Blutzikaden
Blutzikaden | ||||||||||||
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Vorlage:Taxonomy | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Cercopidae | ||||||||||||
Leach, 1815 | ||||||||||||
Arten in Mitteleuropa | ||||||||||||
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Blutzikaden (Cercopidae) sind eine Familie der Rundkopfzikaden (Cicadomorpha) aus der Überfamilie der Cercopoidea (Schaumzikaden; engl. „spittlebugs“, niederl. „spuugbeestjes“) mit auffällig schwarz-roter Zeichnung, die sich in Mitteleuropa aus zwei Gattungen Cercopis und Haematoloma mit insgesamt fünf Arten rekrutieren. Auf der Balkanhalbinsel kommt für Europa eine weitere Gattung der Cercopidae mit der Art Triecphorella geniculatus hinzu. Arten der Cercopidae sind in fast allen zoogeographischen Regionen vertreten, in den Tropen jedoch am artenreichsten.
Der Begriff Blutzikaden ist weitgehend auf den deutschsprachigen Raum im Verbreitungsgebiet der genannten Gattungen in Europa begrenzt. In den Niederlanden wird lediglich Cercopis vulnerata als „Bloedcicade“ bezeichnet. Im englischsprachigen Ländern wird häufig der Begriff „froghoppers“ verwendet, wobei nicht alle Arten außerhalb Mitteleuropas eine schwarz-rote Färbung aufweisen.

Allgemeine Beschreibung
Ihren Namen haben die Blutzikaden von der leuchtend roten Zeichnung der schwarzen Flügeldecken (Elytren) der erwachsenen käferähnlichen Tiere, wobei das Ausmaß der Rotfärbung zwischen und innerhalb der Arten variieren kann. Sehr selten sind die Insekten auch ganz schwarz gefärbt. Die auffällige Färbung der Blutzikaden zusammen mit ihrem „unbesorgten“ Verhalten, lassen vermuten, dass sie chemische Inhaltsstoffe besitzen, die sie zumindest für einige Insektenfresser ungenießbar machen. Die Häufigkeit der Blutzikaden ist im Vergleich zu anderen entsprechend gefärbten Taxa in Mitteleuropa so groß, dass eine sogenannte Bates´sche Mimikry als Nachahmer geschützter Taxa unwahrscheinlich erscheint.
Blutzikaden können je nach Art etwa 6,7 bis fast 10,5 Millimeter lang werden. Die Körperform ist im Umriss meist länglich- oder breitlänglich-oval. Die Flügeldecken sind ledrig und mit Punktgruben besetzt und mit Ausnahme der Kiefernblutzikade (Haematoloma dorsata) unbehaart. Blutzikaden, obwohl häufig mit Käfern (Coleoptera) verwechselt, sind leicht an der dachartigen Flügelhaltung als Zikaden erkennbar.
Die mit Ausnahme von Cercopis intermedia völlig schwarzen Beine der Blutzikaden sind charakteristisch geformt. Die Schienen des hinteren Beinpaares (Tibien) sind im Querschnitt rund und relativ kurz. Die Schienen tragen ein bis zwei kräftige Dornen. Die Beine der erwachsenen Blutzikaden verleihen ihnen im Gegensatz zu den trägen Larven eine gute Sprungkraft. Die mächtigen Dornen an ihren Hinterbeinen kommen ihnen beim Absprung zugute, da sie den Sprungbeinen Halt auf der Unterlage gewähren. Der Kopf der Blutzikaden ist in der Regel deutlich schmaler als das Halsschild (Pronotum) und verfügt über zwei Ocellen, ein Paar Facettenaugen und einem Paar kurzer borstenförmiger Fühler (Antennen).

Wie alle Zikaden verfügen auch Blutzikaden über einen Saugrüssel zur Nahrungsaufnahme. Die Unterlippe (Labium) der Tiere ist als Gleitschiene für die aus den Mandibeln und Maxillen bestehenden Stechdornen ausgebildet. Innerhalb der Lacinien (einem Teil der Maxillen) verläuft ein Kanal, durch den gesaugt werden kann, sowie ein Speichelkanal, durch den Speichel in die Fraßstelle geleitet wird. Teile der Mundhöhle sind bei allen Schnabelkerfen zu einer Saugpumpe umgestaltet.
Lebensweise
Allen Blutzikaden gemeinsam ist die saugende Ernährungsweise und die meist gering ausgeprägte Wirtspflanzenspezifität. Die Larven leben in Schaumnestern im Boden oder der Bodenstreu, wo sie auch überwintern. Alle Blutzikaden bilden eine Generation im Jahr. Sie bevorzugen meist thermisch begünstigte Offenbiotope, wie beispielsweise Weinberge und Wiesen, wo die erwachsenen Tiere meist an Gräsern und Kräutern saugen.
Ernährung
Wie bei allen Zikaden erfolgt die Ernährung der erwachsenen Blutzikaden durch das Anstechen und Aussaugen bestimmter Pflanzenteile quasi per Strohhalm. Zikaden sind auf bereits flüssige Nahrung angewiesen. Während die erwachsenen Blutzikaden speziell an den Leitungsbahnen oberirdischer Pflanzenteile mit aufsteigendem Saft (Xylem) saugen, ernähren sich ihre Larven vom Saft der Wurzeln oder den basalen Sprossteilen ihrer Wirtspflanzen. Der Xylem-Saft ist im Gegensatz zum Phloem-Saft deutlich ärmer an Nährstoffen, weshalb davon sehr viel aufgenommen werden muss. Dies hat zur Folge, dass auch sehr viel Flüssigkeit wieder abgeschieden wird. Die meisten Zikadenarten sind auf ganz bestimmte Nährpflanzen beschränkt. Blutzikaden sind dagegen in der Regel polyphag bis oligophag, das heißt sie sind wenig wählerisch hinsichtlich ihrer Nahrung und nutzen mehrere Pflanzengattungen oder -familien.
Fortpflanzung und Entwicklung

Die Paarung wird vom Männchen durch Verankerung seiner Genitalarmatur an derjenigen des Weibchens begonnen. Es sitzt dabei während der gesamten Kopulation schräg neben dem Weibchen und hält sich dabei seitlich fest. So entsteht eine für Blutzikaden und anderen Vertretern der Cicadoidea typische V-Stellung. Das Weibchen legt die Eier im Boden oder der Bodenstreu an den jeweiligen Wirtspflanzen ab. Aus dem Ei schlüpft die Larve. Blutzikaden vollziehen eine unvollständige Verwandlung vom Ei über die Larve direkt (ohne Puppenstadium) zum Vollinsekt (Imago). Sie sind hemimetabol. Die Entwicklung erfolgt über fünf Larvenstadien, wobei sich mit zunehmendem Alter die Anlagen für die Organe des erwachsenen Tieres (Flügel, Genitalarmatur) bilden und vergrößern. Die verschiedenen Stadien gehen über Häutungen ineinander über. Die Rückenseite der Larven ist im Querschnitt halbkreisförmig hoch gewölbt, die Bauchseite konkav. Der Kopf ist vor den Antennen und Augen stark ausgebuchtet und insgesamt rundlich. Die Larven leben versteckt in kleinen Erdhöhlen oder unter Steinen an den Wurzeln krautiger Pflanzen, eingehüllt von einem Schaumnest. Die Larven besitzen am Bauch eine Atemhöhle, die im Verlauf der Evolution aus Einfaltungen der Hinterleibsringe entstanden ist. In der Atemhöhle befinden sich die Stigmen, die Einmündungsstellen der Tracheen an der Körperoberfläche. Die Tracheen bilden ein System aus Atemröhren, das den ganzen Körper eines Insekts durchzieht und das Äquivalent zu unserer Lunge darstellt. Durch Einpumpen von Luftbläschen aus der Atemhöhle in eine eiweißhaltige Flüssigkeit, welche die Larven aus dem After abscheiden, wird der Schaum erzeugt. Die Konsistenz des Schaumes kann nur deshalb aufrecht erhalten werden, da die Tiere aus speziellen Exkretionsorganen im Darm (Malpighische Gefäße) Schleimstoffe aus Zuckerverbindungen (Mucopolysaccharide) ausscheiden. In diesen Schaumnestern überwintern die Larven. Der Schaum schützt die darin sitzende Larve vor Feinden, erhält aber in erster Linie die für die Weiterentwicklung nötige Feuchtigkeit und Temperatur.
Beschreibung der mitteleuropäischen Arten
Gemeine Blutzikade

Die Gemeine Blutzikade (Cercopis vulnerata) ist eine europäische Art und hier sehr häufig. Ihre Arealgrenze liegt im Norden Mitteleuropas.
Die Gemeine Blutzikade erreicht Körperlängen von 8,9 bis 10,5 Millimetern und ist damit eine der größten der hier beschriebenen Arten. Die Zikade ist an der tief ausgebuchteten roten Flügelbinde vor dem Ende der Vorderflügel erkennbar. Die Zikade bevorzugt mäßig trockene bis mäßig nasse Standorte in sonnigen bis halbschattigen Lagen. Sie besiedelt vor allem Magerrasen, Weiden, Waldlichtungen, Weg- und Grabenränder, Hochstaudenfluren und lichte Wälder. Dort findet man die erwachsenen Tiere in tieferen Lagen von Anfang Mai bis Mitte Juli, in höheren Lagen von Juni bis Ende August. Die Tiere leben vorwiegend auf hochwüchsigen Kräutern und Gräsern zum Beispiel Glatthafer (Arrhenatherum elatius), Große Brennessel (Urtica dioica) oder Lupinen (Lupinus ssp.). Die Art bildet eine Generation im Jahr. Die Zikaden leben bis in Höhenlagen von 1500 Metern.
Bindenblutzikade

Die Bindenblutzikade (Cercopis sanguinolenta) war ursprünglich osteuropäisch verbreitet (Mittelmeerraum, Kleinasien), hat sich aber im südlichen Mitteleuropa inselartig an wärmebegünstigten Standorten angesiedelt. In Deutschland gilt die Zikade nach der Roten Liste gefährdeter Tiere Deutschlands als stark gefährdet.
Die Zikadenart wird zwischen 7,7 und 9,5 Millimeter groß. Bei dieser Art ist die rote Flügelbinde vor der Spitze des Vorderflügels deutlich flacher ausgebildet als bei der Gemeinen Blutzikade. Ihr Körperumriss ist länglich-oval. Sie lebt an sonnigen bis halbschattigen, feuchten bis trockenen Standorten, meist in höherwüchsigen Wiesen, Trockenrasen, Weinbergsbrachen, in Staudenfluren und an Waldrändern an Gräsern und Kräutern wie Glatthafer (Arrhenatherrum elatius), Wiesensalbei (Salvia pratensis), Fieder-Zwenke (Brachypodium pinnatum) oder Kleine Wiesenraute (Thalicrum minus). Hier findet man die erwachsenen Tiere dieser Art von Anfang Mai bis Ende Juli. Die Tiere leben bis in Höhenlagen von 1100 Metern.
Cercopis intermedia

Cercopis intermedia ist eine Art der Blutzikaden ohne deutschen Namen. In Deutschland ist sie bisher nicht nachgewiesen, wobei allerdings ältere noch nicht verifizierte Angaben vorliegen. Deutsche Namen existieren erst seit wenigen Jahren nur für die in Deutschland vorkommenden Arten. Die Art kommt in Westeuropa (ohne Großbritannien), im Mittelmeerraum inklusive Nordafrika, Südrussland, Kleinasien und Vorderasien vor. Möglicherweise ist sie auch im südwestlichen Mitteleuropa beheimatet.
Diese Zikadenart erreicht Körperlängen zwischen 8,2 und 9,7 Millimetern. Der Körperumriss ist mehr oder weniger länglich-oval. Im Gegensatz zu den übrigen hier beschriebenen Arten mit schwarzen Beinen, sind die „Knie“ (Tibia-Femur-Gelenk) dieser Art rot gefärbt. Über ihre Biologie ist nur wenig bekannt. Die erwachsenen Tiere erscheinen zwischen Anfang April und Juni.
Weinbergsblutzikade

Die Weinbergsblutzikade (Cercopis arcuata) ist im südlichen Mittel- und Osteuropa sowie im zentralen und östlichen Mittelmeerraum verbreitet. Es existieren drei historische Meldungen aus Deutschland. Sie gilt hier nach der Roten Liste gefährdeter Tiere Deutschlands als ausgestorben.
Die Weinbergsblutzikade erreicht Körperlängen von 7,5 bis 9 Millimetern. Ihr Körperumriss ist breit-oval. Sie lebt in thermisch begünstigten Wiesen, Weinbergen, lichten Kiefern- und Eichenwäldern sowie an Waldrändern. Dort sind die erwachsenen Tiere von Anfang Mai bis Anfang Juli zu finden. Ihre Nährpflanzen sind wahrscheinlich Gräser und Kräuter. Die Tiere sind bis in Höhenlagen von 700 Metern zu finden.
Kiefernblutzikade

Die Kiefernblutzikade (Haematoloma dorsata) ist ein Beispiel für die Ausbreitung von Insekten in historisch kurzer Zeit (Arealexpansion). Sie ist in den 1930er Jahren von aus dem Mittelmeerraum nach Mitteleuropa und Deutschland (1935 am Mittelrhein bei Bonn) eingewandert und hat sich kontinuierlich nach Norden und Osten (seit 2002 in Sachsen-Anhalt) ausgebreitet. Die Nordgrenze ihres Vorkommens verläuft derzeit von den Ostfriesischen Inseln (seit 1987 auf Borkum) über das Weser-Ems-Gebiet (seit 1969) und Hessen nach Westbayern und Baden-Württemberg. 1996 wurde die Art erstmals in Österreich in Kärnten nachgewiesen.
Die Kiefernblutzikade wird etwa zwischen 6,7 und 7,5 Millimeter groß. Die Art ist auf den Flügeldecken dicht und fein behaart. Die Zikade ist durch den roten Flügelvorderrand, der nur bei sehr dunklen Exemplaren schwarz sein kann, von den anderen hier beschriebenen Arten zu unterscheiden. Die Rotfärbung kann altersbedingt unterschiedlich intensiv sein von leuchtend Rot im Jugendstadium bis Dunkelrot bei älteren Tieren. Bei einer sehr seltenen Farbmorphe sind die gesamten Flügeldecken rot gefärbt. Die Zikade bevorzugt lichte Wälder frischer bis trockener Standorte, meist auf Kalk- oder Sandböden. Die Larven leben in der Bodenstreu, an den basalen Sproßteilen von Gräsern, vorwiegend Schlängel-Schmiele (Deschampsia flexuosa). Nach der Adulthäutung in der Grasvegetation am Waldboden gehen die erwachsenen Tiere in die Baumschicht, wo sie zwischen Ende April und Ende Juli an Kiefernnadeln saugen. Auch die Paarung erfolgt dort. Zur Eiablage gehen die Tiere wieder in die Grasschicht. Die Zikaden leben bis in Höhenlagen von 700 Metern.
Systematik
Die Cercopidae werden hier nach der Fauna Europaea (siehe unten) als Familie der Blutzikaden aufgefasst. Nach einigen Autoren werden die Blutzikaden aber auch als die Unterfamilie Cercopinae einer Überfamilie Cercopidae (dann als deutsche Bezeichnung Schaumzikaden) verstanden.
Wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung
Einige Zikadenarten sind als Kulturschädlinge bekannt, wie beispielsweise die zu den Spitzkopfzikaden gehörige Winden-Glasflügelzikade (Hyalestes obsoletus) an Weinreben. Unter den Blutzikaden wird lediglich aus den Niederlanden und dem Mittelmeerraum von örtlichen Saugschädigungen an Kiefern in Aufforstungen durch die Kiefernblutzikade berichtet. Blutzikaden sind für den Menschen völlig ungefährlich und abgesehen von dem oben genannten Beispiel nicht von wirtschaftlichem Interesse.
Aufgrund ihrer auffälligen Färbung sind Blutzikaden aber dennoch beliebte Objekte zur Verzierung von Alltagsgegenständen wie zum Beispiel Vasen, Tischdecken aber auch Briefmarken. Besonders in der Provence werden Zikaden als Ausdruck des leichten, mediterranen Lebensgefühles symbolhaft verwendet. Meist sind es Singzikaden, die dargestellt werden, vielfach aber auch die farbintensiven Blutzikaden.
Literatur und Quellen
- R. Biedermann, R. Niedringhaus: Die Zikaden Deutschlands – Bestimmungstafeln für alle Arten. Fründ, Scheeßel 2004, ISBN 3-00-012806-9
- M. Boulard: Diversité des Auchénorhynques Cicadomorphes Formes, couleurs et comportements (Diversité structurelle ou taxonomique Diversité particulière aux Cicadidés). In: Denisia 4, N. F. 176: 171-214, 2002. ISBN 3-85474-077-8
- W. E. Holzinger, I. Kammerlander, H. Nickel: The Auchenorrhyncha of Central Europe – Die Zikaden Mitteleuropas. Volume 1: Fulgoromorpha, Cicadomorpha excl. Cicadellidae. – Brill, Leiden 2003, ISBN 90-04-12895-6
- H. Nickel: The leafhoppers and planthoppers of Germany (Hemiptera, Auchenorrhyncha): Patterns and strategies in a highly diverse group of phytophagous insects. Pensoft, Sofia and Moskau, 2003, ISBN 954-642-169-3
- H. Nickel, R. Remane: Artenliste der Zikaden Deutschlands, mit Angabe von Nährpflanzen, Nahrungsbreite, Lebenszyklus, Areal und Gefährdung (Hemiptera, Fulgoromorpha et Cicadomorpha). – Beiträge zur Zikadenkunde 5/2002. pdf 229 kB
- R. Remane, E. Wachmann: Zikaden – kennenlernen, beobachten – Naturbuch Verlag, Augsburg 1993, ISBN 3-89440-044-7