Berolinismus
Als Berolinismus oder Berlinismus wird ein nur in der Berliner Umgangssprache üblicher Ausdruck bezeichnet. Dazu gehören unter anderem Spitznamen für bestimmte Gebäude und Bezeichnungen für berlintypische Gewohnheiten.
Spitznamen
Viele Berliner Spitznamen sind weit über die Grenzen Berlins bekannt, und der Berliner Volksmund ist mit diesen Spitznamen durchsetzt, wobei es bei einer Reihe von Begriffen für Gebäude Diskussionen darüber gibt, ob sie tatsächlich zur Berliner Umgangssprache gehören oder doch eher von verschiedenen Touristenführern dem Berliner Volksmund „untergeschoben“ werden.
Wie bei allen Spitznamen (im 17. Jahrhundert spitz: ‚verletzend‘) handelt es sich meist um Spottnamen, die einen kurzen Ersatznamen für den realen Namen geben, der sich aus den Charakteristika der Sache oder der Person ergeben. Die Alltagssprache des Berlinischen soll eine vergleichsweise ruppige Art besitzen und gehe ziemlich frei mit Spottnamen um. Dies wird auch von Touristenführern und Reiseliteratur gern kolportiert; tatsächlich ist das aber wohl eine Legende. Im Alltag werden der Fernsehturm („Telespargel“) und der Funkturm („Langer Lulatsch“) gerade so, nämlich in der offiziellen Form genannt. Die alternativen Namen werden zumeist ironisch gebraucht, um journalistische Volksnähe zu zeigen oder um Touristen mit dem „Witz“ der Berliner zu beeindrucken. Ein Gegenbeispiel ist der Bierpinsel, der eher selten mit der öffentlichen Bezeichnung „Turmrestaurant Steglitz“ oder „Turmrestaurant an der Schloßstraße“ benannt wird.
Viele spitze Bezeichnungen sind stark zeitbezogen. Da jedoch echte und angebliche Spitznamen vor allem von den Medien zur Herstellung eines Berliner Lokalkolorits verbreitet werden, kann zumindest zeitweise so manche sehr eigenartige Bezeichnung auch ohne weiteren Satzbezug von den Berlinern verstanden werden. Die funktionellen Namen überwiegen jedoch im allgemeinen Sprachgebrauch.
Gebäude und Denkmäler

- Beamtenlaufbahn (assoziiert mit dem Laufbahnprinzip für Beamte) – die obere Brücke des Marie-Elisabeth-Lüders-Stegs über die Spree im Berliner Regierungsviertel, die auf Höhe der sechsten Etage verläuft und nur für Mitarbeiter und Abgeordnete des Bundestags zugänglich ist.[1]
- Bierpinsel – der Ausdruck wurde später zum offiziellen Namen für das Turmrestaurant an der Schloßstraße (Berlin-Steglitz).
- Bikini-Haus – Gebäude am Bahnhof Zoo: „Oben was, unten was, in der Mitte nichts“.[2]
- Bonnies Ranch[3] – Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Wittenau.
- Café Achteck – die einst für Berlin typischen achteckigen Pissoirs aus der Gründerzeit.
- Café Schönstedt – das Amtsgericht Neukölln in der Schönstedtstraße, der Seitenflügel diente jahrzehntelang als Jugendgefängnis.
- Castingallee – die Kastanienallee in den Bezirken Mitte und Prenzlauer Berg in Anspielung auf das dort angeblich verbreitete Schaulaufen und Präsentieren in Straßencafés.
- East Side Gallery – der Name wurde zur offiziellen Bezeichnung des bebilderten Reststücks der Hinterlandmauer entlang der Stralauer Allee zwischen Ostbahnhof und Warschauer Straße.
- Ecke Schönhauser – die Kreuzung der Kastanien-, Schönhauser Allee und Eberswalder Straße, mit Konnopkes Imbiss und dem U-Bahnhof auf dem Magistratsschirm.
- Erichs Lampenladen – Spottname für den Palast der Republik in Anspielung auf Erich Honecker und die Foyer-Beleuchtung mit zahlreichen Kugelleuchten.
- Goldelse – die vergoldete Viktoria auf der Spitze der Berliner Siegessäule.[2]
- Gürteltier – das Ludwig-Erhard-Haus, Sitz der IHK Berlin.
- Hohler Zahn – verbreiteter Name für Turmruinen, hier der Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Breitscheidplatz.[2]
- Hungerharke oder Hungerkralle – das Luftbrückendenkmal auf dem Platz der Luftbrücke vor dem ehemaligen Flughafen Tempelhof.[2]
- Kanzler-U-Bahn – U-Bahn-Linie 55, die unter dem Regierungsviertel zwischen Brandenburger Tor und Hauptbahnhof verläuft, ebenso die im Bau befindliche Verlängerung der Linie U5 zum Alexanderplatz.
- Kommode – die im Barockstil mit geschwungener Fassade gestaltete frühere Königliche Bibliothek am Bebelplatz – heute Sitz der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität.
- Raumschiff Enterprise oder Panzerkreuzer Protzki – das Internationale Congress Centrum (ICC).
- Langer Lulatsch[4] – ist der in den 1920er Jahren gebaute Berliner Funkturm auf dem Messegelände, der an einen langen schlaksigen Kerl erinnert.[2]
- Lippenstift und Puderdose – Glockenturm und Kirchengebäude der neuen Gedächtniskirche auf dem Breitscheidplatz.[2]
- Magistratsschirm – die Hochbahnabschnitte der U-Bahn Linie 2 im Bereich der Schönhauser Allee (Prenzlauer Berg), unter denen man bei Regen (quasi mit dem Regenschutz des Magistrats) promenieren kann. Die Hochbahnabschnitte in anderen Ortsteilen tragen diese Bezeichnung nicht.
- Millionenbrücke – Bezeichnung für die 1905 fertiggestellte Swinemünder Brücke, deren Bau rund eine Million Goldmark kostete.[2]
- Mont Klamott(e) – der Großen Bunkerberg im Volkspark Friedrichshain, der aus den „Kriegsklamotten“ um den gesprengten Flakbunker herum aufgeschichtet wurde. Der Spitzname wird auch für den Trümmerberg Insulaner in Schöneberg benutzt.[2]
- Nuttenbrosche – der Brunnen der Völkerfreundschaft auf dem Alexanderplatz.
- Palazzo Prozzo – der ehemalige Palast der Republik.
- Pallasseum, früher auch Sozialpalast, markanter Wohnblock an der Pallasstraße in Berlin-Schöneberg am Ort des früheren Berliner Sportpalastes
- Puppenallee – die ehemalige Bezeichnung für die Siegesallee im Großen Tiergarten, wegen der hier stehenden Statuen brandenburgisch-preußischer Herrscher und deren berühmter Zeitgenossen.
- Rosinenbomber – Bezeichnung für die Flugzeuge der Berliner Luftbrücke.
- Rostkreuz – der marode S-Bahnhof Ostkreuz (Sanierung läuft seit 2007).
- Rost- und Silberlaube – zwei Gebäudeteile des Hauptgebäudes der Freien Universität.
- Sacco und Jacketti – Marx-Engels-Denkmal in Mitte, in Anlehnung an Sacco und Vanzetti.
- Schlange – die Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße.
- Schwangere Auster – die Kongresshalle im Tiergarten, die vom Haus der Kulturen der Welt genutzt wird.[2]
- Sechserbrücke – die Tegeler Hafenbrücke, für deren Benutzung früher fünf Pfennige bezahlt werden mussten, das Fünf-Pfennig-Stück wird üblicherweise als „Sechser“ bezeichnet.
- Seelenbohrer – Turm der Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche im Hansaviertel, wegen der Form des Treppenhauses.[2]
- Spinnerbrücke – der Motorradtreffpunkt an der AVUS-Anschlussstelle 3 – Spanische Allee in Nikolassee.
- Stabi – gilt für die beiden Gebäude der Deutschen Staatsbibliothek, sowohl an der Straße Unter den Linden (Haus 1) als auch in der Potsdamer Straße (Haus 2).
- Suppenschüssel – die Granitschale im Lustgarten.
- Telespargel – der Berliner Fernsehturm zwischen Marx-Engels-Forum und Alexanderplatz. Dieser Spitzname sollte von offizieller Seite der DDR eingeführt werden. Dies misslang und er wird im Berliner Sprachgebrauch nicht genutzt.
- Tränenpalast – das Abfertigungsgebäude des ehemaligen Grenzübergangs Friedrichstraße.
- Waschmaschine oder Elefantenwaschmaschine – das Kanzleramt in Anspielung auf die kubische Gebäudeform mit den großen Lichtöffnungen und Fensterfronten.
- Wasserklops – geläufiger Name des Weltkugelbrunnens am Breitscheidplatz.
- Zirkus Karajani – frühere Bezeichnung für die Berliner Philharmonie am Tiergarten nach Herbert von Karajan, dem ehemaligen Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker.[2]
Straßen, Plätze und Gegenden
Viele Gegenden und bestimmte Stadtgebiete oder wichtige Straßenkreuzungen werden nach dortigen oder ehemals bestenden Kneipen oder Restaurants bezeichnet. Auch wenn diese Restaurationen nicht mehr existieren, überleben deren Namen. Es werden zum Teil auch berlininterne oder sogar offizielle Bezeichnungen daraus, beispielsweise das Alte Fährhaus (Landsberger Allee /Ecke Oderbruchstraße), Schillerglocke (Weißenseer Weg /Ecke Konrad-Wolf-Straße), Roseneck auf der Grenze zwischen Schmargendorf und Grunewald, Hubertus in Mahlsdorf oder Wiesenbaude in Lichterfelde (Kreuzung Goerzallee/Königsberger Straße/Hindenburgdamm/Drakestraße).[5]
Andererseits bestehen zahlreiche Kurznamen oder Umbildungen für Straßen, Gegenden, Plätze und Einrichtungen, von denen hier einige gängige oder bedeutsame Bezeichnungen exemplarisch aufgeführt werden.
- Alex – Alexanderplatz
- Görli – Görlitzer Bahnhof sowie für den Görlitzer Park
- Hohenschöngrünkohl – nicht überall verbreitete Bezeichnung für den Ortsteil Hohenschönhausen, mit Bezug auf die frühere Nutzung als Ackerbaufläche. Wobei der Begriff mitunter ungenauer auf den Bezirk ausgedehnt wird.
- jwd – Ganz weit draußen (berlinisch: janz weit draußen), Kurzbezeichnung für die Randgebiete und das Umland Berlins
- Kotti – Kottbusser Tor
- Kreuzkölln – Reuterkiez in Neukölln-Nord, aufgrund räumlicher und kultureller Nähe zu Kreuzberg[6] Der Begriff ist durch die Lage zwischen Kreuzberg und Neukölln bedingt.
- Ku’damm – Kurfürstendamm
- Kutschi oder Kurtschi – Kurt-Schumacher-Platz
- LSD-Viertel – Szeneviertel mit vielen Kneipen rund um die Lychener, Schliemann- und Dunckerstraße in Prenzlauer Berg
- Merkwürdiges Viertel – scherzhafte Bezeichnung für das Märkische Viertel, eine Hochhaussiedlung im Bezirk Reinickendorf.
- Nolle oder Nolli – Nollendorfplatz
- Plumpe – mittlerweile weniger verbreiteter Name für den Ortsteil Gesundbrunnen. Inzwischen Synonym für das ehemalige Stadion am Gesundbrunnen
- Plötze – die Strafanstalten im Ortsteil Plötzensee bzw. der Plötzensee selbst
- Potse – Potsdamer Straße
- Prenzlberg – insbesondere bei Nicht- und Neueinwohnern geläufige Kurzform des Ortsteils Prenzlauer Berg, abgeleitet von der Abkürzung „Prenzl. Berg“
- Schweineöde – Schöneweide, Oberschweineöde – Oberschöneweide, Wortspiel durch das Vertauschen von „wei“ und „ö“
- Stutti – Stuttgarter Platz
- St. Eglitz (sprich: Sankt Eglitz) – Ortsteil Steglitz
- Te-Damm – Tempelhofer Damm
- Theo – Theodor-Heuss-Platz
- Thermometersiedlung – Hochhaussiedlung in Lichterfelde-Süd mit Straßen, die nach Namensgebern von Temperaturskalen benannt sind.
Berolinica
Im Gegensatz zu den beschriebenen Spitznamen verbirgt sich hinter dieser Bezeichnung eine Literaturkategorie. Berolinica sind Bücher oder Schriften, die sich mit berlintypischen Sachverhalten oder der Berliner Geschichte befassen. Diese Kategorisierung findet sich in Antiquariaten oder im gutsortierten Buchfachhandel.
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2012/40236033_kw33_melh_haus/209142
- ↑ a b c d e f g h i j k Peter Cürlis, Rolf Opprower: Im Spitznamen des Volkes. Laokoon Verlag, München 1965.
- ↑ Michael Zaremba: Reinickendorf im Wandel der Geschichte. be.bra verlag, Berlin 1999, ISBN 3-930863-63-4, S. 99
- ↑ Langer Lulatsch. In: Die Zeit, 3. September 1976.
- ↑ Taxi-Ruf Wiesenbaude, Hindenburgdamm 138
- ↑ „Kreuzkölln“ – Ein Kiez beginnt zu leben. In: Berliner Morgenpost, 16. Juni 2007