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Sprechakttheorie

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Die Sprechakttheorie, auch Sprechhandlungstheorie, basiert auf der Annahme, dass man mit einer Aussage nicht nur Sachverhalte beschreiben oder Tatsachen behaupten kann, sondern dass sprachliche Äußerungen dazu dienen, echte kommunikative Handlungen zu vollziehen, um damit insbesondere einen Einfluss auf seine Umwelt auszuüben. Die Bewertung einer Äußerung ist also nicht mehr nur beschränkt auf die Wahrheitswerte wahr und falsch. Die Äußerung wird als gesamter Akt, als Handlung, bewertet, und zwar: war sie erfolgreich oder nicht.

Als Geburtsjahr der Sprechakttheorie kann das Jahr 1955 betrachtet werden, in dem John Langshaw Austin an der Harvard-Universität eine Vorlesungsreihe mit dem Titel How To Do Things With Words hielt, die allerdings erst postum im Jahre 1962 veröffentlicht wurden. Eine deutsche Übersetzung erschien 1972 unter dem Titel Zur Theorie der Sprechakte. Wesentlich verantwortlich für die Verbreitung sprechakttheoretischer Ideen ist das von John Searle, einem Schüler Austins, 1969 veröffentlichte Buch Speech Acts, in dem Austins Gedanken in bestimmten Aspekten stärker systematisiert, aber auch modifiziert werden. Ein weiterer bedeutender Vertreter der Sprechakttheorie ist Dieter Wunderlich.

Teilakte eines Sprechaktes

Während Austin die Unterteilung eines Sprechaktes in drei Akte vornimmt, unterscheidet Searle vier.

Nach Austin existieren

  • Lokution (grammatisch-syntaktisch korrekte Satzstruktur, gebildet durch Lautbildungen, und eine Aussage)
  • Illokution (Intention des Sprechers, gestützt durch Mimik, Gestik, Intonation)
  • Perlokution (beabsichtigte Wirkung beim Empfänger, und ob dieser dies versteht und ob diese erreicht wird)

Die Lokution untergliedert er dabei weiter in

  • phonetischer Akt - Erzeugung von Tönen (Vokale) und Geräuschen (Konsonanten)
  • phatischer Akt - die erzeugten Töne und Geräusche sind durch Regeln erzeugt, die zur einer Grammatik gehören und
  • rhetischer Akt - reference und sense ergeben meaning, es wird also eine Aussage mit Bezug auf die reale Welt gemacht


Searle nimmt den rhetischen Akt, den er Proposition nennt, aus der Lokution heraus und stellt ihn als einen eigenständigen Akt zwischen Lokution und Illokution. Eine Sprechhandlung (also ein Sprechakt) besteht nach seiner Meinung aus bis zu vier Teilhandlungen, wobei eine Perlokution nicht immer vorliegen muss. Die vier Teileakte (nach Searle) sind:

  • Lokution (grammatisch-syntaktisch korrekte Satzstruktur, gebildet durch Lautbildungen)
  • Proposition (Aussage über die Welt bestehend aus Referent (Subjekt) und Prädikation (Objekt))
  • Illokution (Intention des Sprechers, gestützt durch Mimik, Gestik, Intonation)
  • Perlokution (beabsichtigte Wirkung beim Empfänger, und ob dieser dies versteht und ob diese erreicht wird)

Eine Äußerung war nur dann erfolgreich und hat ihr Ziel erreicht, wenn die Teilhandlungen an sich erfolgreich waren. Die Bewertungen der Teilakte sind wie folgt:


Für den Misserfolg eines Sprechakts baut Austin dabei ein Schema auf, in dem er sechs sogenannte Unglücksfälle nennt. Dabei unterscheidet er zuerst in Versager/Misfires (mit den lateinischen Buchstaben A und B) und Missbräuche/Abuses (mit dem griechischen Buchstaben Γ).

Die beiden großen Untergruppen der Versager sind A. Fehlberufungen/Misinvocations (Handlung kommt nicht in Frage) und B. Fehlausführungen/Misexecutions (Handlung wird verdorben). Für den Fall A.1 findet Austin dabei keinen Begriff. Er fasst damit alle Fälle zusammen, in denen ein entsprechendes Verfahren gar nicht existiert. A.2 nennt er Fehlanwendungen/Misapplication und meint, dass das verwendete Verfahren zwar existiert, aber so nicht angewendet werden kann. Bei den Fehlausführen unterscheidet er B.1 Trübungen/Flaws, bei der ein Verfahren existiert und auch so anwendbar ist, aber durch einen Fehler verpfuscht wurde, und B.2 Lücken/Hitches, bei dem die Ausführung des Verfahrens nicht vollständig erfolgte.

Bei den Missbräuchen differenziert er Γ.1 Unredlichkeit/Insincerities, bei der das Verfahren unaufrichtig durchgeführt wurde und einen zweiten, namenlosen Fall Γ.2, der das Verhalten nach der Anwendung des Verfahrens betrifft.

Wie der Beschreibung zu den einzelnen Unglücksfällen zu entnehmen ist, kann man dabei nicht jedem missglückten Sprechakt einen Unglückfall zuordnen, die Übergänge sind vielmehr fließend und oft treffen zwei oder mehr Unglücksfälle zu.

Klassifikation von Sprechakten (Searles Taxonomie der Illokutionen)

Zur Klassifikation der Illokutionen verwendet Searle drei Kriterien:

1. Illokutionärer Witz Mit illokutionärem Witz bezeichnet er dabei den Zweck eines Sprechaktes.

2. Ausrichtung Damit meint er, wie sich reale Welt und Worte zueinander verhalten. Richten sich die Worte nach der realen Welt (wie bei einer Beschreibung) oder soll sich die Welt nach den Worten richten (wie z.B. bei einem Befehl oder einem Versprechen)

3. zum Ausdruck gebrachter psychischer Zustand Auf welchem inneren Zustand basiert die Äußerung? Bei einer Beschreibung basiert sie z.B. darauf, dass der Sprecher glaubt, was er sagt.


Nach diesen drei Kriterien unterteilt Searle dabei die Illokutionen in fünf Klassen

Repräsentativa/Assertiva Direktiva Kommissiva Expressiva Deklarativa
Zweck sagen, wie es sich verhält jemanden zu einer Handlung/Unterlassung bewegen sich selbst auf eine Handlung/Unterlassung festlegen Ausdruck der eigenen Gefühlslage mit dem Sagen die Welt entsprechend dem Gesagten verändern
Ausrichtung Wort auf Welt Welt auf Wort Welt auf Wort keine beide
psych. Zustand Glaube Wunsch Absicht Zustand ?
Beispiele behaupten, mitteilen, berichten bitten, befehlen, raten versprechen, vereinbaren, anbieten, drohen danken, grüßen, beglückwünschen, klagen ernennen, entlassen, taufen

Indirekte Sprechakte

Offensichtliche Sprechakte sind z.B. „Ich verspreche hiermit, X zu tun.“ oder „Hiermit taufe ich dieses Schiff auf den Namen Y.“ Man spricht von explizit performativen, direkten Sprechakten. Explizit performativ deshalb, da ein sogenanntes performatives Verb verwendet wird, im ersten Beispiel also ‚versprechen‘, im zweiten ‚taufen‘. Man spricht von direkten Sprechakten, weil die Proposition (‚X zu tun‘ ) genau dem illokutionären Witz, dem Ziel der Äußerung entspricht.

Dagegen gibt es auch implizite (primäre), direkte Sprechakte. Diese sind wesentlich häufiger. Zum explizit peformativen, direkten Sprechakt "Ich verspreche, X zu tun" lautet der implizit performative "Ich werde X tun", das performative Verb wird also einfach weggelassen.

Zudem gibt es auch noch indirekte Sprechakte. Hier ist das illokutionäre Ziel nicht aus der Proposition erkennbar. Indirekte Sprechakte beziehen sich auf Bedingungen, die für einen Sprechakt(typ) vorliegen. Man kann z.B. sagen „Gibst du mir bitte das Salz.“, aber genauso gut kann man sich dabei auch auf die Einleitungsbedingung für diesen Sprechakt beziehen. Der Hörer muss in der Lage sein, dass Salz zu reichen, dementsprechend kann man fragen „Kannst Du mir mal das Salz reichen?“. Dies ist eine Frage nach dem Vermögen des Hörers, das Salz reichen zu können.

Bei indirekten Sprechakten unterscheidet man primäre und sekundäre Illokution. Die sekundäre Illokution ist die wörtliche, also in unserem Beispiel die Frage nach dem Vermögen des Hörer, das Salz reichen zu können. Die primäre Illokution, der eigentliche Grund der Frage und Ziel der Äußerung, ist hier aber „Gibst du mir bitte das Salz.“ Man vollzieht dabei den primären Sprechakt, indem man den sekundären vollzieht. Dementsprechend kann man auf einen indirekten Sprechakt auch reagieren. Man kann entweder die Frage „Kannst du mir mal das Salz reichen?“ mit einem schlichten „Ja.“ beantworten. Man reagiert also auf die sekundäre Illokution (was meist leichte Irritation oder Genervt-Sein beim Sprecher verursacht). Genauso kann man aber auch auf die primäre Illokution reagieren und dem Sprecher das Salz geben.

Beispiel

Ein Dialog in einer Straßenbahn. Zwei Personen sitzen auf nebeneinander liegenden Plätzen, Person A am Fensterplatz, Person B am Gang.

1. Dialog:

Person A: "Entschuldigen Sie, steigen Sie aus?"
Person B: "Nein!, einen Moment." B steht auf, lässt A durch.

Person B erkennt (fast unabhängig davon, was oder wie Person A fragt), dass A aussteigen will und handelt adäquat. Die Frage kann auch nur als Geste gestellt sein. In jedem Fall erkennen die betroffenen Personen die Bedeutung des Sprechaktes.

2. Dialog

Person A: "Entschuldigen Sie, steigen Sie aus?"
Person B: "Ja, wir haben aber noch etwas Zeit!" Beide bleiben noch einen Augenblick sitzen und stehen in der Nähe der Haltestelle auf.

Weil es weniger Zeit beansprucht, wenn beide zusammen aussteigen, können beide noch etwas sitzen bleiben, sofern A nichts dagegen hat.

3. Dialog:

Person A: "Entschuldigen Sie, steigen Sie aus?"
Person B: "Nein!" (bleibt sitzen) Diese Form zeigt das Verständnis als Antwort auf eine ja/nein-Frage.

Person B handelt (unter den angegebenen Bedingungen) ausgesprochen inadäquat und unhöflich, obwohl es eine wahre Antwort ist.

Die Antworten in den Situationen 1 und 2 sind angepasst und richtig, die in Dialog 3 ist es nicht. Sprechakte sind also mehr als nur Wissenserwerb, sie enthalten Aufforderungen oder Vereinbarungen zum Handeln.

Literatur

Einführungen und Klassiker der Sprechakttheorie

  • John Langshaw Austin: How to Do Things with Words. Cambridge (Mass.) 1962 u.ö.; deutsch Zur Theorie der Sprechakte. Stuttgart 1972 u.ö. ISBN 3-15-009396-1
  • John Rogers Searle: Speech Acts. Cambridge 1969; deutsch Sprechakte. Frankfurt 1983 u.ö. ISBN 3-518-28058-9
  • John Rogers Searle: Expression and Meaning. Cambridge 1979; deutsch Ausdruck und Bedeutung. Frankfurt 1982 u.ö. ISBN 3-518-27949-1 (Verschiedene Untersuchungen zu speziellen Problemen der Sprechakttheorie, u.a. zur Klassifikation von Sprechakten und zu fiktionaler Rede)
  • S. C. Levinson: Pragmatics. Cambridge 1983; deutsche Übersetzung: Pragmatik. Tübingen 1990 u.ö. ISBN 3-484-22039-2 (Das Kapitel "Sprechakte", S. 247–307 bzw. "Speech Acts", S. 226-283, enthält neben einer gründlichen Darstellung auch deutliche Kritik an der Sprechakttheorie vor dem Hintergrund einer Semantik der Wahrheitsbedingungen)
  • Götz Hindelang: Einführung in die Sprechakttheorie. Tübingen 2000. ISBN 3-484-25127-1

Weiterführende Literatur

  • William Alston: Illocutionary Acts and Sentence Meaning. Ithaca / London 2000. (Versuch, eine Brücke zwischen Sprechakttheorie und Semantik zu schlagen; die Bedeutung eines Satz ist als dessen Potential für den Vollzug illokutionärer Akte zu verstehen)
  • Theo Diegritz/ Carl Fürst: Empirische Sprechhandlungsforschung. Ansätze zur Analyse und Typisierung authentischer Äußerungen. Erlangen: Universitätsbund Erlangen-Nürnberg 1999.
  • H. Parret / J. Verschueren (Hrsg.): (On) Searle on Conversation. Amsterdam 1992.
  • Thorsten Sander: Redesequenzen. Untersuchungen zur Grammatik von Diskursen und Texten. Paderborn 2002. ISBN 3-89785-062-1 (Versuch, die Sprechakttheorie zu einer Theorie des Dialogs weiterzuentwickeln)
  • Hans Julius Schneider: Phantasie und Kalkül. Frankfurt 1992 u.ö. ISBN 3-518-58114-7
  • John Rogers Searle / Daniel Vanderveken: Foundations of Illocutionary Logic. Cambridge 1985.
  • Maria Ulkan: Zur Klassifikation von Sprechakten. Eine grundlagentheoretische Fallstudie. Tübingen 1993.
  • Dieter Wunderlich: Studien zur Sprechakttheorie. Suhrkamp, Frankfurt 1976. ISBN 3-518-07772-4

Siehe auch: