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Reclam-Verlag

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Stand auf der Leipziger Buchmesse

Der Reclam-Verlag ist ein mittelständischer deutscher Verlag. Der Herausgeber der Reclam-Hefte, wurde 1828 von Anton Philipp Reclam in Leipzig gegründet. Der westdeutsche Zweig des Verlages hat nach 1945 seinen Sitz in Ditzingen bei Stuttgart, während das Stammhaus unter dem Namen Reclam Leipzig bis zum 31. März 2006 fortgeführt wurde. Zur Zeit beschäftigt der Verlag 65 Mitarbeiter. Der Verlag befindet sich seit seiner Gründung in Familienbesitz. Genaue Auflagen- und Umsatzzahlen sind nicht bekannt.

Geschichte

Beratungsstand mit Universal-Bibliothek

Gründung

Am 1. Oktober 1828 gründete Anton Philipp Reclam den Verlag des literarischen Museums in seiner Heimatstadt Leipzig. Zuvor hatte der damals 21-jährige eine Leihbibliothek, im April desselben Jahres das Litherarische Museum, in der Leipziger Innenstadt für 3000 Taler gekauft hatte, die er von seinem Vater geliehen hatte. Thomas Mann beschrieb den Ort 100 Jahre später: 'Das so genannte Museum war eigentlich kein Museum, sondern ein gefährlich lebensvoller Ort: eine Stätte der Lektüre, der Diskussion, der Kritik! Wo alles verkehrte, was im guten Leipzig der falschen und frömmlerischen Ordnung aufsässig war. [1] 1837 verkaufte Reclam das literarische Museum und nannte den Verlag in Philipp Reclam jun. um. Er erwarb zwei Jahre später eine Druckerei. Sein Sohn beschrieb ihn später als schroffen und unnahbaren Vorgesetzten, der hart arbeitete, aber von seinen Mitarbeitern denselben Einsatz verlangte.

Der Verlag war anfangs mit der politischen Bewegung des Vormärz verbunden. Unter anderem veröffentlichte er die Zeitschriften Charivari und Leipziger Locomotive, der bereits kurz nach ihrem Erscheinen die Konzession wegen demoratischer Aufrührigkeit entzogen wurde. 1846 verbot verbot ein Hofdekret gar den Verkauf sämtlicher Reclam-Bücher in Österreich-Ungarn, da diese als zu antuhabsburgerisch angesehen werden. Ein Leipziger Gericht verurteilte Philipp Reclam 1848 zu einer Gefängnisstrafe, da im Verlag die Übersetzung von Thomas Paines Das Zeitalter der Vernunft. Eine Untersuchung der wahren und unwahren Theologie erschien.

Nach der gescheiterten Märzrevolution 1848 wandelte sich das Unternehmensbild nach der Revolution von 1848. Er konzentrierte sich weniger auf politisch und literarisch aufsässiges, sondern mehr darauf ein erfolgreiches Unternehmen zu werden.

Universalbibliothek

1858 erschien eine Shakespeare-Ausgabe, die als Vorläufer der Universal-Bibliothek gilt. Mit der Entscheidung der Bundesversammlung des deutschen Bundes vom 9. November 1867 wurde das Urheberrecht deutscher Autoren auf 30 Jahre nach deren Tod befristet. Dadurch wurde deren Werk Allgemeingut und somit verwertbar, Autoren wie Goethe oder Schiller waren plötzlich für die Verleger kostenfrei zu drucken. Siehe auch: Liste der in der Universalbibliothek erschienenen Werke

Dante Alighieri: Das Neue Leben (1879)

Der Verlag beschrieb die Universal-Bibliothek in zeigenössischen Anzeigen als: 'Eine Sammlung von Einzelausgaben allgemein beliebter Werke, die in regelmäßiger Folge erscheinen sollen , wobei aber nicht daran gedacht ist, Werke, denen das Prädikat "klassisch" nicht zukommt, die aber nichtsdestoweniger sich einer allgemeinen Beliebtheit erfreuen, aus der Sammlung auszuschließen. [2] Der Verlag trug so maßgeblich dazu bei, klassische Bildung auch in Bevölkerungsschichten zu tragen, für die diese vorher unerschwinglich war und trug so maßgeblich zur Ausbreitung des Kulturguts bei.

Dabei halfen moderne Technik und erfolgreiches Marketing, dass Reclam seine Bücher im Taschenbuchformat sehr günstig verkaufen konnte. die Werke erschienen zu einem Preis von 20 Pfennig, den der Verlag bis in die 1920er Jahre hinein halten konnte. In der Universal-Bibliothek erschienen pro Jahr rund 140 Bände, neben deutschen Autoren auch europäische Literatur, antike und philosophische Werke, Gesetzestexte, musikalische Werke (Libretti) und Unterhaltungsliteratur.

1896 starb Anton Philipp Reclam in seinem Geburtsort Leipzig, die Universalbibliothek umfasste zu dieser Zeit fast 3.500 verschiedene Titel. Die Verlagsleitung ging an seinen Sohn Hans Heinrich Reclam über.

Der Verlag zog 1905 in das neue Verlagsgebäude im Buchhändlerviertel Leipzigs. Die hauseigene Dampfmaschine erzeugte dabei unter Anderem die Energie für die über 40 Schnellpressen der Druckerei. 1908 erschien der 5.000. Band der Universal-Bibliothek.

1912 setzte der Verlag erstmals Verkaufsautomaten ein. Die Automaten stellen sich als Verkaufserfolg heraus und bald sind über 2.000 von ihnen in Bahnhöfen, auf Schiffen, in Krankenhäusern und in Kasernen zu finden. Ein damaliger Verlagsprospekt preist die Automaten an: [3]

Die nebenstehende Abbildung [s. S. 30] veranschaulicht, daß der Bücherautomat eine von dem berühmten Kunstgewerbler Prof. Peter Behrens entworfene höchst vornehme und ansprechende äußere Form besitzt und wie ein Schaufenster wirkt, indem er zwölf verschiedene Bände zur Auswahl anbietet. Jedes einzelne Buch ist mit einem Streifband umgeben, auf dem in einer deutlichen Schrift mit kurzen prägnanten Sätzen der Inhalt erläutert, die Neugierde durch ein treffendes Urteil erregt oder eine Charakteristik des Autors gegeben wird – besser, als irgendein Verkäufer dazu in der Lage wäre, da er ja niemals über den einzelnen Band so genau unterrichtet sein kann. Die Auswahl wechselt fortgesetzt, denn bei jedesmaligem Kauf fällt der vorderste Band von einem der zwölf sichtbaren Stapel, und ein neues Buch lockt zur Auswahl und zum Kaufe. Da jeder Stapel 6–7 Bände enthält, bietet also ein einziger Apparat eine Auswahl von ca. 80 verschiedenen Büchern!

Nachdem diese die Verkaufszahlen angekurbelt hatten, beschließt der Verlag in den frühen 1930ern das einmalige Experiment im deutschen Buchhandel einzustellen, da die Reparaturkosten zu hoch werden.

Ab 1920 übernehmen nach dem Tod von Hans Heinrich die Enkel von Philip Reclam, Hans-Emil Reclam und Ernst Reclam, die Verlagsleitung. Im selben Jahr forciert der Verlag auch die Herausgabe zeitgenössischer Autoren; darunter befinden sich Klabund, Thomas Mann, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Gerhart Hauptmann, Franz Werfel, Stefan Zweig, Arnold Zweig und Ricarda Huch.

1928 hielt Thomas Mann die Laudatio zum 100-jährigen Bestehen des Verlages.

Zeit des Nationalsozialismus

Während der Zeit des Nationalsozialismus durften viele Werke, vor allem jüdischer Autoren, nicht mehr veröffentlicht werden. Auch wichtige Hausautoren wie Thomas Mann werden aus dem Programm gestrichen. Andere prominente Autoren, die in der Zeit nicht mehr bei Reclam erscheinen sind Ferdinand Lasalle, Heinrich Heine, Stefan Zweig, Arthur Schnitzler und Franz Werfel. Der Verlag räumt sein Programm zufriedenstellen, so dass der völkische Literaturhistoriker Adolf Bartels im Völkische Beobachter 1938 verkünden kann:[4]

Im Allgemeinen kann man doch mit dem großen Aufräumen bei Reclam zufrieden sein. Es kommen jetzt tausende deutscher Leser, vor allem das Volk und die Jugend, nicht mehr so leicht an die durchweg gefährlichen jüdischen Dichter und Schriftsteller heran.

1934 wurde das Urheberrecht auf 50 Jahre nach dem Tod des Autors verlängert. Wie bereits im Ersten Weltkrieg gibt der Verlag auch zu Beginn des zweiten eine tragbare Feldbibliothek. Es handelt sich dabei um stoßfeste Kästen, die 100 verschiedene Reclam-Ausgaben enthielten, so dass der Wehrmachtssoldat auch an der Front nicht auf Goethe oder Kant verzichten musste. Aufgrund der großen Verbreitung der Bände dienen Reclam-Umschläge aber auch als Tarnung für Widertstandsliteratur ebenso wie das britische und amerikanische Militär ihre Schriften an deutsche Soldaten in Reclam-Einbänden verpacken.

Bei den Bombenangriffen am 4. Dezember 1943 wurde das gesamte graphische Viertel Leipzigs schwer getroffen. Im Reclam-Verlag fielen 450 Tonnen Bücher den Bomben zum Opfer.

Zwei Verlage

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, 1945, übersiedelte der Verlagseigentümer Ernst Reclam in die amerikanische Besatzungszone, da die Arbeit in der sowjetischen Besatzungszone nicht nur deutlich erschwert war, sondern der Verlag auch teilenteignet wurde, ebenso wie ein Großteil der technischen Anlagen als Reparationen abgebaut und in die Sowjetunion verschifft wurden. 1947 gründete er in Stuttgart die Reclam Verlag GmbH mit acht Buchtiteln, damals noch als Filiale des Leipziger Stammhauses. 1950 macht Ernst Reclam das Stuttgarter Unternehmen zum Stammsitz, während ihm die neue Führung der DDR verbietet Reclam Leipzig von Stuttgart aus zu leiten. Reclam Leipzig kommt unter staatliche Verwaltung, der Verlag spaltet sich auf.

Reclam Stuttgart

Reclam Stuttgart produzierte vorwiegend für Schulen. 1953 übernahm Heinrich Reclam, der Sohn von Ernst Reclam, die Verlagsleitung. 1959 erschien der 1.000. Band des neuen Verlages. Seit 1964 begann der Verlag auch verstärkt für Universitäten zu produzieren und neben den reinen Textausgaben auch Ausgaben mit umfangreichen Anmerkungen zu erstellen.

1967, zum 100-jährigen Geburtstag der Universal-Bibliothek, waren über 1100 Titel erhältlich. Ab 1970 erschienen die Taschenbücher in ihrem bis heute beibehaltenen Aussehen: mit gelbem Umschlag für deutsche und in Orange für zweisprachige Ausgaben; ab 1983 ergänzend in Rot für fremdsprachige Ausgaben mit Vokabelhilfen. Ferner kennzeichnen grüne Umschläge Bände, welche Erläuterungen, Interpretationen, Quellenangaben zu Originaltexten und ähnliche Materialien enthalten; sie dienen als Erweiterung zu den Texten auf die sie sich beziehen. Blaue Reclam-Hefte enthalten Lektürenschlüssel (für Schüler) und Arbeitstexte. Daneben bestehen Bände mit türkisem, hellbraunem und dunkelbraunem Umschlag.

1980 wurden die neuen Verlags- und Druckereigebäude in Ditzingen bezogen. Zu diesem Zeitpunkt erwirtschaftet der Verlag mit der Universalbibliothek 72% des Umsatzes, 18% mit Handbüchern und Führern, 10 % erbringen Aufsatzsammlungen aus den Bereichen Deutsch, Kunst, Philosophie und Musik im relativ neu eingeführten Taschenbuch-Programm.[5]. Ab 1985 ging die Geschäftsführung des Verlags an die Reclam Geschäftsführung GmbH über, die wiederum von Dietrich Bode und Stefan Reclam-Klinkhardt geleitet wurde.

Reclam Leipzig

Parallel ging der Verlagsbetrieb im Stammhaus Leipzig unter den Bedingungen der DDR weiter. Reclam Leipzig gab weiterhin schwerpunktmäßig die sehr erschwinglichen Bände der Universal-Bibliothek herau:. neben Werke der Weltliteratur und deutsche Klassiker und auch DDR-Autoren erschienen. Damit erfüllte Reclam Leipzig für die literarische Bildung eine ähnliche Funktion wie Rowohlt mit den rororo-Büchern im Westen. Der eingesetzte Verlagsleiter Hans Marquardt bemüht sich literarische und philosophische Werke mit umfangreichen Kommentaren versehen zu lassen, ebenso wie er versucht die Grenzen des in der DDR noch erlaubten auszuloten: Neben den oblagotischen Titeln erscheinen ihm Verlag auch Margaret Adwood, die in ihrer Heimat verfehmten russische Avantgardisten, Jessenin und Boris Pasternak, Ossip Mandelstam und Anna Achmatowa, ebenso wie Heinrich Böll und Günter Grass oder wie die sozialistischen Kritiker der DDR Ernst Bloch und Hans Mayer.

Nach der Wende

Nach der Wende gestalte sich die Zukunft von Reclam Leipzig zunächst ungewiss. Die Mitarbeiter des Verlags wollten Reclam Leipzig zunächst als eigenständigen Verlag kaufen und eventuell als Stiftung weiterführen. Neben den ungeklärten Namensrechten liegen allerdings auch sämtliche Lizenzen der Universalbibliothek bei westdeutschen Verlagen, so dass diese nicht fortgeführt werden konnte. Die Eigentumsrechte am Reclam-Verlag selbst gestalteten sich auch kompliziert, da Reclam Stuttgart noch Anteile besaß, über die damalige Enteignung zu DDR-Zeiten nur unvollständige Unterlagen vorliegen.

1992 entstand schließlich nach der Reprivatisierung des Leipziger Stammhauses die Tochtergesellschaft Reclam Bibliothek Leipzig. Während der sichere Geldbringer die Universalbibliothek allein in Ditzingen weitergeführt wurde, entschloss sich der Verlag auch aus historischen Gründen die Leipziger Dependance weiterzuführen. Reclam Leipzig acquirierte neue Autoren und machte sich mit Übersetzungen von niederländischen, schwedischen und griechischen Autoren einen Namen. Unter den Erstveröffentlichungen der Leipziger fanden sich Schlafes Bruder, das vorher von 20 anderen Verlagen abgelehnt worden war und dass die Leipziger Redaktion auch dem Stammhaus nur mühsam abringen kann. Schlafes Bruder blieb dabei mit einer Auflage von über einer Million Exemplaren das erfolgreichste Buch der Leipziger nach der Wende.[6] Im Leipziger Haus erschienen die ersten Veröffentlichungen von Sybille Berg oder die deutschen Erstausgaben von Viktor Pelewin.

Ab 1995 nutzte der Verlag auch neue Medien wie CD-ROM und ab 1998 auch das Internet. Seit 1999 produziert Reclam auch Hörbucher. Im selben Jahr gab es auch eine Ausstellung mit den bemalten, beschriebenen und „verunstalteten“ Umschlagseiten der von Schülern benutzten Hefte. Am 1. Oktober 2003 feierte der Verlag sein 175-jähriges Bestehen.

Anfang 2005 schloß Reclam die Herstellungsabteilung in Leipzig. Am 6. Dezember 2005 erklärt Ditzingen die Schließung des ehemaligen Stammhauses in Leipzig zum Frühjahr 2006 mit zuletzt noch vier Mitarbeitern. Der Imprint „Reclam Leipzig“ bleibt wahrscheinlich erhalten. Der Verlag wird allerdings ausschließlich in Ditzingen weitergeführt.

Literatur

  • Dietrich Bode: Reclam. Daten, Bilder und Dokumente zur Verlagsgeschichte 1828–2003. Reclam, Ditzingen 2003, ISBN 3-15-012003-9.
  • Frank R. Max: Der Reclam Verlag. Eine kurze Chronik. Reclam, Ditzingen 2003, ISBN 3-15-018280-8.

Anmerkungen

  1. Deutschlandradio Kultur: Reclam Leipzig ade
  2. Deutschlandradio Kultur: Reclam Leipzig ade
  3. Frank R. Max: Der Reclam Verlag. Eine kurze Chronk; Reclam Stuttgart ISBN 3-15-018280-8 S. 29
  4. Deutschlandradio Kultur: Reclam Leipzig ade
  5. Frank R. Max: Der Reclam Verlag. Eine kurze Chronk; Reclam Stuttgart ISBN 3-15-018280-8 S. 68f.
  6. MDR: Reclam verlässt Gründungsort Leipzig