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Karl (Hessen-Kassel)

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Landgraf Karl von Hessen-Kassel

Karl von Hessen (* 3. August 1654 in Kassel; † 23. März 1730 ebenda) war von 1670 bis zu seinem Tod Landgraf von Hessen-Kassel.[1] Er entstammte dem Haus Hessen und zählte zu den bedeutendsten Fürsten der Barockzeit. In seiner langen Regierungsperiode von 1677 bis 1730 gelang es dem Herrscher, der Landgrafschaft Hessen-Kassel eine geachtete Stellung im Heiligen Römischen Reich zu verschaffen.

Die historische Bedeutung von Landgraf Karl geht auf vier Bereiche zurück: Erstens war Karl einer der ersten deutschen Fürsten, der seit 1685 protestantische Glaubensflüchtlinge aus dem Königreich Frankreich, sogenannte Hugenotten, zur Ansiedlung einlud.[2] Zweitens förderte er im Sinne des Merkantilismus Manufakturen und Gewerbe, unterstützte die Verarbeitung einheimischer Bodenschätze und beschränkte die Einfuhr von Konkurrenzprodukten.[1] Drittens schuf Karl ein Stehendes Heer und beteiligte sich bei der militärischen Verteidigung des Heiligen Römischen Reiches im Spanischen Erbfolgekrieg gegen das Frankreich Ludwigs XIV. und im Großen Türkenkrieg gegen das Osmanische Reich. Viertens kennzeichneten bauliche Höhepunkte in der Residenzstadt Kassel wie der Herkules sowie das Marmorbad und die Orangerie Karls Herrschaftszeit.

Leben bis zum Herrschaftsantritt (1654–1677)

Dynastie und Heiratspolitik

Die landgräfliche Familie war aufgrund ihrer Heiratspolitik mit den einflussreichsten protestantischen Fürstenfamilien in Nord- und Mitteleuropa verwandt. Besonders zu den Kurfürstentümern Brandenburg und Sachsen, aber auch den Königreichen Dänemark und Schweden bestanden enge Verbindungen. Höhepunkt des dynastischen Aufstiegs war 1667 die Vermählung von Charlotte Amalie, einer Schwester Karls, mit dem späteren dänischen König Christian V. und 1720 die Erlangung der schwedischen Königswürde durch Erbprinz Friedrich, den Sohn Karls.[3] Karl wurde am 3. August 1654 in Kassel geboren.

Vormundschaftliche Regierung

Als zweiter von vier Söhnen des Landgrafen Wilhelm VI. von Hessen-Kassel und dessen Gemahlin Hedwig Sophie von Brandenburg (1623–1683), einer Schwester des Großen Kurfürsten, war er zunächst nicht für die Thronfolge bestimmt. Den Rang eines Erbprinzen nahm Karls älterer Bruder Wilhelm VII. ein. Nach dem Tod ihres Vaters Wilhelms VI. im Jahr 1663 übernahm Hedwig Sophie von Brandenburg die Regentschaft für den Thronfolger Wilhelm VII.[1] Als dieser jedoch 1670 bereits vor seiner Regierungsübernahme verstarb, führte die Landgräfin, unterstützt von Beratern, bis 1677 die vormundschaftliche Regierung für ihren zweiten Sohn Karl.

Karl als Landgraf (1677–1730)

Da er bereits 1677 mit 23 Jahren die Regierungsgeschäfte übernahm, entfiel für ihn die obligatorische Grand Tour.[4] Diese Reise diente normalerweise der Knüpfung von Kontakten zu den Fürstenhöfen Europas, zur Bildung und Erlernung von Fremdsprachen wie Französisch. Möglicherweise hatten die Bedenken der Mutter Hedwig Sophie von Brandenburg dazu beigetragen, die ihren Sohn Wilhelm VII. auf einer solchen Reise verloren hatte.

Hugenotten

Vorgeschichte

Der katholische König von Frankreich, Ludwig XIV. (Regierungszeit: 1643-1715), strebte neben der politischen Einheit auch die religiöse Einheit des Staates an.[5] Einer allmählichen Entrechtung der französischen Protestanten, der sogenannten Hugenotten, folgte ab 1679 offene Verfolgung. Dragoner des französischen Königs besetzten die Häuser der Hugenotten, um sie zwangsweise zum Katholizismus zu bekehren. Am 18. Oktober 1685 verkündete Ludwig XIV. das Edikt von Fontainebleau. In zwölf kurzen Paragraphen beschloss das Edikt die Zerstörung protestantischer Kirchen, das Verbot privater Gottesdienste sowie die Galeerenstrafe für Männer und Festungshaft für Frauen, die sich weigerten ihren Glauben zu wechseln. Mit dem Verlust ihrer Bürgerrechte konfrontiert, versuchten viele Hugenotten zu fliehen.

Aufnahme

Mehrere deutsche Reichsfürsten, darunter auch Landgraf Karl, boten den Religionsflüchtlingen aus religiöser Solidarität und wirtschaftspolitischen Erwägungen Aufnahme in den eigenen Ländern an. Immerhin hatte die Landgrafschaft Hessen-Kassel während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) in manchen Regionen bis zu Zwei Drittel seiner Einwohner verloren. Um die Ansiedlung der Flüchtlinge zu erleichtern, sicherte ihnen Karl Vergünstigungen und Unterstützungen zu.[5] Schon vor dem Edikt von Fontainebleau erließ er am 18. April 1685 die „Freiheits-Concession“. Darin versprach Karl den Hugenotten nicht nur eine befristete Steuer- und Zunftfreiheit, sondern auch freie Religionsausübung mit Pfarrern ihrer Wahl. In Kirchen und Schulen durfte französisch gesprochen werden.

ehemalige Hugenottensiedlung: Sieburg (1717 in Karlshafen umbenannt) 

Die Landgrafschaft nahm ab 1686 mit etwa 3800 Hugenotten die nach Brandenburg-Preußen zweitmeisten Flüchtlinge auf.[6] Allerdings waren viele der Einwanderer mittellose Bauern oder Handwerker, von denen ein Teil unterstützt von staatlichen Hilfsmaßnahmen in 17 neu angelegten Dörfern angesiedelt werden musste. Erfolgreich produzierende hugenottische Spezalgewerbe, besonders im Textilbereich, entstanden vor allem in einigen Städten. Jedoch blieb die erhoffte Steigerung der Wirtschaftskraft des Landes weitgehend aus. Das zeigt sich auch in der Entwicklung der 1699 gegründeten Stadt Karlshafen, die ihre zugedachte Funktion als Fabrik-, Handels- und Hafenstadt nur ansatzweise erfüllen konnte. Für einen zollfreien Warenverkehr plante der Landgraf einen Kanal zwischen Karlshafen und Kassel. Damit wollte er das hannoversche Zoll- und Stapelrecht in Hannoversch Münden umgehen.Der Kanal versandete noch zu Lebzeiten Karls und wurde nach wenigen Kilometern eingestellt. Darüber hinaus fehlte es der Neugründung an finanziellen und technischen Mitteln. Nach dem Tod des Landgrafen geriet das Stadtprojekt Karlshafen endgültig ins Stocken.

Ab 1688 gründete der Landgraf die südwestlich an die Stadt Kassel angrenzende Oberneustadt.[7] Er warb mit weitreichenden Privilegien: Alle Baustoffe wie Holz, Stein, Kalk und Sand sollten unentgeltlich angeliefert werden. Wer ein Grundstück bebaute, sollte 10 Jahre Abgabenfreiheit genießen. Ewige Steuerfreiheit wurde denjenigen versprochen, die Materialen auf eigene Kosten heranschafften und zum Bau ihrer Häuser 8 000 bis 10 000 Taler aufwandten. Die Privilegien enthielten aber auch Vorschriften für die äußere Gestaltung der Oberneustadt, z. B. für den Putz und Anstrich der Fassaden, die Kanalisation und die saubere Pflasterung der Straßen.

Merkantilismus

Den Ideen des Merkantilismus folgend gründete Karl 1679 den Messinghof, einen der ersten metallverarbeitenden Betriebe Hessens.

Militäraufbau

Seit Beginn seiner Regierung hatte Karl ein Stehendes Heer aufgebaut. So konnte er 1688 im Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-1697) rund 9000 gut ausgebildete Soldaten der Reichsarmee zur Verfügung stellen. Jahrelang führte er persönlich Teile seiner Armee im Kampf gegen die Franzosen an. Auch am militärischen Erfolg der Verteidigung der Festung Rheinfels gegen die französische Belagerung 1693, war er beteiligt. Um die finanziellen Belastungen in Friedenszeiten ausgleichen zu können, verlieh er, wie auch andere Fürsten seiner Zeit, Soldaten gegen hohe Subsidiengelder an Krieg führende Mächte.[8]

Im Spanischen Erbfolgekrieg sowie in den Feldzügen gegen das Osmanische Reich kämpfen hessische Truppen zum Teil unter der Führung von Karls Söhnen, von denen drei im Krieg starben.

Unter Karls Herrschaft konnten die Folgen des Dreißigjährigen Krieges in der Landgrafschaft schneller überwunden werden als in anderen Regionen des Reichs. Diese Politik blieb umstritten; zu seinen Geschäften mit Söldnern sagt der Brockhaus von 1908 (Band 9, S. 96):

Dieses System verbesserte die Finanzen, aber nicht den Wohlstand des Landes, und brachte den glänzenden Hof selbst in ausländische Familienverbindungen.

Im Jahre 1685 überließ Karl seinem jüngeren Bruder Philipp als Paragium die ehemalige Vogtei Kreuzberg mit dem nach der Reformation aufgehobenen Kloster Kreuzberg. Diese kleine Herrschaft wurde nach dem dann auf der Grundlage des ehemaligen Klosters von Philipp in Kreuzberg (heute:Philippsthal) erbauten Schloss Philippsthal als Landgrafschaft Hessen-Philippsthal bezeichnet.

Kunst und Kultur

Karl führte die Gestaltung des Bergparks Wilhelmshöhe am Habichtswald im Westen von Kassel fort. Auf ihn geht insbesondere der Bau des Herkules mit seinen italienisch inspirierten Kaskaden und Wasserspielen zurück. Unter seiner Herrschaft wurde die Moritzaue nahe der Stadt großflächig zur heute noch bestehenden Karlsaue erweitert und das Schloss Orangerie erbaut.

Der Landgraf trug ab 1700 zur Popularisierung der bis dahin unbekannten Pfefferminze auf dem europäischen Festland bei.[9]

Auf Veranlassung des historisch interessierten Landgrafen begannen 1709 auf der Mader Heide erste archäologische Ausgrabungen.

Vorfahren

 
 
 
 
 
Moritz Landgraf von Hessen-Kassel (1572–1632)
 
 
 
 
Wilhelm V. Landgraf von Hessen-Kassel (1602–1637)
 
 
 
 
 
Agnes zu Solms-Laubach (1578–1602)
 
 
 
Wilhelm VI. Landgraf von Hessen-Kassel (1629–1663)
 
 
 
 
 
 
Philipp Ludwig II. von Hanau-Münzenberg (1576–1612)
 
 
 
Amalie Elisabeth von Hanau-Münzenberg (1602–1651)
 
 
 
 
 
Katharina Belgica von Oranien-Nassau (1578–1648)
 
 
 
Karl Landgraf von Hessen-Kassel
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Johann Sigismund Kurfürst von Brandenburg, (1572–1620)
 
 
 
Georg Wilhelm Kurfürst von Brandenburg (1595–1640)
 
 
 
 
 
Anna von Preußen (1576–1625)
 
 
 
Hedwig Sophie von Brandenburg (1623–1683)
 
 
 
 
 
 
 
 
Friedrich IV. Kurfürst von der Pfalz (1574–1610)
 
 
 
Elisabeth Charlotte von der Pfalz (1597–1660)
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Luise Juliana von Oranien-Nassau (1576–1644)
 
 

Nachkommen

Karl war verheiratet mit Amalia von Kurland (1653–1711), Tochter des Herzogs Jakob Kettler von Kurland, und hatte mit ihr folgende Kinder:

  • Wilhelm (1674–1676)
  • Karl (1675–1677)
  • Friedrich (1676–1751), Landgraf von Hessen-Kassel, König von Schweden
∞ 1. 1700 Luise von Brandenburg (1680–1705)
∞ 2. 1715 Königin Ulrike Eleonore von Schweden (1688–1741)
∞ 1704 Herzog Friedrich Wilhelm von Mecklenburg-Schwerin (1675–1713)
∞ 1717 Dorothea Wilhelmine von Sachsen-Zeitz (1691–1743)
∞ 1709 Fürst Johann Wilhelm Friso von Nassau-Dietz (1687–1711)
∞ 1720 Friederike Charlotte von Hessen-Darmstadt (1698–1777)

Nebenbeziehungen

Eine Nebenbeziehung unterhielt er nach dem Tod seiner Frau von 1713 an mit Jeanne Marguerite de Frere, Marquise de Langallerie, aus ihr ging ein Sohn hervor, Charles Frederic Philippe de Gentil, Marquis de Langallerie, der früh verstarb; Karl sicherte im selben Zusammenhang die finanzielle Existenz der Kinder, die die Mätresse mitbrachte.

Mätresse und Vertraute nach der Marquise de Langallerie war Barbara Christine von Bernhold (1690–1756), die unter Karls Sohn Wilhelm VIII. zur Großhofmeisterin aufstieg und 1742 von Kaiser Karl VII. zur Reichsgräfin erhoben wurde.

Literatur

  • Ilgen: Karl. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 15, Duncker & Humblot, Leipzig 1882, S. 292–296.
  • Hans Philippi: Landgraf Karl von Hessen-Kassel. Ein deutscher Fürst der Barockzeit (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen, 34), Marburg, 1976
  • Hans Philippi: Karl. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 11, Duncker & Humblot, Berlin 1977, ISBN 3-428-00192-3, S. 227–229 (Digitalisat).
  • Pauline Puppel: Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen 1500–1700, Frankfurt/Main, 2004 (S. 236–277)
Commons: Karl von Hessen-Kassel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c Wolfgang Eichelmann: Hessische Münzen und Medaillen: Gedanken und Betrachtungen zu Münzen und Medaillen des Hauses Brabant. ISBN 978-3-86991-060-4, S. 134.
  2. Barbara Dölemeyer: Die Hugenotten. 2006, ISBN 978-3-17-018841-9, S. 101.
  3. Hessische Münzen und Medaillen: Gedanken und Betrachtungen zu Münzen und Medaillen des Hauses Brabant. ISBN 978-3-86991-060-4, S. 150.
  4. Franziska Franke: welterbe bergpark Wilhelmshöhe der Herkules. Hrsg.: mhk. S. 25.
  5. a b Ulrich Niggemann: Hugenotten. ISBN 978-3-8252-3437-9, S. 29.
  6. Hugenotten und deutsche Territorialstaaten. Immigrationspolitik und. ISBN 978-3-486-58181-2, S. 71.
  7. Carsten Vorwig: Bauern-, Herren-, Fertighäuser: Hausforschung als Sozialgeschichte. ISBN 978-3-8309-3157-7, S. 95.
  8. Hans Philippi: Landgraf Karl von Hessen-Kassel, 1654-1730. 1980, ISBN 978-3-87822-079-4, S. 12.
  9. Schlieben, Adam Friedrich von: Reise Landgraf Karls nach den Niederlanden 1708. Kassel 1709.
VorgängerAmtNachfolger
Wilhelm VII.Landgraf von Hessen-Kassel
1670–1730
Friedrich I.