Konstitutionsbehandlung
Die Konstitutionsbehandlung (lat. constitutio corporis "Verfassung", "Zustand des Körpers") in der klassischen Homöopathie (es gibt auch Konstitutionsbehandlungen in anderen Therapie-Richtungen) wird angewandt, wenn ein Mensch "von Grund auf therapiert" werden soll. Dazu wird ihm nach entsprechender Anamnese "sein" Konstitutionsmittel gegeben. Um das zum jeweiligen Heilungsuchenden passende Konstitutionsmittel finden zu können, muss die Therapeutin, der Therapeut den Habitus, also das Gesamterscheinungsbild eines Menschen (körperliche, geistige und seelische Merkmale) erfassen.
Skizze des Ablaufs einer Konstitutionsbehandlung
Die Konstitutionsbehandlung ist aus Sicht der Homöopathen dann angesagt, wenn die Diagnose ergibt, dass eine Patientin, ein Patient offensichtlich chronisch krank ist oder die jeweilige Lebens-Situation eine umfassende Therapie erfordert. Dazu muss die Gesamtheit der Symptome erfragt und dokumentiert werden. Das geschieht in einer etwa 90- bis 180minütigen Anamnese (einer "Fallaufnahme"). Ziel: das "simillimum" zu finden, das individuelle Mittel, das von seiner Charakteristik her dem Charakter des Heilungsuchenden am ähnlichsten ist. Dieses individuelle Mittel zu finden, ist nach Auskunft einschlägiger Quellen bei Erwachsenen schwieriger als bei jungen Menschen (Säuglingen, Kindern), weil Erwachsene bei der Anamnese häufig blockieren, auf entscheidende, für sie unbequeme oder aus ihrer Sicht peinliche Fragen unrichtige Antworten geben. Zu folgenden Komplexen wird die Therapeutin, der Therapeut in aller Regel Fragen stellen:
- Vorhandensein ernsthafter Krankheiten in der Familie
- Bisher aufgetretene Krankheiten der Patientin/des Patienten
- Gemüts- und Wesenssymptome
- Besondere, individuelle, auffällige Symptome
- Allgemeinsymptome ( z.B. Essensvorlieben, -abneigungen, Schlafgewohnheiten, Verdauung, Temperaturempfinden etc.)
- Lokalsymptome und ihre Modalitäten (wann, wie, wo , wie oft), z.B. Hautveränderungen, Kopfschmerzen , Rückenschmerzen , Zahnprobleme etc.)
Wesentlich sind auch nonverbale Charakteristika des Patienten. Beobachtungen in diesem Bereich runden für den Therapeuten das Bild dieser Persönlichkeit ab. Er achtet sehr auf Mimik, Gestik, Augenausdruck, Art sich zu kleiden. Der Therapeut fragt, diskutiert aber nicht, hört zu, beobachtet und dokumentiert in einer Patientenakte. Je mehr der Patient während dieser "Sprech"-Stunde von sich erzählt, desto hilfreicher für den Therapeuten. Die individuellen Symptome der Anamnese werden bei der sogenannten Repertorisation nach ihrer Wichtigkeit geordnet. In den vergleichbaren Rubriken im Repertorium (ausführliches Symptomenverzeichnis) finden sich die in frage kommenden homöopathischen Mittel.
Ist das vermeintlich brauchbare ("richtige") Mittel (der zur "Ver-Stimmung" der Patientin, des Patienten passende "Stimmschlüssel") gefunden, muss dann die brauchbare Potenz und die dazu gehörige Dosis festgelegt werden. (Je mentaler das Bild, je höher die Potenz und je kleiner die Dosis; je funktioneller die Pathologie, je geringer die Potenz und je höher die Dosis, so der amerikanische homöopathische Arzt Dr. med. James Tyler Kent). Da sich im Zuge der (in jedem Falle längere Zeit, oft Jahre dauernden) Konstitutionsbehandlung auf Grund des Wirkens des Mittels die Konstitution verändern kann oder sich vielmehr verändert, kann im Laufe des Lebens das zu verordnende "simillimum" sich ändern. Deshalb wird in regelmäßigen Abständen eine erneute längere Sprechstunde für nötig erachtet. Ansonsten sind kürzere Konsultationen von 20 bis 40 Minuten im Quartalsabstand üblich.
Vereinfacht gesagt: Konstitutionsmittel werden in der Regel in höherer Potenz (Q- oder LM-Potenzen) und in geringerer Dosis verordnet. Prinzipiell soll ein Mittel und das für einen gewissen Zeitraum nur einmal gegeben, also das Wirken des Mittels abgewartet werden.
Heilverlauf aus homöopathischer Sichtweise
Wie in einer Konstitutionsbehandlung die Heilung klassisch verläuft, beschrieb zum ersten Male Constantin Hering. Die nach ihm benannten Heringsche Regeln zeigen aus Sicht der Homöopathen an, ob der Behandlungs- und Heilungsprozess einen günstigen oder ungünstigen Verlauf nimmt. Günstig verläuft der Prozess, wenn Krankheiten in dieser Reihenfolge heilen:
- von innen nach außen
- von oben nach unten
- von jetzt zu früher
Verschwinden die Symptome in der umgekehrter Reihenfolge (zum Beispiel von außen nach innen: Hautprobleme verschwinden, dafür erscheinen aber asthmatische Beschwerden) muss die Therapie neu überdacht werden.
In Bezug auf das "von jetzt zu früher" werden akute oder neuere Symptome schneller geheilt als ältere. Ein 60jähriger, der beispielsweise mit 20 Schuppenflechte bekam und ab Mitte 30 begann, unter schwerer Migräne zu leiden, wird nach Auffassung der Homöopathen bei richtiger Konstitutionsbehandlung gemäß der Heringschen Regeln erst von der Migräne geheilt und (viel) später von der Psoriasis.
Hintergrundlektüre und Weblinks
- Catherine R. Coulter: "Portraits homöopathischer Arzneimittel 2. Zur Psychosomatik ausgewählter Konstitutionstypen", übersetzt von: Ulrike Kessler, 4. durchges. Aufl, Karl Haug Fachbuch, ISBN: 3-8304-7197-1.
- Prozess-orientierte Homöopathie
- Dr. med. James Tyler Kent)
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