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Vergaberecht

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Das Vergaberecht enthält Regeln über die Vergabe öffentlicher Aufträge durch öffentliche Auftraggeber (und in gewissen Sonderfällen durch private Auftraggeber).

Bedeutung

Öffentliche Aufträge stellen einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar. Daher bestand schon vor langer Zeit das Bedürfnis, hierfür Regelungen aufzustellen. Werden diese nicht eingehalten, wird das Ziel verfehlt, möglichst wirtschaftlich mit öffentlichen Mitteln umzugehen. Wird der Wettbewerb durch Preisabsprachen oder Verletzung von Geheimhaltungspflichten, zum Beispiel bei Bestechlichkeit von Beamten, beeinträchtigt, können der öffentlichen Hand erhebliche Schäden entstehen.

Entwicklung

Früher wurde das Vergaberecht in Deutschland ausschließlich unter dem Blickwinkel des Haushaltsrechts gesehen. Zu verwirklichen waren die dort herrschenden Grundsätze der Sparsamkeit, der Wirtschaftlichkeit und der gesicherten Deckung. Der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit diente es, durch Wettbewerb unter den Bietern das günstigste und beste Angebot zu ermitteln. Eine gesetzliche Regelung schien nicht erforderlich. Die Auftragsvergabe gehört zur privatrechtlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand. Nach früherer Auffassung genügte es, die Vergabe durch Haushaltsrecht und Verwaltungsvorschriften zu regeln. Die Auswirkungen auf die privaten Anbieter von Leistungen waren nur ein Reflex des Vergaberechts. Subjektive, einklagbare Rechte wurden den Bietern nicht zuerkannt. Konkrete Regelungswerke ohne Rechtsnormqualität wurden von Verdingungsausschüssen geschaffen: die VOB (erste Fassung bereits 1926) und die VOL, die jeweils in ihrem Teil A Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Auftrage enthielten und kraft Verwaltungsvorschrift von öffentlichen Auftraggebern zu beachten waren.

Wesentliche neue Impulse bekam das Vergaberecht durch das Europarecht, das sich die Förderung des Binnenmarktes zum Ziel machte, in dem ein freier Waren- und Dienstleistungsverkehr herrschen sollte und die Bedingungen für einen wirksamen Wettbewerb um öffentliche Aufträge geschaffen werden sollten. Hierzu wurde auch ein Gemeinsames Vokabular für öffentliche Aufträge (CPV-Nr.) geschaffen, das es Anbietern mit unterschiedlicher Sprache erlauben soll, schnell und eindeutig erkennen zu können, ob es sich ggf. für sie lohnen könnte, in einem laufenden Vergabeverfahren als Bieter aufzutreten.

Von Bedeutung sind heute zwei Richtlinien der EG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge in verschiedenen Bereichen (Dienstleistungsaufträge, Lieferaufträge und Bauaufträge einerseits sowie Aufträge im Bereich Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung und im Telekommunikationssektor andererseits) aus dem Jahr 2004 und zwei Rechtsmittelrichtlinien. Allerdings gelten die Richtlinien nur für Aufträge gewisser Größenordnung, oberhalb der so genannten Schwellenwerte.

Unterhalb dieser Grenze gelten die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB), die Verdingungsordnung für Lieferungen und Leistungen (VOL) sowie die Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF). Alle drei sind zudem die Umsetzung der EG-Richtlinien oberhalb der Schwellenwerte; sie sind für die öffentliche Hand oberhalb der Schwellenwerte bindend, unterhalb der Schwellenwerte nicht in jedem Fall (in Bayern z. B. die VOL/A nur für staatliche Auftraggeber).

Der deutsche Gesetzgeber behielt zunächst den haushaltsrechtlichen Ansatz bei und traf Regelungen im Haushaltsgrundsätzegesetz und in der Vergabeverordnung von 1994, ohne subjektive Bieterrechte vorzusehen. Einzelheiten des Verfahrens blieben in den Verdingungsordnungen geregelt. Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden hatte, dass diese Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstieß, kam es zur Neuregelung durch das Vergaberechtsänderungsgesetz vom 26. August 1998, das im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) einen vierten Teil (§§ 97 ff. GWB) über die Vergabe öffentlicher Aufträge einfügte und erstmals subjektive Bieterrechte und ein effektives Rechtsschutzsystem einführte.

2006 werden die europäischen Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG das deutsche materielle Vergaberecht reformieren. Eckpfeiler des neuen Rechts sind die Erhöhung der Schwellenwerte, neue Mechanismen der elektronischen Vergabe und eine Regelung der so genannten "vergabefremden Aspekte". Die Kommission plant aber auch im Bereich der Rechtsmittelrichtlinie eine Weiterentwicklung. Die beiden neuen Richtlinien hätten vom Gesetzgeber bis zum 31. Januar 2006 in deutsches Recht umgesetzt werden sollen. Da dieses nicht erfolgt ist, gelten bis zur Überarbeitung der Vergabeverordnung und der Verdingungsordnungen einige Teile der Richtlinie seit Anfang Februar 2006 direkt. Die alten Schwellenwerte sind jedoch vorerst weiter anzuwenden. Genaueres ist in einem Rundschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie geregelt. (siehe auch Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie)

Grundzüge

Das geltende Vergaberecht in Deutschland teilt sich in zwei große Bereiche, je nachdem, ob die Auftragswerte die Schwellenwerte erreichen oder nicht.

Schwellenwerte

Die Schwellenwerte ergeben sich aus den EG-Vergaberichtlinien. Sie sind in § 2 Vergabeverordnung (VgV) zusammengestellt und betragen beispielsweise:

  • für Liefer- und Dienstleistungsaufträge bestimmter oberster Bundesbehörden 130.000 Euro, im Bereich der Trinkwasser oder Energieversorgung oder im Verkehrsbereich 400.000 Euro, in sonstigen Fällen 200.000 Euro,
  • für Bauaufträge 5 Millionen Euro.

Seit dem 1. Januar 2006 gelten aufgrund einer neuen EG-Verordnung neue Schwellenwerte:

  • 211.000 € im Liefer- und Dienstleistungsbereich
  • 5.278.000 € im Baubereich
  • 422.000 € im Sektorenbereich

EG-Verordnungen gelten direkt und unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat. Die Vergabeverordnung sieht jedoch derzeit niedrigere Schwellenwerte und damit einen höheren Bieterschutz vor; somit bleiben die bisherigen niedrigeren Schwellenwerte für die Bundesrepublik maßgeblich.

Vergaberecht für Vergaben oberhalb der Schwellenwerte

Die gesetzliche Regelung im vierten Teil des GWB sieht im ersten Abschnitt (§§ 97 - 101 GWB) Bestimmungen über das Vergabeverfahren, im zweiten Abschnitt (§§ 102-124 GWB) Bestimmungen über das Nachprüfungsverfahren vor. All diese Vorschriften gelten nur für Vergaben oberhalb der in der Vergabeverordnung festgelegten Schwellenwerte (§ 100 Abs. 1 GWB).

Allgemeine Grundsätze

§ 97 GWB enthält allgemeine Grundsätze des Vergaberechts.

  • Wettbewerbsgrundsatz
  • Transparenzgebot
  • Diskriminierungsverbot
  • Berücksichtigung mittelständischer Interessen
  • Vergabe an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen
  • Grundsatz des wirtschaftlichsten Angebots
  • subjektive Bieterrechte (Anspruch auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren)

Anwendungsbereich

Öffentliche Auftraggeber sind nach § 98 GWB unter anderem:

  • Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden),
  • juristische Personen öffentlichen und privaten Rechts, die im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art erfüllen und von der öffentlichen Hand beherrscht oder überwiegend finanziert werden,
  • natürliche oder juristische Personen des Privatrechts bei Aufträgen, für die sie zu mehr als 50% öffentliche Mittel erhalten.

§ 99 GWB unterscheidet als öffentliche Aufträge Lieferaufträge (Beschaffung von Waren), Bauaufträge, Dienstleistungsaufträge und Auslobungsverfahren (z.B. Architektenwettbewerb). Nicht enthalten ist die sogenannte Dienstleistungskonzession.

Arten der Vergabe

§ 101 GWB unterscheidet verschiedene Arten der Vergabe:

  • Offene Verfahren: Hierbei wird eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen öffentlich zur Abgabe von Angeboten aufgefordert (öffentliche Ausschreibung). Diese Verfahrensart ist vorrangig anzuwenden, wenn nicht etwas anderes gestattet ist. Beim offenen Verfahren wird üblicherweise mehrstufig vorgegangen. Im Regelfall wird der Auftraggeber die Anzahl der zu Verhandlungen aufgeforderten Bewerber mit Hilfe eines geeigneten Auswahlverfahrens begrenzen. Dazu wird allgemein die Anwendung einer Nutzwertanalyse empfohlen, um bei der Bewertung sowohl die verschiedenen Kriterien als auch ihre Gewichtung für eine große Zahl von Teilnahmeanträgen handhabbar zu machen.
  • Nichtoffene Verfahren: Hier wird öffentlich zur Teilnahme und aus dem Bewerberkreis eine beschränkte Anzahl von Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert.
  • Verhandlungsverfahren: Der Auftraggeber wendet sich an ausgewählte Unternehmen, um mit einem oder mehreren über die Auftragsbedingungen zu verhandeln
  • Neu: Wettbewerblicher Dialog (eingeführt durch das ÖPP-Gesetz vom 01.09.2005): Für besonders komplexe Materien, mit Elementen des Nichtoffenen Verfahrens und des Verhandlungsverfahrens

Vergabeverordnung

§§ 97 Abs. 6 und § 127 GWB ermächtigen zum Erlass einer Rechtsverordnung. Auf dieser Grundlage wurde die Vergabeverordnung (VgV) erlassen, die am 14. Februar 2003 in neuer Fassung bekannt gemacht wurde (zuletzt geändert durch Gesetz vom 01.09.2005).

Auch die VgV gilt nur für Vergaben oberhalb der in § 2 VgV festgelegten Schwellenwerte. Für solche Vergaben trifft sie insbesondere Regelungen über das einzuhaltende Verfahren.

Regelung des Vergabeverfahrens: VOL, VOB und VOF

Regelungen über die konkrete Ausgestaltung des Vergabeverfahrens werden dadurch getroffen, dass in den §§ 4-7 VgV auf folgende von Verdingungsausschüssen außerhalb eines öffentlichrechtlichen Rechtsetzungsverfahrens erarbeiteten Regelwerke verwiesen wird:

  • Verdingungsordnung für Leistungen (VOL), Teil A,
  • Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB), Teil A und
  • Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF).

Durch diese Verweisung erhalten die Teile A der VOL und der VOB (abgekürzt VOL/A bzw. VOB/A) und die VOF für Aufträge oberhalb der Schwellenwerte Rechtsnormqualität.

Nachprüfungsverfahren

Die Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren kann bei Vergaben oberhalb der Schwellenwerte auf Antrag von Unternehmen, die Interesse an einem Auftrag haben, in einem förmlichen Nachprüfungsverfahren überprüft werden (§ 102 GWB). Auf diese Weise können subjektive Bieterrechte geltend gemacht werden. Zuständig hierfür sind - je nach Auftraggeber - in einer ersten Stufe die Vergabekammern des Bundes oder der Länder (§ 104 GWB). Die Vergabekammern sind eine Einrichtung der Verwaltung. Ihr Verfahren ist allerdings einem gerichtlichen Verfahren angenähert. Es ist in §§ 107 - 115 GWB geregelt. Die Vergabekammer entscheidet durch Verwaltungsakt.

Gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig, über die ein Vergabesenat des Oberlandesgerichts entscheidet, das für den Sitz der Vergabekammer zuständig ist (§ 116 GWB). Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist ausgeschlossen. Das Beschwerdeverfahren ist in §§ 116 - 124 GWB geregelt.

Neben dem förmlichen Nachprüfungsverfahren können auch die Aufsichtsbehörden oder nach § 103 GWB eingerichtete Vergabeprüfstellen formlos angerufen werden. Daneben besteht die Möglichkeit von Sekundärrechtsschutz durch Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen vor den Zivilgerichten.

Vergaberecht für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte

Für die (zahlenmäßig häufigen) Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte gelten weder der vierte Teil des GWB noch die VgV. Insoweit gibt es keine Regelung des Vergabeverfahrens mit Rechtsnormqualität und keine subjektiven Bieterrechte. Maßgebend für die Vergabe sind das Haushaltsrecht des Bundes und der Länder und Verwaltungsvorschriften. Diese sehen die Anwendung des ersten Abschnitts der VOL/A bzw. der VOB/A (Basisparagraphen) vor. Der formelle Rechtsschutz nach dem GWB besteht nicht, allerdings können Fach- oder Rechtsaufsichtsbehörden als Nachprüfungsstellen formlos angerufen werden. Ansonsten besteht nur die Möglichkeit von Sekundärrechtsschutz durch Geltendmachung etwaiger Schadensersatzansprüche. Nach einer aktuellen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Rheinland-Pfalz (Rechtskräftiger Beschluss vom 25. Mai 2005 7 B 10356/05, Fundstelle: NZBau 2005, 411-412) ist für die gerichtliche Überprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge, die die Schwellenwerte nicht erreichen, der Verwaltungsrechtsweg im Sinne des § 40 Abs. 1 VwGO gegeben. Damit besteht erstmals effektiver Rechtsschutz auch für Aufträge unter den Schwellenwerten.

Literatur

  • Jan Byok, Wolfgang Jaeger, Rainer Noch, Kommentar zum Vergaberecht, mit CD-ROM, BB-Handbuch, Verlag Recht und Wirtschaft Frankfurt 2005. ISBN 3800513226
  • Stefan Hertwig, Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe, NJW-Schriften 65, 3. Auflage C.H.Beck 2005. ISBN 3-406-52951-8
  • Weihrauch/Meyer-Hofmann (Hrsg.), Vergabepraxis, Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln 2003. ISBN 3504400617
  • Chr. Lamm, Rudolf Ley und Doris Weckmüller-Staschik, VOL-Handbuch unter Berücksichtigung der Europäischen Vergaberichtlinien, 2., völlig neu bearbeitete Auflage, Verlag Jehle-Rehm, München [u.a.], Loseblatt-Ausgabe. ISBN 3-8073-1103-3
  • Thomas Schabel und Rudolf Ley, VOL/A und VOL/B mit GWB und Vergabeverordnung : Textsammlung mit Einführung, 1. Auflage, Stand Oktober 2003, Verlag Rehm, München [u.a.] 2003. ISBN 3-8073-2024-5
  • Thomas Schabel, Rudolf Ley, Öffentliche Auftragsvergabe im Binnenmarkt : Erläuterungen und Materialien zur Ausschreibung, Angebotsprüfung und Vergabe nach VOB, VOL und VOF mit EG-Vorschriften - Leitfaden, Loseblattwerk im Ordner. ISBN 3-8073-0843-1