Holocaust (Begriff)
Der Begriff „Holocaust“ hat eine lange Geschichte und ging über verschiedene Bibelübersetzungen in den europäischen, zuerst den englischen Wortgebrauch ein. Dort wurde er seit dem 16. Jahrhundert für verschiedene Völkermorde oder Verbrechen außergewöhnlicher Größenordnung und in der Literatur verwendet.
Heute wird der Begriff vor allem in Deutschland jedoch fast nur auf die systematische, industrielle Ermordung von Menschen, besonders Juden, in der Zeit des Nationalsozialismus bezogen. Dieses Thema behandelt der Artikel Holocaust. Strittig ist, den Begriff auch für die Gesamtheit der Vernichtung von Menschenleben durch die Nazis mit industriellen Methoden zu bezeichnen; um die Vernichtung der Juden, die 2/3 des Holocaust ausmachte, zu bezeichnen, wird dann der Begriff Shoah verwendet.
Dieser Artikel gibt einen Überblick über die Herkunft des Begriffs und seine sonstigen Verwendungen in chronologischer Reihenfolge.
Herkunft
Das Wort Holocaust leitet sich vom griechischen holókauston her und bedeutet vollständiges Brandopfer. Erstmals Erwähnung in diesem Sinn fand es bei dem griechischen Historiker Xenophon. Der Begriff taucht auch in der Septuaginta, der griechischen Bibelübersetzung, auf:
- „Gott sprach zu Abraham: 'Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast, und geh hin in das Land Morija und bringe ihn dort als Brandopfer [holókauston] dar auf einem Berge, den ich dir sagen werde.'“ (Genesis 22, 2)
In der lateinischen Bibelübersetzung - der Vulgata - entstand daraus der Begriff holocaustum. Anders als im deutschen Sprachraum, wo Martin Luther die entsprechenden Bibelstellen mit Brandopfer übersetzte, hielt der Begriff im angelsächsischen Sprachraum als holocaust Einzug in die Sprache.
Er existiert dort seit dem 16. Jahrhundert, etwa für Großbrände und Massenmorde, und wurde in diesem Sinne häufiger auch literarisch verwendet. Doch seit 1945 wird der Begriff auch in Großbritannien und den USA meist für den Mord an den europäischen Juden verwendet oder anderweitig dazu in Beziehung gesetzt.
Die Verwendung von "Holocaust" für die Verbrechen der Nationalsozialisten ist seit 1979 üblich.
Siehe: Hauptartikel: Holocaust
Zur Problematik der Verwendung des Begriffs
Sowohl Überlebende der Shoah, als auch die Protagonisten zahlreicher Versuche, den Holocaust zu leugnen oder die Geschichte zu beschweigen, zu verdrängen oder umzubiegen (Revisionismus), verbinden mit dem Holocaust vor allem die Verbrechen, die mit Auschwitz verbunden werden. Vor diesem Hintergrund ist die Verwendung des Begriffes, die geschichtsbewusst nicht losgelöst von Auschwitz geschehen kann, immer auch ein Affront für die von der Geschichte direkt Betroffenen. Viele Nationalisten, denen dieser Teil der Geschichte für das eigene nationale und antisemitische Selbstbewusstsein ein Dorn im Auge ist, bemühen die Strategie der Relativierung dieser Geschichte dadurch, dass sie möglichst viele andere Ereignisse in der Geschichte mit eben diesem Begriff besetzen. Hinzu kommt auch das psychologische Problem vieler, Schuldgefühle abwehren zu wollen. Durch eine Relativierung mittels Verwendung des Begriffes für andere Ereignisse meinen einige sogar gegen ein Tabu zu rebellieren. Der Hinweis auf die besondere Geschichte dieses Begriffes wird seit einigen Jahren mit Klagen über die "Politische Korrektheit" der "Gutmenschen" beantwortet. Darüber hinaus halten immer wieder verschiedenste politische Bewegungen und Akteure es für sehr effektiv, moralische Fragen, wie die der Abtreibung, des Tierschutzes und der Ökologie, oder auch Massenmorde, die nach 1945 verübt wurden, mit dem Begriff zu besetzen. Der erwünschte Effekt ist dabei oft vor allem der, für diese Sachverhalte eine besonders große moralische Betroffenheit und Empörung zu erreichen. Die Konsequenzen, die eine solche Politik z.B. für Überlebende des Holocaust haben, werden dabei nicht thematisiert
Beispiele für Verwendungen des Begriffes Holocaust trotz oder wegen Auschwitz
Holocaust als Vernichtung weiter Bevölkerungsteile
Verwendung für den Genozid an den Armeniern
Hauptartikel: Völkermord an den Armeniern
Nicht-Armenier, die bereits am Ende des 19. Jahrhunderts über Massaker an den Armeniern entsetzt waren, verwandten dafür zum ersten Mal den Begriff Holocaust. Die Armenier haben dafür die Bezeichnung 'Aghet'. Meist spricht man heute vom Völkermord (Genozid) an den Armeniern und unterlässt es, in diesem Fall von einem Holocaust zu sprechen: Zum einen weil dies zu einer Relativierung des Begriffes in der Form führe, wie sie seit 1979 üblich ist; zum anderen da der Aspekt des Verbrennens der Leichen, welcher dem Begriff Holocaust immanent ist, hier fehlt. Nach deutschem Recht ist die Leugnung des Völkermords an den Armeniern im Gegensatz zur Leugnung des Völkermords an den Juden nicht strafbar.
„Hunger-Holocaust“
„Hunger-Holocaust“ ist ein anderer Begriff für die heute unter dem Namen Holodomor bekannte Hungersnot zu Beginn der 1930er Jahre in der Ukrainischen SSR. Er wird in der wissenschaftlichen Debatte um die Gründe der Hungersnot heute nicht mehr verwendet.
Verwendung für Flächenbombardements im Zweiten Weltkrieg
Besonders im Zweiten Weltkrieg wurde der aus der englischen Literatur bekannte Terminus Holocaust - unabhängig von den Völkermorden der Nationalsozialisten - für Bombardierungen von Großstädten mit Hunderttausenden Todesopfern verwendet.
So nannten amerikanische Offiziere in Japan die Folgen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, aber auch die Folgen durch gewöhnliche Brandbomben, zum Beispiel auf Tokio. Obwohl die amerikanische Militärzensur verbot, den Begriff in diesem Sinn zu verwenden, wurde er vereinzelt noch länger benutzt, zum Beispiel im Jahr 1965 durch den ehemaligen US-amerikanischen Brigadegeneral Powers in seiner Autobiografie.
Holocaust als weitgehende globle Vernichtung allen Lebens
Der Ausdruck Holocaust wird daneben auch manchmal für die weitgehende Vernichtung allen Lebens verwendet:
Atomarer Holocaust
Hauptartikel: Nuklearer Holocaust
Der Ausdruck atomarer oder nuklearer Holocaust wurde in den 1980er Jahren als politisches Schlagwort der Friedensbewegung in den Sprachgebrauch eingeführt. Er bezeichnete die Befürchtung, dass ein mit Kernwaffen geführter Dritter Weltkrieg aller Voraussicht nach die völlige oder zumindest weitestgehende Vernichtung menschlichen und anderen Lebens auf der Erde in Form eines "Weltbrandes" herbeiführen würde. Seit dem Ende des Kalten Krieges ist diese Angst nicht mehr im allgemeinen Bewußtsein.
Sauerstoffholocaust
Die weitgehende Vernichtung der überwiegenden existierenden Kleinstlebewesen durch den Anstieg des Sauerstoffs als Stoffwechselprodukts der Zyanobakterien wird manchmal auch als Sauerstoff-Holocaust bezeichnet. Seinerzeit schafften es nach Theorien nur wenige Bakterien, auf der Oberfläche zu überleben, indem sie sich mit Zyanobakterien verbanden und einen Zellkern bildeten.
Der Begriff ist in sofern passend, als daß es sich um ein Massensterben handelte, das durch den extrem reaktionsfreudigen Sauerstoff ausgelöst wurde und so den Ausdruck eines "Brandopfers" verdient.
Verwendungen, um Dinge in die Nähe des NS-Holocaust zu rücken
- „Roter Holocaust“
Hauptartikel: Roter Holocaust
Ende der 1990er-Jahre wurde der umstrittene Begriff Roter Holocaust in der kritischen Diskussion um das 1998 auf deutsch erschienene Buch Schwarzbuch des Kommunismus in die politisch-historische Debatte eingeführt. Kern der Problematik ist der Vergleich von Verbrechen kommunistischer Regierungen mit den Verbrechen der Nationalsozialisten, bei dem die Einzigartigkeit des Holocaust in Frage gestellt werden könnte. Diese Debatte kann als Fortsetzung des in Deutschland sogenannten Historikerstreits aus den 1980er Jahren gesehen werden.
- Babycaust
Babycaust ist eine von Klaus Günter Annen geprägte Wortschöpfung in Bezug auf die Abtreibung, die er auf einem Flugblatt vor einer Abtreibungspraxis verbreitete. Darüberhinaus bezeichnete´er Abtreibung als neuen Holocaust, nicht zuletzt angesichts der Wehrlosigkeit der Opfer und der praktizierten Verbrennung der "Überreste".
Der Begriff Babycaust und neuer Holocaust als Bezeichnung für Abtreibung wurde in einem Rechtsstreit vom BGH und OLG in Karlsruhe als legitime Meinungsäußerung gewertet. Dazu heißt es im Urteil des OLG Karlsruhe:
- Nach diesen höchstrichterlichen Rechtsgrundsätzen stellen die Bezeichnungen der in Deutschland vorgenommenen Abtreibungen als "Mord an unseren Kindern" und als "neuer Holocaust" zwar drastische und überzeichnende Formulierungen dar, die aber auch in ihrem konkreten Bezug zur Person und zur ärztlichen Tätigkeit des Klägers noch vom Grundrecht der Meinungsfreiheit getragen werden. [...]
- Der interessierte Leser des Flugblattes erkennt in diesen Bemerkungen den Protest eines entschiedenen Abtreibungsgegners, der mit plakativen und drastischen Formulierungen Aufmerksamkeit erregen will. Es geht dem Beklagten um die Vermittlung der Meinung, die auf Grund der gegenwärtigen Gesetzeslage herrschende Abtreibungspraxis in Deutschland stelle eine verwerfliche Massentötung (werdenden) menschlichen Lebens dar. Eine Gleichsetzung mit dem Holocaust in seinem geschichtlichen Sinne ist dem Kontext des Flugblattes nicht zu entnehmen. Das folgt schon daraus, dass der Beklagte auf der Rückseite des Flugblattes seinen Standpunkt näher begründet und argumentativ unterlegt.
Und im BGH-Urteil vom 30. Mai 2000 - VI ZR 276/ 99:
- Eine Meinungsäußerung im Rahmen eines Beitrags zur politischen Willensbildung in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden, fundamentalen Frage, bei der es um den Schutz des Lebensrechts Ungeborener geht, muß nach Art. 5 Abs. 1 GG in einer freiheitlichen Demokratie grundsätzlich selbst dann toleriert werden, wenn die geäußerte Meinung extrem erscheint (hier: "Babycaust").
"Bombenholocaust"
Der Begriff Bombenholocaust wurde in Deutschland erstmals im Januar 2005 genutzt. Der NPD-Landtagsabgeordnete Jürgen W. Gansel verwendete ihn für die Bombardierung Dresdens am 13. und 14. Februar 1945 bzw. für die deutschen Opfer des Luftkrieges im 2. Weltkrieg im Allgemeinen. Der Rahmen ihrer Reden war eine von ihrer NPD beantragte Aktuelle Stunde zum 60. Jahrestag des Luftangriffs auf Dresden im Sächsischen Landtag, in dem die NPD seit 2004 mit 9,2 % der Wählerstimmen vertreten ist.
Diese Aktion stand im Kontext einer bundesweiten Mobilisierung von Anhängern der rechtsextremen Szene zum „Gedenkmarsch“ in Dresden am 13. Februar 2005, der von der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen ausgerichtet wurde. Dies sorgte im In- und Ausland für erheblichen Unmut und Aufsehen in den Medien. Da die Leugnung oder Rechtfertigung der Verbrechen des Naziregimes als Volksverhetzung gilt und nach § 130 StGB strafbar ist, wurde wegen des Verdachts darauf ein Strafverfahren eingeleitet.
Die zuständige Staatsanwaltschaft stellte unter Berufung auf die Indemnität des Abgeordneten das Verfahren ein. Darüber hinaus ist in Deutschland laut den Einstellungsentscheidungen verschiedener anderer Staatsanwaltschaften in Bezug auf Äußerungen von NPD-Funktionären, die keine Indemnität genießen, die Verwendung des Begriffs Bombenholocaust überhaupt nicht strafbar.
Bundespräsident Horst Köhler plädierte nach einem Israelbesuch - gerade da keine Strafbarkeit gegeben ist - für die energische politische und notfalls rechtliche Bekämpfung der NPD.
Siehe auch: Holocaustleugnung, Geschichtsrevisionismus, Jörg Friedrich(sprachliche Vorbereitung der Parole)
Holocaust-Vergleich von PETA
Im März 2004 wollte die Tierschutzorganisation People for the Ethical Treatment of Animals auf die Missstände bei der Massentierhaltung wie z. B. die Herodes-Prämie aufmerksam machen und verwendete dafür den Slogan Holocaust auf ihrem Teller. Dafür erntete die Organisation vor allem Empörung und auch Kritik von anderen Tierschützern. Der Zentralrat der Juden in Deutschland verurteilte die Kampagne aufs Schärfste. Auch das Amtsgericht Stuttgart verurteilte die Organisation aufgrund dieser Aktion wegen Volksverhetzung: „Was Sie hier gemacht haben, hat nicht nur den guten Geschmack, sondern auch die Grenze des Strafrechts überschritten.“, so der Amtsrichter. PETA hat Berufung gegen das Urteil angekündigt.
Weblinks
allgemein
zum Babycaust
- Homepage Babycaust
- Urteil OLG Karlsruhe
- gesetzliche Lage
- Kritisch
- Gedenkjahr 2005 und die radikalen Abtreibungsgegner Oder: Babycaust statt Holocaustgedenken