Eheähnliche Gemeinschaft
Die eheähnliche Gemeinschaft ist ein unbestimmter Rechtsbegriff im deutschen Recht, der im Zusammenhang mit der Zuerkennung der Sozialhilfe und des Arbeitslosengeldes II (ALG II) benutzt wird. Es ist die verrechtlichte Form des Begriffs "Wilde Ehe" oder "Ehe ohne Trauschein" und beschreibt das Zammenleben von Mann und Frau nach Art von Eheleuten, ohne dass diese jedoch verheiratet sind. In der Schweiz ist auch der Begriff "Konkubinat" üblich.
Hintergrund
Der Begriff eheähnliche Gemeinschaft wurde notwendig, nachdem das Zusammenleben von Mann und Frau ohne Trauschein nicht länger strafrechtlich verfolgt und gesellschaftlich geächtet wurde und daher von einer Ausnahmeerscheinung zu einem häufigen Phänomen wurde.
Für den deutschen Sozialstaat entstand dadurch ein enormes Problem, denn aus Steuergeldern finanzierte Sozialleistungen wie Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe sollten nur den wirklich Bedürftigen zugute kommen. Der Ehepartner eines Menschen mit ausreichendem Einkommen oder Vermögen wurde dabei als nicht bedürftig angesehen, weil man davon ausging, dass der finanziell potente Partner für seinen mittellosen Partner aufzukommen habe. Hätte man dieses Prinzip aufgegeben, hätte man all den Hausfrauen, die ohne Einkommen die Hausarbeit erledigten, Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe zahlen müssen, was gigantische Kosten verursacht hätte.
Andererseits aber musste der Staat genau dies leisten bei jenen Paaren, die auf einen Trauschein verzichtet hatten. Denn bei jenen Paaren gab es - solange keine gemeinsamen Kinder existierten - keine einklagbaren Unterhaltsansprüche an den in wilder Ehe zusammenlebenden Partner. Der mittellose Partner einer wilden Ehe hätte somit Anspruch auf Sozialleistungen gehabt. Damit hätte jedoch ein Paar ohne Trauschein einen deutlichen finanziellen Vorteil (die Sozialleistungen) vor einem Paar mit Trauschein gehabt, was wiederum durch Artikel 6 GG verboten wurde, welche die Ehe unter besonderen Schutz des Staates stellte und eine Schlechterstellung verbot.
Die Lösung für dieses Dilemma war das Konzept der eheähnlichen Gemeinschaft, die im Sozialrecht wie die Ehe behandelt wurde und im Steuerrecht wie Singles. Betroffene sollten also eine Kombination der Nachteile von beidem in Kauf nehmen. Es kann als gesichert angenommen werden, dass der verfassungsrechtliche Schutz der Ehe sich damit Ausdruck bekam, dass die Menschen in die Ehe zurückgedrängt werden sollten. In der Folge wurden quasi alle nicht verwandten zusammenwohnenden Paare bestehend aus einem Mann und einer Frau als eine eheähnliche Gemeinschaft eingestuft, völlig unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten oder sexueller Beziehungen.
Im Jahr 1958 entschied das BVerfG, dass Einkommen und Vermögen von Partnern einer eheähnlichen Gemeinschaft bei der Berechnung der Arbeitslosenhilfe berücksichtigt werden darf (BVervGE 9,20). In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) BVerfGE 87,234 heißt es, dass Ehapaare gegenüber Personen, die in eheähnlichen Gemeinschaften leben, nicht benachteiligt werden dürfen hinsichtlich der Voraussetzungen und des Umfangs der Sozialhilfe bzw. der Arbeitslosenhilfe.
Begriffsbestimmung
Aktuelle Definition
Das BVerfG definiert in BVerfGE 87,234 eine eheähnliche Gemeinschaft wie folgt:
"Eine eheähnliche Gemeinschaft liegt nur vor, wenn zwischen den Partnern so enge Bindungen bestehen, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann (Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft)."
In der Urteilsbegründung erfolgt eine noch genauere Definition:
"Die eheähnliche Gemeinschaft ist eine typische Erscheinung des sozialen Lebens. Von anderen Gemeinschaften hebt sie sich hinreichend deutlich ab. Mit dem Begriff 'eheähnlich' hat der Gesetzgeber ersichtlich an den Rechtsbegriff der Ehe angeknüpft, unter dem die Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau zu verstehen ist. Gemeint ist also eine Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen."
Damit eine eheähnliche Gemeinschaft vorliegt, müssen also folgende Kriterien erfüllt sein:
- Es muss eine Lebensgemeinschaft von Mann und Frau (keine gleichgeschlechtliche Gemeinschafte) sein.
- Die Gemeinschaft muss erkennbar auf Dauer angelegt sein.
- Sie darf keine weiteren Gemeinschaften gleicher Art zulassen (damit sind insbesondere keine Wohngemeinschaften gemeint, da derartige Gemeinschaften beliebig ausgeweitet werden können).
- Es müssen innere Bindungen vorhanden sein, die eine gegenseitige Verantwortung der Partner begründen.
Das bedeutet insbesondere, dass sexuelle Kontakte das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft nicht begründen.
Indizien einer eheähnlichen Gemeinschaft
- Erfolgt tatsächlich eine Unterstützung finanzieller Natur, die insbesondere an einem gemeinsamen Konto der Partner erkennbar ist, kann daraus auf die Absicht der Partner für ein gegenseitiges Einstehen geschlossen werden.
- Regelmäßig begründen auch tatsächliche Unterhaltsansprüche, typischerweise durch ein gemeinsames Kind, die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft.
Ausschlusskriterien einer eheähnlichen Gemeinschaft
- Anderweitige Ehe
- Gemeinschaft besteht erst weniger als 3 Jahre
- Gemeinschaft besteht aus zwei Männern oder zwei Frauen
Ältere Rechtsprechung
Vor dem Urteil des BVerfG von 1992 sah das Bundesverwaltungsgericht die eheähnliche Gemeinschaft nur als eine "Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft" zwischen einem Mann und einer Frau. Dabei spielten innere Bindungen ebensowenig eine Rolle wie das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Unterhaltspflichten oder tatsächlicher Unterstützung. Auch damals schon spielten sexuelle Beziehungen keine Rolle (was bedeutete, dass auch Personen als eheähnlich eingestuft wurden, die gar keine sexuelle Beziehung unterhielten). Maßgeblich war allein das "Wirtschaften aus einem Topf" (vergleiche Die nichteheliche Lebensgemeinschaft). Dabei war jedoch das tatsächliche Bestehen einer gemeinsamen Kasse oder eines gemeinsamen Kontos oder eine gemeiname Planung von Ausgaben nicht erforderlich. Man stellte sich auf den Standpunkt, dass das auch bei vielen Eheleuten nicht der Fall sei. Das BVerfG beendete diese für viele in wilder Ehe lebende Paare extrem nachteilige Rechtspraxis im Jahr 1992 durch die Präzisierung der Definition der eheähnlichen Gemeinschaft.
Bedarfsgemeinschaften
Die eheähnliche Gemeinschaft ist insbesondere bei der Definition einer Bedarfsgemeinschaft nach SGB II § 7 erwähnt. Zur Bedarfsgemeinschaft gehören:
- 1. die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen,
- 2. die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines minderjährigen, unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, und der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
- 3. als Partner der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
- a) der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
- b) die Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt,
- c) der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
- 4. die dem Haushalt angehörenden minderjährigen unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, soweit sie nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts beschaffen können.
Folgen für die Bemessung von Sozialleistungen
Bei der Bemessung des ALG II ist das neugeschaffene Sozialgesetzbuch II (SGB II) Rechtsgrundlage. Es wird das gesamte Einkommen einer Bedarfsgemeinschaft bei der Bestimmung der zukünftigen ALG II-Bezüge mit berücksichtigt.
Relevante Urteile
Ausdrückliche Bestätigung erforderlich
Im Rahmen einer einstweiligen Anordnung (Az: S 35 AS 107/05 ER (SGB II, EA)) aus dem Frühjahr 2005 stellte das Sozialgericht Düsseldorf fest, dass es erhebliche Bedenken habe, ob sich die Frage, ob eine eheähnliche Lebensgemeinschaft vorliege, anhand von vordergründigen, objektiven Kriterien - wie hier dem Zusammenleben - ermitteln ließe. Dies sei auch im vorliegenden Fall deutlich. Die Antragstellerin solle - nach dem Willen der für ALG2 zuständigen Behörde - auf (Unterhalts-)Zahlungen ihres Partners verwiesen werden. Auf diese Zahlungen habe die Antragstellerin jedoch keinen Rechtsanspruch, d.h. die Antragstellerin könne derartige Zahlungen ihres Partners nicht verlangen und schon gar nicht einklagen. Insoweit habe sie auch vorgetragen, ihr Partner sei nicht bereit, sie zu unterhalten. Käme also die Behörde - entgegen der Angaben der Partner - zu der Erkenntnis, es liege eine eheähnliche Gemeinschaft vor, so wäre die Antragstellerin, als vermögensloser Partner dieser Gemeinschaft, völlig rechtlos gestellt. Sie habe keinen Anspruch gegen die Behörde und keinen Anspruch gegen den vermeintlichen Partner. Dazu stellte das Gericht fest:
Dieser Konflikt lässt sich sachgerecht nur lösen, wenn den Stellungnahmen der Partner zur Frage der 'eheähnlichen Lebensgemeinschaft' entscheidende Bedeutung zukommt. Eine 'eheähnliche Gemeinschaft' kann daher nur angenommen werden, wenn die Partner ausdrücklich bestätigen (finanziell) - auch in Zukunft - füreinander einstehen zu wollen, denn nur dann ist das Kriterium der 'Eheähnlichkeit', das in Anlehnung an § 1360 BGB ein gegenseitiges 'Unterhalten' fordert, erfüllt."
Benachteiligung gegenüber Homosexuellen
Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30. September 2005 (Az.: S 35 AS 146/05)
Leitsätze
1. Von einer "eheähnlichen Lebensgemeinschaft" kann in der Regel erst ab einem Zusammenleben von mindestens drei Jahren ausgegangen werden.
2. Partner einer "eheähnlichen Lebensgemeinschaft kann nicht sein, wer (noch) anderweitig verheiratet ist.
3. Die Regelung des § 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II, wonach homosexuelle Partnerschaften die nicht im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes eingetragen sind, der verschärften Bedürftigkeitsprüfung nicht unterfallen ist mit Art. 3 GG nicht vereinbar. Eheähnliche Lebensgemeinschaften werden durch diese Regelung verfassungswidrig benachteiligt.
4. Wer zwar nicht in eheähnlicher Lebensgemeinschaft, dafür aber in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft lebt hat nur Anspruch auf Grundleistungen nach dem SGB II in Höhe von 90 % der Regelleistung (311 Euro West).
5. Der Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft muss mit seinem Einkommen und Vermögen auch für die Kinder des anderen Partners der eheähnlichen Lebensgemeinschaft aufkommen.
Besondere Situation von Homosexuellen
Das BVerfG war sehr klar in seinem Urteil von 1992: Eheähnliche Gemeinschaften können nur von geneu einem Mann und genau einer Frau gebildet werden, ganz analog zur Ehe. Daran änderte sich bisher auch nichts durch die Einführung des LPartG und zwar vor allem deshalb nicht, weil die Eingetragene Lebenspartnerschaft anders als die Ehe nicht denselben Schutz durch das Grundgesetz genießt wie die Ehe. Verpartnerte dürfen daher sehr wohl gegenüber zwei "lebenspartnerschaftsähnlich" zusammen lebenden Personen benachteiligt werden. Dadurch, dass zwei Männer oder zwei Frauen keine Bedarfsgemeinschaften bilden, ist der arbeitslose Partner einer homosexuellen Beziehung daher vor Anrechnung des Einkommens des Partners auf seinen Anspruch auf ALG II geschützt. Dies stellt nach Auffassung des Sozialgerichts Düsseldorf eine verfassungswidrige Benachteiligung heterosexuell eheähnlich zusammenlebender Paare dar. Hier fehlt allerdings noch eine höchstrichterliche Klarstellung.
Dies ist in der Praxis tatsächlich eine der wenigen Situationen, in denen für Lesben und Schwule ein kleiner Vorteil gegenüber Heterosexuellen existiert.
Situation in der Schweiz
In dem Dokument Sozialhilfe bei eheähnlichen Gemeinschaften wird die Situation in der Schweiz beschrieben, die den Begriff ebenfalls kennt. Dort ist auch der Begriff Konkubinat zur Beschreibung einer eheähnlichen Gemeinschaft üblich. Die Situation ist der in Deutschland sehr ähnlich. Ein Unterschied ist die Beweislastumkehr nach 5 Jahren gemeinsamen Zusammenlebens, nach dieser Zeit geht man in der Schweiz davon aus, dass ein "stabiles Konkubinat" vorliege. Gleichwohl ist auch in der Schweiz der (mutmaßliche) Wille zur Bildung einer "Schicksalsgemeinschaft" maßgeblich.