Dadaismus
Der Dadaismus war eine künstlerische und literarische Bewegung, die 1916 in Zürich von Hugo Ball, Richard Huelsenbeck und Hans Arp gegründet wurde und sich durch Ablehnung "konventioneller" Kunstformen - die oft parodiert wurden - und althergebrachter, bürgerlicher Ideale auszeichnete.

Kurz darauf entstand eine Gruppe Berliner Dadaisten (u.a. George Grosz, Raoul Hausmann und John Heartfield), welche stark politisch orientiert waren, sowie die hannoverschen Dadaisten um Kurt Schwitters, die bewusst keine klaren Aussagen in ihrer Kunst darstellten. Auch in anderen europäischen Staaten und in den USA gab es dadaistische Ansätze; diese waren aber weniger bedeutend. Nur wenige Dadaisten haben für sich in Anspruch genommen, Politik bzw. Philosophie mit verschiedenen Kunstformen zu verbinden.
Begriff und Anfänge
Damals, so sagte George Grosz in seiner Autobiografie, versammelte der Schriftsteller Hugo Ball einige Künstler verschiedenster Sparten um sich, stach mit einem Federmesser in ein deutsch-französisches Wörterbuch und blieb auf dem Wort "dada" (frz. Steckenpferd) hängen. Hiernach soll er dann den Dadaismus benannt haben. Ähnlich ist die Version, dass Hugo Ball und Huelsenbeck in einem deutsch-französischen Wörterbuch nach einem Namen für die damalige Sängerin des Cabarets Voltaire "Madame le Roi" suchten und auf das Wort "dada" stießen.
Marcel Janco allerdings, selbst Dadaist, bestritt diese These und erklärte in einem Interview, die Geschichte mit dem Messer sei erst im Nachhinein erfunden worden und ein schönes Märchen, weil sie sich besser anhöre als die weniger poetische Wahrheit. Wahrscheinlicher sei wohl gewesen, dass ein damals in Zürich erhältliches und hinlänglich bekanntes Haarwaschmittel namens "DADA" die Anregung für die Namensgebung der Künstlergruppe gab. Jedoch ist es genauso wahrscheinlich, dass das Wort "DADA" der Kleinkindersprache in Frankreich entnommen worden ist.
Der Dadaismus stellte die gesamte bisherige Kunst in Frage, indem er ihre Abstraktion oder ihre Schönheit durch z.B. satirische Überspitzung zu sinnlosen Unsinnsansammlungen machte, z.B. in Unsinnsgedichten. Tatsächlich ist es oft schwierig und auch müßig, die damaligen "echten" Kunstwerke von den gewollt mehr oder weniger sinnlosen "Antikunstwerken" des Dadaismus zu unterscheiden. Grenzen zwischen traditioneller Kunst und Trivialkultur wurden überschritten.
Von den Richtungen des Expressionismus und des Futurismus grenzten die Dadaisten sich ab, übernahmen aber Elemente wie die Überwindung der Gegenständlichkeit. Schon 1914 stellte Marcel Duchamp den gängigen Kunstbegriff in Frage, indem er Alltagsgegenstände signierte und ausstellte.
Im Laufe des 1. Weltkrieges breitete sich der Dadaismus weiter in ganz Europa aus. Überall protestierten Künstler durch gezielte Provokationen und vermeintliche Unlogik gegen den Krieg und das obrigkeitsstaatliche Bürger- und Künstlertum. Gegen den Nationalismus und die Kriegsbegeisterung vertraten sie Positionen des Pazifismus und stellten sarkastisch die bisherigen absurd gewordenen Werte in Frage.
Anfänglicher Schaffensort der Dadaisten war das Cabaret Voltaire. Es befand sich in der Spiegelgasse 1, in Zürich unweit von Lenins Exilwohnung, wo es am 5. Februar 1916, mitten im 1. Weltkrieg, gegründet worden war. Über ein Jahr bildete es den Mittelpunkt der Zürcher Dadaisten. Dort wurde diskutiert, getanzt, gesungen, gesprochen, gepfiffen und getrommelt, also das Repertoire der Dadabewegung ausprobiert. Nach der Schließung traf man sich in der Galerie Dada in der Bahnhofstraße.
Ausdrucksweisen
Dada zerstörte die getrennten Ausdrucksweisen der Künste und führte verschiedene künstlerische Disziplinen zusammen, die z.T. anarchisch miteinander verbunden wurden: Tanz, Literatur, Musik, Kabarett, Rezitation und verschiedene Gebiete der Bildenden Kunst wie beispielsweise Bild, Bühnenbild, Graphik, Collage, Montage.
Eines der wichtigsten Schaffensgebiete der Dadaisten waren die Lautgedichte. Das erste Lautgedicht wurde am 25. Juli 1917 in der Galerie Dada von Hugo Ball aufgeführt. Er selber begründete die Lautgedichte mit dem Satz: "Mit diesen Tongedichten wollten wir verzichten auf eine Sprache, die verwüstet und unmöglich geworden ist durch den Journalismus. Wir müssen uns in die tiefste Alchemie des Wortes zurückziehen und selbst die Alchemie des Wortes verlassen, um so der Dichtung ihre heiligste Domäne zu bewahren."
Die Dadaisten entdeckten den Zufall als schöpferisches Prinzip. Hans Arp hatte lange in seinem Atelier am Zeltweg an einer Zeichnung gearbeitet. Unbefriedigt zerriss er das Blatt und ließ die Fetzen auf den Boden flattern. Als sein Blick nach einiger Zeit zufällig wieder auf die Fetzen fiel, überraschte ihn die Anordnung. Sie besaß den Ausdruck, den er die ganze Zeit vorher gesucht hatte. Arp wandte das Prinzip auch auf seine Lyrik an: "Wörter, Schlagworte, Sätze, die ich aus Tageszeitungen und besonders aus Inseraten wählte, bildeten 1917 die Fundamente meiner Gedichte. Öfter bestimmte ich auch mit geschlossenen Augen Wörter und Sätze ... Ich nannte diese Gedichte Arpaden."
Es entstanden Zeitschriften, Handzettel, Plakate u.a.. Veranstaltungen wie die internationale Dada-Kunstmesse 1920 in Berlin zeigten die Pluralität der Bewegung.
Der Dadaismus schien schließlich in den 20ern eines natürlichen Todes durch Desinteresse zu sterben und hinterließ in der Konkreten Lyrik oder dem Lettrismus einflussreiche Nachkommen. Zudem gehen auf den Dadaismus die moderne Performance (vgl. auch Fluxus) und die Idee des Readymade zurück.
Bedeutung
Ob und inwieweit der Dadaismus Einfluss auf die bildenden Künste genommen hat, ist fraglich, denn diese lassen den Unverständigen ohnehin kaum noch erkennen, ob ein Sinn hinter dem Kunstwerk steht. Allerdings wird oft der Surrealismus als Nachfolger des Dadaismus genannt. Auch der Einfluss auf die Musik (Schlager "Da da da" von Trio) ist umstritten - wie alles bei Dada.
Dada kann auch als künstlerische Reaktion auf die Erschütterungen der Zeit des 1. Weltkriegs verstanden werden. Der Zerstörung aller gültigen Werte und bürgerlichen Normen durch den ersten Weltkrieg sowie der daraus resultierenden kulturellen Leere wurde eine freie, respektlose Kunst entgegengestellt, die den Bürger beispielsweise mit Publikumsbeschimpfung provozieren sollte.
Dessen ungeachtet konnte sich der Dadaismus eine Nische schaffen und bis heute überleben. Er wird besonders von einigen Kabarettisten als sarkastische Kritik am Kunstbetrieb gepflegt. Bedeutendster Vertreter in der Nachkriegszeit war Ernst Jandl (vom Vom zum Zum, Ottos Mops).
Auch einige Kulturschaffende der Neuzeit bedienen sich des dadaistischen Gedankenguts, so zum Beispiel
- die Band Dada ante portas (Dada vor den Türen - www.dada-ante-portas.com), welche wie die Wurzel der Dada-Kultur aus der Schweiz stammt
- die kulturelle Bewegung Eigenwillig Creative Alternative in der Schweiz der Achziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts
- Jonas Odell, der für die britische Band "Franz Ferdinand" ein Musikvideo im Dada-Stil gedreht hat ("Take me out")
Siehe auch
Zitate
- "Wir sagen 'Dada is Muss', aber wir schreiben 'Dada is Mus'... hier findet Kultur statt!" (Friedhelm Kändler)
- "Bevor Dada da war, war Dada da" (Hans Arp - Gottesbezug oder Hinweis auf Christian Morgenstern?)
- "DADA bedeutet nichts -- wir wollen die Welt mit nichts ändern..." (Richard Huelsenbeck)
- "Was wir Dada nennen, ist ein Narrenspiel aus dem Nichts, in das alle höheren Fragen verwickelt sind." (Hugo Ball)
- "Wer sich nicht der geistigen Wirklichkeit verschließt, wird reich von ihr beschenkt. In der Tiefe lösen sich die Geschwüre der wuchernden Vernunft spurlos auf. Affen und Papageien sind die größten Feinde der Kunst und des Traumes. Die Menschen suchen mit ihrer Vernunft nach dem Schlüssel, der das Tor des Lebensgeheimnisses öffnet. Nie werden sie so in die pfauenfarbigen, unendlichen Räume eindringen, in denen die goldenen Flammen sich reigend umarmen." (Marcel Janco, erinnert von Hans Arp)
Bedeutende Dadaisten
- Hans Arp (1886-1966), Deutschland und Schweiz
- Johannes Theodor Baargeld (1892-1927), Deuschland
- Johannes Baader (1875-1955),Deutschland
- Hugo Ball (1886-1927), Schweiz
- Marcel Duchamp (1887-1968), Frankreich
- Max Ernst (1891-1976), Deutschland und USA
- Elsa von Freytag-Loringhoven (1874-1927), Deutschland und USA
- George Grosz (1893-1959), Deutschland und USA
- Raoul Hausmann (1886-1971), Deutschland (Berlin)
- John Heartfield (1891-1968), Deutschland
- Hannah Höch (1889-1978), Deutschland
- Richard Huelsenbeck (1892-1974), Schweiz und Deutschland
- Marcel Janco (1895-1984), Schweiz
- Hans Richter (1880-1976), Deutschland und USA
- Kurt Schwitters (1887-1948), Deutschland (Hannover) und England ("Merzkunst")
- Walter Serner (1889-1942), Italien, Frankreich, Schweiz
- Tristan Tzara (1896-1963), Schweiz, Frankreich
Literatur
- Hermann Korte: Die Dadaisten. 3. Auflage. Rowohlt-Verlag, Reinbek 2000. ISBN 3-499-50536-3
- Karl Riha (Hrsg.): Dada total: Manifeste, Aktionen, Texte, Bilder. Reclam-Verlag, Stuttgart 1994. ISBN 3-15-059302-6.
- DADA Zürich.Dichtungen,Bilder,Texte. Arche-Verlag, Zürich 1957, Zürich-Hamburg 1998. ISBN 3-7160-2249-7
- Reinhart Meyer u.a.: Dada in Zürich und Berlin 1916-1920. Literatur zwischen Revolution und Reaktion. Scriptor-Verlag, Kronberg Ts 1973. ISBN 3-589-00031-7
- Gregor Schröer: „L’art est mort. Vive DADA!“ Avantgarde, Anti-Kunst und die Tradition der Bilderstürme. Aisthesis-Verlag, Bielefeld 2005. ISBN 3-89528-484-X
- Dada. 113 Gedichte. Hrsg. von Karl Riha. Berlin: Wagenbach 2003 (=WAT 477). ISBN 3-8031-2477-8.