Paracetamol
Paracetamol, im englischsprachigen Raum besser bekannt als Acetaminophen, ist ein schmerzstillendes und fiebersenkendes Medikament bzw. der Wirkstoff in entsprechenden Darreichungsformen. Genutzt wird es in verschiedenen Medikamenten, etwa Erkältungsmitteln, sowie als Hauptbestandteil vieler Schmerzmittel und Teil von Kombipräparaten (z.B. Thomapyrin). Seit ihrer Einführung zählen Arzneimittel mit dem Wirkstoff Paracetamol weltweit zu den beliebtesten und bekanntesten Schmerzmitteln neben jenen, die Acetylsalicylsäure (Aspirin) oder Ibuprofen enthalten.
In geringen Dosen gilt Paracetamol als weitgehend unschädlich, aufgrund der einfachen Beschaffung kommt es jedoch nicht selten zu Überdosierungen sowie langfristigen Anwendungen des Präparates als Selbstmedikation. Anwendung findet es vor allem bei leichten Schmerzen, etwa Kopfschmerzen, Migräne, oder leichten Zahnschmerzen, aber auch bei Sonnenbrand und arthrosebedingten Gelenkschmerzen.
Die beiden gebräuchlichen Namen leiten sich ab von der korrekten chemischen Bezeichnung des Stoffes, N-acetyl-para-aminophenol.
Handelsmarken und Darreichungsformen
Acetaminophen gehört in die Gruppe der Nichtopioid-Analgetika und ist als Schmerzmittel (Analgetikum) und Fiebersenker (Antipyretikum) in deutschsprachigen Ländern von mehreren Herstellern unter verschiedenen Markennamen erhältlich, z.B. ben-u-ron, Captin, Fensum, Mexalen, Paedialgon, Paracetamol-ratiopharm, Perfalgan. In Amerika ist es vor allem als Tylenol (McNeil-PPC, Inc.), Anacin-3 und Datril bekannt, in Asien und Australien als Panadol. Das bekannteste Kombipräparat in Deutschland, welches Paracetamol enthält ist Thomapyrin, andere sind etwa Neuralgin oder Dolomo. Auch mit dem Opiat Tramadol wird Paracetamol kombiniert eingesetzt.
Paracetamol ist in entsprechender Aufbereitungsform in Deutschland zur oralen, rektalen und intravenösen Applikation zugelassen. Erwachsenen wird es bevorzugt als Tablette oder Kapsel verabreicht, Kindern als Zäpfchen oder Sirup; außerdem wird es z.B. nach Operationen als Infusion gegeben. Dabei ist der normale Wirkstoffgehalt einer Tablette in Deutschland für Erwachsene 500 mg oder 1000 mg (in einigen Ländern nicht zu bekommen), für Kinder 125 mg oder 250 mg, intravenös werden 1000 mg gegeben.
Paracetamol ist zum Teil rezeptfrei erhältlich und ist apothekenpflichtig. Es hat bei korrekter vorsichtiger Dosierung wenig Nebenwirkungen, nur selten treten allergische Reaktionen auf. Bei Überdosierung (über 150 mg/kg Körpergewicht) kann es tödlich wirken, indem es die Leber irreparabel schädigt. Eine übliche Dosierung für Erwachsene ist 500 mg alle vier Stunden.
Unterschied zu anderen Schmerzmitteln
Anders als andere bekannte Schmerzmittel wie Aspirin oder Ibuprofen besitzt Paracetamol keine entzündungshemmenden Wirkstoffe und wird entsprechend nicht in die Gruppe der "Nicht-steroiden Entzündungshemmer" (engl. non-steroidal anti-inflammatory drugs, NSAID) eingeordnet (siehe auch Nichtopioid-Analgetika). Aus diesem Grunde greift Paracetamol bei normaler Dosierung nicht den Magen an und wirkt auch nicht pathologisch auf das Blut (Blutverklumpung, Koagulation), die Nieren oder auf den Embryo bei schwangeren Frauen.
Auch ein Einfluss auf den Gemütszustand, wie er etwa bei Opiaten vorkommt, gibt es bei Paracetamol nicht. Abhängigkeit sowie Abstoßungsreaktionen durch den Körper sind ebenfalls ausgeschlossen.
Wirkungsweise
Die vollständige Wirkung von Paracetamol ist bis heute nicht geklärt, gemeinhin werden jedoch die folgenden Mechanismen angenommen:
Paracetamol wird bei oraler Aufnahme vorwiegend im Dünndarm resorbiert. Es wirkt durch die Herabsetzung der Aktivität der Cyclooxygenasen COX-3 und COX-2, zweier Enzyme, die Prostaglandine herstellen:
Die Schädigung einer Zelle durch mechanischen, chemischen oder thermischen Reiz aktiviert Cox-2 und führt zur Produktion von entzündungsfördernden und schmerzverstärkenden Prostaglandinen. Diese sind essentiell für die Regulation verschiedenster Körperfunktionen wie etwa dem Blutdruck oder der Nierenfunktion. Ebenfalls wichtig ist ihre Funktion in der Entstehung von Schmerzen, Fieber und Entzündungen, dem wirkt Paracetamol entgegen.
Während andere Medikamente die aktive Stelle von COX direkt blockieren, wirkt Paracetamol indirekt. Diese indirekte Blockierung wirkt im Gehirn, aber nicht in Immunzellen, die hohe Konzentrationen von Peroxiden haben. Dies ist der Grund warum Paracetamol - im Gegensatz zu Aspirin - keine entzündungshemmende Wirkung besitzt.
Nebenwirkungen
Paracetamol ist vor allem dafür bekannt, das es bei vernünftiger Anwendung nur sehr selten negative Begleiterscheinungen aufweist. Zu diesen meist als Überempfindlichkeitsreaktionen auftauchenden Nebenwirkungen zählen etwa Übelkeit, Hautrötungen und -ausschlag, Schweißausbrüche und Blutdruckabfälle. Extrem selten kommt es zu Störungen der Blutbildung (allergische Thrombozytopenie oder Leukopenie oder zu einer Verkrampfun der Atemmuskulatur (Analgetika-Asthma).
Gefahren
Der Abbau von Paracetamol erfolgt vor allem in der Leber, wo der größte Teil des Stoffes durch Verbindung mit Sulfaten oder Glucuronid inaktiviert und dann über die Nieren ausgeschieden wird. Ein kleiner Teil wird über das Cytochrom P450-Enzym-System abgebaut. Die toxische Wirkung beim Abbau lässt sich auf ein in kleinen Mengen entstehendes Produkt zurückführen, das N-acetyl-p-benzochinon-Imin. Paracetamol und die größeren Anteile der Abbauprodukte sind vollkommen unschädlich.
Eine Überdosierung über 150mg/kg oder 7.5 g für Erwachsene führt mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu einer irreversiblen Schädigung der Leberzellen oder gar zum Leberversagen. Dieses kann zum Tod führen, wenn es nicht behandelt wird. Ein geeignetes Gegenmittel bei einer Paracetamolvergiftung ist - als SH-Donator - N-Acetylcystein, falls es innerhalb von 10 Stunden verabreicht wird. Wer Alkohol zu sich genommen hat, sollte Paracetamol nicht verwenden, da die mit dem Alkoholabbau beschäftigte Leber dieses nicht mehr korrekt verarbeiten kann.
Chemischer Aufbau
Die chemische Verbindung Paracetamol ist ein Derivat des 4-Aminophenols. Es ist also ein Phenol und damit ein Aromat, und gleichzeitig ein Derivat des Anilins. Es ist ein Acetamid (Amid der Essigsäure) und leitet sich auch vom Acetanilid (Phenylacetamid) ab, das selbst auch als Fieber- und Schmerzmittel wirkt.
Paracetamol ist also 4-Hydroxyacetanilid oder para-(N-acetyl)aminophenol, von letztgenannter Bezeichnung leiten sich die Namen Paracetamol (para-(N-acetyl)aminophenol) und Acetaminophen (para-(N-acetyl)aminophenol) ab.
Paracetamol C8H9NO2, HO-C6H4-NH-CO-CH3, Molmasse 151.165 g/mol
Phenacetin und Paracetamol gehören zur Schmerzmittelgruppe der Anilinderivate. Siehe auch Artikel Nichtopioid-Analgetika
Stoffeigenschaften
Paracetamol ist ein weißer, kristalliner Feststoff mit einem Schmelzpunkt von 170°C. Es ist in Alkoholen gut löslich. In kaltem Wasser löst es sich mäßig (14g/l bei 20°C), aber in kochendem Wasser ist es löslich. Die Dichte ist 1.293 g/cm3. Paracetamol ist als Phenol schwach sauer (pH-Wert einer wässrigen Lösung ca. 6). Es hat einen leicht bitteren Geschmack.
Synthese
Historisches
Vor der Entwicklung des Paracetamol war als einziges Schmerzmittel die Rinde des Chinabaumes bekannt, aus der auch das Anti-Malaria-Mittel Chinon gewonnen wird. Als die Beschaffung dieser Rinde aufgrund der abnehmenden Anzahl der Bäume und der zunehmenden Nachfrage schwieriger wurde, entstanden in den 1880er zwei Alternativen, das Acetanalin (1886) sowie das Phenacetin (1887). Paracetamol selbst wurde erstmals 1873 (nach anderen Quellen 1878) von Harmon Northrop Morse hergestellt, als er p-Nitrophenol mit Zinn in Eisessig reduzierte. Vignolo führte eine gezieltere Synthese durch, die von Aminophenol ausging, dass es mit Essigsäure umsetzte, Friedlander verbesserte das Verfahren weiter durch die Verwendung von Essigsäureanhydrid als Acetylierungsmittel. Bis 1893 wurde Paracetamol allerdings nicht medizinisch verwendet. 1893 wurde der Stoff Paracetamol erstmals im Urin eines Menschen nachgewiesen, der Phenacetin zu sich genommen hatte, und zu einem weißen Pulver konzentriert. 1899 wurde das Paracetamol außerdem als Stoffwechselprodukt des Acetanalin erkannt - diese Entdeckung wurde jedoch weitgehend ignoriert.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Paracetamol bekannter, als es 1948 von Bernard Brodie und Julius Axelrod am New York City Department of Health ein zweites mal als Metabolit von Phenacetin identifiziert wurde. Diese forschten im Regierungsauftrag nach neuen Schmerzmitteln und zeigten in ihrer Arbeit auf, dass der schmerzstillende Effekt des Acetanalin und des Phenacetin vollständig auf das Abbauprodukt dieser Stoffe, das Paracetamol, zurückzuführen ist. Sie regten an, diesen Stoff in seiner Reinform zu nutzen, um die toxischen Nebenwirkungen der Ursprungsstoffe zu vermeiden.
Ab 1956 war Paracetamol in Tablettenform mit 500 mg Wirkstoff erhältlich und wurde in Großbritannien unter dem Markennamen Panadol® verkauft, hergestellt von der Firma Frederick Stearns & Co, die ein Ableger der Sterling Drug Inc. war. Panadol® war ausschließlich auf Rezept zu bekommen und wurde als schmerzstillendes und fiebersenkendes Mittel beworben, welches zugleich den Magen schont. Die damals bereits bekannte Aspirin-Derivate waren bekannterweise weniger magenfreundlich. 1958 kam zusätzlich eine Kinderversion des Präparates af den Markt mit dem Namen Panadol Elixir®. 1963 wurde Paracetamol in den britischen Katalog der pharmazeutischen Stoffe aufgenommen, dem "British Pharmacopoeia". Dort wurde es als Analgetikum mit geringen Nebenwirkungen und wenig negativen Interaktionen mit anderen Stoffen beschrieben. Kurz danach wurde es auch in anderen europäischen Staaten eingeführt.
Die eigentliche Wirkung des Stoffes war sehr lange unbekannt. Erst zu Beginn der 1970er Jahre fand der britische Pharmakologe John Vane heraus, dass die Wirkung von Paracetamol und anderen nichtsteroiden Schmerzmitteln auf der Hemmung der Cyclooxygenase (siehe Wirkung) beruht. Für diese Entdeckung erhielt John Vane 1982 gemeinsam mit Sune Bergström und Bent Samuelsson den Nobelpreis für Medizin.
1982 starben sieben Patienten in Chicago, nachdem sie Paracetamolkapseln in Form des sehr stark dosierten Produktes Tylenol zu sich genommen hatte, die offensichtlich auch Cyanide enthielten. In den Kapseln fand man später jeweils 65 Milligramm des starken Giftes und damit die etwa 10.000fache tödliche Dosis für eine erwachsene Person. Der Hersteller der Präparate Johnson & Johnson Corporation startete eine landesweite Rückrufaktion seiner Tylenol-Kapseln und warnte in Medienberichten vor der Einnahme der Kapseln und Tabletten. Da spätere Analysen das Gift nur in Kapseln nachwiesen, wurde das weitere Vorgehen nur noch auf diese beschränkt. Dieser Vorfall kostete die Firma etwa 100 Millionen Dollar, sie wurde allerdings für ihre schnelle und konsequente Reaktion durchweg gelobt.
Literatur
- Wolnik KA, Fricke FL, Bonnin E, Gaston CM, Satzger RD (1984): The Tylenol tampering incident--tracing the source. Anal Chem ;56:466A-8A, 470A, 474A.
- Boutaud O, Aronoff DM, Richardson JH, Marnett LJ, Oates JA (2002): Determinants of the cellular specificity of acetaminophen as an inhibitor of prostaglandin H2 synthases. Proc Natl Acad Sci U S A. May 14;99(10):7130-5. (Medline abstract), (Full text)