Viskosefaser
Viskosefasern, kurz Viskose sind Fasern, die aus dem Grundmaterial Zellulose bestehen und über das Viskoseverfahren industriell hergestellt werden. Die chemischen Natur der Viskosefasern gleich der von Baumwollefasern. Auch die typische Faserfeinheiten (etwa 10 bis 15 Mikron Durchmesser) und Faserlängen (etwa 40 mm) sind im Regelfall ähnlich wie bei der Baumwolle. Durch die Bearbeitung der Zellulose im Viskoseverfahren können - im Gegensatz zum Naturprodukt Baumwolle - die Charateristika der Faser (Farbe, glänzendes oder mattiertes Aussehen, Faserlänge, -dicke und -querschnitt) variiert werden.
Verwendung
Die Anwendungsgebiete von Viskosefasern überschneiden sich vielfach mit denen der Baumwolle (Textilien, Mischgewebe mit Polyester uvm.). Im nicht-textilen Bereich (Nonwovens) hat die Viskosefaser aufgrund der vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten größer Marktanteile als im textilen Bereich. Ein Anwendungsbeispiel ist hier der Einsatz in Intimhygieneprodukten (Tampons) aufgrund günstigerer Flüssigkeitsaufnahme-Charakteristiken.
Herstellung (Viskoseverfahren)
Als Ausgangsmaterial für Viskosefasern dient Zellstoff, welcher seinerseits aus Holz von Buchen, Fichten, Eukalyptus o.ä. stammt. Die verwendete Zellstoffqualität unterscheidet sich von der Papierzellstoff-Qualität dadurch, dass die Reinheit höher ist. Der Zellstoff für die Viskoseproduktion enthält weniger Rest-Lignin, weniger Hemizellulosen/Pentosane, hat eine bessere Reaktivität gegenüber Natronlauge und eine bessere Löslichkeit in Natronlauge nach erfolgter Xanthogenierungsreaktion.
Für die Herstellung einer Spinnmasse für das Erspinnen der Viskosefasern wird im klassischen Viskoseverfahren der Zellstoff zunächst mit Natronlauge versetzt. In der wässrigen Natronlauge quillt die Zellulose und bildet Natronzellulose. Auf diese läßt man Schwefelkohlenstoff (CS2 einwirken. Dabei entsteht Natriumxanthogenat (Xanthat). Das orangegelbe Xanthat ist in wässriger, verdünnter NaOH-Lösung lösbar und bildet darin eine hochviskose Lösung. Daher stammt auch der Name der Viskose. Diese hochviskose Lösung stellt die Viskose-Spinnmasse dar.
Sowohl vor der Reaktion mit CS2 als auch nach dem Lösen in Natronlauge wird der Natronzellulose bzw. der Spinnviskose Zeit für die jeweiligen chemischen Reaktionen gegeben. Hierzu gehören die Verkürzung der Kettenlängen der polymeren Zellulosemoleküle und Umlagerungsreaktionen. Nach zwei- oder dreifacher Filtration und Entlüftung besitzt dann die Spinnmasse die geeignete Viskosität und den geeigneten Reifegrad - Reaktivität gegenüber dem Spinnbad - um nachfolgend versponnen werden zu können.
Für die Viskosefasern im klassischen Herstellungsprozess wird ein Schwefelsäurespinnbad eingesetzt, welches zusätzlich noch - fast bis zur Sättigungsgrenze - Natriumsulfat und eine geringe Menge Zinksulfat zur Verzögerung der Zellulose-Ausfällungsreaktion enthält. Die Viskosespinnmasse wird mittels Zahnradpumpen durch die Spinndüsen gepresst. Der typische Lochdurchmesser eines Einzellochs der Spinndüsen beträgt etwa 50 µm. Das Natrium-Zellulosexanthogenat in der Viskosespinnmasse zerfällt im sauren Milieu des Spinnbades wieder in das Ausgangsmaterial Zellulose, Schwefelkohlenstoff (CS2 und Natronlauge NaOH. Gleichzeitig entsteht Wasser, gelöstes Natriumsulfat und übelriechender, giftiger Schwefelwasserstoff, der in einer aufwendigen Gaswäsche entfernt werden muss.
Das Wasser und das Natriumsulfat werden in der Rückgewinnung und Wiederaufbereitung des Spinnbades aus dem verbrauchten Bad entfernt. Natriumsulfat ist somit ein Koppelprodukt im klassischen Viskoseverfahren und wird grösstenteils an die Waschmittelindustrie verkauft. Der im Spinnprozess freigesetzte Schwefelkohlenstoff wird zum einen aus den Spinnanlagen abgesaugt und entweder durch Absorption an Aktivkohle direkt rückgewonnen oder zum Zwecke der Herstellung von Schwefelsäure verbrannt. Zum anderen wird das CS2 aufgrund seines geringen Siedepunktes von 46 °C durch Austreibung aus den frisch gesponnenen Fasern mittels Dampf und nachfolgender Kondensation der Brüden direkt wiedergewonnen und in den Prozess zurückgeführt. Diese CS2-Austreibung erfolgt üblicherweise, nachdem das frische Spinnkabel zuvor noch zur Festigkeitserhöhung verstreckt und auf die gewünschte Faserlänge geschnitten wurde. Da der Schwefelkohlenstoff ein vergleichsweise teures Rohmaterial darstellt, wird dessen vollständige Rückgewinnung angestrebt.
Für ein baumwolleänhliches Aussehen werden die Viskosefasern in einem Nachbehandlungsprozess gewaschen und gebleichet. Chlor-freie Bleiche und der Einsatz von chlorfrei hergestelltem Zellstoff ist in Europa bereits die Regel. Um den Viskosefasern für die Weiterverarbeitung günstige Gleiteigenschaften zu geben, werden vor deren Trocknung noch Avivagen - Seifen-ähnliche Substanz - im Promille-Bereich zugesetzt.
Die Viskosefasern kommen in Ballen mit einem Gewicht von etwa 250 - 350 kg und einer Faser-Restfeuchte von ca. 11% auf den Markt. Der größte Hersteller weltweit ist die Firma Birla Rayon in Indien mit 25% des Weltmarktbedarfes. Die größten einzelnen Produktionsstraßen stehen bei der Firma South Pacific Viscose in Purwakarta/Indonesien mit einer Tagesleistung von fast 150 Tonnen.
Verwandte Produkte
Ein ähnliches Produkt wie Viskosefasern sind Modalfasern. Sie bestehen ebenfalls zu 100% aus Zellulose und werden, so wie Viskosefasern, aus natürlichem Zellstoff hergestellt. Durch einen etwas unterschiedlichen Prozess erreicht man höhere Faserfestigkeiten und verbesserte Fasereigenschaften bei den Modalfasern. Ebenfalls in die Klasse der zellulosischen Fasern sind die Lyocellfasern einzuordnen. Bei den Lyocellfasern wird der Zellstoff durch das ungiftige Lösungsmittel NMMO (N-Methylmorpholin-N-oxid) ohne vorherige Reaktion mit Natronlauge und Derivatisierung zum Xanthogenat direkt und unverändert aufgelöst. Das Verspinnen der Lyocellfasern erfolgt in einem verdünnten, wässrigen NMMO-Bad, wobei die Löslichkeitsgrenze der Zellulose unterschritten und dadurch ein Faden gebildet wird.
So wie Viskosefasern ist auch bei Modal- und bei Lyocellfasern die Bezeichnung "synthetische Fasern" oder "Synthetikfasern" unzutreffend. Das Rohmaterial für diese Fasern ist Zellstoff, welcher aus Holz durch die Entfernung der Bindestoffe (Lignine) direkt und ohne chemische Umwandlung hergestellt wird. Die Umsetzung des Zellstoffes zum Zellulosexanthogenat im klassischen Viskosefaserprozess dient nur zur Erzielung einer Löslichkeit und endet schließlich nach dem Spinnen wieder im Ausgangsmaterial Zellulose. Im Vergleich zu echten Synthetikfasern, welche aus Rohmaterialien auf Basis von Erdöl oder Erdgas hergestellt werden, tragen Viskosefasern wesentlich weniger zur Erhöhung des CO2-Gehaltes in der Atmosphäre und damit zum Treibhauseffekt bei. Zutreffender ist für Viskose-, Modal- und Lyocellfasern die Bezeichnung "naturnahe Fasern".