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Taijiquan

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Das Tàijíquán [tʰaitɕitɕʰyan] (chinesisch 太極拳 / 太极拳, W.-G. T'ai-chi-ch'üan) auch T'ai-Chi-Ch'uan, verkürzend Tai Chi oder chinesisches Schattenboxen genannt, ist eine im Kaiserreich China entwickelte innere Kampfkunst.

In der Volksrepublik China ist Taijiquan in zumeist stark vereinfachter Form ein Volkssport und in den Parks der Städte sieht man in den Morgenstunden tausende Menschen beim Üben der Bewegungen.

Über den Aspekt als Kampfkunst und Selbstverteidigung hinaus wird Taijiquan häufig als allgemeines System der Bewegungslehre oder als Gymnastik betrachtet, welches einerseits der Gesundheit sehr förderlich ist, andererseits der Persönlichkeitsentwicklung und der Meditation dienen kann. Besonders im Westen tritt der Kampfkunstaspekt häufig hinter diesen Aspekten zurück.

Taijiquan in Deutschland

In Deutschland gibt es zahlreiche Verbände, Schulen, Vereine und Einzellehrer, die Taijiquan unterrichten. Eine übergeordnete Organisationsstruktur existiert nicht. Es gab und gibt jedoch verschiedene Versuche, eine solche zu schaffen.

In vielen Fällen übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen der Gesundheitsvorsorge zumindest teilweise die Kosten von Taijiquan-Kursen, sofern diese von einem von der Krankenkasse zugelassenen Veranstalter durchgeführt werden.

Praxis

Grundlagen

In den verschiedenen Stilen und Schulen werden verschiedene Basisübungen praktiziert. Häufig werden dabei Übungen aus Systemen des Qigong verwendet, die auf das Praktizieren des Taijiquan vorbereiten.

Form (chinesisch 套路)

Im Zentrum des Übens von Taijiquan steht meistens eine so genannte "Form", ein klar umschriebener Bewegungsablauf aufeinanderfolgender meist fließender Bewegungen (vergleichbar einer Kata in den japanischen Kampfkünsten). Eine Form setzt sich aus mehreren Bildern bzw. Einzelbewegungen zusammen. Viele Formen werden deswegen nach der Anzahl ihrer Bilder benannt, so zum Beispiel die 24-Bilder-Form (Pekingform) oder die 37-Bilder-Form (Yang-Stil nach Zheng Manquing). Die längsten Formen können über 100 Bilder haben. Die Ausführung der Form kann von wenigen Minuten bis zu eineinhalb Stunden dauern, je nach Anzahl der Bilder und Geschwindigkeit der Ausführung.

Taijiquan-Formen werden meistens langsam und ruhig ausgeführt, doch kann es je nach Stil, Form und Erfahrung des Übenden große Unterschiede geben.

Waffenformen

Ein Bild einer Fächerform des Taijiquan

Die gebräuchlichsten Formen sind waffenlos, doch gibt es auch zahlreiche Waffen- oder Geräteformen. In traditionell orientierten Taijiquan-Schulen werden fortgeschrittene Schüler in den Waffenformen unterrichtet. Waffen des Taijiquan sind

  • einfaches Schwert (Dan Jian)
  • Doppelschwert (Shuang Jian)
  • einfacher Säbel (Dan Dao)
  • Doppelsäbel (Shuang Dao)
  • Fächer
  • Kurzstock
  • Langstock
  • Speer
  • Hellebarde

Am häufigsten werden Soloformen geübt, es gibt jedoch auch Partnerformen. Auch freie Anwendungen und freier Kampf werden zum Teil unterrichtet.

Partnerübungen

Neben dem Solo-Formtraining gibt es auch Partnerübungen, deren bekannteste das Tui Shou ("Push Hands", schiebende oder hörende Hände) ist. Im Tui Shou lernt man die durch das Üben der Form erarbeiteten Prinzipien auch im Kontakt mit einem Partner umzusetzen, es schult die Sensitivität und einen festen Stand. Im freien Tui Shou, das nicht mehr einem vorgeschriebenen Ablauf folgt sondern in dem jede Bewegung der Form angewendet werden darf, können die Übenden sich gegenseitig demonstrieren, wie sie die Prinzipien des Taijiquan verinnerlicht haben.

Je nach Taijiquan-Stil gibt es auch noch andere Partnerübungen, die aufeinander aufbauend von einfachen Grundlagen bis zu freieren Sequenzen das Taijiquan in Anwendung, Selbstverteidigung und Wettkampf trainieren.

Prinzipien

Qi (Ch'i)

Wegen seiner engen Verbindung zum philosophischen Daoismus kommt im Taijiquan wie in allen inneren Kampfkünsten dem Konzept des Qi (chinesisch  / , Pinyin , W.-G. Ch'i) eine wichtige Bedeutung zu. Durch das Üben des Taijiquan soll der Übende in zunehmendem Maße in der Lage sein, das Qi wahrzunehmen und schliesslich zu kontrollieren. Das Qi wird von vielen Praktizierenden als eine Art Energiefluss beschrieben, den man im Körper zirkulieren lassen kann.

Das Qi soll einerseits der Gesunderhaltung und Körperkontrolle dienen und andererseits im Kampf anwendbar sein.

Im Westen wird gerne versucht, die Natur des Qi zu erklären. Für einige handelt es sich dabei um eine rein subjektive Empfindung, die sich beim Üben einstellt, andere verstehen darunter eine erhöhte Sensitivität und Körperkontrolle, für wieder andere ist es eine für westliches Verständnis nicht greifbare Energie, die physische Wirkungen hervorruft und in der Kampfanwendung an Stelle von Muskelkraft eingesetzt werden kann.

Die 10 Grundregeln

Die folgenden zehn Grundprinzipien des Taijiquan werden Yang Chengfu (1883-1936) zugeschrieben und sollen beim Üben eingehalten werden:

  • Halte den Kopf aufrecht, um Deinen Geist zu entfalten
  • Lockere die Ellenbogen, damit die Schultern sinken
  • Brust und Rücken sollen entspannt sein
  • Lockere Deine Taille
  • Verteile das Gewicht richtig (Fülle / Leere)
  • Bringe Ober- und Unterkörper in Einklang
  • Deine Bewegungen sollen fließen
  • Verbinde den Geist mit dem Körper
  • Gebrauche Yi (Intention, Absicht), nicht rohe Kraft (Muskelkraft)
  • Suche die Ruhe in der Bewegung und die Bewegung in der Ruhe

Übersetzung

Datei:Yin yang.png
Das Tàijí-Symbol (chinesisch 太極圖 / 太极图, Pinyin Tàijítú) für die polaren Kräfte Yin und Yang.

Taiji (chinesisch 太極 / 太极, Pinyin Tàijí) ist im Daoismus ein Synonym für das allerhöchste Wirkprinzip und schwer zu übersetzen, da es keinen entsprechenden Begriff in der deutschen Sprache gibt. Es wird meist dargestellt durch nebenstehendes Symbol, welches das harmonische Wechselspiel der Kräfte Yin und Yang zeigt. Quán (chinesisch ) bedeutet "Faust", im Zusammenhang mit Kampftechniken wird es benutzt, wenn mit leerer Hand, also ohne Waffen gekämpft wird. Eine mögliche Übersetzung von Taijiquan wären daher: Kampfstil (mit leerer Hand) in der Harmonie von Yin und Yang.

Legenden und Geschichte

Entstehungslegenden und Verbindungen zum Daoismus

Über die Entwicklungsgeschichte des Taijiquan gibt es widersprüchliche Angaben. Die meisten der heute Taijiquan Praktizierenden berufen sich auf Vorläufer oder Wurzeln aus dem 15. Jahrhundert oder früher. Des Weiteren sollen die Wurzeln oder Vorläufer nur einem engen Personenkreis zugänglich gewesen sein, etwa einem Kloster oder einer Familie. Entsprechend entziehen sich diese auch der offiziellen Geschichtsschreibung. Erschwerend kommt hinzu, dass es im chinesischen Kaiserreich üblich war, sich in eine Reihe von Vorfahren oder Lehrer zu stellen, die möglichst hoch angesehen oder gar Sagengestalten waren, d.h. es wurden nicht immer die tatsächlichen Sachverhalte weitergegeben. All dies leistete der Mythenbildung Vorschub.

Unsicher ist, ob es eine historische Verbindung zwischen dem philosophischen Daoismus (im Gegensatz zum religiösen Daoismus) jener Zeit und der Entstehung des Taijiquan gibt. In den klassischen Schriften des Taijiquan gibt es zahlreiche Punkte, die einen besonderen Bezug zum Daoismus nahelegen. Wann diese Schriften entstanden sind, ist jedoch umstritten.

Vorläufer des Taijiquan

Einige Namen werden immer wieder genannt, die als Vorläufer des Taijiquan betrachtet werden können. Für die Schreibweisen der im Folgenden aufgeführten Techniken und deren Begründer gibt es Varianten.

  • Sanshiqi - 37 Positionen oder Figuren, von Xu Xunbing oder Zha Suanming, Einsiedler auf dem Zeyangshan.
  • Xiantianquan - ein die innere Energie betonender Stil von Li Daozi. Der Name bezieht sich auf die Anordnung der Acht Trigramme "Vor dem Himmel". Li Daozi wurde auch der Meister von Wudang genannt.
  • Shaoxiutian - die neun kleinen Himmel von Zheng Lingzi, der diese Technik weitergab an Han Kongyue.
  • Hutianfa - von Yin Lixian, der Hu Jingzi unterwies. Der Name bezieht sich auf die Trigramm-Anordnung "Nach dem Himmel".

Zhang Sanfeng

Innerhalb der Kampfkünste (chin. Wushu) wird Taijiquan zu den inneren Kampfkünsten (chin. Neijia) gerechnet. Als legendärer Begründer der inneren Kampfkünste und damit auch des Taijiquan wird Zhang Sanfeng betrachtet. Der Legende nach entdeckte er die Prinzipien der inneren Kampfkünste in den Wudang-Bergen, nachdem er den Kampf zwischen einer Schlange und einem weißen Kranich beobachtet hatte. Zhang Sanfeng soll zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert gelebt haben, aber seine historische Existenz ist nicht belegt. Von Zhang Songxi (1522 -1566) soll die südliche Schule der inneren Kampfkünste ausgehen. Seine Schüler waren Ye Ximei und Wang Zhenman. Von dessen Schüler Huang Lizhou stammt der Text "Die Technik der Inneren Schule", welches als eines der wichtigsten Bücher über chinesische Kampfkünste gilt. Von Huang ist kein direkter Nachfolger gelistet.

In den Wudang-Bergen wird heutzutage eine Form des Taijiquan als Teil der inneren Kampfkünste praktiziert und gelehrt, die sich von anderen Stilen des Taijiquan unterscheidet. Diese wird von Anhängern des Wudang-Stils direkt auf Zhang Sanfeng und die Traditionen der Klöster zurückgeführt, auch wenn die Bezeichnung Taijiquan für die Form sicherlich neueren Ursprunges ist.

Entstehung der "5 Familienstile" Chen, Yang, Wu/Hao, Wu und Sun

Die Geschichte der sogenannten 5 Familienstile lässt sich etwa bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts verlässlich zurückverfolgen. Auf diesen Stilen beruht der Großteil der heutzutage im Westen praktizierten Stile.

Damals schrieb Qi Jiguang "Die 32 Arten der Boxformen". Obwohl darin kein Taijiquan erwähnt wurde, enthält das Buch dennoch einige Bezeichnungen für Techniken, die auch heute noch im Taijiquan zu finden sind.

Mitte des 17. Jahrhunderts entwickelte Chen Wangting im Dorf Chenjiagou aus seinen bestehenden Kenntnissen der Kampfkünste einen inneren Boxstil. Wie intensiv die Einflüsse anderer Künste auf diesen Boxstil tatsächlich waren, ist jedoch nicht mehr nachzuvollziehen. Einer anderen Überlieferung zufolge brachte ein Reisender namens Chiang Fa den Stil nach Chenjiagou. Nachdem er sich dort erfolgreich einigen Herausforderungen gestellt hatte, wurde er darum gebeten, seinen Stil zu lehren.

Seit dieser Zeit wurde der Boxstil zunächst als Familiengeheimnis weiterentwickelt und tradiert. Wang Tsungyueh wird ein Text zugeschrieben, in dem zum ersten Mal der Begriff Taijiquan für den Boxstil verwendet wird.

Das Taijiquan der Chen-Familie wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert erstmals an einen Außenstehenden weiter gegeben: Chen Changxing (1771-1853) akzeptierte Yang Luchan (1799-1872) als Schüler im inneren Kreis der Familie. Yang Luchan entwickelte das Gelernte weiter und wurde zum Begründer des Yang-Stils. Etwas später unterrichtete Chen Qingping (1795-1868) ebenfalls außerhalb der Familie Wu Yuxiang (1812-1880).

Yang Luchan erlangte in China einen außerordentlichen Ruf durch seine sagenhaften Fähigkeiten in der Kampfkunst. Er erlangte den Beinamen "Yang, der nicht kämpft", da er Angreifer ohne Kampf einfach von sich oder von seinem langen Stock abprallen ließ. Auch seine Nachkommen gelangten zu ähnlich großem Ansehen.

So wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Grundlage für die sogenannten 5 Familienstile gelegt, benannt nach den Familiennamen der Stilbegründer. Dies sind:

Man beachte, dass das "Wu" in "Wu Yuxiang" ein anderes Schriftzeichen ist als in "Wu Jianquan" - es handelt sich also um verschiedene Familien. Generell kann man in heutiger Zeit nicht mehr aus dem Namen eines Meisters auf den Taijiquan-Stil zurückschließen.

Man sagt, es habe immer wieder Verbindungen zwischen den Taijiquan-Familien gegeben.

Die Sonderstellung von Zheng Manquing

Innerhalb des Yang-Familienstils wurde eine grundlegende Neuerung von Zheng Manquing (1899-1974) eingebracht. 1938 erfand dieser Meister eine verkürzte Yang-Form in 37 Bildern, auf deren Grundlage sich Taijiquan vor allem in den USA und später in Europa stark verbreitet hat.

Zheng Manquing galt als exzellenter Push-Hands-Spieler und konnte Menschen tatsächlich entwurzeln (also schräg nach oben fliegen lassen) - diese Kunst beherrschen im zwanzigsten Jahrhundert nur wenige Taiji-Meister. Er war außerdem ein sehr guter Maler, Kalligraph und Dichter. Der Taiwan-Chinese Manquing nahm in den 50er Jahren Unterrichtstätigkeit in New York auf und veröffentlichte dort auch die beiden wichtigen Bücher "13 Kapitel zu Taijiquan" und "Master Cheng's New Method of Self-Cultivation", in denen die Prinzipien seiner Form umfassend dargelegt sind.

Neuere Geschichte

Seitdem sich das Taijiquan zunächst in China und später auch im Westen zunehmender Beliebtheit erfreute, ist eine sehr große Diversität von Stilen zu beobachten. Es haben sich unzählige Weiterentwicklungen, Abkömmlinge und Mischungen entwickelt, die unter der Bezeichnung Taijiquan gelehrt und praktiziert werden.

Generell scheinen dabei zwei Tendenzen vorzuherrschen:

  • Zurück zu den Wurzeln: ein Teil der Stile berufen sich auf möglichst alte, "authentische" Wurzeln. Diese Stile tragen meistens den Namen eines der Familienstile oder auch noch älterer Stile.
  • Das Beste von Allem: der andere Teil der Stile sind Neuentwicklungen, welche die "besten" Eigenschaften der anderen Stile kombinieren. Dabei werden gerne auch Elemente aus anderen Kampfkünsten, aus dem Tanz, oder von Meditationstechniken übernommen.

Stark zur Verbreitung des Taijiquan in China und im Westen trug die 1956 von offizieller Seite in der VR China eingeführte Form mit 24 Bildern (Pekingform) bei. Diese Form basiert auf dem Yangstil. Darauf aufbauend wurde 1976 eine Form mit 48 Bildern entwickelt, in die schon leichte Elemente anderer Stile eingebunden waren. 1989 entstand die Form mit 42 Bildern als eine neuere Wettkampfform. Sie enthält deutlich Elemente verschiedener Stile. Im gleichen Jahr wurde auch eine Wettkampfform im Yangstil mit 40 Bildern vorgestellt. Seit 1999 gibt es im Yangstil noch eine Form mit 16 und eine mit 10 Bildern.

Die meisten in Deutschland praktizierten Taijiquan-Stile sind mehr oder weniger die offiziellen Formen oder direkte Abkömmlinge des Chen-, Yang- oder Wu-Familienstils.

Siehe auch