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Anorexia nervosa

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Die Anorexia nervosa (ICD 10 F50.0) ist der medizinische Fachbegriff für Magersucht. Auch der Begriff Anorexia mentalis wird zur Bezeichnung verwendet.

Definition

Definition na DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders)

  • A) Niedriges Körpergewicht, weniger als 85% des zu erwartenden Gewichts
  • B) Große Angst vor Gewichtszunahme
  • C) Strikte Kontrolle der Nahrungsaufnahme
  • D) Körperschemastörung:
  • – Übertriebener Einfluss des Gewichts auf die Selbstwertung
  • – Krankheitsverleugnung
  • E) (nur bei Frauen) sekundäre Amenorrhö

Subtypen: restriktiver Typ, Binge-purging-Typ

Der Terminus "Anorexia Nervosa" ist in seinen Wortbestandteilen dem griechischen und lateinischen entlehnt und bedeutet "nervlich bedingte Appetitlosigkeit". Menschen mit dieser Erkrankung hungern genau so wie andere Menschen auch, nur versuchen sie ihren Hunger vollkommen unter Kontrolle zu bringen, so dass sie nur noch so wenig wie möglich essen müssen und verlieren bald das Gefühl für Hunger, bzw. lassen das Gefühl von Hunger nicht mehr zu. Magersucht ist durch einen absichtlich selbst herbeigeführten Gewichtsverlust gekennzeichnet. Am häufigsten ist diese Essstörung bei heranwachsenden Mädchen und jungen Frauen zwischen elf und 40 Jahren, sie tritt aber auch bei Männern immer häufiger auf. In letzter Zeit nehmen auch Berichte über die Zunahme von Anorexie-Erkrankungen bei Frauen über 40 Jahren zu.

Anorexie beginnt meist mit dem Wunsch, schlank zu sein oder zu werden, und einer Diät, um dies zu erreichen. Wird der Schlankheitswunsch zu stark, kann die Diät außer Kontrolle geraten. Im Zentrum der Störung steht dabei das verzerrte Körperbild der erkrankten Menschen [vgl.: Körperbildstörung], das dazu führt, dass sie ihren Körperumfang selbst bei extremer Gewichtsabnahme immer noch als aufgequollen und viel zu dick wahrnehmen.

Die Magersucht bleibt bei Freunden und Verwandten oft lange unbemerkt, anfangs wird sie sogar von ihnen durch positive Äußerungen verstärkt. Die kranke Person zieht sich vollständig zurück und ist nur noch mit ihren Kalorien beschäftigt. Zur Erkennung der Magersucht ist der Brocaindex besser geeignet als der Body Mass Index:

  • Normalgewicht [in kg] = Körpergröße [in cm] - 100
Beispiel: Körpergröße = 180 cm ---> Normalgewicht [in kg] = 180 - 100 = 80 ---> Normalgewicht 80 kg
  • Idealgewicht [in kg]: Körpergewicht/(Körpergröße)² = 18, 5 bis 24,3 (BMI Body Mass Index; neuste Überarbeitung des optimalen Körpergewichts)
  • Untergewicht [in kg]: Das gemessene Gewicht ist kleiner als (Körpergröße in cm - 100) 0.8
  • starkes Untergewicht [in kg]: Das Gewicht ist kleiner als (Körpergröße in cm - 100) 0.7

Auch der BMI[Body Mass index] soll vorgestellt werden: Körpergewicht [in kg] durch Körpergröße [in m] zum Quadrat

Beispiel: Gewicht = 50 kg, Körpergröße 1,60 m ---> 50/(1,60 1,60) -> 19,53

Normalgewichtig ist man bei einem BMI von:

  • Frauen: 20-25
  • Männer: 19-24
  • Mädchen:
  • - 14-16 Jahre: 18,5-22,3
  • - 17-19 Jahre: 19,5-23
  • Jungen:
  • - 14-16 Jahre: 18-22
  • - 17-19 Jahre: 20-23

Wenn der BMI 0,1 oder bis zu 0,5 darunterliegt ist es noch nicht so schlimm. Wenn er aber 1 oder mehr darunterliegt sollte man sich fragen, ob man nicht magersüchtig ist!

Der Austausch von Zahlenangaben zum eigenen Gewicht zwischen betroffenen Menschen ist mit Vorsicht zu handhaben. Leicht kann das zu schädlichem Konkurrenzdenken (wer hat das geringste Gewicht?) führen. Deshalb sind Gewichtsangaben und Indizes in Selbsthilfegruppen tabu.

Gründe

Die genauen Gründe, die zu einer Magersucht führen, sind heute immer noch unklar. Es wird angenommen, dass mehrere Faktoren zusammenwirken müssen, damit sich die Krankheit entwickelt (Bio-Psycho-Soziales-Krankheitsmodell). Ausgelöst wird die Anorexia Nervosa häufig durch ein belastendes Ereignis und/oder nach einer Diät.

Einer der Gründe für die Entwicklung einer Magersucht ist sicherlich das aktuell vorherrschende, soziokulturell bedingte Schlankheitsideal und die Einstellung, dass das Aussehen des eigenen Körpers eine fundamentale Bedeutung für den eigenen Selbstwert sowie Erfolg in sozialen Beziehungen und im Beruf hat.

Außerdem stellt die Magersucht ein Kontrollmoment für die jeweilige Person dar. Man kann mit Kalorienzählen seinen Körper beherrschen und bekommt dadurch ein Gefühl der Selbstkontrolle.

In einigen Untersuchungen (Zwillings-Studien) wurde festgestellt, dass sehr häufig beide eineiige Zwillinge unter Essstörungen leiden. Dabei leiden 50% der eineiigen Zwillinge an Anorexie, wenn der andere Partner auch an dieser Erkrankung leidet, während diese Übereinstimmung nur in 10% zweieiiger Zwillingspaare gefunden wurde. Als biologische Grundlage wird unter Anderem ein Mangel des Nervenbotenstoffs Serotonin vermutet.

Weitere Gründe können – oft zusätzlich zu den obigen sozialen Gründen – tiefe psychische Konflikte, wie Eltern-Kind Beziehungskonflikte (zb."die kontrollierende Mutter" oder "der abwesende Vater") oder Traumata wie Vergewaltigung oder Misshandlung sein. Ähnlich wie beim selbstverletzenden Verhalten, das in solchen Fällen u.U. parallel entwickelt werden kann, ist dann die Magersucht ein begleitendes Symptom für eien tieferes psychologisches Problem, welches behandelt werden muß. Die Magersucht kann sich auch zusätzlich zu noch anderen Erkrankung entwickeln. So neigen z.B. auch depressive Persönlichkeiten dazu, eine Esstörung wie die Magersucht zu entwickeln, weil die Kontrolle über den Körper das einzige zu sein scheint, was noch übrig bleibt.

Bei Jugendlichen oder Kinder kann es auch oft durch das Mobbing in der Schule ausgelöst werden

Bei Magersucht gibt es meist keine Krankheitseinsicht; die Person sieht das Hungern als Sieg über den eigenen Körper, über die Rolle als Frau oder als Mann und über das Erwachsenwerden. Darin wird auch ein starkes Autonomiebedürfnis ausgedrückt.


Folgen

Magersucht muss unbedingt behandelt werden, weil sie lebensgefährlich sein kann und die körperlichen Schäden gravierend sind. Anorexie-Patienten magern stark ab, der Stoffwechsel wird verlangsamt, es treten erhebliche Mangelerscheinungen auf, Hautschäden können auftreten, die Knochen entkalken (Gefahr der Osteoporose), die Organe werden nicht mehr richtig mit Nährstoffen versorgt, die Fingernägel und Haare werden brüchig und Schwächeanfälle können auftreten. Bei Frauen Verzögerung oder gar Ausbleiben der Pubertätsentwicklung (Wachstumsstopp, fehlende Brustentwicklung, Ausbleiben der Periode (außer die Frau nimmt die Anti-Baby-Pille) sowie im Extremfall der Tod durch Versagen lebenswichtiger Organe. Personen die an Magersucht erkrankt sind kapseln sich auch sehr häufig von ihrem Umfeld bzw. Freundeskreis ab, daher ist es schwer für Aussenstehende an die betroffenen Personen heranzukommen oder ihr Verhalten zu verstehen.

Behandlung

Die Therapie umfasst neben einer Stabilisierung des Essverhaltens in der Regel eine psychotherapeutische Betreuung. Bei kritischem Untergewicht ( bei einem BMI von 13 und weniger besteht akute Lebensgefahr) ist eine stationäre Behandlung in einem Krankenhaus mit einer parenteralen Ernährung notwendig,es kommt jedoch auch vor, dass der Patient über einen venösen Zugang mit Nährstoffen/Elektrolyten versorgt wird. Diese Zwangsmaßnahme ist zur Lebenserhaltung ein wichtiges Mittel, ist ohne weiterführende psychotherapeutische Behandlung jedoch nicht dauerhaft wirksam. Oft werden systemisch, familientherapeutische Behandlungen empfohlen, die problematische Interaktionen in der Familie der Betroffenen für die Störung als Auslöser und als aufrechterhaltender Faktor als ursächlich ansieht. In diesem Kontext erscheint die Anorektische Patientin als Symptomträger einer Familie und ist demnach nicht alleine behandlungsbedürftig. Ebenfalls kommen psychoanalytische Behandlungsansätze zum Einsatz. Diese sollen unbewusste Konflikte, die zur Entstehung des Symptoms geführt haben bewusst machen, und so eine weitere Reifung der Persönlichkeit ermöglichen. Auch kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlungen werden oft angewand, die zum Ziel haben, die verzerrte Körperwahrnehmung der PatientInnen zu beeinflussen, die Einstellungen zum Essen zu verbessern und Wege für eine bessere Konfliktbewältigung sowie soziale Kompetenzen zu vermitteln. Psychopharmakologische Therapien zeigten bisher aufgrund der fehlenden Krankeitseinsicht und der daraus resultierenden mangelnden Bereitschaft, an einer Therapie mitzuwirken (Compliance), keine positiven Effekte. Eventuell führen auch die Nebenwirkungen vieler Psychopharmaka, die oft mit Gewichtszunahme verbunden sind, zu einer mangelnden Compliance. Die fehlende Krankheitseinsicht führt bei vielen Betroffenen zu wiederholten Therapieabbrüchen und eine zu späte Einsicht/Erkenntnis der Krankheit in ca. 5% aller Fälle zum Tod!

Differentialdiagnose

Nach DSM-IV existieren zwei Unterkategorien der Anorexia Nervosa: 1. Anorexie vom restriktiven Typus: Sie zeichnet sich durch bloßes Verzichten auf Nahrung bzw. besonders hochkalorischer Nahrung aus. 2. Anorexie vom Purging Typus: Durch kompensatorische Verhaltensweisen, wie selbstinduziertes Erbrechen, Abführmittel oder Entwässerungsmittel wird der Kalorienaufnahme entgegengewirkt. Dabei ist ein deutlicher Gewichtsverlust zu beobachten.

Die Anorexie ist vor allem von anderen Essstörungen abzugrenzen. Dabei ist die Bulimia nervosa (Bulimie) von besonderer Bedeutung. Im Gegensatz zu bulimischen PatientInnen weisen AnorektikerInnen beider Subtypen einen erheblichen, manchmal lebensbedrohlichen Gewichtsverlust auf, auch wenn die Anorexie vom Purging-typus ähnliche Verhaltensweisen beinhaltet.

Die genaue Abgrenzung verschiedener Essstörungen voneinander macht nur im therapeutischen Kontext, im Rahmen einer aktuellen Therapie und deren momentaner Ziele Sinn, da oft beobachtet wird, dass PatientInnen während ihrer Entwicklung verschiedene Formen aufweisen. Oft findet man in der Vorgeschichte von BulimikerInnen eine Episode von Anorexie. Manchmal kommt es auch vor, dass Personen, die unter Adipositas litten, eine Anorexie oder Bulimie entwickeln oder umgekehrt.

Affektive Störungen wie Depression oder bipolare Störungen können auch zu erheblicher Gewichtsreduktion führen. Die Betroffenen weisen jedoch keine so verzerrte Körperwahrnehmung auf.

Physiologische Störungen können ebenso zu Gewichtsverlust führen, beispielsweise ein Hirntumor oder Stoffwechselerkrankungen wie die Hyperthyreose.

Obwohl therapierte Patienten nach der Behandlung wieder scheinbar "normal" essen können, bleibt die Krankheit ein Leben lang bestehen. Das bedeutet, dass das "schlechte Gewissen" bei der Nahrungsaufnahme nie verschwindet, sondern lediglich unterdrückt wird.

(Ehemals) magersüchtige Prominente

Magersucht in Kunst und Musik

  • Daniel Johns, der Sänger der Gruppe Silverchair, verarbeitet seine Krankheit in dem Lied Ana's Song.
  • Christina Aguilera verwendet in ihrem Video zum Lied "Beautiful" aus dem Album "Stripped" Bilder einer Magersüchtigen. Im Verlauf des Videos zerschlägt diese den Spiegel, in dem sie sich zuvor kritisch betrachtet hatte.

Siehe auch

Bulimie, Essstörung, Ernährung, Idealgewicht, Sucht, Orthorexie, Pro-Ana

Literatur

Wissenschaftliche Literatur (Fachliteratur)

  • Joan Jacobs Brumberg: Todeshunger. Die Geschichte der Anorexia Nervosa vom Mittelalter bis heute, Beltz, Weinheim 1994, ISBN 3-593-35050-5
  • Lars Wöckel, Martin H. Schmidt: Magersucht, Bulimie und Adipositas. Wenn der Körper aus dem Gleichgewicht gerät. in: Biologie in unserer Zeit 32(6), S. 362 - 369 (2002)
  • Fichter MH (2005) Nervenarzt - ausgezeichnete deutschsprachige Darstellung des Themas

Erfahrungsberichte und Belletristik

  • Jessica Antonis: Hunger nach weniger. Roman einer Magersucht, Ueberreuter, Wien, 2001, ISBN 3-8000-2795-X
    • Kommentar: Jugendroman, in dem autobiographische Erfahrungen mit Magersucht beschrieben werden
  • Claire Beeken, Rosanna Greenstreet: Mein Körper mein Feind, Bastei-Lübbe, Bergisch-Gladbach, 1998, ISBN 3-404-61422-4
    • Kommentar: Erfahrungsbericht einer Magersüchtigen, die ihre Krankheit besiegt hat. Der Roman gibt einen guten Einblick in das Leben einer Magersüchtigen
  • Monika Gerlinghoff: Magersüchtig. Eine Therapeutin und Betroffene berichten, Beltz, Weinheim, 2001, ISBN 3-407-22833-3
    • Kommentar: Es bietet im Gegensatz zur Fachliteratur einen Einblick in die Sichtweisen der Betroffenen bzw. deren Angehörigen
  • Marya Hornbacher: Alice im Hungerland. Leben mit Bulimie und Magersucht, eine Autobiographie Ullstein, München, 2001, ISBN 3-548-36248-6
    • Kommentar: Die Psycho-Mechanismen zur Bulimie und Anorexie und das Spiel der kranken Person mit der Umgebung
  • "Essen? Nein Danke" Roman für Jungendliche ab 13 Jahren, Autor: Maureen Stewart ISBN: 3-473-58086-4 Verlag: Ravensburger
    • Kommentar: Dieses Buch für Jugendliche bietet einen Einblick in das Leben einer Magersüchtigen vom Anfang bis zur Therapie
  • "Dann bin ich eben weg" Autor: Christine Fehér
    • Kommentar: Jugendroman, eine Magersüchtige erzählt ihren Alltag vom Anfang der Magersucht bis zum Ende. Roman zeigt gut wie schnell es von einer Diät in eine Magersucht umschlagen kann.