dann vor allem in der Scholastik und Neuscholastik. Von dialektischen Theologen wie Karl Barth wurde sie vehement kritisiert. Meist in ihrem Stellenwert klarer gefasst, wirkt sie teils bis heute weiter.

Voraussetzungen der Natürlichen Theologie

Die Natürliche Theologie setzt die grundsätzliche Möglichkeit objektiver Erkenntnis voraus. Desweiteren beansprucht sie zumeist, dass die gesamte Welt und ihr Verhältnis zu Gott davon bestimmte wird, dass jede Wirkung und jedes Seiende eine Ursache besitzt, genauer: das metaphysische Kausalprinzips bzw. den Satzes vom zureichenden Grund.

Diese Voraussetzung bestreitet etwa ein Empirismus, der Ursächlichkeit nur für die erfahrbare Wirklichkeit akzeptiert bzw. alles darüberhinausliegende bestreitet. Hume hat Kausalität selbst problematisiert, etwa mit dem Hinweis, dass Wissen über Naturgesetze nie Zukünftiges einschließen kann. Auch der Fideismus stellt sich Voraussetzungen natürlicher Theologie entgegen: Aussagen über Gott sind ausschließlich durch Glauben, Offenbarung und Gnade Gottes möglich. Alle drei Optionen werden durch die Kritik Kants getroffen. Kausalrelationen gelten nach ihm nur im Bereich des Empirischen, der Empirismus ruht auf von ihm nicht geklärten Voraussetzungen und eine Ergebenheit in Demut gerät schnell zu einer selbst verschuldeten Unmündigkeit, welche durch Aufklärung zu überwinden ist.

Reichweite der Natürlichen Theologie

Die Natürliche Theologie beansprucht, dass es möglich ist, Gottes Sein zu beweisen (dass Gott ist). Die meisten ihrer Vertreter lehnen jedoch ab, ohne Voraussetzung der Offenbarung wissen zu können, was Gott ist.

Die Gottesbeweise in der natürlichen Theologie

Die fünf Wege des Thomas

Entsprechende Beweiswege finden sich weit vor Thomas von Aquin, dessen fünf Wege sind jedoch am bekanntesten. Sie gliedern sich nach den vier aristotelischen Ursachen. Dabei soll jeweils die Kontingenz der Welt bewiesen werden, also die Unmöglichkeit, sie rein aus weltlichem, bedingtem, verursachtem so zu erklären, dass philosophisch begründbar wird, warum sie "ist (und nicht nicht vielmehr nicht)".

  • Der Beweis aus der Bewegung beginnt bei der Möglichkeit, verändert zu werden.
  • Der Beweis aus der Wirkursache setzt beim Verursacht-Sein an.
  • Der Stufenbeweis betrachtet die Tatsache, dass einigem mehr Wahrheit, Gutheit und Einheit zukommt als anderem.
  • Der teleologische Beweis betont die Hinordnung und das Gelenktwerden des Seienden auf ein Ziel (griechisch telos).

Der Kontingenzbeweis des Seins Gottes

Allem zugrunde liegt der Kontingenzbeweis. Die Kontingenz ist die Indifferenz dem Sein gegenüber, also die Möglichkeit zu sein oder genausogut nicht zu sein. Befürworter der Natürlichen Theologie betrachten mit dem kontingenten Sein und dem Kausalprinzip den Gottesbeweis schon als gegeben. Er bestehe sozusagen im zu Ende gedachten metaphysischen Kausalprinzip. Ausformuliert lautet die Kurzform dieses Beweises: Das Kontingente setzt das Absolute voraus. Anders ausgedrückt: Wenn und weil das Bedingte ist, muss das Unbedingte sein. Es kann nicht nur kontingent Seiendes geben. Da das Seiende nur Sein-Habendes ist, verweist es notwendig auf anderes. Dies ist entweder selbst wieder nur Seiendes oder das absolute Sein selbst. Ein unendlicher Regress von Seiendem zu Seiendem ist unmöglich, da diese jeweils nur potentiell, aber eben nicht notwendig sind. Gebe es das reine, subsistierende Sein, das "ens a se" nicht, gebe es gar nichts. Weil Gott das "ens a se", das heißt das Sein aus sich, ist, spricht man auch von seiner Aseität.

Wenn es verursachtes, gewirktes Sein gibt, muss es das unverursachte Sein geben, die "prima causa" also die erste Ursache, ohne die auch keine folgenden und damit auch nicht die jetzigen Ursachen und Wirkungen wären. Teleologisch betrachtet sei aus der Ordnung der Natur auf einen weisen Ordner und Lenker zu schließen. Auf die Bewegung bezogen müsse es den unbewegten Beweger, auf Wahrheit, Gutheit, Einheit bezogen die Wahrheit, Güte und Einheit geben. Da die Nominaldefinition dem Menschen bei der Wahl der Begriffe eine gewisse Freiheit lässt, gibt es eine Reihe von Namen für das Absolute. Zum bekanntesten Namen heißt es bei Thomas von Aquin: "quam omnes Deum nominant" (Summe der Theologie I, q. 2, 3) also, dass dies(er) von allen Gott genannt wird.

Vom "Wesen" Gottes

Ursprünglich ist es Ziel der Gottesbeweise zu zeigen, dass Gott ist (existiert). Auf der Basis der fünf thomistischen Beweise, meinen Befürworter zeigen zu können, dass von Gott folgendes gesagt werden kann: Er sei unbewegter Beweger (primus motor), erste Wirkursache (causa prima), notwendiges, absolutes Sein (necesse esse), höchstes, wahrstes Sein (maximum ens), mit Vernunft und Willen. Dass Gott existiert, sagt aber noch nichts darüber aus, was Gott ist. Um eine bestimmte Vorstellung von Gott zu beweisen (z.B. die Vorstellung von einem persönlichen Gott), bedarf es weiterer Argumente und Annahmen, die z.B. Thomas von Aquin in "Summe der Theologie" (Summa theologica) oder "Summe gegen die Heiden" (Summa contra gentiles) ausführt. Die Gotteslehre wird dabei im Anschluss an die Gottesbeweise überwiegend im analytisch-deduktiven Verfahren entwickelt. Besonderer Wert wird zudem auf das Herausheben, die Analogie und den 'Weg der Verneinung' (via remotionis) gelegt: Je mehr "Negationen" feststünden, desto mehr verliere die menschliche Erkenntnis an Dunkelheit (vgl. Negative Theologie). Dass dem Menschen jedoch immer sehr viel mehr von Gott verborgen bleiben muss, als sich ihm erschließen kann, zeige sich u.a. daran, dass die natürliche Theologie einer Vielzahl von Beweisen und Begriffen bedarf, obwohl Gott wesensmäßig in absoluter Weise Einheit sei.

Vertreter der natürlichen Theologie beschreiben deren Argumentation zum Wesen Gottes wie folgt:

Aus der Unbeweglichkeit und Unveränderlichkeit wird Gottes Ewigkeit gefolgert. Weil Gott demnach erste Ursache und notwendig ist, was alles Nichtseinkönnen ausschließt, ist er frei von jeglicher Potenz, also reiner Akt (actus purus). Damit ist er frei von jeder Zusammensetzung, ohne Materie und auch nicht von seiner Wesenheit zu unterscheiden. Da Gottes Wesen mit seinem Sein zusammenfällt, er das erste Sein, die oberste Ursache und reiner Akt ist, bleibt ihm jeder Mangel fern, ist er also vollkommen. Von der Vollkommenheit wird dann auch die All-Güte, die Einheit, die Allmacht und die Allwissenheit sowie die Tatsache, dass Gott schlechthin unendlich ist, geschlossen. Das Erkennen und Lenken aller Dinge setzt einen Willen voraus, und da dieser in absoluter und vollkommener Weise wirkt, folgt ebenfalls Gottes unendliche Liebe. Die vollkommene, intelligente Ursache allen Lebens und aller Personen ist nicht nur das Leben selbst, sondern auch Person. In seiner höchsten Vollendung ist Gott zudem nicht nur glücklich, sondern das Glück selbst, wie Thomas es als die Krönung der natürlichen Theologie ansieht.

weitere Vertreter der Natürlichen Theologie

Eine spezielle Variante natürlicher Theologie ist der "Geschöpflichkeitsbeweis" bei Peter Knauer SJ: Nach Knauer ist Gott in sich unbegreiflich. Der Mensch könne jedoch indirekt zur Erkenntnis Gottes gelangen, indem er die auf ihn verweisende Welt (Schöpfung) erkennt. Die Beziehung der direkt wahrnehmbaren Welt zu Gott beschreibt Knauer so: Gott sei kein Teil des Universums (was eine pantheistische Vorstellung wäre), sondern die ganze Wirklichkeit und alles in ihr könne ohne ihn nicht sein, sei also seine Schöpfung. Die Schöpfung sei in ihrer "Geschöpflichkeit" restlos auf ihren "Schöpfer" bezogen. Diese Beziehung ist nach Knauer zunächst einseitig: Die Schöpfung ist notwendigerweise auf den Schöpfer bezogen, nicht aber umgekehrt der Schöpfer auf die Schöpfung. Die Verbindung von Schöpfer zur Schöpfung sieht Knauer in Übereinstimmung mit der christlichen Religion darin erklärt, dass Gott der Welt durch seine ewige und unbedingte Liebe zugewandt sei. Jesus Christus sei Mensch geworden, um den Menschen diese Liebe Gottes zu verkünden.

Anwendungsbeispiele der natürlichen Theologie

Als „Anwendungbeispiele“ der natürlichen Theologie kommen beispielsweise Fragen der Ethik in Betracht. Ethische Grundsätze beruhen auf dem Menschenbild. Dieses wiederum baut häufig auf dem Gottesbild auf. Weil jede Ethik auf Prämissen beruht, sollten diese möglichst gut reflektiert sein. Dies ist bei der natürlichen Theologie dem Anspruch nach der Fall, da sie bis zur 'causa prima' zurückgeht. Je nach Verständnis dieser Ursprünge ist die natürliche Theologie dazu verwendet worden, sowohl ethisch fragwürdige Theorien wie Rassenlehren (z.B. bei Paul Althaus) und Homophobie zu untermauern, als auch für die Würde eines jeden Menschen zu argumentieren.

Kritik an der Natürlichen Theologie

An der Natürlichen Theologie wurde und wird von mehreren Seiten Kritik geübt.

Kritik der Gottesbeweise

Was ihre Methodik betrifft, so gerieten die typischen Formen der Gottesbeweise schon früh in die Kritik. Dies betrifft insbesondere die fünf Wege des Thomas von Aquin, aber auch den ontologischen Gottesbeweis, wie Anselm ihn führt. Zu den bekanntesten Kritikern der Gottesbeweise zählt schließlich Immanuel Kant. Dieser versucht Kritik der reinen Vernunft (A 620 ff.) die Nichtdurchführbarkeit des ontologischen Gottesbeweises zu zeigen, nachdem die Gottesbeweise, wie Thomas sie führt, angesichts der Beschränkung der Reichweite von Erkenntnis ohnehin für Kant undurchführbar sind. Seither sind verschiedene andere Formen von Beweisverfahren und Kritiken derselben entwickelt worden. In jüngerer Zeit verfolgen einige analytisch arbeitende Religionsphilosophen das Thema.

Kritik am Programm der natürlichen Theologie selbst

Harscher Kritik wurde natürliche Theologie unterzogen, sofern sie überhaupt eine eigenständige Gotteserkenntnis zu erreichen beansprucht. Wichtige Stationen dabei:

  • Hume
  • Schleiermacher
  • Ritschl
  • Barth
  • Jüngel

Literatur

Informationen zur natürlichen Theologie

  • Wolfhart Pannenberg: Systematische Theologie, Band 1, Göttingen 1989, 83-122.

Projekte einer natürlichen Theologie

  • Walter Brugger: Summe einer philosophischen Gotteslehre, München 1979. ISBN 3-87056-022-3
  • Bernhard Kälin: Lehrbuch der Philosophie. Band I: Logik, Ontologie, Kosmologie, Psychologie, Kriteriologie und Theodizee, Sarnen 1957
  • Peter Knauer: Unseren Glauben verstehen, Würzburg 2001 (6. Auflage), 20-33.
  • Alfons Lehmen: Lehrbuch der Philosophie auf aristotelisch-scholastischer Grundlage; Band III: Theodizee, fünfte, verbesserte Auflage, Freiburg im Breisgau 1923
  • Josef de Vries: Denken und Sein, Ein Aufbau der Erkenntnistheorie, Freiburg 1937
  • Béla Weissmahr: Philosophische Gotteslehre, Stuttgart u.a. 1994 (2.Auflage)
  • Arthur Ernest Wilder-Smith: Wer denkt, muss glauben. 2. Auflage, Stuttgart 1983. ISBN 3-7751-0519-0

Zum Thema Gottesbeweise

  • Cramer, Wolfgang: Gottesbeweise und ihre Kritik - Prüfung ihrer Beweiskraft, Frankfurt am Main 1967. ISBN 3-465-00070-6
  • Hans Seidl (Hrsg. und Übersetzer): Die Gottesbeweise in der "Summe gegen die Heiden" und der "Summe der Theologie", zweite Auflage, Hamburg 1986. ISBN 3-7873-1192-0
  • Thomas von Aquin: Summe der Theologie (Summa theologica), deutsch-lateinische Ausgabe, hrsg. vom kath. Akademikerverband, Salzburg 1934
  • Thomas von Aquin: Summe gegen die Heiden (Summa contra gentiles) Lateinisch Deutsch, hrsg. und übersetzt von Karl Albert und Paulus Engelhardt unter Mitarbeit von Leo Dümpelmann, Sonderausgabe, Darmstadt 2001. ISBN 3-534-00378-0

Weitere Literatur

Siehe auch

Theologie, Gottesbeweis, Apologetik, Agnostiker, Theodizee, Christliche Apologie, Kreationismus