Innen Leben
Film | |
Titel | Insyriated |
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Produktionsland | Belgien, Frankreich, Libanon |
Originalsprache | Arabisch |
Erscheinungsjahr | 2017 |
Länge | 85 Minuten |
Stab | |
Regie | Philippe Van Leeuw |
Drehbuch | Philippe Van Leeuw |
Produktion | Guillaume Malandrin, Serge Zeitoun |
Musik | Jean-Luc Fafchamps |
Kamera | Virginie Surdej |
Schnitt | Gladys Joujou |
Besetzung | |
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Insyriated ist ein Spielfilm von Philippe Van Leeuw aus dem Jahr 2017. Die belgisch-französisch-libanesische Koproduktion basiert auf einem Originaldrehbuch Van Leeuws. Das kammerspielartige Drama schildert 24 Stunden im Leben syrischer Zivilisten, die während des Bürgerkriegs gemeinsam in einer Wohnung in Damaskus eingeschlossen sind.
Der Film wurde am 11. Februar 2017 im Rahmen der 67. Internationalen Filmfestspiele Berlin in der Sektion Panorama uraufgeführt.
Handlung
Damaskus, während des Bürgerkriegs: Die Ehefrau und Mutter Oum Yazan harrt mit ihrem alten Schwiegervater Abou Monzer, ihren Kindern Yara, Aliya und Yazan und der philippinischen Haushaltshilfe Delhani in ihrer Wohnung im 2. Stock eines Mehrfamilienhauses aus. Ebenfalls kurzfristig Aufnahme gefunden hat die ausgebombte junge Nachbarsfamilie Samir und Halima mit ihrem Baby sowie Yaras Freund Kareem, der bei einem Besuch von schweren Gefechten überrascht wurde und die Lage abwartet. Oum Yazans Ehemann ist fort und wird für den Abend erwartet. Die Fenster der geräumigen Wohnung zum Innenhof bleiben aus Angst vor Scharfschützen verhangen, während aus der Ferne Detonationen oder Helikoptergeräusche zu hören sind. Die Wasserversorgung ist zusammengebrochen, und der Gang nach draußen, um neues Wasser zu holen, gefährlich. Strom-, Internet- und Telefonnetz funktionieren nur zeitweise.
Samir und Halima planen für den Abend die Flucht mit Hilfe eines französischen Journalisten in den Libanon. Als Samir für die Vorbereitungen am Morgen das Haus verlässt, wird er von einem Scharfschützen angeschossen und bleibt reglos im Innenhof liegen. Die verängstigte und religiöse Delhani, die ihren Sohn vermisst, wird unfreiwillig Zeugin des Vorfalls und weiht Oum Yazan ein. Diese hält es für klüger, Halima vorerst nichts davon zu erzählen und weist Delhani an, ihr Wissen für sich zu behalten. Trotz des Krieges versucht die resolute Oum Yazan den Familienalltag aufrechtzuerhalten. Gemeinsam wird gegessen, Oum Yazans Schwiegervater unterrichtet Enkel Yazan, während ihre älteste Tochter Yara mit Kareem flirtet.
Als es zu schweren Bombenexplosionen im Viertel kommt, überschlagen sich die Ereignisse. Über den Balkon verschaffen sich zwei Männer Zutritt in die verrammelte Wohnung. Sie waren zuvor von der energischen Oum Yazan durch den Türspion harsch abgewiesen worden. Halima und ihr Baby schaffen es nicht, sich mit den anderen in der Küche zu verbarrikadieren. Sie belügt die Männer, die auf der Suche nach Diebesgut sind, dass sich hinter der verschlossenen Tür nur eine alte Frau und ihr Sohn befinden würden. Daraufhin wird sie vom Älteren der beiden vergewaltigt, während Oum Yazan, Delhani, Abou Monzer, Yara, Aliya, Kareem und Yazan unfreiwillig zum Teil Ohrenzeugen des Verbrechens werden. Die geschändete Halima ringt ihrem Vergewaltiger das Versprechen ab, das Haus und seine Bewohner zu beschützen.
Nachdem die beiden Männer die Wohnung verlassen haben, kümmert sich die Gemeinschaft notdürftig um die unter Schock stehende Halima, die sich später mit ihrem Baby in ihr Zimmer zurückzieht. Delhani bedrängt Oum Yazan, Halima vom Schicksal ihres Mannes zu erzählen, über das sie verbotenerweise bereits mit Abou Monzer gesprochen hat. Als Halima am späten Abend von Samirs Schicksal erfährt, erleidet sie einen Nervenzusammenbruch. Sie reist die Vorhänge auf, um die Aufmerksamkeit der Heckenschützen auf sich zu ziehen und kann nur mit größter Mühe wieder beruhigt werden. Halima macht sich daraufhin auf, Samirs Leichnam zu bergen. Kareem und Yara helfen ihr dabei. Es stellt sich heraus, dass Samir noch lebt, aber durch eine tiefe Schusswunde in den Rücken schwer verwundet ist. Freunde von Oum Yazans Ehemann werden verständigt, die den bewusstlosen Schwerverletzten abtransportieren. Halima und ihr Baby sollen am nächsten Abend folgen. Über den Verbleib von Oum Yazans Ehemann können die Freunde nichts sagen. Sie raten ihr, die Wohnung zu verlassen, doch Oum Yazan will bleiben.
In der Nacht, als kurzzeitig das Telefonnetz wieder funktioniert, erhält Oum Yazan eine verspätete, kryptische Sprachnachricht von ihrem Ehemann. Am nächsten Morgen, als sein Sohn noch immer nicht zurückgekommen ist, steht Abou Monzer rauchend vor dem verhangenen Fenster und ist den Tränen nahe.
Hintergrund
Insyriated ist der zweite Spielfilm des überwiegend als Kameramann tätigen Belgiers Philippe Van Leeuw. Sein Debüt als Regisseur und Drehbuchautor hatte er 2009 mit Le jour où Dieu est parti en voyage gegeben, der aus der Sicht einer Frau vom Völkermord in Ruanda berichtete. Mit dem Drehbuch für Insyriated hatte Van Leeuw bereits 2013 begonnen.[1] Er wurde dazu von einer realen Erzählung aus Aleppo angeregt.[2]
Bis auf die israelisch-arabische Schauspielerin Hiam Abbass und die Phillippinerin Juliette Navis wurden alle übrigen Rollen mit syrischen Darstellern besetzt. Da es nicht möglich war, die Dreharbeiten in Syrien stattfinden zu lassen, wurde Insyriated im libanesischen Beirut gedreht. Einige der Schauspieler, die in Syrien lebten, mussten während des gesamten Drehs im Libanon bleiben, das es zu gefährlich war, zu pendeln. Die im Film spielenden Kinder sind alle syrischer oder halbsyrischer Abstammung. Ihre Familien kamen als Flüchtlinge in den Libanon.[3]
Hiam Abbass fühlte sich eigenen Angaben zufolge verpflichtet, die Rolle der Oum Yazan anzunehmen und lobte das Drehbuch. Die Geschichte erinnerte sie a den Palästinakrieg (1947–1949). „Gerade wegen meiner eigenen Geschichte und der Geschichte meiner Vorfahren traf es einen Nerv. Es war nicht sehr schwer für mich, mich sofort mit diesen Leuten zu identifizieren, mit dieser Geschichte und diesen Figuren, und in der Lage sein, ihm zu geben, was ich von meinem emotionalen Gepäck hatte.“[3]
Rezeption
Christiane Peitz (Der Tagesspiegel) lobte in ihrer Kurzkritik Insyriated als klaustrophobisches Kammerspiel und bewertete die Leistung von Hauptdarstellerin Hiam Abbass als großartig.[4] Differenzierter äußerte sich Claudia Schwartz (Neue Zürcher Zeitung) zum Film. Sie lobte die Darstellerleistungen in dem alle politischen Diskussionen ausblendenden Film, der als „humanistisches Manifest“ eine „redliche Arbeit“ sei. Insyriated sei aber genauso problematisch wie der letztjährige Berlinale-Gewinner Seefeuer. Neben fehlendem politischen Gespür entwickle der Film „in seinem moralischen Wahrheitsfuror keine Distanz zum eigenen Verfahren“. Schwartz kritisierte die lange Darstellung der Vergewaltigungsszene Halimas, die man als Tatort-Folge als zu „realitätsnah“ aus dem Fernsehprogramm nehmen und Zuschauerempörung hervorrufen würde. „Kino schafft keine politischen Zeichen, indem es in der Luft liegende Themen bebildert, wie «Insyriated» das zeigt, sondern wenn es gelingt, einen Kontrapunkt zum Zeitgeist zu setzen, wo es Empathie auslöst und das Problem weiterdenkt als das allgemeine Fühlen und Meinen.“, so Schwartz, die fürchtete, dass bei so viel moralischen Anspruch eine kritische Debatte ausbleiben könnte.[5] Anja Seeliger (Perlentaucher) empfahl Insyriated anzusehen, auch wenn Philippe Van Leeuw „keine neuen Einstellungen oder gar eine neue filmische Sprache für diese Situation“ finde. Der Film erinnere daran, dass es im Krieg keine richtigen Entscheidungen gäbe: „ Auch etwas nicht zu tun, ist eine Entscheidung, die Opfer kostet. Man kann nach diesem Film über viel diskutieren, nur zum Moralisieren hat man überhaupt keine Lust.“, so Seeliger.[6]
Jonathan Romney (Screen International) fühlte sich an die ebenfalls kammerspielartig inszenierten Filme Panic Room von David Fincher, Sieranevada von Cristi Puiu und Das Fenster zum Hof von Alfred Hitchcock erinnert. Er lobte das Schauspielensemble, im Besonderen Hiam Abbass und Diamand Abou Abboud. Abbass würde als Oum Yazan eine „ihrer bis heute kraftvollsten Darstellungen“ abrufen. Der Film sei ein „straff konstruiertes, intensives klaustrophobisches Drama und biete „eine manchmal nervenaufreibende Darstellung dessen, was passiert, wenn Konflikte auf den häuslichen Raum treffen.“ Romney wies auch auf die komplexe Tongestaltung von Paul Heymans und Alex Goosse hin.[7]
Weblinks
- Profil bei berlinale.de
Einzelnachweise
- ↑ „Der mit Abstand wichtigste Film der Berlinale | hpd“. Zugegriffen 14. Februar 2017. https://hpd.de/artikel/abstand-wichtigste-film-berlinale-14085.
- ↑ Haasis, Bernd: Frei im Hirn. In: Stuttgarter Nachrichten, 13. Februar 2017, S. 12.
- ↑ a b „Palestinian Actress Hiam Abbbas On Insyriated and the Trump Travel Ban | Variety“. Zugegriffen 14. Februar 2017. http://variety.com/2017/film/global/palestinian-actress-hiam-abbbas-on-insyriated-and-why-the-first-victims-of-trump-travel-ban-are-americans-1201984864/.
- ↑ „(1) Arabische Filme auf der Berlinale: Der Krieg in mir - Kultur - Tagesspiegel“. Zugegriffen 14. Februar 2017. http://www.tagesspiegel.de/kultur/arabische-filme-auf-der-berlinale-der-krieg-in-mir/19371748.html.
- ↑ „Berlinale - Filmfestspiele Berlin: «Insyriated» und «Kaygi» zeigen eine unsichere Gegenwart - NZZ Feuilleton“. Zugegriffen 14. Februar 2017. https://www.nzz.ch/feuilleton/berlinale-filmfestspiele-berlin-insyriated-und-kaygi-zeigen-eine-unsichere-gegenwart-ld.145344.
- ↑ „Filmkritik zu Insyriated von Philippe Van Leeuw im Panorama Berlinale 2017 - Berlinale Blog - Außer Atem - Perlentaucher“. Zugegriffen 14. Februar 2017. https://www.perlentaucher.de/berlinale-blog/2017/02/12/filmkritik-zu-insyriated-von-philippe-van-leeuw-im-panorama-berlinale-2017.html?highlight=insyriated.
- ↑ „‚Insyriated‘: Berlin Review | Reviews | Screen“. Zugegriffen 14. Februar 2017. http://www.screendaily.com/reviews/insyriated-berlin-review/5114925.article.