Philaretos Brachamios
Philaretus Brachamius († 1085?) war ein byzantinischer Domestikos und Strategos (General), Statthalter der Provinz Koloneia im Militärbezirk des Armeniakons und kaiserlicher Kuropalat.
Quellen
Die wichtigste Quelle zum Leben Philarets ist der Chronist Matthias von Edessa, ein Mönch ohne höhere Bildung, der in seiner Chronik die Jahre 952-1136 schildert. Er beschreibt ihn als "...der lästerliche und verderbte Anführer Philaretus, ein wahrer Abkömmling des Teufels" (II, 60), eine "giftige Bestie" (II, 62), der Trinkschalen aus den Schädeln seiner toten Feinde machen läßt (II, 61). Weitere Erwähnungen finden sich in Anna Komnenas Alexiade (II, 9) und bei Bar Hebräus.
Leben
Philaretus war ein Sohn armenischer Eltern und wurde von seinem Onkel in dem abgelegenen Kloster von Zōrvi-Kozern erzogen. Nach der vernichtenden Niederlage des Kaisers Romanos IV. Diogenes in der Schlacht von Manzikert 1071 im Südosten des byzantinischen Reiches stellte er sich gemeinsam mit einigen loyalen Offizieren den vordringenden Seldschuken und aufrührerischen Lokalfürsten, die die gesetzlosen Zustände zu ihren eigenen Vorteil auszunutzen versuchten, entgegen, auch wenn ihm die geschwächte Zentralregierung keine Unterstützung zukommen lassen konnte, ähnlich wie zur selben Zeit Abul Gharib in Kilikien. Anna Komnena beschreibt ihn als tapfer und weise. Die Nachricht von Blendung und Tod des Kaisers, dem er sehr zugetan war, habe ihn jedoch zur Rebellion getrieben (Alexiade II, 10).

Philaretus machte zunächst Mschar, südlich von Melitene, zu seiner Basis. Viele örtliche Befehlshaber versuchten inzwischen, Kontrolle über ihr unmittelbares Gebiet zu bekommen und widersetzten sich jedem Versuch, wieder größere territoriale Einheiten herzustellen. Das sollte er bei dem Versuch, das Gebiet von Sasun unter Kontrolle zu bringen, erfahren. Er lud T'ornik, Sohn des Muschegh zu Verhandlungen ein, dieser lehnte jedoch ab, mit der Behauptung, er kenne ihn nicht – immerhin den kaiserlichen Statthalter von Maraş. Nachdem es auch sein Schwiegervater Gregorius, der im Heer von Philaretus diente, es nicht geschafft hatte, T'ornik zur Vernunft zu bringen, der ein Heer um sich sammelte, das angeblich 50.000 Fußsoldaten und 6000 Reiter umfaßte. Mit 1000 Reitern unternahm er einen Vorstoß nach Aschmuschat im östlichen Teil von Armenien, und es gelang ihm, im Bezirk Handzit' in der Ebene von Aleluay ein Kontingent von Philarets fränkischen Söldner, die die bereits vor Manzikert im Armeniakon stationiert gewesen waren, zu überraschen. Sie konnten die Franken in einem Überraschungsangriff einschließen, und sogar ihren Anführer, von dem nur der armenische Name "Rmbaghat" bekannt ist, gefangen nehmen. Die Übersetzung des Namens ist unsicher, sowohl Rimbaud/Raimbaud (Dulaurier) als auch Roussel (Bartikian) wurden in Erwägung gezogen. T'ornik plünderte die Umgebung aus und zog sich auf Sasun zurück, während Philaretos in Kharberd Truppen zusammenzog. Bevor er jedoch eingreifen konnte, war T'ornik bei dem Versuch, mit dem türkischen Emir Amr Bakr' eine Allianz abzuschließen, getötet worden. Der Ablauf der Ereignisse ist nicht ganz klar. Matthias von Edessa behauptet, Amr Bakr' habe T'ornik in seine Festung gelockt, um ihn zu ermorden. Fest steht, daß T'ornik seinen Gastgeber mit einem Dolch den Bauch aufschlitzte und aus der Festung entwich, auf der Flucht nach Sasun aber von einem Soldaten des Emirs von Martyropolis (Maiyafariquin) mit einem Speerstoß getötet wurde.
Philaretos setzte 1076 Sargis, den Neffen des Katholikos Peter (1019-1058) als Bischof von Honi am oberen Pyramus ein, versuchte also auch, die kirchliche Organisation wieder herzustellen. Nach dessen Tod 1077 wurde Theodor Alakhosik Katholikos.
1079 suchte eine Hungersnot das Gebiet zwischen Edessa, Maraş und Tarsus heim; im Süden war selbst Antiochia war betroffen. Flüchtlinge verhungerten auf den Straßen, und nach Matthias von Edessa waren die Geier so satt, daß sie weitere Nahrung verschmähten, und der Gestank unbestatteter Leichen das Land erfüllte. Im selben Jahr wurde Gagik II., der bibelfeste aber cholerische Ex-König von Armenien durch byzantinische Offiziere auf der Burg Kybistra gefangen genommen. Er wurde schließlich erdrosselt, angeblich auf Anraten von Philaretus. Doch dürfte Gagiks Befehl, hochgeborener griechischer Frauen durch seine Truppen vergewaltigen zu lassen, wo immer er sein Nachtlager aufschlug (II, 43) und der Tod des Metropoliten von Caesarea, den er mit seinem Lieblingshund in einen Sack sperren ließ, bis dieser ihn "unter Zähneknirschen und ... erbarmungswürdigem Stöhnen" auffraß, wenig zu seiner Popularität unter den Romäern beigetragen haben, die einer solchen Aufforderung also nicht unbedingt beduften.
Im Auftrag von Philaretus griff 1078 Basileus (Vasil), der Sohn Abu-Kabs und einer georgischen Mutter, der ehemalige "Zeltpfleger" des Kuropalates David mit einer Reitereinheit Edessa an. Es gelang ihm jedoch auch nach einem halben Jahr konstanter Angriffe nicht, die wohlbefestigte Stadt einzunehmen. Aber die Bevölkerung rebellierte schließlich gegen den Dux Leo, der sich in die Zitadelle flüchtete, wo er am Altar des Hl. Theotokos erschagen ward. Danach öffneten die Bürger Basil, dessen Vater Abu-Kab aus der Stadt stammte, die Tore. Er regierte die Stadt bis 1083, eine Oase der Ruhe in dem schwer bedrängten östlichen Teil Anatoliens. Als er verstarb wurde er als fromm und wohltätig, "ein Vater der Waisen und der Armen" allgemein betrauert und in der Kirche von St. Georg begraben.
1080 hatten loyale byzantinische Soldaten den armenischen Usurpator Vasak Pachlawani, Sohn des Magisters Gregorios, der in Antiochia die Herrschaft an sich gerissen hatte, beseitigen können. Antiochia lag im Thema (byzantinische Provinz) Charsianon, also außerhalb von Philaretos' ursprünglichem Herrschaftsbereich. Trotzdem übernahm Philaretus auf Wunsch der versammelten Offiziere die Verteidigung der Stadt. Vermutlich hatte er erkannt, daß von dem schwachen Herrscher Michael VII. Dukas (1071 - 1078), den Philaretus nie anerkannt hatte, und seinem Nachfolger Nikephoros III. Botaneiates (1078 - 1081) wenig Unterstützung zu erwarten war und es den örtlichen Herrschern überlassen blieb, lebensfähige territoriale Einheiten zu schaffen und sich den zunehmenden zentrifugalen Tendenzen entgegen zu stellen. In der Tat ging Botaneiates 1081, wie bereits sein Vorgänger, ins Kloster.
Damit bleib es Philaretus und seinen Männern überlassen, in einem Gebiet, das im Westen durch den Amanus begrenzt wurde und im Osten bis über den Euphrat reichte die Ordnung wieder herzustellen. Dieses Gebiet umfaßte unter anderem:
- Antiochia (Antakya)
- Germanikea (Maraş)
- Albistan (Elbistan)
- Melitene (Malatya)
- Kesoun (Crasson)
- Gargar
- EdessaUrfa
sowie in Kilikien, wahrscheinlich im Bündnis mit dem Ruben von Vahka:
Nach dem Tode von Basileus ernannte der Rat von Edessa den Armenier Sempat, einen Helden der Perserkriege zum Dux, ohne allerdings die Zustimmung Philarets einzuholen. Ischkhan, ein Edessener vermutlich persischer Abstammung, blieb Philaretus jedoch treu. Er und sein Bruder Theoderich, zusammen mit weiteren Mitgliedern herausragender Edessener Familien schlossen sich gegen die Armenier zusammen und konnten die Stadt nach sechs Monaten des Aufstands an Philaretus übergeben. Philaretus scheint danach den armenischen Einfluß in Edessa deutlich beschnitten zu haben, angeblich wurde Arjuk, ein Führer der armenischen Partei hingerichtet, Sempat und seine Gefolgsleute im Rat in Ketten nach Malatya gebracht und dort geblendet. Es ist schwer, sich ein eindeutiges Bild zu machen. Matthias von Edessa ist eindeutig parteisch, und Bar Hebräus berichtet, Philaretus habe die Stadt von den Türken zurückerobert. Es ist also nicht auszuschließen, daß die Überlieferung hier größere Lücken aufweist, und Sempat unter Umständen ein Bündnis mit den Danischmaniden eingegangen war, um die Interessen der reichen Handelsherren nach ungehindertem Warenverkehr zu befördern.
1084 eroberte Malik Schah I., der seldschukische Sultan von Baghdad mit Hife des Emirs Süleyman ibn Kutalmiş, dem Begründer des Sultanats von Rum, mit 300 Männern Antiochia in einem Überraschungsangriff. Die Bewohner flüchteten sich in die Zitadelle. Da Philaterus sich zu dieser Zeit mit seinem Heer in Edessa aufhielt, konnte er ihnen nicht zur Hilfe kommen, und die Bürger ("weich und unerfahren im Kampf wie Weiber", wie Matthias von Edessa bemerkt) ergaben sich schließlich nach längerer Belagerung den Seldschuken. Anna Komnena behauptet, Philaterus sei zum Islam übergetreten und sein Sohn sei, nachdem Versuche, ihn von diesem Schritt abzubringen erfolglos geblieben waren, zu Süleyman nach Nikäa gereist und habe ihm die Stadt übergeben. Der ganze Abschnitt macht jedoch wenig Sinn. Süleyman endete bereits im folgenden Jahr durch Selbstmord nach einer verlorenen Schlacht gegen Tutusch, den Bruder Malik Schahs. Antiochia fiel an Tutusch I., den seldschukischen Sultan von Aleppo.
1084 eroberte ein Dux namens (armenisch) Polchatachi/Poltachi den Bezirk Jahan. Der Erzbischof Theodorus von Honi kam damit unter seldschukische Herrschaft, und Philaretus sah sich gezwungen, einen neuen, von den Türken unabhängigen Bischof einzusetzen. Eine Synode in Maraş wählte Paulus, den Abt des Klosters vom Heiligen Kreuz in Varag zum Katholikos. Damit gab es im ursprünglichen Erzbistum von St. Gregorius nun vier Erzbischöfe:
- Erzbischof Vahram, der sich mit seinem Gefolge als Einsiedler in die ägyptische Wüste zurückgezogen hatte
- Erzbischof Theodorus in Honi, nun im Herrschaftsgebiet der Seldschuken
- Erzbischof Barsegh in Ani, der alten Hauptstadt des armenischen Königreiches
- Erzbischof Paulus in Maraş
von denen jeder unabhängig Priester weihte und Bischöfe einsetzte. Paulus wurde 1090 durch den armenischen Patriarchen Barsegh mit Hilfe Malik Schahs abgesetzt und starb 1093 in Edessa.
1086 trat Philaretus, auf allen Seiten durch das Vordringen der Seldschuken bedroht, in Verhandlungen mit Malik Schah I. ein. Er ließ den Eunuchen und Parakoimomenos (eigentlich "Leibwächter", hoher Offizierstitel), von Edessa als seinen Stellvertreter zurück (nach anderen Quellen seinen Sohn). Der Offizier Parsama ermordete ihn jedoch beim Gebet in der Kapelle des heiligen Theodor und warf sich selber zum Herrscher von Edessa auf, was natürlich Philarets Verhandlungsposition bei Malik Schah extrem schwächte. Ausserdem stand der Sultan zu dieser Zeit selbst in Verhandlungen mit den Romäern, die allerdings durch den Verrat seines iberischen Abgesandten scheiterten. Matthias behauptet, Philaretus habe sich darauf in seiner Verzweiflung zum Islam bekehrt - wenn dem gewesen sein sollte, hinderte es Malik Schah jedenfalls nicht daran, sich nach und nach große Teile des Herrschaftsgebiet von Philaretus anzueignen. Noch im selben Jahr zog er feierlich in Antiochia ein und nahm, wie die assyrischen Könige vor ihm, zu Pferd und in voller Rüstung an der Mündung des Orontes ein Bad im Mittelmeer.
Edessa wurde im Auftrag Malik Shahs von dem Emir Buzan belagert und litt bald unter einer Hungersnot. Barsama hatte scheinbar nicht ausreichend für Vorräte gesorgt und hatte auch keine Verbündeten, die ihm zur Hilfe hätten kommen können. Als die Lage aussichtslos wurde, wandten sich auch die Bürger der Stadt gegen ihn. Er stürzte sich schließlich von den Wällen, und Edessa ergab sich 1087 Buzan.
Philaterus war damit durch Verrat seiner christlichen Untertanen und den Vormarsch der Seldschuken wieder auf sein Kerngebiet um Maraş zurückgeworfen. Es ist unklar, wann er verstarb, nach 1086 wird sein Name nicht mehr erwähnt. Auch das weitere Schicksal seines Sohnes ist unbekannt.
Nachfolger
Immerhin konnten seine Offiziere Gabriel (Khoril) in Melitene (Malatya) und Toros (Theodor) in Edessa, die beide ebenfalls dem orthodoxen Glauben anhingen, die Nachfolge übernehmen. Kaiser Alexios I. Komnenos, der nach der Katastrophe von Manzikert begonnen hatte, allmählich den Militär- und Verwaltungsapparat wieder auzufbauen, bestätigte sie sofort im Amt und ernannte Toros sogar zum Kuropalates.
Literatur
- T. S. R. Boase, The History of the Kingdom. In: T. S. R. Boase (Hrsg.), The Cilician Kingdom of Antiochia (Edinburg/London 1978), 1-33.
- J. Laurent, Byzance et Antioche sous le couropalate Philarète. Revue des études arméniennes 9, 1929, 61-72.
- St. Runciman, Die Geschichte der Kreuzzüge (München 1978).
- J. B. Segal, Edessa, the blessed city (Oxford 1970), 192-257.
- J. Shepard, "The Uses of the Franks in Eleventh-Century Byzantium," Anglo-Norman Studies 15, 1993, 275-305.
- Ara Edmond Dostourian, Armenia and the crusades, tenth to twelfth centuries (Lanham, University Press of America 1993).
- E.R.A. Sewter, Anna Comnena, The Alexiad (Hammondsworth 1969).