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Chinesische Schrift

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Die chinesische Schrift

Geschichte

Historie bis zur Volksrepublik China

Die chinesische Schrift hat ihren Ursprung vor über 3000 Jahren.

Ein Orakelknochen

Die ältesten Schriftzeichen (漢字, chin. hanzi, jap. kanji, kor. hanja) waren in Rinderknochen (Schulterblatt, so genannte Orakelknochen) und Schildkrötenpanzer (zum Weissagen der Jagd etc.) eingeritzte Bildzeichen aus der Zeit ca. 1400 v. Chr. Sie wurden 1899 in Anyang gefunden. Es wird davon ausgegangen, dass zum damaligen Zeitpunkt bereits 5000 verschiedene Zeichen existierten. Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends entwickelte sich die Bilderschrift zu einer voll verkehrsfähigen Schrift, die in der Lage war Syntax und Semantik einiger der damaligen Sprachen im Raum der heutigen Volksrepublik China vollständig abzubilden. Mit der chinesischen Reichseinigung unter dem ersten Kaiser 秦始皇帝 (Qin Shi Huang Di) ca. 200 v. Chr. fand eine große Schriftvereinheitlichung statt.

Die Schriftzeichen wurden im Rahmen des Kulturtransfers, der Eroberung und der Missionierung durch den Buddhismus in den Ländern Japan, Korea und Vietnam übernommen. Dort wurden sie zum Teil durch Silbenschriften erweitert (Hiragana und Katakana in Japan), parallel zu phonembasierten Schriften verwendet (in Korea, Hangeul) oder, wie in Vietnam, schließlich nach dem Ende der Kolonialherrschaft der Franzosen abgeschafft.

Die Verwendung der Schriftzeichen im gesamten Einzugsbereich des chinesischen Kaiserreichs im Zusammenspiel mit dem seit der Reichseinigung (Qin-Dynastie) 200 v. Chr. etablierten Beamtenstaat führte dazu, dass die Schriftsprache eine die verschiedenen chinesischen Sprachgemeinschaften verbindende Lingua Franca wurde. Sie bildete das Verbindungsmaterial, das die relative Geschlossenheit des chinesischen Kulturraums ermöglichte. Gleichzeitig führte es dazu, dass in China bis ins 20. Jahrhundert hinein ein Politiker ein guter Literat sein musste, wenn er Einfluss gewinnen wollte - und nicht, wie im Westen, ein guter Redner. An vielen Stellen wird beschrieben, wie groß die Enttäuschung bei vielen Chinesen war, als sie Politiker wie Mao Zedong oder Deng Xiaoping zum ersten mal sprechen hörten.

Schrift in der Volksrepublik China, Taiwan und Japan

Im Jahre 1955 fand in der Volksrepublik China eine Schriftreform statt, in deren Verlauf eine starke Vereinfachung der meisten der häufig gebrauchten Schriftzeichen vorgenommen wurde. Die traditionellen "Langzeichen" werden jedoch heutzutage vielfach parallel verwendet und kehren seit den Lockerungen in der Volksrepublik immer mehr in den Alltag zurück. Es hat sich herausgestellt, dass die vereinfachten Zeichen zwar das Schreiben erleichtern, aber das Lesen vielfach erschweren, da sie untereinander ähnlicher sind - ein ähnlicher Effekt wie in der westlichen Stenographie. Mit der weiten Verbreitung der elektronischen Textverarbeitung geht der Vorteil der vereinfachten Zeichen, das schnellere handschriftliche Schreiben, allmählich wieder verloren.

In Taiwan und Hongkong wurde die Tradition des Schreibens mit Langzeichen bis heute nicht unterbrochen. In Japan wird eine weniger radikal vereinfachte Variante der Langzeichen gebraucht.

Lexika

Das älteste Lexikon für chinesische Schriftzeichen ist das Shuowen jiezi (說文結字, dt. Erklärung der einfachen Zeichen und Erläuterung der zusammengesetzten Zeichen) aus dem Jahr 121 n.Chr. Die Schriftzeichen sind dort nach einem System von wieder erkennbaren Elementarzeichen, den sog. 'Radikalen', eingeteilt. Dieses System, die Schriftzeichen durch Radikale zu klassifizieren, hat sich bis heute erhalten. Die Zahl der Radikale, die im Shuowen jiezi noch 512 betrug, wurde jedoch immer weiter reduziert, so dass die heute am weitesten verbreitete Einteilung für die traditionellen chinesischen Zeichen 214 Radikale als Klassenzeichen verwendet. Diese Einteilung wurde durch seine Verwendung im Kangxi zidian (康熙字典, Kangxi-Wörterbuch) aus dem Jahre 1716 verbreitet. Es enthält bereits ca. 49.000 Schriftzeichen. (Liste traditioneller Radikale)

Das Kanji-Database-Projekt ist im Moment dabei, die in Unicode 3.1 festgelegten 70.000 Zeichen mit den 90.000 Zeichen der Mojikyo-Fonts unter einen Hut zu bringen. Wörterbücher für vereinfachte Schriftzeichen verwenden eine andere Anzahl an Radikalen, oftmals sind es 227 Radikale.

Die Schrift im Einzelnen

Einteilung der Schriftzeichen

Die Schriftzeichen werden in China nach sechs verschiedenen Arten (六書, Liushu) unterschieden:

  • 1. 象形 (Xiangxing, dt. Bildzeichen) - tatsächlich Piktogramme. (geben das Bezeichnete der Erscheinungsform nach wieder z.B. 山 für Berg)
  • 2. 指事 (Zhishi, dt. auf Tatbestände deuten) - Symbole, Ideogramme.
  • 3. 會意 (Huiyi, dt. Vereinigung der Bedeutungen) - Zeichen, die aus zwei oder mehr Zeichen mit verschiedenen Bedeutungen zusammengesetzt sind und deren Inhalt mit dem neuen Gesamtinhalt zusammenhängt.
  • 4. 形聲 (Xingsheng, dt. Form und Ton) - Zeichen, die aus einem laut- und einem bedeutungsandeutenden Zeichen zusammengesetzt sind - Phonogramme.
  • 5. 轉注 (Zhuanzhu, dt. wenden und gießen) - Synonyme
  • 6. 假借 (Jiajie, dt. unter falschem Namen) - Zeichen, die wegen gleicher Lautung für eine andere Bedeutung verwendet werden.

90% Prozent aller Schriftzeichen fallen dabei unter die Gruppe 4 形聲 (Xingsheng).

Bedeutung einzelner Schriftzeichen

In der langen Geschichte haben die meisten Schriftzeichen eine ganze Reihe von Bedeutungen angenommen. Zum Beispiel hat das Zeichen 傳 (zhuan) die Bedeutungen

  • 1. predigen, propagieren
  • 2. interpretieren, über etwas sprechen
  • 3. sich ausbreiten (Gerücht, Krankheit)
  • 4. übertragen (Elektrizität, Wärme)
  • 5. schicken
  • 6. Bezeichnungszusatz für eine Chronik, einen Bericht oder ein Register.

Oder das Zeichen 道 (dao) hat die Bedeutung

  • 1. Weg, Straße
  • 2. Wahrheit, Doktrin, Lehre, Prinzip
  • 3. Taoismus
  • 4. Regierungsbezirk, politische Unterabteilung einer Präfektur
  • 5. (Zähleinheitswort), z.B.: 一道光 (yi dao guang, dt. ein Lichtstrahl)
  • 6. führen, leiten
  • 7. sprechen, sagen, Wörter
  • 8. rein phonetische Verwendung (z.B. bei der Transkription der dt. Stadt Landau -> Lang-dao)

Dies stellt eine der großen Schwierigkeiten bei der Lesung und Übersetzung von alten Texten dar. Da die gesprochenen Sprache jedoch über sehr viele Homophone verfügt, sind in vielen Fällen die Zeichen bessere Hinweise auf die Bedeutung als eine rein phonetische Wiedergabe. Einen antiken Text nur aufgrund einer phonetischen Wiedergabe zu verstehen, ist praktisch unmöglich.

Wörter

Die Wörter setzen sich zumeist aus mehreren Zeichen zusammen. Ursprünglich bestanden im antiken Chinesisch die meisten Wörter aus einem oder zwei Zeichen. Die immer weitergehende Verlängerung der Wörter hat sich im 20. Jahrhundert seit der Gründung der Republik noch verstärkt.

Drucksatz

Im Druck werden alle Zeichen, einschließlich der Satzzeichen, in gleichgroße, ungefähr quadratische gedachte Kästchen gesetzt. Verschieden breite Zeichen, wie etwa das deutsche "m" gegenüber dem "i", gibt es somit nicht. Um die Details auch der kompliziertesten Zeichen (mit 20 und mehr Strichen) noch erkennen zu können, darf die Schrifttype insgesamt nicht zu klein gewählt werden. Bei selteneren Zeichen wird oft daneben oder darüber sehr klein die Aussprache angegeben (z.B. in Japan durch Furigana (auch Rubi oder Ruby genannt), in der VR China bis 1956 und in Taiwan bis heute Bopomofo).

Leerzeichen zwischen Wörtern sind in der chinesischen Schrift im allgemeinen unüblich. Dadurch gibt es keine klare Abgrenzug des Begriffs "Wort" in den Sprachen, die die Chinesische Schrift verwenden. Oft sind sich auch verschiedene Muttersprachler nicht einig darüber, ob z.B. ein bestimmtes Element in einem Satz nun eine Endung oder ein eigenes Wort ist.

Eine Textzeile wird, sobald sie voll ist, an einer beliebigen Stelle umgebrochen; Trennungsregeln gibt es nicht. Nur unmittelbar vor einem Satzzeichen wird nicht getrennt und in diesem Fall ein Zeichen in die nächste Zeile "mitgenommen".

Schreibrichtung

Die Schreibrichtung war in der vormodernen Zeit in der Regel senkrecht, von oben nach unten, und diese Spalten waren von rechts nach links nebeneinander angeordnet.

Seit der Schriftreform wird in der VR China in Büchern meistens wie bei europäischen Büchern in Zeilen von links nach rechts und mit von oben nach unten angeordeten Zeilen geschrieben. In Taiwan gedruckte Bücher werden jedoch nach wie vor von oben nach unten gelesen. Für Zeitungen und Zeitschriften gilt das jedoch nur bedingt. In Anzeigen, und häufiger auch in der Werbung, wird, wenn im Text auch westliche (Marken-)namen auftauchen, die Schreibweise von links nach rechts verwendet.

Von oben nach unten gedruckte Bücher, also in Taiwan gedruckte, werden aus europäischer Sicht auf der "falschen" Seite geöffnet. Blickt man auf die Titelseite, so ist der Buchrücken also rechts und nicht wie in Europa links. Bücher, wo die Schriftzeichen von links nach rechts angeordnet sind, also in der VR China gedruckte, werden wie europäische Bücher geöffnet und gelesen.

Inschriften über Portalen und Türen sind in der VR China häufiger in Spalten von rechts nach links geschrieben. In Japan sind Portalüberschriften eher - so wie in Europa - in Zeilen von links nach rechts, bei Tempeln und Schreinen allerdings fast ausschließlich traditionell in Spalten von rechts nach links geschrieben.

Interpunktion

Die Interpunktion (標點, biaodian) in ihrer heutigen vollständig ausgereiften Form wurde durch den Kontakt mit dem Westen erst nach und nach im 20. Jahrhundert eingeführt. Allerdings sind schon auf den frühgeschichtlichen Knocheninschriften eingeritzte Striche zu erkennen, die wahrscheinlich zur Abgrenzung semantischer Einheiten dienten. In den antiken Texten war Interpunktion unüblich und die Leser konnten sich selbst ihre 讀 (dou, dt. Pausenzeichen) in die Texte schreiben. Diese bestanden meistens in einem kleine Kreis "。" 圈 (quan) oder in einem Punkt 點 (dian). Der Vorgang des Hineinschreibens der Interpunktion in den Text wird seit der Han-Zeit als 句讀 (judou, dt. Sätze lesen) bezeichnet. Große Gelehrte konnte man daran erkennen, wie souverän sie in der Lage waren, die Interpunktion zu setzen. Noch heute findet man in den Buchhandlungen Taiwans Ausgaben von Klassikern, in denen die Zeichensetzung berühmter Gelehrter notiert ist.

Kalligraphie

Die Kalligraphie ist eine in China hochangesehene Kunst. Hierbei werden mit einem Pinsel die Zeichen schwungvoll zu Papier gebracht. Diese Schriftzüge gelten genauso als Kunstobjekte wie z.B. Malereien. Es ist in der chinesischen Malerei sogar üblich Schriftzeichen in das Bild mit einzufügen.

Kalligraphische Kunstwerke zieren darüberhinaus als paarige senkrechte Schrittafeln und waagerechte Namensschilder den typischen chinesischen Garten. Sie sind von den Gartenbauten fast nicht zu trennen und bilden wichtige Schmuckelemente im chinesischen Landschaftsgarten. Der Inhalt der Tafeln und Schilder ist im allgemeinen auf die Umgebung der Gebäude bezogen. Häufig handelt es sich um Zeilen aus berühmten Gedichten, in denen Besonderheiten der Szenerie angedeutet sind.

Ihren künstlerischen Höhepunkt erreichte die Kalligraphie zusammen mit anderen Kunstformen in der Tang-Dynastie (618-907 n. Chr.). Die Kunstwerke der damaligen berühmten Kalligraphen - etwa von Wang Xizhi, Yan Zhenqing, Ou Yangxun und Liu Zongyuan - werden bis heute als unbezahlbare Schätze betrachtet.

Der Wert des 'Schönschreibens' wird in China sehr hoch angesetzt. Das sieht man auch daran, dass die Republik China in Taiwan bei den offiziellen Biographien ihrer bisherigen Präsidenten kalligraphische Arbeiten von diesen mit angibt. Hier z.B. für Sun Yat-sen.

Lautumschriften

Zur besseren Handhabung der Schriftzeichen wurden mehrere Lautumschriften erfunden. Neben einigen an der Sprache des jeweiligen Übersetzers orientierten Sonderformen sind heute vor allem zwei Systeme gebräuchlich: Die Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte Umschrift von Wade-Giles und das mit der Vereinfachung der Zeichen in der VR China eingeführte Pinyin, das sich heute international zunehmend als Standard durchsetzt. Durch die vielfältigen Systeme kommt die teilweise vorhandene Uneinheitlichkeit der Lautumschrift zustande (z.B. Mao Zedong <-> Mao Tse-Tung oder Beijing <-> Peking).

Mystik

Der chinesischen Schrift wurde eine innewohnende Mystik zugeschrieben. So wurden früher in China und Japan Zaubersprüche auf einen Papierstreifen geschrieben, und diese dann als Amulette benutzt. Sie verschafften beispielsweise Schutz vor Dämonen oder brachten einfach Glück.

Literatur