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Wahrheit

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Wahrheit lässt sich auffassen als

a) die Übereinstimmung von Aussagen mit Realitäten
b) die auf ein Handlungsziel bezogene verantwortete Interpretation von Realitäten
c) die Wahrhaftigkeit im zwischenmenschlichen Umgang
d) eine gesellschaftliche Übereinkunft

Alle drei Aspekte entwickeln eine Vielzahl an Fragestellungen, mit denen sich verschiedene wissenschaftliche Disziplinen beschäftigen. Beispiel: Wann sind Aussagen eindeutig wahr? Lässt sich die Wahrheit annähernd durch ein axiomatisches System wie die Mathematik bestimmen? Gibt es überhaupt so etwas wie Wahrheit?

Begriffe

Folgende Begriffe sind besonders durch Kant geprägt:

  • Apriorische Wahrheiten: Wahrheiten, die von der Erfahrung unabhängig sind.
  • Aposteriorische (empirische) Wahrheiten: Wahrheiten, die von der Erfahrung abhängig sind, wie z.B. ‚die Erde dreht sich um die Sonne‘, zu deren Begründung man Erfahrung benötigt.
  • Analytische Wahrheiten: Wahrheiten, bei denen der Prädikatsbegriff im Subjektsbegriff enthalten ist, wie z.B. ‚alle Junggesellen sind unverheiratet‘, zu deren Begründung man nur Bedeutungsregeln alleine benötigt.
  • Synthetische Wahrheiten: Wahrheiten, bei denen der Prädikatsbegriff nicht im Subjektsbegriff enthalten ist, wie z.B. ‚alle Junggesellen sind glücklich‘, zu deren Begründung man nicht nur Bedeutungsregeln alleine benötigt.
  • Notwendige Wahrheiten: Wahrheiten, deren Verneinung zu einem logischen Widerspruch führt, wie z.B. ‚alle Kreise sind rund‘.
  • Kontingente (oder zufällige) Wahrheiten: Wahrheiten, deren Verneinung zu keinem logischen Widerspruch führt, wie z.B. ‚die Anzahl der Planeten ist gleich 9‘.

Theorien

  • Korrespondenz- oder Adäquationstheorie: Vertreten von Aristoteles (384-322 v.u.Z.) und vielen mittelalterlichen Philosophen. Wahrheit besteht in der Übereinstimmung von Verstand und Sache (‚wahr ist, von etwas was ist, zu sagen es sei, und von etwas, was nicht ist, zu sagen es sei nicht‘).
  • Kohärenztheorie: Vertreten von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) und idealistischen Philosophen. Die Wahrheit einer Menge von Aussagen besteht darin, dass sie untereinander kohärent sind, d.h. dass sie widerspruchsfrei miteinander vereinbar sind.
  • Pragmatische Wahrheitstheorie: Vertreten von pragmatisch orientierten Philosophen. Wahr ist, was für die Praxis fruchtbar bzw. nützlich ist.
  • Konsenstheorie: Vertreten von Karl-Otto Apel (* 1922). Eine Aussage ist wahr, wenn eine potentiell unendlich große Menge von Menschen unter idealen Kommunikationsbedingungen dieser Aussage zustimmen würde.
  • Redundanztheorie: Vertreten von Frank Plumpton Ramsey (1903-1930). Das Wort ‚wahr‘ ist überhaupt überflüssig.
  • Performanztheorie: Vertreten von Peter Frederick Strawson (* 1919). Das Wort ‚wahr‘ wird performativ im Sinne einer Zustimmung zum Gesagten verwendet.
  • Evidenztheorie: Vertreten von René Descartes (1596-1650), Franz Brentano (1838-1917) und Edmund Husserl (1859-1938). Ein Satz ist wahr, wenn er mit einem evidenten Urteil übereinstimmt.
  • Existenztheorie: Vertreten von Martin Heidegger (1889-1976). Wahrheit ist Offenbarung des Seins.
  • Semantische Wahrheitstheorie: Entwickelt von Alfred Tarski (1902-1983) in seinem zuerst auf polnisch erschienenen Aufsatz Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen (1933) als Semantik der Prädikatenlogik. Die Ursache der Lügner-Antinomie (siehe unten) liegt für Tarski in der semantischen Geschlossenheit der Umgangssprache: diese enthält für jede Aussage einen Namen dieser Aussage. Deshalb kann man für sie keine Definition des Wahrheitsbegriffes angeben, ja diesen nicht einmal widerspruchsfrei verwenden.

Beispiel einer Problemstellung: die semantische Antinomie

Bereits in der Antike war das berühmte Paradoxon des Epimenides bekannt.

  • 'Epimenides aus Kreta sagt: „Alle Kreter lügen. Ich bin ein Kreter“‘ oder kurz:‚Ich lüge jetzt‘.

Sollen wir jetzt dem Mann aus Kreta glauben, wenn er sagt, dass er lügt oder nicht? Wenn wir annehmen, dass er die Wahrheit sagt, dann müssen wir schließen, dass er lügt. Und wenn wir umgekehrt annehmen, dass er lügt, müssen wir schließen, dass er die Wahrheit sagt. Es folgt zwangsläufig ein Widerspruch.

Weitere Aspekte

Wahrheit ist vor allem deshalb schwer zu erfassen bzw. festzustellen, weil kein Mensch alle Informationen haben kann, um "die ganze Wahrheit" kennen zu können. Insofern kann Wahrheit formal oft auf eine Wahrscheinlichkeitsaussage reduziert werden.

Wahrheitsdefinition in künstlichen Sprachen

Für weniger komplizierte – künstliche – Sprachen wie etwa die Prädikatenlogik kann man jedoch einen Wahrheitsbegriff definieren. Die Sprache, für die man den Wahrheitsbegriff definiert, und die damit Gegenstand der Untersuchung ist, nennt man nach Tarski Objektsprache, die Sprache, in der die Definition formuliert wird, dann Metasprache.

Wahrheitsempfindung

Die Empfindungen von Wahrheit, z. B. im zwischenmenschlichen Bereich oder bei der Selbstreflexion sind vielschichtig und individuell geprägt: Wahre Begegnung zwischen Menschen, offener Umgang miteinander, echte Selbstoffenbarung führen vielleicht zu dem, was der Schweizer Theologe Emil Brunner einmal mit "Wahrheit als Begegnung" formuliert hat...

Zitate

  • "Über die Wahrheit kann man nicht mit Mehrheit abstimmen."
  • "Wirklichkeit und Wahrheit sind im Grunde eins."
  • "Wahr ist für uns, was wir nicht länger in Frage stellen können."
  • "A: Aber die Fakten sprechen doch dagegen! B: Um so schlimmer für die Fakten!"
  • "Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit sind die großen Ideen der Menschheit."
  • "Wahr sind nur die Gedanken, die sich selber nicht verstehen" (Theodor W. Adorno, Minima Moralia).
  • "Von jeder Wahrheit ist das Gegenteil ebenso wahr." - Hermann Hesse, Siddhartha
    • Der obige Satz ist aus naturwissenschaftlicher Sicht falsch und zugleich richtig. (z.B. Die Erde dreht sich um die Sonne ist eine wahre Aussage. Jede Aussage ist philosophisch so wahr, wie Ihr Gegenteil, s.o. . Die Sonne dreht sich also um die Erde muss wahr sein. Die spinnen manchmal, die Philosophen...)
  • Ein guter Rat: "Glaube nichts und niemandem, vor allem mir nicht !"
  • "Glaube denen, die die Wahrheit suchen und zweifle an denen, die sie gefunden haben." André Gide
  • "Es hat einer von ihnen gesagt, ihr eigener Prophet: Die Kreter sind immer Lügner[...] Dieses Zeugnis ist wahr." (Titusbrief 1,12f in der Bibel)

Literatur

  • Deku, Henry: Wahrheit und Unwahrheit der Tradition, St. Ottilien 1986
  • Pieper, Josef: Wahrheit der Dinge, Eine Untersuchung zur Anthropologie des Hochmittelalters, München 1947
  • Thomas von Aquin: Von der Wahrheit (De veritate, Quaestio I), Lateinisch – Deutsch, ausgewählt, übersetzt und herausgegeben von Albert Zimmermann, Hamburg 1986