Balanced Scorecard
Die Balanced Scorecard (abgekürzt BSC, eng. wörtl. Ausgewogener Berichtsbogen/ausgewogene Wertungsliste) ist eine ganzheitlich orientierte, ziel- und kennzahlenbasierte Managementmethode. Die Vision und Strategie eines Unternehmens werden auf Ziele und Kennzahlen in meist vier Bereichen (Finanzen, Kunden, Interne Abläufe, Wachstum/Reifung/Potentiale) abgebildet. Dadurch soll eine einseitige Ausrichtung auf finanzielle Aspekte vermieden und eine Ausgewogenheit erreicht werden. Der Begriff BSC wurde ur- und irrtümlich für verschiedene Arten von meist kennzahlenbasierten Systemen verwendet. Keine BSC sind deskriptive Prozesskostenrechnung, klassischen monetären Kennzahlsystemen (s. etwa Du-Pont-Schema), Benchmarking (anonymisierter Vergleich über die Unternehmensgrenze hinweg).
Überblick
Die BSC geht auf Arbeiten von Robert S. Kaplan und David P. Norton Anfang der 1990er Jahre an der Harvard-Universität zurück. Ausgehend von einer Strategie, die neben den Shareholdern auch andere Stakeholder (z.B. Mitarbeiter, Gesellschaft) berücksichtigt, werden kritische Erfolgsfaktoren (KEF) bestimmt und daraus ein Kennzahlensystem ("scorecard") abgeleitet. Die Messgrößen repräsentieren die Erreichung der strategischen Ziele. In einem kontinuierlichen Prozess werden Ziele und Zielerreichung überprüft und durch korrigierende Maßnahmen gesteuert.
Die Balanced Scorecard dient als Führungsinstrument zur Ausrichtung der Organisation an strategischen Zielen. Im Gegensatz zu Leitbildern und anderen unscharfen Formulierungen versucht die Balanced Scorecard die Erreichung von strategischen Zielen messbar und über die Ableitung von Massnahmen umsetzbar zu machen.
Mit den Methoden der BSC soll das Blickfeld des Managements von einer traditionellen, durch finanzielle Aspekte gekennzeichneten Unternehmenssicht auf alle relevanten Teile gelenkt werden und so zu einem ausgewogenen ("balanced") Bild führen. Die umfassendere Sicht ermöglicht dann konkretere Maßnahmen zur Ausrichtung der Organisation an den vorgegebenen Zielen.
Wichtiges Element einer Balanced Scorecard ist, dass bereits ihr Erstellungsprozess eine starke Komponente von Veränderungsmanagement enthält, d.h. das Einbeziehen aller relevanten Interessenvertreter notwendig macht. Dadurch wird die Akzeptanz erhöht und die Treffsicherheit der Ziele und Maßnahmen erhöht.
Dazu werden die strategischen Ziele aus verschiedenen Perspektiven betrachtet, typischer Weise Finanzen, Kunden, Interne Abläufe, Wachstum und Reifung. Andere Perspektiven sind sinnvoll wenn das Unternehmen starkes Gewicht darauf legt (z.B. Partnermanagement). Für jede der Perspektiven werden Kennzahlen ausgewählt, die die Annäherung an die strategischen Ziele messen. Die Herausforderung liegt in der Auswahl weniger und zugleich relevanter Kennzahlen. Um die Größe und Vielfalt von Organisationen abzubilden, werden hierarchische Kennzahlensysteme aufgebaut. Ziele der Unternehmensbereiche werden so mit den Unternehmenszielen verknüpft.
In der BSC werden die Ziele aufgewogen verfolgt, d.h. es werden ständig die Auswirkungen der Maßnahmen auf alle Ziele bewertet. Aus psychologischer Sicht erfordert diese eine geringe Anzahl von gleichzeitig zu betrachtenden Kennzahlen, typischerweise 1 - 2 pro Perspektive. An der konsequenten Auswahl und Reduzierung auf wenige Kennzahlen scheitern viele BSCs.
Typische Perspektiven der BSC

In der Regel werden vier Perspektiven mit je rund 1 - 2 Zielen sowie korrespondierenden Maßnahmen und den dazugehörigen Kennzahlen verwendet. Wichtig hierbei ist, dass dieses System, anders als fast alle anderen Controllingsysteme, frei ist in der Determinierung der Dimensionen (die Anzahl der Perspektiven kann durchaus größer oder kleiner sein). Häufig werden zwar die in der Literatur und nachfolgend beschriebenen Dimensionen verwendet; die Stärke der BSC liegt jedoch darin, dass z.B. Umweltfaktoren oder eine Ökobilanz ebenso Eingang finden können, wie z.B. Stakeholder-Betrachtungen oder branchenspezifische Faktoren.
Perspektiven nach Robert S. Kaplan und David P. Norton: (Hier werden jeweils zwei Beispiel-Kennzahlen genannt)
- Finanzperspektive (financial focus): Kennzahlen zum Erreichen der finanziellen Ziele.
- Kundenperspektive (customer focus): Kennzahlen zum Erreichen der Kundenziele.
- Kundenzufriedenheit: Unterstützt kundenorientiertes Verhalten, nicht notwendigerweise kurzfristigen Gewinn, ist dabei aber schwierig zu messen.
- Zeit zwischen Kundenanfrage und Antwort: Unterstützt zeitgerechtes Reagieren auf Kundenanfragen, wird oft in Verbindung mit Prioritäten verwendet.
- Interne bzw. Prozessperspektive (process focus): Kennzahlen zum Erreichen der internen Prozess- und Produktionsziele.
- Ausschuss pro 1000 Stück: Unterstützt die ausgelieferte Qualität, nicht notwendigerweise einen effektiven und effizienten Produktionsprozess.
- Zeit zwischen Produktionsstart und Auslieferung: Unterstützt schnelle Durchlaufzeiten, geringe Kapitalbindung und wenig Zwischenlager. Kann mittels Process Performance Management detailliert und kontinuierlich ausgewertet werden.
- Potenzial- bzw. Erneuerungs- und Wachstumsperspektive (learning focus): Kennzahlen zum Erreichen der (langfristigen) Überlebensziele der Organisation.
- Umsatzverhältnis neuer Produkte zu alten Produkten: Unterstützt schnelle Neu- und Weiterentwicklung von Produkten.
- Fluktuation von Leistungsträgern nach außerhalb der Organisation: Unterstützt die langfristige Beschäftigung von Leistungsträgern in der Organisation, fördert Leistungsdifferenzierung, kann Querdenker blockieren.
Beispiel
In einem Unternehmen soll als wesentliches Teilziel die Kundenorientierung verbessert werden. Die Perspektive ist hier also die des Kunden. Als kritische Faktoren werden dabei eine sehr gute Termintreue, wenige Beanstandungen und schneller Service bzw. kurze Reparaturdauern gesehen. Gleichzeitig dürfen die Kosten nicht wesentlich erhöht werden.
Damit können etwa die folgenden Kennzahlen eingesetzt werden:
- Prozentsatz nicht eingehaltener Terminzusagen
- Prozentsatz beanstandeter Produkte nach Auslieferung
- Durchschnittliche Verweildauer bei Kundendienst und Reparatur
- Kosten pro Produkt
Diese werden zunächst ermittelt, etwa zu 20 Prozent nicht eingehaltene Termine, 10 Prozent Beanstandungen und 4 Wochen Verweildauern. Im nächsten Jahr sollen dann nur noch weniger als 10 Prozent der Termine nicht eingehalten werden, die Anzahl der Beanstandungen soll auf 7 Prozent verringert werden und die Verweildauer im Schnitt nur noch drei Wochen betragen. Als Maßnahmen kommen Verbesserung der Terminplanung (Termintreue), Verbesserung des Qualitätsmanagements und Vergrößerung der Anzahl Mitarbeiter in der Service- und Reparaturabteilung (Verweildauer) in Betracht. Da die letzte Maßnahme die Kosten wesentlich erhöhen würde, kann auch oder zusätzlich versucht werden, die Effizienz der Abteilung zu verbessern. Ein hoher Krankenstand spricht für eine geringe Mitarbeiterzufriedenheit. Auch Schulungsmaßnahmen sind in den letzten Jahren nicht durchgeführt worden. Als weitere Kennzahlen werden deshalb herangezogen:
- Durchschnittliche Anzahl Krankheitstage
- Durchschnittliche Schulungstage pro Mitarbeiter
Bewertung
Chancen
Die Balanced Scorecards ermöglichen es, die Strategie zu operationalisieren, darzustellen und zu kommunizieren. Die Vision bzw. Strategie lässt sich durch die Überführung in strategische Initiativen auf operatives Handeln herunterbrechen, indem die Gesamtaufgabe zerlegt wird. Sie offenbart Defizite und wichtige Aufgaben.
Die einfache Struktur ermöglicht eine Komplexitätsreduktion in der Steuerung.
Später lässt sich durch Einbeziehung der Balanced Scorecards eine Legitimation für Maßnahmen und Verantwortlichkeiten begründen.
Durch die Balanced Scorecards werden Mitarbeiter gestärkt: Sie erhalten eine eigene Perspektive. Ihre Tätigkeit leistet einen messbaren Beitrag zur Umsetzung der Gesamtstrategie der Unternehmung.
Risiken
Eine Balanced Scorecard birgt die Gefahr der versuchten Umsetzung falscher bzw. unrealistischer Ziele. Auch "schlechte" Strategien werden professionell umgesetzt.
Es besteht die Gefahr, die Balanced Scorecards mit zu vielen zu komplexen Zielen überzubelasten.
Eine oberflächliche Betrachtung der Balanced Scorecard kann fälschlicherweise zu einer einseitigen Konzentration auf die Kennzahlen, insbesondere vergangenheitsbasierte Kennzahlen, führen. In diesem Fall geht die eigentliche Intention der Balanced Scorecard verloren, nämlich die Ausrichtung des Handelns an strategischen Zielen und dem nachhaltigen, zukunftsorientierten Aufbau von Potenzialen (=Handlungsmöglichkeiten für die Zukunft).
Durch die Fixierung auf Kennzahlen, kann es zur bewussten Manipulation oder zu einer einseitigen Optimierung der Kennzahlen kommen - insbesondere, wenn die Vergütung der Mitarbeiter an die Erfüllung von Kennzahlen gebunden ist. Daher ist das Prinzip der Ausgewogenheit (Balance zwischen den einzelnen Zielen) zu beachten, um eine Fehlsteuerung zu vermeiden.
Die unreflektierte Anwendung der Ergebnisse der Prozesskostenrechnung ohne Begleitung durch ein Balanced Scorecard Management kann zu krassen Fehlentscheidungen führen und somit den Betriebserfolg gefährden.
Jüngste Studien zeigen zudem, dass die größten Umsetzungserfolge durch eine Fokussierung auf die Ziel-Maßnahmen-Verknüpfungen anstelle der Kennzahlenorientierung erreicht werden.
Literatur
- Kaplan, R.S. / Norton, D.P.: "The Balanced Scorecard Measures That Drive Performance", in: Harvard Business Review 1991, S. 72-79
- Kaplan, R.S. / Norton, D.P.: "The Balanced Scorecard. Translating Strategy into Action", Boston 1996
- Kaplan, R.S. / Norton, D.P.: "Balanced Scorecard, Strategien erfolgreich umsetzen", aus dem Amerikanischen von P. Hórvath, Stuttgart 1997 Hórvath, P.: "Controlling", Verlag Vahlen, München 1998, S. 566ff
- Speckbacher G, Bischof J. Die Balanced Scorecard als innovatives Managementsystem. Konzeptionelle Grundlagen und Stand der Anwendung in deutschen Unternehmen. Betriebswirtschaft 2000;60(6):795-810.
- Rolf G. Poluha: Anwendung des SCOR-Modells zur Analyse der Supply Chain. Lohmar und Köln 2005, ISBN 3899364104
- Einwag M, Häusler E: Die Steuerung von Krankenhäusern über Balanced Scorecard. Führen und Wirtschaften im Krankenhaus 2001;18(1):20-1.
- Graf, Michael "Balanced Scorecard - Irrwege in der Evangelischen Jugendarbeit"[1] in Brenner "deutsche jugend" 04/03, Weinheim
- Niven, P.R.: Balanced Scorecard Step By Step. Maximizing Performance and Maintaining Results. Willey, New York, USA 2002.
- Wenk, Thomas (2006): Performance Measurement Systeme und deren Einsatz als Managementsystem, Aachen, 2006 ISBN 3-8322-4901-x (S. 45ff.)
Weblinks
- Zusammenfassung (Universität Regensburg, Lehrstuhl Scherrer)
- Betriebliche Beispiele Wirtschaft
- Beispiel: Hauptabteilung des Unternehmens
- Literatursammlung der Hans-Böckler-Stiftung
- Dr. Friedag / Dr. Schmidt