Weltreich

Als Weltreiche bezeichnet man meist Reiche, die sowohl große Teile der jeweils bekannten Welt umfassten als auch bedeutenden Einfluss auf die geschichtliche Entwicklung (politisch, geographisch, technologisch, sozial, kulturell, religiös oder sprachlich) hatten. Oft schließt ihr jeweiliges Selbstverständnis den Anspruch ein, entweder die ganze Welt zu beherrschen oder zumindest die größte Macht der Erde zu sein. In verschiedenen historischen Epochen tauchen unterschiedliche Begriffe für ein solches Weltreich auf.
Begriffsproblematik
Die Bezeichnungen „Imperium“, „Großreich“ und „Weltreich“ werden meist in der Geschichtswissenschaft synonym gebraucht, es gibt derzeit keine einheitliche Definition, was ein Imperium, ein Großreich und was ein Weltreich eigentlich wäre. Dennoch findet der Begriff „Weltreich“ in der Fachliteratur häufig im Zusammenhang mit den beiden Perserreichen (Achämenidenreich und Sassanidenreich), dem Alexanderreich, dem Imperium Romanum, dem Reich Karls V. und dem Mongolenreich sowie bei den Kolonialreichen Spaniens und Großbritannien immer wieder Anwendung.
Antike „Weltreiche“
Das achämenidische Perserreich gilt oftmals als das erste „echte“ Weltreich der Geschichte; in den davor liegenden Jahrhunderten gab es zwar mehrere Großreiche, die kurz- oder mittelfristig die umliegenden Territorien und Völker beherrschten, jedoch war ihre Größe mit der des Perserreiches nicht vergleichbar. Das größte vor dem Perserreich existierende Großreich war das heute relativ unbekannte Neuassyrische Reich, das sich zur Zeit seiner größten Ausdehnung vom Süden Ägyptens bis zum persischen Golf und dem heutigen Armenien erstreckte.
Von besonderer Bedeutung ist das Reich Alexanders des Großen, das von Makedonien und Ägypten bis zum Indus reichte. Das Alexanderreich war zwar nur äußerst kurzlebig, bewirkte aber über seine Nachfolgestaaten, die sogenannten Diadochenreiche, die Entstehung eines einheitlichen hellenistischen Kulturraums im östlichen Mittelmeerraum.
Das klassische Beispiel für ein Weltreich ist das Imperium Romanum. Es umfasste in seiner Blütezeit nicht nur große Teile Europas, Vorderasiens und Nordafrikas, sondern übte auf die von ihm über längere Zeit beherrschten Gebiete auch einen tiefgreifenden und nachhaltig prägenden zivilisatorischen, kulturellen und sprachlichen Einfluss aus, der (auch durch die spätere Verbindung mit dem Christentum) in vielen Bereichen bis heute nachwirkt. Heutige sprachliche und staatliche Strukturen können in vielen Fällen direkt mit dem römischen Imperium in Verbindung gebracht werden.
Außereuropäische „Weltreiche“
Infolge des vorherrschenden eurozentrischen Geschichtsbildes wurde und wird bis heute nur unzureichend wahrgenommen, dass die meisten Weltreiche bis zum Beginn der Frühen Neuzeit außerhalb des europäischen Kontinents existierten. Bis zum Ende der Antike gab es mindestens drei europäische Weltreiche: das Alexanderreich, das Römische Reich und das (in direkter Nachfolge des Römischen Reiches stehende) Oströmische/Byzantinische Reich. Nach dem Untergang des Römischen Reiches in der Spätantike konnte kein Weltreich mehr auf dem europäischen Kontinent Fuß fassen, nur noch imperiale Peripherien anderer, außereuropäischer Weltreiche erstreckten sich über Randgebiete Europas. Byzanz bildete hier als europäisches Reich zunächst noch eine Ausnahme, war aber seit der Islamischen Expansion im 7. Jahrhundert praktisch ebenfalls kein Weltreich mehr. Stattdessen bildeten sich in Europa erst die Personenverbandsstaaten und dann das komplexe System der Territorialstaaten heraus. Mit Beginn der Europäischen Expansion im 15. Jahrhundert schufen diese Staaten dann ihrerseits außereuropäische Weltreiche (Kolonialreiche) auf anderen Kontinenten.
Aber beispielsweise sowohl beim Mongolenreich Dschingis Khans, als auch beim Reich der Kalifen (ca. 700 – 900 n. Chr.) und beim Chinesischen Kaiserreich (ca. 200 v. Chr. – 1800), lassen sich längerfristige historische Nachwirkungen ebenfalls nicht bestreiten. Auch sie waren alle für die Entwicklung ihrer Region nachhaltig bestimmende historische Größen.
Kolonialreich
In der Zeit des Kolonialismus und Imperialismus bauten einige europäische Länder Weltreiche auf und prägten nachhaltig die Länder, die sie kolonisierten. So wurden Lateinamerika von Spanien und Portugal, Nordamerika, Afrika und Asien durch Frankreich und Großbritannien sprachlich und kulturell geformt. Die Tatsache, dass das Britische Empire die größte Kolonial- und Handelsmacht der Welt war, hatte die weltweite Verbreitung der englischen Sprache zur Folge, so dass Englisch heute zur universellen Welt- und Verkehrssprache geworden ist.
Universalmonarchie
Insbesondere das chinesische Kaiserreich sah sich als Universalmonarchie, d. h. dem Kaiser als dem „Sohn des Himmels“ kam die Oberherrschaft über alle anderen Fürsten der Welt zu. Eine ähnliche Vorstellung verband man im Europa des Mittelalters mit dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, unter Berufung auf den heiligen Hieronymus, der den Bibeltext Dan 2, 21ff. vom Traume Nebukadnezars so auslegte, dass es nur vier Weltreiche geben werde: das babylonische Reich, das Reich der Meder und Perser, das Reich Alexanders des Großen und das Römische Reich, das bis ans Ende der Tage dauern sollte. Unter dieser Voraussetzung konnte das Heilige Römische Reich sich nur als Nachfolger des römischen fühlen, eine Kontinuität, die von Karl dem Großen bewusst hergestellt wurde (Translatio Imperii). Allerdings verband sich mit diesem universalen Anspruch keine entsprechende reale Macht. Erst nach der Entdeckung Amerikas lässt sich unter Karl V., in dessen Reich „die Sonne nicht unterging“, wieder von einem Weltreich sprechen.
Postkoloniale Imperien

Auch in der Weltordnung nach 1945 werden von Wissenschaftlern wie Herfried Münkler und Hans-Heinrich Nolte imperiale Strukturen wahrgenommen, die Parallelen zu vorherigen Weltreichsordnungen aufweisen. So wäre etwa der Kalte Krieg eine Auseinandersetzung zwischen einem östlich-kommunistischen Weltreich, der Sowjetunion mit ihren Vasallenstaaten im Ostblock, und einem westlich-kapitalistischen, den USA mit ihren Verbündeten in der westlichen Welt. In dieser Interpretation ist die Herrschaft dieser postkolonialen Imperien nicht an Territorien gebunden, sondern äußert sich maßgeblich in der Kontrolle der Weltwirtschaft sowie einem überstarken und zugleich globalen Einfluss auf Politik, Technologie, Migration, Sprache und ganz besonders deutlich auf die Kultur. Münkler verwendet den Begriff Amerikanisches Imperium, zu dem die EU eine Art imperiales Subzentrum bilde.[1]
Siehe auch
Literatur
- John Darwin: Der imperiale Traum - Die Globalgeschichte Großer Reiche 1400 - 2000. Aus dem Englischen von Michael Bayer und Norbert Juraschitz, Campus Verlag, Frankfurt/ New York 2010, ISBN 978-3-593-39142-7. (dradio.de, Deutschlandfunk, Andruck, 1. November 2010, Paul Stänner: Aufstieg und Fall großer Imperien.)
- Alexander Demandt: Das Ende der Weltreiche. Nikol, Berlin 2007, ISBN 978-3-937872-67-4.
- Michael W. Doyle: Empires. Cornell Studies in Comparative History, New York 1986, ISBN 0-8014-9334-X.
- Michael Gehler, Robert Rollinger (Hrsg.): Imperien und Reiche in der Weltgeschichte. Epochenübergreifende und globalhistorische Vergleiche. Harrassowitz, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-447065-67-2.
- Paul Kennedy: Aufstieg und Fall der großen Mächte. Fischer, Frankfurt 2000, ISBN 3-596-14968-1.
- Ulrich Leitner: Imperium - Geschichte und Theorie eines politischen Systems. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-593-39503-6.
- Ulrich Menzel: Die Ordnung der Welt. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015, ISBN 9783518423721.
- Herfried Münkler: Imperien: Die Logik der Weltherrschaft. Rowohlt, Berlin 2007, ISBN 978-3-499-62213-7.
- Sönke Neitzel: Die Weltreichslehre im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Habilitationsschrift, 1998.
- Wolfgang Reinhard (Hrsg.): Geschichte der Welt. Weltreiche und Weltmeere 1350–1750. C.H. Beck, München 2014.
- Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 3 (2006), Heft 1: Imperien im 20. Jahrhundert.
Weblinks
- Herfried Münkler: Imperium und Imperialismus. Version 1.0, In: Docupedia Zeitgeschichte. 11. Februar 2010.
Anmerkungen
- ↑ Hans-Heinrich Nolte (Hrsg.): Imperien. Eine vergleichende Studie, Wochenschau Verlag, Schwalbach 2008, S. 69 ff; Herfried Münkler: Imperien: Die Logik der Weltherrschaft. Rowohlt, Berlin 2007, S. 224 ff.