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Benutzer Diskussion:Jeanpol/IPK

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Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 4. Mai 2006 um 16:53 Uhr durch Jeanpol (Diskussion | Beiträge) (Geographische Dimensionen). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Wissen gemeinsam konstruieren: weltweit

(Vortrag für den 6.Mai 2006 in Ulm)


MDH,

Um die Probleme zu lösen, die auf uns zukommen, werden wir alle intellektuellen Ressourcen mobilisieren müssen, die uns zugänglich sind, und zwar weltweit.

In meinem Vortrag möchte ich einen Weg aufzeigen, wie junge Menschen motiviert werden können, über unterschiedliche Kulturen hinweg die dringenden Probleme unserer Welt anzugehen und zu lösen. Wie können Schüler und Studenten mit Hilfe der neuen Kommunikationsmittel vernetzt werden und zwar so, dass sie dauerhaft in Kontakt bleiben und aktiv an der Gestaltung der Welt mitwirken?

Zunächst lassen Sie mich zum besseren Verständnis meiner Ausführungen ein paar anthropologische Überlegungen anstellen. Als Lehrer sind wir damit beauftragt, Schüler und Studenten positiv zu beeinflussen. Wer dies anstrebt, muss sich ein Bild über die Funktionsweise des Menschen verschaffen.

Dazu greife ich auf ein Modell zurück, das alle kennen, nämlich die Bedürfnispyramide von Maslow.

Bedürfnispyramide nach Maslow

Transzendenz

Selbstverwirklichung

Soziale Anerkennung

Soziale Beziehungen

Sicherheit

Körperliche Grundbedürfnisse


Bekanntlich unterscheidet Maslow zwischen sechs hierarchisch angelegten Bedürfnisebenen. Ich überspringe die unteren Stufen der Pyramide und konzentriere mich auf die zwei höchsten Ebene, die Ebene der Selbstverwirklichung und die Ebene der Transzendenz: der Mensch ist bestrebt, seine Fähigkeiten und Potenziale zur vollen Entfaltung zu bringen. Noch mehr: er möchte seinen Handlungen einen Sinn verleihen und über sich hinauswachsen. Das ist unter dem Begriff "Tanszendenz" zu verstehen. In meinem eigenen Modell gehe ich davon aus, dass die Menschen dann bereit sind, intensiv und dauerhaft miteinander zu kommunizieren, wenn sie das Gefühl haben, dass diese Kommunikation hilft, wesentliche Probleme der Menschheit zu lösen. Je höher das Ziel aus ethischer Sicht, je stärker die Bereitschaft, Energien für die Erreichung dieses Zieles zu investieren.

I. Erster Versuch: Das Istanbul-New York Projekt

Vor einigen Jahren wollte ich den oben beschriebenen Gedanken realisieren und ich bat Schüler einer 10.Klasse aus der Deutschen Schule in Istanbul, zu deren Lehrer ich Kontakt hatte, einen Katalog der aus ihrer Sicht dringlichsten Probleme unserer Welt aufzustellen. Sie nannten – wie zu erwarten war – „den Terrorismus“, „die Klimakatastrophe“, „der Kampf um Energiequellen“, „den Kampf zwischen den Kulturen“, "die Armut", "die Unterdrückung der Frau in vielen Ländern". Die Schüler wurden natürlich auch gebeten, Lösungen zu den Problemen vorzuschlagen. Parallel dazu hatte ich Kontakte per eMail mit einer Kollegin aus der Pace University in New York hergestellt und schickte die von den Istanbuler Schülern erstellte Liste nach New York.

Diese Idee gefiel dem Ingolstädter Regionalfernsehen, das einen kleinen Beitrag erstellte:

Ich flog also nach New-York, um die Antworten der Amerikanischen Studenten auf Video einzufangen. Hier ein Statement aus dem damaligen Video:


Das Video lud ich ins Internet hoch, damit die Istanbuler Schüler ihn sehen konnten und eröffnete gleichzeitig ein Forum, um die Kommunikation zwischen den Istanbuler Schülern und den New-Yorker Studenten zu ermöglichen.

Zwar rezipierten die Istanbuler Schüler die Statements der New Yorker Studenten, sie antworteten auch auf dem entsprechenden Forum, aber die Kommunikation wurde nicht fortgesetzt. Die New Yorker Studenten hatten kein dauerhaftes Interesse an einer Kommunikation mit Türkischen Schülern und die Türkischen Schülern wollten auch nicht auf Foren regelmäßig Statements abgeben.

II. Die Entwicklung des Kurses „Internet- und Projektkompetenz“

Es hatte sich also gezeigt, dass die Kommunikation über Foren allein noch keine ausreichende Motivation liefert, um eine dauerhafte Reflexion einzuleiten. Es müssen Projekte, also längerfristige Vorhaben mit anspruchsvollen Aufgaben und Hürden durchgeführt werden. Nur so lässt sich die Motivation aufrechterhalten. Überzeugt, dass die digitale Innovation das Unterrichtswesen völlig verändern würde, entwickelte ich an der Universität Eichstätt den Kurs „Internet- und Projektkompetenz“ (IPK).
Der Kurs „Internet- und Projektkompetenz“ wird von der Universität Eichstätt-ingolstadt gestaltet, er wird aber über die Virtuelle Hochschule Bayern an allen Hochschulen in Bayern angeboten.

Die Struktur des Kurses:

1. Teilnahme an Forenkommunikation

2. Einrichten einer Wiki-Benutzerseite

3. Wahl eines Forschungslandes und Bildung einer Forschungsgruppe
Die Studenten treffen sich im Rahmen einer Präsenzveranstaltung und wählen Forschungsländer sowie Forschungsthemen aus und sie bilden kleinere Forschungsgruppen.

4. Aufstellen einer Forschungshypothese, eines Forschungsdesigns und Planung der Reise

5. Erstellung einer Homepage

7. Durchführung der Forschungsreise

8. Auswertung der Untersuchungsergebnisse & Hochladen der Ergebnisse in die Homepage

9. Präsentation der Ergebnisse

Die Ergebnisse

Im Rahmen des IPKs entstanden zwischen 2002 und 2006 124 studentische Homepages.

Hier ein Beispiel:

III. Die aktuellen Dimensionen des IPK-Projektes

Geographische Dimensionen

Die von den Studenten ausgesuchten Länder sind weltweit verteilt. Hier ein kleiner Einblick:

Thematische Dimensionen

Und hier ein kurzer Einblick in die Themen, die von Studenten in verschiedenen Hochschulen gewählt werden:

Sozialarbeit (Katholische Stiftungsfachhochschule München):

  • Lage der psychisch kranken Menschen in Süditalien
  • Situation von MigrantInnen in Italien und Deutschland
  • Familienarmut in Süditalien
  • Soziale Arbeit mit älteren Menschen in Süditalien
  • Behindertenarbeit
  • Frauen in Italien zwischen Beruf und Familie
  • Studium der Sozialen Arbeit in Salerno

Ethnologie (Universität Augsburg):

  • Aberglaube und Brauchtum in Italien
  • Spannungen zwischen Nord- und Süditalien“
  • „Irische Auswanderer in Deutschland“
  • „Der Beitritt Bulgariens in die EU“

Deutsch als Fremdsprache (Universität Augsburg):

  • Russland zwischen Osten und Westen

Europastudiengang (Eichstätt)

  • Russland: Religion und Nation, Mode und Tradition“
  • Religion in der russisch-tatarischen Gesellschaft“

Die Teilnehmer: zunächst in Deutschland, dann im Ausland

Zu Beginn stellten sich die Studentengruppen grundsätzlich aus Teilnehmern zusammen, die in Deutschland studieren. Nun gibt es auch unter den Studenten Teilnehmer, die zwar in Deutschland studieren, aber aus anderen Ländern stammen. Dies ist besonders der Fall beispielsweise in Augsburg in Studiengängen wie Deutsch als Fremdsprache und Ethnologie/Volkskunde. Es ergab sich fast von selbst, dass wir besonders Länder als Projektziele wählten, die Heimatland unserer ausländischen Studenten sind. Es sind insbesondere Russland, Bulgarien, Japan, Kasachstan und China. Bald bildeten sich Kontakte mit den Heimatuniversitäten und vor einigen Monate entstand eine sehr aktive IPK-Gruppe in Kasan (Tatarstan).
Ausgehend also von einem Kurs „Internet- und Projektkompetenz“, der - wenn auch von Anfang an interkulturell orientiert - ausschließlich für Eichstätter Studenten gedacht war, ist nun eine Struktur entstanden, die eine Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Russischen, bzw. Bulgarischen oder türkischen Studenten institutionell verankert:

Hier zur Verdeutlichung die Struktur des Eichstätt-Kasan-Kurses:

IV. Die technischen Voraussetzungen

Und nun möchte ich noch einmal auf die technischen Voraussetzungen für eine effektive Zusammenarbeit zurückkommen, und zwar ausführlicher.

1: Die Forenkommunikation

Die erste Aufgabe der Studenten besteht darin, ein Forschungsland und ein Forschungsthema zu wählen und Forschungsgruppen zu bilden. Dazu müssen sie nach der ersten Präsenzveranstaltung virtuell kommunizieren. Als Instrument verfügen die Studenten über Foren.

2: Einrichtung einer Benutzerseite in der Wikipedia

Sehr nützlich für die gemeinsame Konstruktion von Wissen ist die Wikitechnik. Kurz zur Wikitechnik, insbesondere zur Wikipedia: Die Wikipedia ist eine weltweite virtuelle Enzyklopädie, bei der jeder Benutzer aktiv mitarbeiten kann. Jeder kann jederzeit Artikel einstellen oder modifizieren. Es gibt Wikipedia in 200 Sprachen, Gegenwärtig gibt es mehr als 1 Million Artikel in der englischen und 400.000 in der deutschen Version. Wer die vielfältigen Möglichkeiten der Wikipedia auschöpfen will, kann ein Benutzerkonto anlegen und eine Benutzerseite einrichten. Diese Benutzerseite kann die Funktion einer individuellen Homepage erfüllen.
Wer die Vorteile der Wikitechnik genießen will, ohne sich in der Enzyklopädie Wikipedia einzurichten, findet in der ZUM (Zentrale für Unterrichtsmedien) ein Wiki, das sich an Schüler und Lehrer wendet und exakt dieselben Möglichkeiten wie die Wikipedia anbietet.

Als Beispiel einer Benutzerseite, die von einer Studentin eingerichtet wurde, sei die Seite einer tatarischen Studentin, Marina, gezeigt. Diese Seite steht nicht in der Enzyklopädie Wikipedia sondern im ZUM-Wiki:

Der Vorteil, den die Einrichtung von Benutzerseiten in der Wikipedia bietet, besteht darin, dass eine große Anzahl von Administratoren, Experten und Helfern stets zugänglich ist. Rund um die Uhr wird man betreut und man findet stets einen Benutzer, der einem technisch und inhaltlich weiterhelfen kann.

Natürlich sollten die Studenten im Sinne einer kollektiven Wissenskonstruktion motiviert werden, das im Rahmen des Kurses „Internet- und Projektkompetenz“ gemeinsam, über die Grenzen hinweg erstellte Wissen in der Form von Enzyklopädie-Artikeln zu veröffentlichen. Marina hat beispielsweise folgenden Artikel für das ZUM-Wiki verfasst:

Eine weitere Möglichkeit der Wikitechnik besteht darin, dass ganze Tabellen angelegt werden können. So benutzt die Studentin Marina, die in Kasan die Aufgabe einer Tutorin übernommen hat, ihre Benutzerseite, um Übersichten über die Teilnehmer ihrer Gruppe anzulegen:

All das ist mit der Wiki-Technik sehr einfach zu realisieren. Für internationale Projekte ist natürlich von großer Bedeutung, dass man Artikel in verschiedenen Sprachen findet und Texte, die für die eigenen Arbeit wesentlich sind, von einer Enzykopädie in die andere übersetzen kann.
Da die Kasanerinnen als künftige Lehrerinnen sich für die von mir entwickelte Methode „Lernen durch Lehren“ interessieren, haben sie den deutschen Artikel ins Russische übersetzt:
Hier der deutsche Artikel:

Und hier der Russische: (anklicken auf der linken Leiste)

All dies geschieht nicht in einsamer Arbeit, sondern stets sind verschiedene Benutzer beteiligt, sei es bei technischen Problemen, beispielsweise beim Hochladen von Fotos, sei es um inhaltliche Korrekturen anzubringen oder um Kontakte zu anderen Benutzern herzustellen, die Experten in bestimmten Bereichen sind.

V. Die weiteren Perspektiven

1. Der jüngste Durchgang: Zusammenarbeit zwischen Kasan und Eichstätt:

Durch die folgenden Fotos, die unsere Eichstätter Studenten mit Kasaner Studenten auf Erkundung zeigt, kann man die interkulturelle Attraktivität einer Kooperation zwischen Deutschen und Tataren deutlich mitfühlen:

2. Aktivitäten, um die Kooperation zu erweitern und zu vertiefen:

Um die Kooperation mit Kasan zu vertiefen, habe ich zu Ostern in Zusammenarbeit mit der Deutsch-Abteilung der Pädagogischen Hochschule eine Woche lang in einer Schule unterrichtet und die Methode "Lernen durch Lehren" vorgestellt.

Im Anschluss flog ich nach Bulgarien, um dort ebenfalls eine IPK-Gruppe ins Leben zu rufen:

3. Teilnehmer im SS 2006:

Nun befinden wir uns zu Beginn des Sommersemesters 2006 und die durch unsere Tutoren durchgeführten Werbeaktionen scheinen Früchte zu tragen:

Schluss:

Sie können sich vorstellen, und die meisten von Ihnen haben ähnliche Erfahrungen, dass man bei solchen Projekten leicht die Bodenhaftung verliert. Natürlich fordert die Globalisierung ihre Opfer und sie wird weitere fordern, denn sie beginnt ja erst. Wenn man aber Globalisierung als Zusammenführung von jungen Menschen über die Grenzen hinweg erlebt, Globalisierung als gemeinsame Konstruktion von Wissen um die Probleme zu lösen, die auf uns zurasen, dann ist man dankbar, dass man nicht zu alt ist, um dies zu erleben. Und Dankbarkeit ist das Gefühl, das mich immer schon seitdem ich Lehrer bin, aber besonders seit einigen Jahren begleitet!