Augustinus von Hippo

Augustinus von Hippo, (auch: Augustinus von Thagaste, dt. Augustin, fälschl. Aurelius Augustinus aufgrund einer Verwechslung mit Aurelius von Karthago), (* 13. November 354 in Thagaste in Numidien; † 28. August 430 in Hippo Regius im heutigen Algerien), war ein bedeutender spätantiker westlicher Kirchenlehrer, christlicher Theologe und Philosoph. Namensbedeutung: „der Erhabene“ (latein.).
Er wird als Heiliger verehrt. Allgemeiner Gedenktag in der Katholischen und Anglikanischen Kirche am 28. August, in den Orthodoxen Kirchen am 15. Juni. Besondere Gedenktage: Bekehrung (kath.) am 5. Mai; Überführung der Gebeine (kath., in Brügge) am 11. Oktober.
Zusammenfassung
Augustinus gilt als einer der einflussreichsten Theologen und Philosophen der christlichen Spätantike bzw. der Patristik, dessen Wirken das Denken des Abendlandes wesentlich geprägt hat. Seine Theologie beeinflusste die Lehre der katholischen Kirche ebenso wie die des Martin Luther und Johannes Calvin. In der Orthodoxen Kirche dagegen war er praktisch unbekannt. Als seine Lehre im 14. Jahrhundert durch griechische Übersetzungen auch in Konstantinopel bekannt wurde, stieß sie auf Ablehnung, soweit sie nicht dem Konsens der Kirchenväter entsprach.
In seiner Jugend studierte er Rhetorik. Begeistert von Ciceros "Hortensius" wandte er sich der Philosophie zu. Er folgte zuerst dem Manichäismus, dann der Skepsis und schließlich dem Neuplatonismus. Nach seiner Bekehrung zum Christentum (387) durch Ambrosius von Mailand wurde er 396 Bischof von Hippo Regius in Afrika.
Augustinus hat neben theologischen auch viele wissenschaftliche Schriften verfasst, die zu einem großen Teil erhalten sind. Diese Schriften bilden für Augustinus eine Einheit; der christliche Glaube ist ihm Grundlage der Erkenntnis (crede, ut intelligas).
Augustinus' Philosophie enthält von Platon übernommene, jedoch im christlichen Sinn modifizierte Elemente wie die Idee vom Absoluten oder den 'Dualismus' von Geist und Materie, der sich im Menschen in der spannungsvollen Einheit von Leib und Seele ausdrückt.
Neueste Forschungen haben ergeben, dass diese herkömmliche Augustinus-Interpretation fragwürdig ist. Vielmehr geht man heute davon aus, dass Augustinus' Denken seinen eigentlichen Ursprung im Dasein des Philosophen hat - also eine Art frühen Existenzialismus darstellt.
Die erste Biographie des Augustinus stammt von Possidius von Calama, der ihn als Schüler noch gut gekannt hat; allerdings beinhalten auch seine Werke biographische Details.
Leben

Augustinus wurde in der kleinen nordafrikanischen Stadt Thagaste, die zur römischen Provinz Numidien gehörte, als eines von drei Kindern geboren. Numidien lag am Rand des Römischen Reiches, erfreute sich dafür aber relativer Sicherheit und eines gewissen Wohlstandes. Der Vater Patricius war ein städtischer Verwaltungsbeamter ohne großes Vermögen. Erst kurz vor seinem Tod (372) ließ er sich taufen. Die Mutter Monica (Schreibweisen: Monika, Monnica u.ä.) war überzeugte Christin.
Bis 370 besuchte Augustinus die Schulen in Thagaste und in der (etwas größeren) Nachbarstadt Madaura. Schon hier wurde, vor allem anhand Vergils, die Wort(-für-Wort)-Exegese betrieben. Ab 370 studierte Augustinus Rhetorik in Karthago. In seinen späteren Texten berichtete er von jugendlichen Ausschweifungen in dieser Zeit. In dieser Zeit war die Beschäftigung mit Ciceros Hortensius, einer Einführung in die Philosophie, für Augustinus bestimmend. Damit einhergehend und als Reaktion auf logische Fehler der christlichen Überlieferung (beispielsweise den doppelten Jesus-Stammbaum) lehnte er in dieser Phase das Christentum ab und wandte sich dem Manichäismus zu. In dessen Glaubensgemeinschaft er als Auditor wirkte.
Eine nordafrikanische Konkubine, fast 15 Jahre mit ihm liiert, gebar ihm 372 einen Sohn, Adeodatus (Gottesgabe), der 389 starb.
Ab 375 lebte Augustinus als Lehrer für Grammatik und Rhetorik in Thagaste. Dort kam es zu Konflikten innerhalb der Familie, als Augustinus seine Mutter zum Manichäismus zu bekehren versuchte. Er kehrte kurz darauf nach Karthago zurück, wo er als aktiver Vertreter und Missionar des Manichäismus wirkte. Nach einer intellektuell enttäuschenden Begegnung mit dem manichäischen Bischof Faustus von Mileve kam es zu einer langsam verlaufenden Abkehr vom Manichäismus bis 383. Stattdessen machten sich nun Tendenzen hin zum Skeptizismus der Neuen Akademie bemerkbar, der ihm allerdings zu erkenntnistheoretisch ausgerichtet war.
383 ging Augustinus nach Rom, unter anderem, um als Gelehrter beruflich aufzusteigen und seiner Mutter zu entkommen, die nach Karthago gereist war, um ihren Sohn zum Christentum zu bekehren. Seine langjährige Mätresse und den gemeinsamen Sohn ließ er in Nordafrika zurück. 384 ging Augustinus als Lehrer für Rhetorik nach Mailand. 385 heiratete er ein wohlhabendes Mädchen aus einer christlichen Familie. Bis zur Heiratsfähigkeit des Mädchens lebte er allerdings zwei Jahre mit einer weiteren Mätresse zusammen (Confessiones 6, 15, 25). Durch die Begegnung mit dem Bischof Ambrosius wurde Augustinus dessen so genannte allegorische Schriftauslegung vermittelt, die ihm einen Zugang zum zuvor abgelehnten Alten Testament eröffnen sollte. Dennoch wandte sich Augustinus 386 erst einmal dem Neuplatonismus zu und rezipierte die libri platonicorum, die von Marius Victorinus ins Lateinische übertragen worden waren. Durch den Presbyter Simplicianus wurden Augustinus erstmals die logos-Spekulation in der Lehre Plotins und die Gnadenlehre des Apostel Paulus vermittelt.
Den Confessiones zufolge hörte Augustinus im Sommer 386 in seinem Garten in Mailand unter einem Feigenbaum eine leise Kinderstimme, die ihn aufforderte: "Nimm und lies!" Dies verstand er als Aufforderung, die Bibel zu lesen, die ihn wiederum zur Abkehr vom weltlichen Leben brachte.

387 erfolgte dann die Bekehrung zum Christentum, mit der sowohl die Niederlegung des Lehramtes als auch ein Eheverzicht und ein fortan in nahezu monastischer Rückgezogenheit auf einem Landgut in Cassiciacum geführtes Leben einhergingen.
In der Osternacht 387 ließ sich Augustinus gemeinsam mit seinem Sohn Adeodatus und seinem Freund Alypius von Ambrosius taufen. Schon 388 bereitete er seine Rückkehr nach Nordafrika vor. Bei der Einschiffung in Ostia starb Augustinus' Mutter Monica (* ca. 332; † 387), so dass sich die Abreise um nahezu ein Jahr verzögerte.
389 war Augustinus schließlich wieder in Thagaste angekommen. Dort gründete er auf seinem Familienbesitz die klosterähnliche Gemeinschaft der servi dei, die als die Frühform des Mönchtums der abendländischen Kirche angesehen werden. 390 starb sein Sohn Adeodatus. 390 (oder 391) akzeptierte er widerwillig die Priesterweihe durch Bischof Valerius von Hippo, den Augustinus zunehmend als designierter Nachfolger vertrat. Es kam zu ersten kirchenpolitisch-dogmatischen Auseinandersetzungen mit Manichäismus, Donatismus und Pelagianismus. 396 wurde Augustinus nach dem Tod Valerius' auch offiziell Bischof von Hippo. Durch seine Vorkämpferstellung im Konflikt mit den Donatisten, zu deren Verfolgung und Bekehrung er sich auch staatlicher Gewalt bediente, wurde Augustinus zur wichtigsten Führungsfigur der katholischen Kirche in Nordafrika. Auch den römischen Bischöfen gegenüber betonte Augustinus die Eigenständigkeit der nordafrikanischen Kirche. Unter anderem als Reaktion auf die Eroberung Roms durch die Westgoten 410 verfasste er sein Hauptwerk De civitate dei, das die für Jahrhunderte gültige Unterscheidung zwischen weltlichem und kirchlichem Reich postulierte und in dem er der verbreiteten Auffassung widersprach, dass der Fall Roms auch den göttlichen Heilsplan in Frage stelle.
Augustinus starb 430 während der Belagerung Hippos durch die Vandalen (zum geschichtlichen Zusammenhang vgl. Bonifatius, der auch mit Augustinus bekannt war, und Spätantike). Seine Gebeine befinden sich heute in der Kirche San Pietro in Ciel d'Oro in Pavia/Norditalien.
Philosophie
Wahrheitsbegriff
Der zunächst vom Skeptizismus geprägte Augustinus beschäftigte sich zeitlebens mit dem Problem der Wahrheit. Bei der Lösung nimmt er René Descartes' cogito ergo sum voraus, indem er die Unzweifelhaftigkeit der Existenz des Denkenden feststellt:
- „wird jemand darüber zweifeln, dass er lebt, sich erinnert, Einsichten hat, will, denkt, weiß und urteilt? [...] Mag einer auch sonst zweifeln, über was er will, über diese Zweifel selbst kann er nicht zweifeln“ (De Trinitate X, 10)
Er fasst es kurz zusammen als si enim fallor, sum: „Denn (selbst) wenn ich mich irre, so bin ich (doch).“
Wahrheit ist für ihn immer notwendig und ewig. Als Vorbild dienen ihm die idealen Wahrheiten der Mathematik, da die Sinnenwahrnehmungen wegen ihrer Unzuverlässigkeit und der Wandelbarkeit der äußeren Welt diese Eigenschaften nicht aufweisen. Da die Quellen der Wahrheit also nicht dort liegen können, sucht Augustinus sie im menschlichen Geist selbst:
- „Suche nicht draußen! Kehre in dich selbst zurück! Im Innern des Menschen wohnt die Wahrheit. [...] [D]er Verstand schafft die Wahrheit nicht, sondern findet sie vor.“ (De vera religione 39, 72f.)
Der Grund aller Wahrheit sind bei Augustinus die ewigen Ideen in Gottes Geist. Gott selbst ist die Wahrheit. Wie bei Platon haben auch bei Augustinus die Urbilder den ontologisch höchsten Status. Verfügbar wird die Wahrheit für den Menschen nun in der vermittelten Erleuchtung des Geistes durch Gott (Illuminations- bzw. Irradationstheorie). Der göttliche Geist (mundus intelligibilis) „strahlt“ diese Ideen und Regeln direkt in den menschlichen Geist „ein“; die Wahrheit findet sich also nicht außerhalb des Menschen, sondern im Menschen selbst vor. Die genaue Deutung dieser Theorie bleibt umstritten, doch scheint Augustinus einen gemäßigten erkenntnistheoretischen Apriorismus zu vertreten.
Zeitauffassung
- „Was also ist die Zeit? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich's, will ich's aber einem Fragenden erklären, weiß ich's nicht.“ (Confessiones lib. 11; ebenso die folgenden Zitate)
Augustinus spricht über drei Zeiten: Gegenwart des Vergangenen, Gegenwart des Gegenwärtigen und Gegenwart des Zukünftigen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als solche existieren nach Augustinus nicht:
- „Wie kann man sagen, dass [die vergangenen und zukünftigen Zeiten] sind, da doch die vergangene schon nicht mehr und die zukünftige noch nicht ist? Die gegenwärtige aber, wenn sie immer gegenwärtig wäre und nicht in Vergangenheit überginge, wäre nicht mehr Zeit, sondern Ewigkeit.“
Vielmehr ist die Vergangenheit eine Erinnerung in der Gegenwart, und die Zukunft eine Erwartung in der Gegenwart, während die Gegenwart selbst, ein aus der Zukunft in die Vergangenheit an unserem Geiste vorüberziehender Moment ist. Wir messen die Zeit anhand eines
- „Eindruck[s], den die vorübergehenden Dinge [in unserem Geiste] hervorbringen und der bleibt, wenn sie vorübergegangen sind, ihn, den gegenwärtigen, [messen wir], nicht was vorübergegangen ist und ihn hervorgebracht hat.“
Das augustinische Zeitverständnis ist demnach eine rein subjekive Auffassung der Zeit, da wir die vergangene Zeit als Eindruck nur in unserem Geiste messen können, wir also in uns verschiedene erlebte Zeiträume miteinander vergleichen und dadurch immer zu subjektiven Aussagen gelangen müssen, so kam uns zum Beispiel jene Zeit länger vor, als eine andere. Zukünftige Dinge können wir nicht messen, da wir noch nichts über sie aussagen können, erst wenn sie an uns vorüberziehen und wir dadurch einen Eindruck gewonnen haben, können wir für uns entscheiden, ob jener Eindruck länger oder kürzer war. Dieses Verständnis steht im krassen Gegensatz zu der platonischen objektiven Zeitauffassung, in der die Zeit die Bewegung von Himmelskörpern ist, so ist zum Beispiel die Vollendung eines Tages die Bewegung von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Dagegen führt Augustinus an, dass
- „wenn sich ein Körper bewegt, [wir mit der Zeit messen], wie lange er sich bewegt, und zwar vom Anfang bis zum Ende seiner Bewegung, [...] denn ein Körper bewegt sich nur in der Zeit“
und stellt diese selbst nicht dar. Und auch wenn sich ein Körper nicht bewegt, sind wir doch in der Lage seinen Stillstand zu messen und etwas über die Dauer seines Stillstandes auszusagen, genau deshalb kann Bewegung nicht gleich Zeit sein.
Theologie
Trinität
Sein dogmatisches Hauptwerk sind die 15 Bücher De trinitate dei (Über die Dreieinigkeit). Einen Unterschied zwischen den einzelnen Personen, die er gleich ewig, gleich vollkommen und gleich allmächtig sieht, verneint Augustinus nicht; er will zwar nicht Modalist sein, nähert sich dem Modalismus aber stark an. Die Personen betrachtet er vor allem als „Relationen“ innerhalb des göttlichen Wesens. Damit entfernt er sich von der üblichen Christologie vor ihm, die eine Unterordnung Christi unter den Vater gelehrt hat.
Die Lehre des Ausgangs des Geistes aus Vater und Sohn hat er erstmalig vorgetragen. Später führte diese Aussage zum Filioque-Streit (nach griechischer Lehre geht der Geist aus dem Vater durch den Sohn hervor, nach westlicher Ansicht aus dem Vater und dem Sohn).
Seine Lehre lieferte noch nach seinem Tod einen entscheidenden Beitrag zum Konzil von Chalcedon (451), da Papst Leo I. in seinem Tomus an die Versammlung eine christologische Schlüsselaussage machte, die von Augustinus stammte: „zwei Naturen in einer Person“ (Jesus sei Gott und Mensch zugleich).
Vom Prämillenarismus zum Amillenarismus
Augustinus ist ein Vertreter des Amillenarismus und sprach sich gegen den bis dahin weit verbreiteten Prämillenarismus aus, der die frühe Eschatologie prägte.
Zunächst dachte er in damaliger dispensationalistischer Sicht von 5000 Jahren von Adam bis zur Fleischwerdung Christi (De civitate dei 20,7), an der sich das 1000-jährige Reich anschließt. Dann argumentierte er, unter Einfluss der aufkommenden allegorischen Auslegung, es gäbe doch kein irdisches 1000-jähriges Reich für Israel, sondern dass dies „symbolisch“ als himmlische „Ewigkeit“ betrachtet werden müsse, weil die Aussicht auf fleischliche Genüsse und Schlemmereien, in einem irdischen Reich, von einem ernsthaften Halten der kirchlichen Gebote abhalten würde. Die 1000 Jahre bezog er statt dessen auf den Zeitraum zwischen Jesu erstem und zweitem Kommen (De civitate dei 20,9).
Die Verheißungen des Reiches dürften nicht mehr auf Israel angewendet werden, sondern würden sich schon jetzt innerhalb der Kirche erfüllen (Substitutionstheologie).
Durch Augustinus verbreitete sich der Amillenarismus in der westlichen Kirche, musste aber neu (allegorisch) interpretiert werden, als 1000 n. Chr. Christus nicht erschien. (Mehr dazu in Millenarismus).
Prädestination
Augustinus ist bekannt als ein Vertreter der doppelten Prädestination, in der der Mensch zum ewigen Leben oder zur Verdammung von Gott vorherbestimmt ist. In seinem Spätwerk Vom Gottesstaat (De civitate dei) geht er vor der Schaffung des Menschen von zwei Engelsstaaten aus, dem Staat der bösen Engel (civitas diaboli) und dem Staat der guten Engel (civitas dei), einige der Engel haben sich „grundlos“ von Gott „abgekehrt“ und sind böse geworden. Nach Schaffung des Menschen wurden diese beiden Staaten in den irdischen Staat (civitas terrena) und den Gottesstaat (civitas coelestis) übergeleitet, wiederum in dualistischer Ausrichtung. Nach dem jüngsten Gericht schließt sich der Kreis; am Ende gibt es wieder zwei Staaten: Civitas Mortalis, d.h. die Höllenstrafe in Ewigkeit und auf der anderen Seite Civitas Immortalis, die ewige Herrschaft mit Gott (Himmel). Die Anzahl der Menschen, die in den Himmel kommen, entspreche dabei genau der Anzahl der abgefallenen Engel, so dass der Ausgangszustand wieder hergestellt ist:
- „Das andere vernunftbegabte Geschöpf, der Mensch, der durch ererbte und eigene Sünden und Strafen ganz verlorengegangen war, sollte aus seinem wiederhergestellten Teil ergänzen, was der Fall der Dämonen der Gemeinschaft der Engel genommen hatte” (Enchiridion ad Laurentium 9, 29).
Sein Begriff des Gottesstaates wurde später lange Zeit in dem Sinne interpretiert, dass der Gläubige nur durch Gehorsam gegenüber der Kirche der Hölle entfliehen könne und trug so zur großen Macht der Kirche im Mittelalter bei.
Erbsündenlehre, Freier Wille
Augustin führte eine große Auseinandersetzung mit Pelagius, der die Theorie des freien Willens vertrat und Augustinus vorwarf, noch in den Schlingen des Manichäismus verfangen zu sein. Pelagius wurde zwar 418 im Sinne von Augustinus verurteilt, fand aber seinen Nachfolger in Julianus von Eclanum. In dieser noch heftigeren Auseinandersetzung entwickelte Augustinus die Lehre der Erbsünde. Augustinus hat dabei die Interpretation von Römer 5:12 (eph'ho pantes hemarton) übernommen, die Hilarius eingeführt hat: „In ihm [Adam] haben alle gesündigt“, so als wären alle in Adam enthalten gewesen (quasi in massa). Diese augustinische Interpretation des Pronomens επι (epì) ist philologisch fraglich (denn es heißt dort tatsächlich: „aus“ (=weil) ihm sündigten alle) und auch theologisch umstritten. Seine Interpretation wird darauf zurückgeführt, dass er das biblische Griechisch nur wenig beherrschte. Im Gegensatz zu Pelagius meinte Augustinus, dass die Erbsünde physisch übertragen wird (Concupiscentia carnalis). Augustinus argumentierte, dass nur diejenigen, die völlig unverdient die Gnade Gottes erhielten, dieser Erblast entkommen können und ewiges Leben erhalten würden. Für Augustinus war klar, dass
- „Gott im Herzen der Menschen wirkt, um ihren Willen dahin geneigt zu machen, wohin immer er will: entweder zum Guten gemäß seiner Gnade oder zum Bösen nach ihren bösen Verdiensten“.
Und er lehrte, dass von der Minderheit, die der Hölle entgehe, nur wenige einer schmerzlichen Läuterung nach dem Tod entrinnen würden.
Höllenlehre
Augustinus war daher der bedeutendste Vertreter der Ansicht, dass man in einer Hölle endlose Qualen leiden muss. Stellen wie Matthäus 25:46 legte er so aus, dass das äonische (aeternam) Leben wie auch die äonische Strafe endlos sein müsse:
- „Ist beides ewig, so ist unweigerlich auch beides entweder langwährend, aber endlich, oder beides ist immerwährend und endlos.“ (Andere Theologen sahen das äonische Leben tatsächlich nur auf wenige aufgabenbelegte Äonen begrenzt.)
Auch auf die Frage der Unverhältnismäßigkeit einer endlosen Strafe für eine einzige falsche Entscheidung fand er eine Antwort. Er hielt dafür, dass der Mensch durch die Erbsünde „ewiges Übel“ verdiene für den größten Frevel durch Adam der im Garten Eden passiert sei (andere Theologen sagten dazu, dass Gott die Sünde zur Erkenntnis des Guten wollte, was jedoch dem Wesen Gottes widerspricht, da Sünde gerade Abwendung von Gott und seinen Geboten bedeutet). Augustinus stritt auch ab, dass ein Gericht reinigenden Charakter haben könne, sondern dass es allein strafend sei. Er lehrte, dass jemand, der vor seinem Tode Gott abgewiesen habe, dies auch nach dem Tod tun würde, da er sich nicht bessern könne (andere Theologen sagten dazu, dass Gott alles bewirken könne, auch das; weil Gott jedoch den freien Willen des Menschen akzeptiert und auch Jesus lehrt, dass Menschen verloren gehen, ist diese Auslegung äußerst fragwürdig).
Damit grenzte sich Augustin ebenso wie Johannes Chrysostomos und ältere Kirchenlehrer wie Ambrosius von Mailand oder Hieronymus oder Hippolyt von Rom, der Zeitgenosse von Origenes, stark von Origenes' Lehre der Apokatastasis ab. Augustinus Argumentationsmuster hatte einen großen Einfluss auf die westliche Theologie bis zur Gegenwart.
Fegefeuer
Neben Gregor dem Großen wird vor allem Augustinus zugeschrieben, die Lehre vom Fegefeuer systematisiert und ihr einen Platz in der katholischen Kirche verschafft zu haben. Er entfaltete sie in seinem Werk Vom Gottesstaat (XXI, 13, 16, 24) und stellt in seinen Bekenntnissen (IX, 13, 34-37) einen Bezug zwischen ihr und den Gebeten für die Toten her. Sowohl er, als auch Gregor der Große, interpretieren die „Flammen“ in 1. Korinther 3:11-15 so, dass sie züchtigen und somit zur Besserung dienen (in Exposition Psalm 37,3), was in einem merkwürdigen Widerspruch zu seiner Annahme steht, dass seine „Flammen der Hölle“ nicht reinigend sein können. Matthäus 12:31 legt er so aus, dass Gott über den Tod hinaus Sünden vergibt.
Antijudaismus
In seiner Kampfschrift Gegen die Juden griff Augustinus die Juden sowohl in ihrer Lebensführung als auch theologisch an. Für Augustinus waren Juden bösartig, wild und grausam, er vergleicht sie mit Wölfen, schimpft sie „Sünder“, „Mörder“, „zu Essig ausgearteter Wein der Propheten“, „eine triefäugige Schar“, „aufgerührter Schmutz“. Sie seien des „ungeheueren Vergehens der Gottlosigkeit“ schuldig. Das Alte Testament sprach er ihnen ab: „Sie lesen sie als Blinde und singen sie als Taube“, verneinte nicht nur ihre „Auserwählung“, sondern sogar das Recht, sich noch „Juden“ zu nennen. Als erster Theologe legt er auch den Juden seiner Zeit Jesu Tod zur Last, was wieder ihre ewige Knechtschaft bedinge, ihre perpetua servitus. 1205 wird dieser Gedanke von Papst Innozenz III. aufgenommen und geht 1234 in die Dekretensammlung Gregors IX. ein.
Kampf gegen Häretiker und Schismatiker
Augustinus verurteilte scharf die Abspaltung der Donatisten von der römischen Kirche. In seinen Augen hatten sie damit das „Verbrechen des Schismas“ begangen, sie seien daher nichts als „Unkraut“, „Tiere“:
- „Diese Frösche sitzen im Sumpf und quaken: »Wir sind die einzigen Christen!«“ doch: „Mit offenen Augen fahren sie zur Hölle hinab“.
Im Jahr 411 kam es zu einem „Religionsgespräch“, der sogenannten collatio, in deren Folge der Einfluss der Donatisten abnahm. Da die Gewaltbereitschaft der Donatisten zunahm, befürwortete er, diesem Übel durch harte Strafen, striktes polizeiliches Durchgreifen und Verbot des Zugangs zu Gerichten ein Ende zu machen.
Augustinus verwendete als Rechtfertigung einen Satz aus dem Gleichnis Jesu: „Nötige die Leute hereinzukommen“ (Lukas 14:23), was er effektvoller noch mit „zwingt sie“ überträgt (cogite intrare). „Duldung“ bezeichnete Augustinus in diesem Zusammenhang nur als „unergiebig und nichtig“ (infructuosa et vana) und begrüßte die „Bekehrung“ vieler „durch heilsamen Zwang“ (terrore perculsi). In jahrelangen Pogromen wurden die Donatisten durch den römischen Staat durch Enteignung, Verlust des Erbrechts und Verbannungen des Klerus aus Afrika „genötigt“. 411 belegte Honorius die Donatisten mit Geldbussen, die 414 für hochrangige Römer erhöht wurden, und ließ ihre Bischöfe und Priester aus Afrika verbannen. 420 erscheint Augustinus‘ letzte anitdonatische Schrift Contra Gaudentium.
Diese Befürwortung der Gewalt Häretikern und Schismatikern gegenüber wurde bei der Einführung der Inquisition im Mittelalter als willkommene Rechtfertigung ihrer Vorgangsweise angesehen.
Die Lehre vom gerechten Krieg
Augustins Bündnis mit den staatlichen Autoritäten veranlasste ihn auch zur Entwicklung der folgenreichen Theorie vom "gerechten Krieg" (lat. bellum iustum). Er fügte zwar als Bedingung hinzu, dass der Krieg von der eigenen Obrigkeit erklärt werden muss, die Verteidigung der eigenen Rechte zum Ziel haben und mit möglichst zurückhaltenden Mitteln geführt werden solle. Augustinus lehrt:
- „Krieg zu führen und durch Unterwerfung der Völker das Reich zu erweitern, erscheint den Bösen als Glück, den Guten als Zwang. Aber weil es schlimmer wäre, wenn die Ungerechten über die Gerechten herrschten, so nennt man nicht unpassend auch jenes ein Glück“.
Diese Aussage wurde - häufig unberechtigt - aufgrund der weiten Interpretationsmöglichkeit in der Folge zur Rechtfertigung von Kriegen verschiedener Art verwendet.
Die Kirche als Mittler
Schon vor der Zeit des Augustinus begann die Kirche sich neu zu organisieren, nachdem sie unter Kaiser Konstantin zunächst anerkannt worden war und später zur Staatsreligion aufstieg. Daher wurde es auch wichtig, eine diesen neuen Verhältnissen gemäße Kirchenlehre (Ekklesiologie) zu entwickeln. So schrieb Augustinus:
- „Ich würde nicht einmal dem Evanglium trauen, wenn mich die Autorität der Kirche nicht dazu bewegen würde“ (c. ep. Man.5). - „Nichts Heilsameres geschieht in der katholischen Kirche, als dass die Autorität den Vorrang hat“ (mor 1,25).
Augustinus' Ekklesiologie kam zu dem Schluss, dass der Kirche Interpretationshoheit und Mittlercharakter zukommen müsse. Diese Meinung entwickelte sich auch aus seinem Menschenbild (vgl. Erbsündenlehre und Höllenlehre). Ausgeschlossen ist für ihn, dass der Mensch durch das glaubende Aufnehmen von Bibelworten allein als Individuum ohne die Organisation Kirche selig und gläubig werden kann. Zudem war durch die von Augustinus angewandte allegorische Bibelauslegung eine normierende Instanz nötig, die festlegt, welche der vielen möglichen Auslegungen die offizielle ist. Lehren, die in Konzilen unter Hoheit der Kirche festgelegt wurden, nehmen daher den gleichen Stellenwert wie die Glaubenstradition und der Bibeltext ein und vertreten den Anspruch, die allein richtige Sicht des Glaubens wiederzugeben. Will man „recht“ glauben, müsse man den Lehren der Kirche glauben.
Mit diesem dogmatischen Ansatz wurde aus Sicht mancher Kritiker Jesus Christus als alleiniger Mittler zwischen Gott und dem einzelnen Menschen zwar theoretisch beibehalten, jedoch die Kirche als „Heilsorganisation“ als ebenso unverzichtbar für das persönliche Heil des Einzelnen danebengestellt.
Augustinus und Ordensgemeinschaften
Augustinus war neben seiner Theologie auch als Bischof maßgeblich an der inneren Reorganisation der Kirche beteiligt. So hat er eine Regel für Frauen und Männer aufgestellt, die bis heute, in einer überarbeiteten Version, von verschiedenen Orden als Augustinusregel verwendet wird.
Augustinus hat auch eine Gruppe von Klerikern (Priester, Diakone...) um sich versammelt, die ein gemeinsames Leben führten und so zu den ersten Kanonikern wurden. Die Kanoniker des Augustinus waren, wie damals üblich, zum Enthaltsamkeitszölibat angehalten, was durch das gemeinsame Leben unterstützt wurde.
Nachdem im Frühmittelalter die Regel des Benedikt von Nursia weite Verbreitung gefunden hatte, und die augustinische Ordnung kaum bekannt war, wurden im Hochmittelalter Ideen und Vorstellungen des Augustinus wieder verwendet und beeinflussten nicht nur das Leben der Regularkanoniker (z.B. Augustiner-Chorherren), sondern insbesondere auch Teile der in jener Zeit entstehenden Bettelorden (z.B. Augustiner-Eremiten, Dominikaner, Mercedarier).
Begründet durch die Brautradition vieler Orden gilt Augustinus als Schutzpatron der Bierbrauer.
Außerdem ist er Namenspatron der deutschen Stadt Sankt Augustin.
Kritik
Einige Historiker und Theologen wie Alfred Adam und Wilhelm Windelband vertreten die Ansicht, dass Augustinus bei der Entwicklung seiner Lehren stark vom Manichäismus und Neuplatonismus beeinflusst war und viele seiner Ideen daher biblisch nicht haltbar seien. Sie führen Lehren wie den starken Dualismus an, der auch im Manichäismus vorherrscht (Staaten des Guten und Bösen im Gottesstaat), die Fegefeuerlehre (Inkarnation der „Hörer“), die Höllenlehre, die Erbsündenlehre, die Lehre der doppelten Prädestination (electi, auditores und Sünder), den Kreislauf (zwei Staaten zu Anfang und zum Ende) und die Körper- und Sexualfeindlichkeit. Insgesamt hätte Augustinus nach Ansicht dieser Kritiker die Überzeugungen des Urchristentums fast bis zur Unkenntlichkeit deformiert.
Der Theologe David Edwards bezweifelt, dass Augustinus dem Gottesbild Jesu Christi gerecht werde, da seine (im Alter zunehmend negative) Einschätzung der überwiegenden Zahl der Menschen als „massa damnata“ nicht erkläre, wie dann der Erlöser, der doch einen von Mitleid erfüllten Vater-Gott repräsentiere, „Freund der Sünder“ genannt werden könne.
Siehe auch
Werke
Autobiographische Schriften
- Confessiones (dt. Bekenntnisse) -- Autobiographische Betrachtungen
- Retractationes (dt. Überarbeitungen) -- enthält nachträgliche Korrekturen und Anmerkungen zu seinen früheren Schriften
Philosophische Schriften
- De civitate Dei (dt. Vom Gottesstaat)
- De Trinitate (dt. Über die Dreifaltigkeit) -- fünfzehnbändiges Hauptwerk
- De beata vita (dt. Über das Glück) -- Über den Zusammenhang zwischen Glück und Gottesbegegnung
- De magistro (dt. Über den Lehrer) -- Zur Bedeutung der Sprache
- De vera religione (dt. Über die wahre Religion) -- Zur Bedeutung der christlichen Religion
- Soliloquien (dt. Selbstgespräche) -- Zur rationalen Selbsterkenntnis
- De immortalitate animae (dt. Von der Unsterblichkeit der Seele)
- De doctrina christiana (dt. Über die christliche Bildung)
- De libero arbitrio (dt. Der Freie Wille) -- erläutert die Willensfreiheit
Literatur
Vorlage:Philosophiebibliographie1
- Uwe Neumann: Augustinus. 2. Aufl. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2004, ISBN 3-499-50617-3
- Kurt Flasch: Augustinus. Dtv, München 2000, ISBN 3-423-30692-0
- Peter Brown: Augustinus von Hippo. Eine Biographie. Neuausg. Dtv, München 2000, ISBN 3-423-30759-5
- Christoph Horn: Augustinus. Beck, München 1995, ISBN 3-406-38930-9
- Wilhelm Kahl: Die Lehre v. Primat des Willens bei Augustinus, Duns Scotus und Descartes, Straßburg 1886.
- Cornelius Mayer u.a. (Hrsg.): Augustinus-Lexikon. (Bisher 3 Bde.) Schwabe, Basel 1994ff.
Weblinks
- Vorlage:PND
- Eintrag in Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.
- Augustinus von Hippo. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL).
- Zentrum für Augustinusforschung Würzburg: umfangreiche Webseite mit Zitatenschatz, Literaturdatenbank, Bibliographie u.a.
- Augustinus-Website von James O`Donnell (englisch)
- Vierteiliger Audio-Beitrag im Deutschlandfunk über das Leben des Augustinus (MP3-Format)
- Texte
Personendaten | |
---|---|
NAME | Augustinus von Hippo |
ALTERNATIVNAMEN | Augustinus von Tagaste [Alternativ]; Heiliger Augustinus; Augustin [Deutsch] |
KURZBESCHREIBUNG | westlicher Kirchenlehrer, christlicher Theologe und Philosoph |
GEBURTSDATUM | 13. November 354 |
GEBURTSORT | Tagaste, Numidien |
STERBEDATUM | 28. August 430 |
STERBEORT | Hippo Regius im heutigen Algerien |