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Völkermord

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Der Völkermord (synonym: der Genozid) ist ein Straftatbestand, der im Völkerstrafrecht entstanden ist, mittlerweile aber auch in verschiedenen nationalen Rechtsordnungen ausdrücklich verankert ist.

UN-Konvention gegen Völkermord

Am 9. Dezember 1948 beschloss die Generalversammlung der UNO in der Resolution 260 die „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ (Convention pour la prévention et la répression du crime de génocide , Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide), die am 12. Januar 1951 in Kraft trat. Die Bundesrepublik Deutschland ratifizierte die Konvention im Februar 1955. Nach der Konvention ist Völkermord ein Verbrechen gemäß internationalem Recht, „das von der zivilisierten Welt verurteilt wird“.

Grundlage war die Resolution 180 der UN-Vollversammlung vom 21. Dezember 1947, in der festgestellt wurde, dass „Völkermord ein internationales Verbrechen [ist], das nationale und internationale Verantwortung von Menschen und Staaten erfordert“, um den völkerrechtlichen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg zu gedenken.

Die Konvention definiert Völkermord in Artikel II als „eine der folgenden Handlungen, begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören“:

a) das Töten von Angehörigen der Gruppe
b) das Zufügen von ernsthaften körperlichen oder geistigen Schäden bei Angehörigen der Gruppe
c) die absichtliche Auferlegung von Lebensbedingungen, die auf die völlige oder teilweise physische Zerstörung der Gruppe abzielen
d) die Anordnung von Maßnahmen zur Geburtenverhinderung
e) die gewaltsame Verbringung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe

Im deutschen Völkerstrafgesetzbuch (§ 6 VStGB) wie auch im schweizerischen Strafgesetzbuch (Art. 264 StGB) ist die Tat entsprechend der Konvention definiert.

Zu beachten ist, dass nur die Absicht zur Vernichtung der Gruppe erforderlich ist, nicht aber auch ihre effektive Vernichtung. Die Handlungen unter den Buchstaben a bis e hingegen müssen tatsächlich (und willentlich) begangen werden. Dies bedeutet insbesondere, dass es nicht vieler Opfer bedarf, damit die Täter sich des Völkermordes schuldig machen. Bloß ihre Vernichtungsabsicht muss sich auf die ganze Gruppe oder einen maßgeblichen Teil von ihr richten. Die Täter erfüllen den Straftatbestand beispielsweise, wenn sie – in dieser besonderen Absicht – einzelnen Gruppenmitgliedern ernsthafte körperliche oder geistige Schäden zufügen. Dies mag angesichts des Begriffs Völker-Mord erstaunen, wird in dieser Variante doch gar kein Mensch ermordet. Der Ansatzpunkt der Definition ist jedoch ein anderer. Denn es sollen verschiedene Gewaltverbrechen erfasst werden, die sich durch eine besonders menschenverachtende Absicht auszeichnen. Mit anderen Worten: Es geht gewissermaßen um den Versuch, ein Volk zu ermorden. Wer wollte schon verlangen, dass das Volk (genauer: die besondere Gruppe) tatsächlich vernichtet sein müsste, bevor die Täter wegen Völkermord bestraft werden können?

Umgekehrt gilt auch: Unter a) bis e) genannte Maßnahmen sind kein Völkermord, wenn ihr Ziel nicht darin besteht, eine Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten, egal wieviele Mitglieder getötet oder sonstwie beeinträchtigt werden. Solche Maßnahmen sind ebenfalls kein Völkermord, wenn ihr Ziel darin besteht, eine Gruppe auszurotten, die nicht durch nationale, ethnische, rassische oder religiöse Eigenschaften definiert ist.

Dies zeigt den problematischen Charakter der Völkermorddefinition nach dem Völkerstrafrecht, denn Massenmorde nach sozialen oder geographischen Kriterien sowie zielloses Morden werden vom Völkermordparagraphen nicht erfasst.

Entsprechend der Analogie Völkermord – Mord sind im Völkerrecht die möglichen Vergehen Völkertotschlag sowie fahrlässige Völkertötung nicht bekannt.

Ob hingegen in jedem Fall, wo Einzelne sich des Völkermordes schuldig machen, der Rahmen des Geschehens pauschal als „Völkermord“ bezeichnet werden sollte, ist eine andere Frage. Denn es ist für die Strafbarkeit Einzelner nicht erforderlich, dass sie ihre Taten im Rahmen eines breit angelegten oder systematischen Angriffs auf die Opfergruppe begehen (im Gegensatz etwa zu den Verbrechen gegen die Menschheit).

Diese Definition kann als mehr oder weniger allgemeingültig bezeichnet werden, denn der Völkermord ist dasjenige völkerstrafrechtliche Verbrechen mit der schärfsten und anerkanntesten Definition: Alle maßgeblichen Normierungen stimmen im Wesentlichen mit der Definition von Artikel II der Völkermordkonvention der UN (s. u.) überein. Andere völkerstrafrechtliche Tatbestände dagegen, insbesondere das Verbrechen des Angriffskrieges (Aggression), sind weitgehend umstritten.

Der Begriff Genozid (v. griech.: γένος, génos, = (eigentlich) Herkunft, Abstammung, Geschlecht, (im weiteren Sinne auch) das Volk + lat.: caedere = morden, metzeln) ist eine Übersetzung von ludobójstwo (von Polnisch lud, Volk und zabóstwjo, Mord) und wurde 1943 von dem polnischen Anwalt Raphael Lemkin (19001959) geprägt für einen Gesetzesentwurf für die polnische Exilregierung zur Bestrafung der deutschen Verbrechen in Polen. Vor Augen stand Lemkin auch der Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich, auf den er sich explizit bezog. 1944 übertrug er den Ausdruck ins Englische als genocide.

Völkermorde in der Geschichte

Folgende Verbrechen werden häufig als Völkermord eingestuft. Ob in jedem Fall der Straftatbestand des Völkermordes erfüllt ist oder ob es sich um sonstige Verbrechen wie Verbrechen gegen die Menschheit oder Kriegsverbrechen handelt, ist in vielen Fällen umstritten (siehe auch die Liste der Verbrechen gegen die Menschheit).

Literatur

  • Boris Barth: Genozid. Völkermord im 20. Jahrhundert. Geschichte, Theorien, Kontroversen, Beck, München 2006 (Beck'sche Reihe, Bd. 1672) ISBN 3-406-52865-1
  • Mihran Dabag/Kristin Platt: Genozid und Moderne, Opladen: Leske+Budrich 1998, ISBN 3-8100-1822-8
  • Zeitschrift für Genozidforschung (seit 1999, halbjährlich), Paderborn: W. Fink/ Ferdinand Schöningh, ISSN 14388-8332
  • Frank Selbmann: Der Tatbestand des Genozids im Völkerstrafrecht, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2002. ISBN 3936522332
  • William A. Schabas, Genozid im Völkerrecht, HIS Edition, aus dem Englischen von Holger Fliessbach, 2003. ISBN 3-930908-88-3,
    (Rechtswissenschaftlich exzellent durchdrungen [1])
  • Harald Welzer: Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden, Frankfurt a. M 2005, S. Fischer Verlag, ISBN 3100894316
  • Leonard S. Newman/Ralph Erber (Eds.): Understanding Genocide. The Social Psychology of the Holocaust, Oxford: Oxford University Press, 2002, ISBN 0-19-513362-5
  • Dominik J. Schaller/Rupen Boyadjian/Vivianne Berg/Hanno Scholtz (Hrsg.): Enteignet, vertrieben, ermordet. Beiträge zur Genozidforschung, Zürich: Chronos, 2004, ISBN 3-0340-0642-X
  • Stéphane Courtois : Das Schwarzbuch des Kommunismus/Unterdrückung,Verbrechen und Terror. Lafont Paris, 1997 und Piper 1998, ISBN 3-492-04053-5
  • Robert Conquest: Ernte des Todes. Stalins Holocaust in der Ukraine 1929 – 1933. Langen-Müller, Mchn., Februar 1997, ISBN 3784421695
  • Barbara Lüders: Die Strafbarkeit von Völkermord nach dem Römischen Statut für den Internationalen Strafgerichtshof. Diss. BWV Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2004, ISBN 3830508956
  • Gunnar Heinsohn : Lexikon der Völkermorde, Rowohlt rororo 1999, ISBN 3499223384

Siehe auch