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Alltagsgeschichte

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In der Alltagsgeschichte geht es nicht um große politische Ereignisse oder Jahreszahlen, sondern um die Frage, wie Menschen im Alltag lebten und ihr Leben und die Geschichte erlebten.

Ihr deutscher bzw. deutschsprachiger Zweig entstand um die Mitte der 1980er Jahre aus der Enttäuschung über die Entwicklung der sog. K-Gruppen mit ihrer schematisierten und häufig realitätsfernen Interpretation der Arbeitergeschichte, sowie in der stark durch die Tendenz zur Selbstorganisation (Bürgerinitiativen, Basis-Bewegungen) geprägten Atmosphäre der Zeit. Sie wandte sich in der frühen Zeit insbesondere gegen die von der "Bielefelder Schule" geprägte Sozialgeschichte und deren Betonung unpersönlicher Strukturen, die das Handeln der Einzelnen fast völlig bestimmen. Auf der Grundlage einer kritischen, "undogmatischen" Marx-Lektüre ("Die Menschen machen ihre Geschichte nicht aus freien Stücken, aber sie machen sie selbst.") sollte der Versuch unternommen werden, das Handeln insbesondere derer zu rekonstruieren und verstehbar zu machen, deren Existenz bis dahin außer im Rahmen der sozialgeschichtlichen Strukturen (Klasse, Religion, Staat, Gesellschaft usw.) nicht als geschichtsmächtig gegolten hatte.

Diese Sichtweise sollte unter anderem die Möglichkeit eröffnen, geschichtliches Handeln aus seiner eigenen Logik zu begreifen und die Frage zu stellen, in welchem Verhältnis die Einzelnen und kleinen Kollektive zu den "Strukturen" standen, von denen sie geprägt wurden und die sie ihrerseits prägten.

Aspekte der Alltagsgeschichte können zum Beispiel sein: Elternhaus, Schulzeit, Ausbildung, Arbeit, Ernährung, Bekleidung, medizinische und hygienische Situation, Religion, Sport, Handwerkstechniken, Kriegserfahrungen.

Berührungspunkte und Überschneidungen bestehen also zu Disziplinen wie Sozialgeschichte, Demographie, Genealogie, Mikrogeschichte, Kulturgeschichte, Medizingeschichte, Volkskunde (Ethnologie), Regionalgeschichte, Heimatgeschichte und historischer Geographie.

Als Quellen dienen zum Beispiel Fotos oder Gemälde, Tagebücher und Briefe. Wichtig ist auch die Oralhistorie

Siehe auch

Literatur

  • Alf Lüdtke: Alltagsgeschichte, Frankfurt/New York: Campus 1989, Neuausgabe 2002., ISBN 3-593-33893-9
  • Berliner Geschichtswerkstatt (Hrsg.): Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte. Münster 1994., ISBN 3-924550-95-6
  • Böge, Volker (Hrsg): Geschichtswerkstätten gestern – heute – morgen. Bewegung! Stillstand. Aufbruch?. München, Hamburg 2004., ISBN 3-935549-97-1
  • Gert Zang: Die unaufhaltsame Annäherung an das Einzelne. Reflexionen über den theoretischen und praktischen Nutzen der Regional- und Alltagsgeschichte. Konstanz: Arbeitskreis für Regionalgeschichte 1985 (= Schriftenreihe des Arbeitskreises für Regionalgeschichte 6).
  • Hannes Heer/Volker Ullrich: Geschichte entdecken. Erfahrungen und Projekte der neuen Geschichtsbewegung; Reinbek 1985., ISBN 3-499-17935-0
  • Rüdiger Hitz und Hillard von Thiessen: Familie, Arbeit und Alltag in Hinterzarten. Konstanz: Stadler 1998, ISBN 3-7977-0396-1 (= Hinterzartener Schriften 3)
  • Siegfried Grosse, Martin Grimberg, Thomas Hölscher und Jörg Karweick: "Denn das Schreiben gehört nicht zu meiner Beschäftigung". Der Alltag kleiner Leute in Bittschriften, Briefen und Berichten aus dem 19. Jahrhundert. Ein Lesebuch. Bonn: Verlag J.H.W. Dietz Nachf., ISBN 3-8012-5005-9
  • Sigrid Jacobeit und Wolfgang Jacobeit: Illustrierte Alltagsgeschichte des deutschen Volkes. Köln: Pahl-Rugenstein 1987.
  • Sven Lindqvist: Grabe wo du stehst. Handbuch zur Erforschung der eigenen Geschichte. Bonn: Verlag J.H.W. Dietz Nachf., ISBN 3-8012-0144-9