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Friedrich Lütge

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Friedrich Lütge (* 21. Oktober 1901 in Wernigerode; † 25. August 1968 in München) war ein deutscher Ökonom sowie Sozial- und Wirtschaftshistoriker.

Leben und Wirken

Wissenschaftliche Ausbildung, Tätigkeit in Jena und Leipzig

Der 1901 im Harz geborene Sohn eines Handelsmarinekapitäns studierte Volkswirtschaft und Geschichte an den Universitäten Freiburg im Breisgau, Marburg und Jena. Im Jahre 1924 wurde er bei Franz Gutmann mit der Dissertation Die Bauernbefreiung in der Grafschaft Wernigerode zum Dr. rer. pol. promoviert und 1928 bei Georg Menz mit der Arbeit Geschichte des Jenaer Buchhandels einschliesslich der Buchdruckereien zum Dr. phil. Noch während seines zweiten Doktoratsstudiums war er für einige Zeit im Gustav Fischer Verlag in Jena als Lektor tätig, wo er die Herausgabe einiger volkswirtschaftlicher und wirtschaftsgeschichtlicher Werke betreute. In dieser Zeit verfasste er auch die Festschrift zum fünfzigjährigen Jubiläum des Verlagshaues. Auch nach der zweiten Promotion setzte Lütge parallel zu seinem „Brotberuf“ die wissenschaftlichen Untersuchungen fort und publizierte diverse Aufsätze zu Themen der Sozialpolitik und Agrargeschichte. In einer 1934 veröffentlichten Studie wies er nach, dass im Mitteldeutschland der Frühen Neuzeit eine eigene Form der Grundherrschaft existierte, die im Gegensatz zu den nord- und süddeutschen Formen keinen Frondienst, sondern nur Abgaben von den Landbewohnern forderte. 1937 erweiterte er diese Forschungen auf das Mittelalter und legte in seiner zweiten Studie zur mitteldeutschen Landwirtschaft den Fokus besonders auf die Zeit der karolingischen Dynastie. Im gleichen Jahr gab er die „Geschichte der deutschen Landwirtschaft des Mittelalters in ihren Grundzügen“ des Historikers Georg von Below nach dessen Tode heraus.

1936 konnte sich Lütge aufgrund seiner bisherigen wissenschaftlichen Leistungen an der Universität Jena in den Fächern Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte habilitieren, ohne dafür eine Habilitationsschrift anfertigen zu müssen. Aufgrund von Differenzen mit den nationalsozialistischen Machthabern verzögerte sich die Erteilung der venia legendi bis ins folgende Jahr. Ab 1937 wirkte er als Privatdozent für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Jena. Drei Jahre später erhielt er eine außerordentliche Professur für Volkswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Wohnungs- und Siedlungswirtschaft an der Handelshochschule in Leipzig. 1940 publizierte er eine Einführung in die Wohnungswirtschaft (Neuauflage 1949). Wenig später wurde er zum Wehrdienst eingezogen, kehrte aber 1943 aus gesundheitlichen Gründen nach Leipzig zurück, wo er seine Tätigkeit fortsetzte und seine Stelle zu einer ordentliche Professur wurde. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges amtierte er als Rektor der Hochschule und nach ihrer Eingliederung als Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät in die Universität Leipzig als deren Dekan.

Professur in München (1947–1968)

Als Professor für Wirtschaftswissenschaften wirkte Lütge bis 1947 in Leipzig, dann verließ er die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) und nahm einen Ruf an die Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) auf einen Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte und Volkswirtschaftslehre an. In der SBZ und später in der DDR wurde seine Schrift Kriegsprobleme der Wohnungswirtschaft (Fischer, Jena 1940) auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.[1]

Neben seiner Tätigkeit an der LMU lehrte Friedrich Lütge zwischenzeitig auch an der Technischen Hochschule München und der Hochschule für Politik München; in diesem Rahmen entstand 1948 das Buch „Einführung in die Lehre vom Gelde“. Bereits in Leipzig hatte er sich mit den regionalen Eigenarten der Grundherrschaft in Bayern auseinandergesetzt, daraus resultierte 1949 die Publikation „Die bayerische Grundherrschaft – Untersuchungen über die Agrarverfassung Altbayerns im 16.–18. Jahrhundert“. Neben agrargeschichtlichen Themen behandelte er in der Nachkriegszeit aber auch Handel und Gewerbe besonders der Stadt Nürnberg. Auf dem Deutschen Historikertag in München 1949 stellte er die These vor, dass die Jahre nach der Pestwelle um 1350 („Schwarzer Tod“) einen tieferen Epochenschnitt bedeuteten als die Zeit um 1500, die gemeinhin als Beginn der Neuzeit gelten. In einem 1958 erschienenen Aufsatz argumentierte er, dass entgegen den gängigen Lehrmeinungen die Jahrzehnte vor dem Dreißigjährigen Krieg nicht als Niedergang zu sehen seien, sondern erst der Ausbruch der Kampfhandlungen das Ende einer dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung bedeutet habe.

1960 erhielt Lütge einen Ruf auf den Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte an der Universität zu Köln, den er schlussendlich ablehnte. Im Rahmen der Bleibeverhandlungen mit der Universität München wurde er von der Verpflichtung entbunden, dort neben der Wirtschaftsgeschichte auch die Volkswirtschaftslehre zu vertreten, dafür wurde sein Lehrstuhl auf das Gebiet Sozialgeschichte ausgedehnt. 1967 veröffentlichte er als Synthese seiner bisherigen Regionalstudien zur deutschen Landwirtschaft einen Band zur Agrarverfassung vom Frühmittelalter bis zur Bauernbefreiung im 18./19. Jahrhundert, der als Band 3 der von Günther Franz herausgegebenen „Deutschen Agrargeschichte“ erschien. Bereits 1952 hatte er in der „Deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ einen vielschichtigen Überblick über sein gesamtes Fachgebiet gegeben; das Lehrbuch erfuhr im Rahmen von Neuauflagen 1960 und 1966 jeweils Überarbeitungen.

Am 25. August 1968 starb Friedrich Lütge an einer Krankheit.

Herausgeber- und Mitgliedschaften

Lütge war ab 1955 ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften zu München und ab 1960 Erster Vorsitzender der neu gegründeten Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte.

1943 begründete er die Reihe Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte im Gustav Fischer Verlag mit Günther Franz, die er nach dem Krieg mit Franz und Wilhelm Abel herausgab.

Schriften (Auswahl)

Ein Schriftenverzeichnis erschien in: Wilhelm Abel (Hrsg.): Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von Friedrich Lütge. Fischer, Stuttgart 1966, S. 431–437.

  • Das Verlagshaus Gustav Fischer in Jena. Seine Geschichte und Vorgeschichte. Aus Anlaß des 50jähr. Firmenjubiläums. Jena 1928.
  • Geschichte des Jenaer Buchhandels einschliesslich der Buchdruckereien (Bibliothek des Börsenvereins des des Deutschen Buchhandels e.V.). Fischer, Jena 1929.
  • Die mitteldeutsche Grundherrschaft. Untersuchgn über die bäuerlichen Verhältnisse (Agrarverfassung) Mitteldeutschlands im 16.-18. Jahrhundert. Gustav Fischer, Jena 1934.
    • Zweite, stark erweiterte Auflage: Die mitteldeutsche Grundherrschaft und ihre Auflösung (= Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte. Band 4). Fischer, Stuttgart 1957.
  • Die Agrarverfassung des frühen Mittelalters im mitteldeutschen Raum, vornehmlich in der Karolingerzeit. Gustav Fischer, Jena 1937.
    • Zweite Auflage (= Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte. Band 17). Fischer, Stuttgart 1966.
  • Wohnungswirtschaft. Eine systematische Darstellung unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Wohnungswirtschaft. Gustav Fischer, Jena 1940. Überarbeitete und ergänzte Auflage im „Piscator-Verlag“, Stuttgart 1949.
  • Die landesherrlichen Urbarsbauern in Ober- und Niederbayern (= Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte. Band 2). Gustav Fischer, Stuttgart 1943.
  • Einführung in die Lehre vom Gelde. Weinmayer, München 1948 (2. Auflage ebenda 1948).
  • Die bayerische Grundherrschaft. Untersuchungen über die Agrarverfassung Altbayerns im 16.–18. Jahrhundert. Piscator-Verlag, Stuttgart 1949.
  • Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Ein Überblick. Springer, Berlin u. a. 1952 (2. Auflage 1960; 3. Auflage 1966; Nachdrucke 1976 und 1979).
  • Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Gesammelte Abhandlungen (= Forschungen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Band 5). Gustav Fischer, Stuttgart 1963.
  • Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Gesammelte Abhandlungen (= Forschungen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Band 14). Aus dem Nachlass herausgeben von Eckart Schremmer. Fischer, Stuttgart 1970.
  • Deutsche Agrargeschichte. Band 3: Geschichte der deutschen Agrarverfassung vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert. Ulmer, Stuttgart 1963 (2. stark erweiterte Auflage 1967).

Literatur

  • Wilhelm Abel (Hrsg.): Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von Friedrich Lütge. Fischer, Stuttgart 1966.
  • Knut Borchardt: Friedrich Lütge. In: Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte (1966), S. 1–7.
  • Günther Franz: Nachruf auf Friedrich Lütge. In: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, Band 17 (1969), Heft 1, S. 1–5.
  • Hermann Kellenbenz: Friedrich Lütge. In: Hermann Kellenbenz (Hrsg.): Öffentliche Finanzen und privates Kapital im späten Mittelalter und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bericht über die 3. Arbeitstagung der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Mannheim am 9. und 10. April 1969 (= Forschungen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Band 16). Fischer, Stuttgart 1971, ISBN 3-437-50144-5, S. 1–4.
  • Erich Maschke: Friedrich Lütge [Nachruf]. In: Historische Zeitschrift, Band 208 (1969), Heft 3, S. 772–774.
  • Hans Rosenberg: Probleme der deutschen Sozialgeschichte. edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 1969, S. 87–109.
  • Wolfgang Zorn: Friedrich Lütge als Sozial- und Wirtschaftshistoriker. In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Band 55 (1969), Heft 3, S. 427–432.
  • Wolfgang Zorn: Lütge, Friedrich. In: Neue Deutsche Biographie. (NDB). Band 15. Duncker & Humblot, Berlin 1987, ISBN 3-428-00196-6, S. 476–477 (deutsche-biographie.de).

Anmerkungen

  1. Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone, Liste der auszusondernden Literatur, Buchstabe L, S. 170–186; Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone, Liste der auszusondernden Literatur, Buchstabe L, S. 114–127.