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Nichtreduzierbare Komplexität

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Nichtreduzierbare Komplexität (oder irreduzible Komplexität) ist ein umstrittenes Konzept, mit dem versucht wird, Intelligent Design zu stützen. Mithilfe dieses Konzepts wird die Behauptung aufgestellt, dass die allgemein anerkannte wissenschaftliche Theorie, dass das Leben sich durch biologische Evolution entwickelt hat, unvollständig und unzureichend ist und dass der Eingriff eines intelligenten Designers notwendig ist, um den Ursprung des Lebens zu erklären. Ein irreduzibel komplexes System wird definiert als eines, das nicht funktionieren könnte, wenn es in irgendeiner Form vereinfacht würde und das sich daher nicht durch schrittweise Ergänzung eines Vorgängersystems um die jeweilige Funktionalität hat entwickeln können.

Das Konzept wurde vom Biochemiker und Mitglied des Discovery Institute Michael Behe in seinem Buch Darwin's Black Box (1996) populär gemacht. Darin argumentiert er, dass es biologische Systeme gibt, die irreduzibel komplex seien, weil er keinen Weg sah, wie man sie zu kleineren funktionierenden Systemen vereinfachen könnte. Auf diese Weise versucht das Buch Intelligent Design zu stützen, ein Design-Argument, das die Existenz einer übernatürlichen Gottheit begründen soll.

Das Konzept wird von der Wissenschaftsgemeinde ignoriert oder zurückgewiesen, da es vom Argument aus mangelnder Vorstellungkraft gebrauch macht und da Behe keine überprüfbaren Hypothesen aufstellt. Daher wird die irreduzible Komplexität von Wissenschaftstheoretikern als Beispiel für kreationistische Pseudowissenschaft angesehen, bei der Gott eine Art Lückenbüßerrolle (God of the gaps) zukommt. 2001 gab Michael Behe selbst zu, dass seine Arbeit einen Fehler beinhalte und das Wirken der natürlichen Selektion nicht wirklich ansprechen würde.[1]

ID-Befürworter weisen jedoch darauf hin, dass Irreduzible Komplexität und das darauf aufgebaute evolutionskritische Argument (IC-Argument) sehr wohl prüfbar und widerlegbar ist. Dies werde schon daran ersichtlich, dass es viele Versuche gibt, das IC-Argument zu entkräften. Abgewiesen wird von den ID-Befürwortern auch die Behauptung, das IC-Argument beruhe auf Nichtwissen; das Gegenteil sei der Fall: Je besser ein System erforscht sei, desto besser könne das IC-Argument begründet werden; mehr Kenntnisse könnten aber auch zur Widerlegung des IC-Arguments führen. Das Argument aus mangelnder Vorstellungkraft spiele dabei keine Rolle.

Im Fall Kitzmiller v. Dover Area School District (2005) schwor Behe unter Eid, dass sein Komplexitätskonzept die Evolutionsmechanismen nicht ausschließen würde und dass es keine von Gutachtern gegengeprüften Artikel in einem unabhängigen Fachjournal gegeben hätte, welches seine Argumentation stützen würde, dass bestimmte komplexe Molekularstrukturen 'irreduzibel komplex' seien.[2] Im Ergebnis schloss das Gericht, dass Intelligent Design keine Wissenschaft sei und im wesentlichen religiöser Natur.[3]

Definition

Michael J. Behe definiert als nichtreduzierbar komplex

„ein einzelnes System, das aus mehreren zusammenpassenden und zusammenwirkenden Teilen besteht, die zur Grundfunktion beitragen, wobei das Entfernen irgendeines der Teile bewirkt, daß das System effektiv zu funktionieren aufhört. Ein nichtreduzierbar komplexes System kann nicht auf direktem Weg (d.h. durch fortgesetztes Verbessern der Ausgangsfunktion, die durch den selben Mechanismus weiter arbeitet) durch leichte aufeinanderfolgende Änderungen eines Vorläufersystems erzeugt werden, weil jeder Vorläufer zu einem nichtreduzierbar komplexen System, an dem ein Teil fehlt, per Definition funktionsunfähig ist.“

Michael J. Behe: Darwin's Black Box, S. 39

Nichtreduzierbare Komplexität bei Charles Darwin

Charles Darwin hat zwar den Ausdruck nicht benutzt, aber er war der erste, der die nichtreduzierbare Komplexität als eine mögliche Schwäche seiner Evolutionstheorie ansah. Im sechsten Kapitel, Schwierigkeiten der Theorie, seines Buches Die Entstehung der Arten schreibt er:

„Ließe sich irgend ein zusammengesetztes Organ nachweisen, dessen Vollendung nicht möglicherweise durch zahlreiche kleine aufeinanderfolgende Modifikationen hätte erfolgen können, so müßte meine Theorie unbedingt zusammenbrechen. Ich vermag jedoch keinen solchen Fall aufzufinden.“

Charles Darwin: Die Entstehung der Arten, Hg.: H. Schmidt, J. V. Carus, Leipzig 1884, S. 105

Kritik

Heutige Evolutionsbiologen halten das Konzept für in der Praxis unbrauchbar, weil die Entscheidung, ob alle "Vorstufen nicht funktionieren", voraussetze, dass man trotz der Komplexität des Problems (ein System kann sich auch aus komplizierteren Systemen mit anderen Nischen entwickeln statt im Laufe der Zeit immer komplizierter zu werden) alle denkbaren Vorstufen kenne. Eine solche Allwissenheit bei sich selbst vorauszusetzen und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen sei aber kein zulässiger Teil der wissenschaftlichen Methode.

Die eigentliche Argumentationsweise unter Verwendung von "irreduzibler Komplexität" in mikrobiologischen Systemen ist nicht neu und spezifisch für die Intelligent-Design Bewegung. So finden sich in Publikationen der Kreationisten Henry Morris (1974, 'Scientific Creationism') sowie sowie Thaxton, Bradley und Olsen (1984, 'The Mystery of Life's Origin') im Wesentlichen identische Argumentationsweisen, wie in der heutigen ID-Bewegung. Dies wird von Kritikern als einer von mehreren Belegen gesehen, dass die Intelligent-Design-Bewegung ein Teil des Kreationismus darstellt, und nur durch die Verwendung von neuen Benennungen für alte Argumente versucht wird, aus strategischen Gründen eine Distanz zum Kreationismus vorzuspiegeln.

Quellen

  1. Behe, Michael (2001). Reply to My Critics.
  2. Behe, Michael 2005 Kitzmiller v. Dover Area School District 4: whether ID is science (p. 88)
  3. „intelligent design is not science and is essentially religious in nature.“ Kitzmiller v. Dover Area School District 6: Conclusion, section H