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Gau

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Gau ist ein mehrdeutiger und letztlich unscharfer Begriff für Region, Landschaft oder Verwaltungseinheit.

Etymologie

Die Herkunft des althochdeutschen Wortes geuui (gewi), gouwiLandstrich’ ist unsicher. Das Wort ist im Gotischen, im Althochdeutschen, im Altfriesischen und im Altenglischen als Neutrum bezeugt. Erklärungsmöglichkeiten sind:[1]

  • Urgermanisch *gaw-ja- ‘Gegend, Landschaft’, verwandt mit armenisch gawaṝ ‘Gebiet, Vaterstadt, Dorf’ und mit diesem zu einer indogermanischen Wurzel *ghəu-. Hierzu lässt sich griechisch chṓra f., chõros m. ‘freier Raum, Gegend, Land’ vergleichen, das von der indogermanischen Vollstufe *ghō(u)- ausgeht.
  • Urgermanisch *ga-au-ja ‘Gesamtheit der Dörfer’, vergleiche hierzu althochdeutsch inouwa f. ‘Wohnung, Wohnsitz’ sowie griechisch oíē ‘Dorf’.
  • Urgermanisch *ga-agwja- ‘das am Wasser gelegene [Land]’, zu germanisch *awjō ‘Wasser’ (vergleiche Au). Diese lange Zeit favorisierte Herleitung bereitet sowohl in bedeutungsmäßiger als auch in lautlicher Hinsicht Schwierigkeiten.

Die Lautvarianten Gau und Gäu richteten sich ursprünglich danach, ob ein /i/ oder ein das /w/ verdoppelndes /j/ folgte. Die umgelautete Variante, althochdeutsch geuui, stand damit ursprünglich im Nominativ, die nicht umgelautete, althochdeutsch gouwi, ursprünglich im Obliquus.[2] Allerdings haben sich die beiden Lautungen schon in althochdeutscher Zeit zu vermischen begonnen.

Die zwischenzeitlich ausgestorbene Bezeichnung Gau für eine bestimmte Landschaft beziehungsweise Region wurde von Historikern des 17. bis 19. Jahrhunderts wiederbelebt. Damals setzte sich auch das männliche Genus (der Gau) anstelle des ursprünglich sächlichen (das im Fall von das Gäu immer noch gilt) durch, vielleicht in Anlehnung an lateinisch pāgus ‘Gau, Distrikt’.[3] Durch die Aufnahme in die Terminologie des Dritten Reiches geriet sie in Misskredit, lebt allerdings in den (als Ortsnamenzusätze auch offiziellen) Bezeichnungen der Salzburger Bezirke weiter.

Begriffsgeschichte

Gaugrafschaft im Mittelalter

Gau im Mittelalter

Nach heutigem Forschungsstand ist zu unterscheiden zwischen Gau (pagus)als Bezeichnung einer Landschaft und der Grafschaft (comitatus) als Verwaltungsbezirk,[4] von denen es innerhalb eines Gaus häufig mehrere gab und die über Gaugrenzen hinweg bestehen konnten. Es fehlen bereits Hinweise für die Annahme, dass das Wort Gau in germanischer Zeit einer Verwaltungsgliederung entsprochen hätte. Hierbei dürfte es sich um eine Fehldeutung der historischen Forschung des 18. und 19. Jahrhunderts handeln.[5]

Karl der Große etablierte nach der Niederwerfung der einheimischen Bevölkerung des Südostens seines Reiches dort das Grafschaftsprinzip, übernahm aber wohl vorhandene Regionalkonzepte. Der neue Zentralherrscher setzte Grafen als seine Stellvertreter vor Ort ein. Die königlich-kaiserliche Zentralgewalt und zentrale Gerichtsbarkeit standen mittelbar in der Tradition der rechtlichen Fundierung der Kaiserlichen Herrschaftsgewalt im Römischen Reich und beruhte außer gegenüber den Franken und Langobarden, deren König Karl der Große war, zunächst auf dem Recht des Eroberers und wurde durch Kapitulariengesetzgebung und das Institut der Königsboten zur Geltung gebracht. Im Fränkischen Reich bezeichnete der comitatus im Wesentlichen den Amtsbezirk eines Grafen (comes, grafio), des so genannten Gaugrafen. Dieser war gleichzeitig oberster Richter und Führer eines Heerbanns im Auftrag des Herrschers. Dem Gau zugeordnet waren Zentmarken oder Hundertschaften, die oft durch Zentgrafen verwaltet wurden. Im Zent(grafen)gericht fungierten diese als Schöffen. Den süddeutschen Zentgerichten entsprachen in Norddeutschland die Gogerichte.

Auch die lateinische Bezeichnung pagus, die spätestens mit der Spätantike zu einem festen Bestandteil der römischen Regionalverwaltung geworden ist, wird traditionell mit Gau wiedergegeben. Diese Gleichsetzung geht bereits auf die merowingisch-fränkische Verwaltungspraxis zurück (als Beispiel: 768 pagus Aregaua, heutiger Kanton Aargau).

Gaue als Bezirke der NSDAP

Parteigaue (hellbraun), Reichsgaue (dunkelbraun) und Generalgouvernement, Mai 1944

Die Bezirke der NSDAP im Deutschen Reich 1925–1945 waren in Gaue gegliedert, geführt von einem Gauleiter, siehe Struktur der NSDAP. Die dem Deutschen Reich zwischen 1938 und 1939 eingegliederten Gebiete Österreichs (→ Ostmarkgesetz), des Sudetenlandes und Westpolens wurden als Reichsgaue verwaltet.

Heutige Verwendung des Begriffs

Ortsnamensbestandteile

In Flur- und Siedlungsnamen ist die Etymologie eines Wortendes ...gau unklar, weil es sich auch um eine Zusammensetzung mit -au (Aue) handeln kann:

  • Burgau, aus Burg-Gau (Verwaltungsraum eines Burgherrn) oder Burg-Aue (dem nahen Burgherrn gehörendes Auland)
  • Lengau in Oberösterreich, möglicherweise entstanden aus ahd. *bi zuo demo langin/lengin gouue „im langgestreckten Gau(ort)“ oder aber ahd. *bi zuo dero langin/lengin ouwa „in der langgestreckten Au“[6], Pfongau(Salzburg)

Landschaftsnamen

In folgenden Staaten hat sich -gau, -gäu als Teil von Bezeichnungen für Landschaften erhalten:

Salzburg: (historisch)Salzburggau
Salzburg: Flachgau, Tennengau, Pongau, Pinzgau, Lungau (die zugleich Verwaltungbezirke sind).
Vorarlberg: Walgau
Historisch: Traungau[7]
Historisch: Augstgau, Buchsgau, Frickgau, Sisgau, Züri(ch)gau

Regionalgruppen von Vereinen

Turnerbünde (siehe Turngau), Gruppen der Bündischen Jugend und der Pfadfinderbewegung, Trachtenverbände und Schützenbünde (zum Beispiel bei Gaumeisterschaften) verwenden den Begriff. Auch beim ADAC findet er Verwendung für die Regional-Clubs gem. Satzung von 2012 in § 8).[8] In Österreich hat der Österreichische Turnerbund (ÖTB) teilweise eine Gliederung in Turngaue, der Deutsche Turner-Bund spricht von Gau. Der Schwäbische Albverein ist seit 1894 in Gaue aufgeteilt.[9]

Bezirke

Die Bezirke des Bundeslandes Salzburg heißen zwar offiziell nach ihrem Standort, allgemein werden sie aber nach ihrer alten Bezeichnung Gaue genannt, etwa Gebirgsgaue für das Innergebirg (Pongau, Pinzgau, Lungau, aussergebirg den Flachgau, Tennengau). Früher gab es z. B. aussergebirg nur den Salzburggau, der Gebiete das damals Salzburg zugehörigen nun bairischen Rupertiwinkels mitumfasste. Diese Bezeichnungen werden auch als Unterscheidungszusatz im offiziellen Ortsnamen für mehrfach vorkommende Namen verwendet, wie beispielsweise bei St. Johann im Pongau.

Gau für fremdsprachliche Begriffe

Das Wort wird auch für folgende fremdsprachliche Begriffe verwendet:

Für Margaret Carroux, die erstmals Der Herr der Ringe ins Deutsche übersetzte, war der „Gau“ zwar die eheste Übersetzung von The Shire (engl. „die Grafschaft“), der Heimat der Hobbits, aufgrund der Verwendung von „Gau“ im Nationalsozialismus wählte sie jedoch die Übersetzung „Auenland“.

Siehe auch

Wiktionary: Kollektivbildung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Gau – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Das Folgende nach Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Auflage. De Gruyter, Berlin/Boston 2011, S. 335; Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Erarbeitet unter der Leitung von Wolfgang Pfeifer. Akademie Verlag, Berlin 1989 (und zahlreiche Neuauflagen), s. v.
  2. Wilhelm Braune: Althochdeutsche Grammatik. 15. Auflage. De Gruyter, Berlin u. a. 2004 (Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte. A: Hauptreihe), § 201, Anm. 2.
  3. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Erarbeitet unter der Leitung von Wolfgang Pfeifer. Akademie Verlag, Berlin 1989 (und zahlreiche Neuauflagen), s. v.
  4. Caspar Ehlers: Sachsen als sächsische Bischöfe. Die Kirchenpolitik der karolingischen und ottonischen Könige in einem neuen Licht. In: Matthias Becher, Alheydis Plassmann: Streit am Hof im frühen Mittelalter. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, ISBN 978-3-89971-884-3, S. 95–120, hier S. 99.
  5. Jürgen Finger: Gau, Abschnitt Gau, in der historischen Forschung des 18. und 19. Jahrhunderts, Historisches Lexikon Bayerns, 2008
  6. Elisabeth Bertol-Raffin, Peter Wiesinger: Die Ortsnamen des politischen Bezirkes Braunau am Inn. Wien 1989., Band 1, S. 49; nach Ute Maurnböck-Mosser: Altheim. (Diplomarbeit) In: Die Haus- und Hofnamen im Gerichtsbezirk Mauerkirchen. , abgerufen am 24. Juli 2008.
  7. Ludwig Edlbacher: Die Entwicklung des Besitzstandes der bischöflichen Kirche von Passau in Oesterreich ob und unter der Enns vom 8. bis zum 11. Jahrhundert. In: Neunundzwanzigster Bericht über das Museum Francisco-Carolinum. Eigenverlag, Linz 1870. S. 14 (Online; PDF; 3,3 MB)
  8. Satzung des ADAC, eingesehen am 26. August 2013 (PDF; 130 kB)
  9. Zur Geschichte des Schwäbischen Albvereins
  10. Country paper: Fiji. In: United Nations Economic and Social Commission for Asia and the Pacific UN ESCAP (Hrsg.): Local Government in Asia and the Pacific: A Comparative Study. Brief Description of the Country and its National/State Government Structure –Fijian administration (Webdokument (Memento vom 3. November 2013 im Internet Archive)).