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Doppelgrab von Oberkassel

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Das Doppelgrab von Oberkassel ist eine archäologische Fundstelle im Bonner Stadtteil Oberkassel. Im Februar 1914 entdeckten Steinbrucharbeiter das Grab. Unter flachen Basaltblöcken und eingehüllt von einer spärlichen Lage durch Rötel rotgefärbten Lehms lagen die Skelette eines etwa 50 Jahre alten Mannes, einer 20-30jährigen Frau, die Überreste eines Hundes, weitere Tierreste und zwei bearbeitete Gegenstände aus Tierknochen. Die gut erhaltenen Skelette sind neben dem Neandertaler die einzigen menschlichen Überreste des Jungpaläolithikums bzw. des beginnenden Mesolithikums im Rheinland. Sie sind nach heutigem Wissensstand rund 14.000 Jahre alt. Die Skelette und die Grabbeigaben sind im Rheinischen Landesmuseum Bonn ausgestellt.

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Funde aus dem Oberkasseler Grab: Die beiden Skelette, links die sterblichen Überreste der etwa 20-jährigen Frau, rechts des etwa 50 Jahre alten Mannes. An der linken Seite die beiden Kulturbeigaben, darunter der Teil eines Hundegebisses

Der Fund

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Fundstelle des Grabes am Stingenberg am Fuß der Rabenley

„Einen interessanten Fund machten vor einigen Tagen Arbeiter im Basaltsteinbruch des Herrn Peter Uhrmacher hier“, schrieb die OBERKASSELER ZEITUNG am 14. Februar 1914. „Ungefähr 5–6 m unter der Erdoberfläche fand man unter Schutt und Geröll 2 Skelette, die noch ziemlich gut erhalten waren. Nach der Schädelform zu schließen, handelt es sich um ein männliches und ein weibliches Skelett. Das Alter derselben könnte wohl nur von Spezialisten ermittelt werden. Wenn Vermutungen Raum gegeben werden darf, so wäre vielleicht die Annahme nicht von der Hand zu weisen, daß man es hier mit Bewohnern einer am Bergabhang gelegenen Hütte zu tun hat, die durch herabstürzendes Gestein den Tod fanden. Unter dem Schädel des weiblichen Skeletts fand man einen sehr gut erhaltenen etwa 20 cm langen Haarpfeil, der an einem Ende in die Form eines deutlich erkennbaren Pferdekopfes ausläuft. Sämtliche Steine, die um die Skelette lagerten, wiesen eine karminrote Färbung auf Der Fund dürfte für den Forscher wohl von Interesse sein, und werden wir bei Kenntniserhalt Näheres darüber bringen.

Zwei Arbeiter hatten am 12. Februar 1914 Schutt abgefahren und dabei Knochen entdeckt, die ihnen merkwürdig vorkamen. Die Gebeine und das sie umgebende Erdreich zeigten eine rötliche Verfärbung. Diese menschlichen Überreste waren in so gutem Zustand, zwei Schädel fast unversehrt, dass auch die Arbeiter sie als menschlichen Ursprungs erkennen konnten. Die Arbeit wurde unterbrochen und nach der Mittagspause erschien der junge Lehrer Franz Kissel, der dafür sorgte, dass der Fund gesichert und untersucht wurde. In dieser Absicht wurde er noch bestärkt, als man unter einem der Schädel einen etwa 20 cm langen schmalen Gegenstand entdeckte, der eine geschnitzte Verzierung an seinem einen Ende aufwies und aus Knochen gearbeitet schien. Die Knochenreste wurden zunächst in einer alten Munitionskiste deponiert, die Sprengstoff für die Felssprengungen enthalten hatte.

Peter Uhrmacher, der Steinbruchbesitzer, meldete den Fund der Bonner Universität und fragte an, ob Interesse an dem Fund bestehe. Am 21. Februar erschienen in Oberkassel der Physiologe Dr. Max Verworn, der Anatom Dr. Robert Bonnet und Prof. Dr. Heiderich. Da in der Benachrichtigung von einem Haarpfeil die Rede gewesen war, glaubten die Wissenschaftler zunächst an einen Fund aus römischer oder fränkischer Zeit. Das änderte sich, nachdem ihnen ein „Haarpfeil“ aus Knochen gezeigt wurde. Darin erkannten sie „Knochenwerkzeug“, wie es in der ausgehenden Eiszeit (Diluvialzeit) von den Menschen als Glätter oder Schaber von Fellen benutzt worden sei.

Der Fundort

Fundstelle – mit weißem Kreuz markiert – Aufnahme von 1914
Profilzeichnung von 1914

„Am Stingenberg“, der Ort, an dem sich das Grab befand, war ein Steinbruch, in dem jahrzehntelang Basalt gebrochen wurde, der vor ca. 25 Millionen Jahren entlang einer Spalte parallel zum Rheinlauf aufstieg und zum tertiären Vulkanismus des Siebengebirges gehört. Dieser Basaltzug hat die Richtung des Rheines bestimmt und trägt an dieser Stelle den Namen Rabenley.

Vor Anlage des Steinbruchs befand sich an dieser Stelle der Rabenley ein Steilabsturz, der durch den Steinbruchbetrieb beseitigt wurde. Am Fuß des früheren Steilabsturzes befindet sich die Fundstelle in einer Höhe von 99 m ü. M.

Der Bonner Geologe Gustav Steinmann beschrieb 1914 das Profil der Fundstelle von oben nach unten so:
„Ca. 0,5 m Abraum des Steinbruchs und Humusdecke; ca. 6 m ungestörter Hängeschutt, aus mehr oder minder verwitterten Blöcken und Brocken von Basalt, untermischt mit Basaltton. Lößmaterial fehlt darin (und darüber) durchaus, dagegen fanden sich einige Gerölle aus Quarz, die aus der Hauptterrasse von der Höhe des Kucksteins herabgerollt oder geschwemmt sind. An der Basis dieses Gehängeschuttlagers fanden sich die Skelette und Beigaben, sowie ein Eckzahn vom Rentier und ein Bovidenzahn, in einer rötlichen Kulturschicht auf und in 0,1 m sandigem Lehm. Darunter folgen: bis 4 m mächtiger graugelber Rheinsand. Dieser Sand gehört der Hochterrasse des Rheins an; er findet sich in gleicher geologischer Stellung an mehreren Punkten der Umgebung, 1 m anstehender Basalt, in der Tiefe fortsetzend, oberflächlich tonig zersetzt. In der Fortsetzung der rotgefärbten Kulturschicht gegen die Basaltwand zu wurden ferner gefunden: ein rechter Unterkiefer vom Wolf, ein Zahn vom Höhlenbären und Knochen vom Reh, sowie Holzkohle, die einigen Knochen anhaftete.“ Vorlage:Ref

Historische Aufnahme der Rabenley mit Hinweis auf die Fundstelle
Datei:Bnrablay.jpg
Rabenley heute

Fundbericht

Über den Fund in Oberkassel veröffentlichten Verworn, Bonnet und Steinmann 1919 einen umfassenden Bericht, den die Bonner Universität anlässlich ihres hundertjährigen Bestehens in einem Prachtband veröffentlichte.

Über die Umstände des Fundes schreibt Verworn darin:

„Mit Ungeduld folgten wir Herrn Uhrmacher nach der Arbeitshütte des großen Basaltsteinbruchs, wo uns in einer alten Sprengstoffkiste die Knochenfunde vorgelegt wurden. Wir sahen sogleich zwei wohlerhaltene Schädel, von denen nur der eine ein wenig durch einen Hackhieb beim Ausgraben verletzt war. Was uns an dem einen Schädel zunächst auffiel, war die außerordentlich starke Entwicklung der Muskelansatzstellen… Vor allem aber bemerkten wir, daß nicht bloß die Schädel, sondern auch ein großer Teil der übrigen Skelett­knochen, die ungeordnet in der kleinen Kiste durcheinanderlagen, mit einer teilweise ziemlich dicken Schicht von rotem Farbmaterial, wie es uns aus den paläolithischen Fundstellen des Vézèretales etwas sehr Vertrautes war, bedeckt erschienen, und daß dieser offenbar aus Rötel bestehende Farbstoff zweifellos in der Erde die Skelette teilweise imprägniert hatte, also jedenfalls gleichaltrig mit ihnen war. Indessen wagten wir noch immer kaum an ein paläolithisches Alter der Skelette zu glauben, bis wir die FundsteIle selbst besichtigt hatten. Bei strömendem Regen führte uns Herr Uhrmacher jun. an die Stelle, wo die Skelette aufgedeckt worden waren…“

„An dem westlichen Rande des großen Basaltbruches war bei der Anlegung eines schmalen, auf die Schutthalde führenden Geleiseweges für die Förderwagen von den Arbeitern einige Tage vorher der eine Schädel mit einer Hacke im Basaltschotter angeschlagen und aus dem Boden geholt worden. Glücklicher­weise hatten die Arbeiter sehr bald den alten erfahrenen Steinbruchaufseher benachrichtigt, der nun in vorsichtiger Weise arbeiten ließ, wobei der zweite Schädel und eine Anzahl anderer Skelettknochen zum Vorschein kamen. Auf An­ordnung von Herrn Uhrmacher war denn an dieser Stelle vorläufig nicht wei­ter gearbeitet worden, und so fanden wir dann die FundsteIle noch in einem verhältnismäßig wenig veränderten Zustande…“

„Der Basaltbruch des Herrn Peter Uhrmacher befindet sich in der ‚Rabenlay‘ bei Obercassel. Hier war am Westabhang nach der Rheinseite hin ur­sprünglich ein nackter Felsabsturz gewesen, den der Steinbruchbetrieb all­mählich abgebaut hat. Nicht weit von der alten Stelle dieses früheren Steila­bfalls lag die FundsteIle. Es liegt an dem nach der Rheinseite gekehrten Rande des Steinbruches noch heute in einer Mächtigkeit von mehreren Metern eine ausgedehnte Schicht von Gehängeschutt, bestehend aus übereinanderge­schichteten größeren und kleineren Basaltstücken, deren Zwischenräume nur durch spärliche Massen von Lehm und Verwitterungsmaterial lose ausgefüllt sind. Diese Basaltschotterschicht ruht auf einer breiten Schicht von hellgrauem Sand der Hochterrasse des Rheintales…“

„An der Basis der Basaltschotterschicht hatten zwischen kleineren und größe­ren Basaltstücken und eingehüllt von einer spärlichen Lage durch Rötel inten­siv rotgefärbten Lehms die Skelette gelegen. Nach der Angabe des Vorarbeiters waren die Skelette von größeren flachen Basaltblöcken bedeckt gewesen…“

„Als wir die Fundstelle besichtigten, fanden wir den Basaltschotter hier bis auf die Basis abgeräumt und nur nach der Rheinseite hin noch in geringer Höhe anstehend. Die Fläche war noch mit zahlreichen kleinen Basaltstücken bedeckt und im Umkreise von mehreren Quadratmetern durch Rötel gefärbt. Auch zahlreiche größere und kleinere Basaltstücke zeigten noch einen leich­ten lehmigen, vom Rötel durchtränkten Überzug. Da auch noch einige kleinere Knochenstücke an der FundsteIle umherlagen, so beschlossen wir in den nächsten Tagen bei günstigerem Wetter noch eine nachträgliche Grabung aus­zuführen. Dieser Plan wurde zwei Tage darauf, am 23. Februar ausgeführt. Außer den Herren Prof. Steinmann, Institut für Geologie, und cand. geol. Stehn sowie Dr. Dragendolf schloß sich noch der Direktor des Bonner Provinzial-Museums, Herr Prof. Dr. Lehner, un­serer Exkursion an. Nachdem die geologischen Verhältnisse der Gegend durch Herrn Prof. Steinmann und Herrn Stehn untersucht worden waren, wurde eine kleinere orientierende Grabung an der Fundstelle ausgeführt, die den Zweck verfolgte zu prüfen, ob etwa die Fundschicht noch eine weitere Ausdehnung in der Fläche und in der Tiefe besäße und ob in der Nachbarschaft vielleicht noch andere Funde zu erwarten wären. Es zeigte sich bald, daß die Fundstelle fast in ihrer ganzen Ausdehnung bereits aufgedeckt war und daß sie sich höchstens noch in der Richtung der Schotterwand etwas weiter erstrecken könnte…“

„In der Tat konnten wir sie hier noch auf etwa einen halben Meter in die Schotterhalde hinein verfolgen. Dabei wurden noch einige Fußwurzelknochen und Phalangen (=Zehenglieder) in situ gefunden. Dann aber hörte die Rötel­schicht auf, und von Knochenresten war nichts mehr zu entdecken. Auch in der Nachbarschaft, soweit sie einer Probegrabung zugänglich war, fand sich keine Andeutung weiterer Funde mehr, abgesehen von einigen verstreuten Knochen­bruchstücken, die bei der ersten Bergung der Skelette verloren gegangen waren…“

„Mein Augenmerk richtete sich daher besonders auf die Absuchung des Fund­platzes nach weiteren Kulturspuren. Die Hoffnung, Feuersteinwerkzeuge zu finden, wurde leider völlig getäuscht. Es hat sich auch bei mehrfachen späte­ren Besuchen der Fundstelle, bei denen namentlich Herr cand. geol. Stehn sich große Mühe gab, irgend etwas Neues zu entdecken, nicht die geringste Spur von Feuersteinwerkzeugen oder auch nur von Bruchstücken solcher auffinden lassen…“ Vorlage:Ref

Lager- oder Begräbnisplatz?

Im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Fund befassten sich die Bonner Professoren mit der Frage, ob es sich in Oberkassel um einen Lager- oder einen Begräbnisplatz handelte. Am 23. Juni 1914 berichteten Verworn, Bonnet und Steinmann vor der Bonner Anthropologischen Gesellschaft über die Funde und gingen dabei auf diese Frage ein. Dabei kamen sie zu dem Schluss, „daß es sich bei dem Funde um einen Begräbnis- und nicht um einen Lagerplatz handelt. Vermutlich,“ heißt es bei ihnen weiter, „haben die diluvialen Jäger in der Nähe, wahrscheinlich im Schutze der Basaltwand, ihren Lagerplatz gehabt und die Toten mit Ihren Beigaben in nicht allzu großer Entfernung davon beigesetzt, indem sie dieselben nach dem üblichen Ritus mit reichlichen Mengen roter Farbe umgaben und mit großen Steinen sorgfältig überdeckten.“ Vorlage:Ref

Was sich aufgrund der Umstände des Fundes nicht mehr präzise rekonstruieren lässt, ist die Lage der beiden Skelette im Grab. Ob sie so, wie heute im Rheinischen Landesmuseum Bonn, parallel nebeneinander lagen, ist fraglich. Das fehlende Wissen ist auch ein Grund dafür, dass bis heute die Umstände ihres Todes und die Gründe für die gemeinsame Bestattung unklar sind.

Die Schädel

In der Zeitschrift DIE NATURWISSENSCHAFTEN verfasste Robert Bonnet 1914 eine Beschreibung der Schädel. In dem Beitrag äußert er sich als erstes über die Bedeutung des Fundes für die Forschung:

„Außer den überraschend gut erhaltenen Schädeln nebst Unterkiefern eines männlichen und eines weiblichen Skelettes waren fast alle wichtigen Knochen entweder ganz oder bruchstückweise geborgen worden. Es fehlten nur die Hand- und Fußwurzelknochen, ein Oberschenkelbein, einige Finger und Zehen, sowie die Brustbeine. Wir besitzen einstweilen in Deutschland, abgesehen von dem nach seinem geologischen Alter nicht bestimmbaren und in seinen Knochen leider sehr unvollständigen Neandertalskelett und dem hochwichtigen Unterkiefer von Mauer bei Heidelberg an diluvialen Menschenresten nur einige mehr oder minder defekte Unterkiefer, einige Zähne und vereinzelte nahezu wertlose Knochenstücke…“

„Der Fund von Obercassel stellt sich durch seinen Erhaltungszustand, durch die Sicherheit der Bestimmung seines geologischen und archäologischen Alters, durch seine Vollständigkeit und dadurch, daß er aus einem männlichen und weiblichen Skelett besteht, den besten diluvialen Funden an die Seite. Er ist außerdem der erste Fund nahezu vollständiger Skelette aus dem Quartär und speziell aus dem Magdalénien in Deutschland…“

Der Frauenschädel

Stirnansicht der Schädel der Frau (oben) und des Mannes (unten) – rechts mit ergänzten Gebissen

Über den Frauenschädel schreibt Bonnet:

„Ich beschränke mich einstweilen nur auf die wichtigsten Angaben über die Schädel. Der eine Schädel von einer etwa 20-jährigen Frau war in den sehr einfachen Nähten gelöst in seine einzelnen Knochen zerfallen, konnte aber, abgesehen von Teilen beider Schläfenschuppen, den Nasenbeinen und einigen Defekten an der Schädelbasis vorzüglich zusammengesetzt werden.“

„Der langköpfige, in Scheitelansicht durch Einziehung der flachen Schläfen leicht gitarrenförmige Hirnschädel hat einen Längen-Breitenindex von 70, eine größte Länge von 184, eine größte Breite von 129 sowie eine größte Höhe von 135 mm (vom vorderen Rande des Hinterhauptlochs zum Scheitelpunkt gemessen). Sein Horizontalumfang beträgt 512 mm. In Seitenansicht verläuft die Contour des Hirnschädels über die gut gewölbte steile Stirn bis zum Hinterhauptloch in schönem Bogen. Das Gesicht zeigt in Vorderansicht einen kräftig entwickelten Kieferapparat. Die mäßig breite Stirn wird durch eine Stirnnaht geteilt, eine bei den diluvialen Langschädeln sehr große Seltenheit. Die Überaugenhöcker sind für eine Frau gut entwickelt, die viereckigen Augenhöhlen verhältnismäßig groß. Die Nasenöffnung ist von mäßiger Größe, der Gaumen ist tief gewölbt, ein sehr kräftiger Unterkiefer mit deutlichem Kinn vervollständigt die steile Profillinie. Das Gebiß war während des Lebens bis auf den dritten, rechten, oberen Mahlzahn vollständig. Die drei letzten Mahlzähne sind weniger abgekaut als das übrige Gebiß, also noch nicht allzu lange durchgebrochen...“

Diese Werte und die der übrigen Skelettknochen deuten für Bonnet „auf einen zierlichen Körper von etwa 155 cm Länge.“

Der Männerschädel

Seitenansicht der Schädel. Bild 1 (oben links): weiblich (mit ergänztem Gebiss) / Bild 2 (oben rechts): weiblich (mit ergänztem Gebiss) / Bild 3 (unten links): männlich / Bild 4: männlich (ergänzt)

Zu dem Männerschädel heißt es:

„Im Gegensatz zu diesem Schädel (der Frau) zeigt der brutale Gesichtsschädel des Mannes durch seine Breite und Niedrigkeit ein grobes Mißverhältnis zu der mäßig breiten und etwas geneigten Stirn und dem gut gewölbten Hirnschädel. Eine leichte, schon während des Lebens vorhandene Verbiegung des Oberkiefers nach rechts und das mangelhafte Gebiß machen die Physiognomie noch abstoßender und lassen den Schädel greisenhafter erscheinen als er tatsächlich ist. Da nur die Pfeilnaht und das an sie angrenzende Stück der Lambdanaht verknöchert sind, darf man auf ein Alter von 40 bis 50 Jahren schließen.“

„Auch dieser, in Seitenansicht schön ovale Schädel ist mit einem Längen-Breitenindex von 74 mm langköpfig. Seine größte Länge beträgt 193, die größte Breite 144, die größte Höhe 138, der Horizontalumfang 538 mm. Die Kapazität wurde auf ca. 1500 cm³ bestimmt. Die Obergesichtsbreite ist, abgesehen von dem breiten Oberkiefer, durch ein ungewöhnlich großes und breites Jochbein eine sehr beträchtliche (153 mm). Die niedrigen rechteckigen Augenhöhlen sind stark nach außen und unten geneigt, über ihnen fällt ein einheitlicher etwa 8 mm breiter Oberaugenwulst auf. Ein niedriger mittlerer Stirnwulst zieht sich verbreiternd und verflachend bis zum Scheitelpunkt. Die Nasenöffnung ist im Verhältnis zur Gesichtsbreite schmal, der Gaumen, abgesehen von der teilweisen Rückbildung des Zahnfachfortsatzes im Verhältnis zum übrigen Kiefergerüst auffallend klein.“

„Im Oberkiefer waren während des Lebens nur noch die beiden letzten stark nach auswärts gerichteten Mahlzähne beiderseits und der linke Eckzahn vorhanden. Im Unterkiefer sind während des Lebens Schneidezähne, nachträglich noch ein Schneide- und ein Eckzahn ausgefallen. Sämtliche Zahnkronen sind, wie man das vielfach auch an Gebissen noch nicht seniler Schädel aus dem Quartär findet, bis auf schmale Reste des Emails abgekaut. Das freiliegende Dentin ist schwarz wie Ebenholz…“

Aus diesen Werten und der starken Entwicklung sämtlicher Muskelfortsätze am Schädel und an den Extremitätenknochen zieht Bonnet den Schluss, dass der Oberkasseler Mann eine ungewöhnliche Körperkraft besaß und etwa 160 cm groß war.

Einordnungsversuch

Robert Bonnet versuchte in seinem ersten Bericht eine Einordnung der Funde hinsichtlich der Zugehörigkeit der Oberkasseler Menschen zu bis dahin bekannten Populationen. Dazu schreibt er:

„Beide Obercasseler Schädel zeigen eine auffallende Gesichtsbreite, beide zeigen ziemlich steile Gesichter mit eingezogener Nasenwurzel, beide eine gute Profilrundung des Hirnschädels, beide lassen, wenn auch der Mann in viel geringerem Grade, den Scheitelkiel erkennen. Der bei der Frau nur angedeutete Stirnwulst erinnert beim Mann zusammen mit dem Überaugenwulst an den Neandertaler. Das breite niedere Gesicht des Mannes mit den niederen rechteckigen Augenhöhlen, der schmalen Nase und dem V-förmigen Unterkiefer mit seinem ausgesprochenen Kinndreieck sind dagegen bekannte Merkmale der Cro-Magnon-Rasse. Von dieser unterscheidet er sich aber ebenso wie die Frau durch die Lage der größten Schädelbreite. Diese liegt bei den Cro-Magnons im Bereich ihrer seitlich weit ausladenden Schädelhöcker, bei den Obercasseler Schädeln dagegen im Bereiche der Schläfenschuppen über den Warzenfortsätzen, also wesentlich tiefer und an einem ganz anderen Knochen. Diese Lage der größten Breite und namentlich der bei der Frau gut modellierte Schädelkiel nähern die Schädel dem ebenfalls einer Magdalénienschicht entstammenden Schädel von Chancelade in der Dordogne.“

„[…] Die Obercasseler Schädel weisen also neben unverkennbaren, durch den Geschlechtsdimorphismus etwas verdeckten Ähnlichkeiten auch nicht unbeträchtliche Abweichungen voneinander auf. Während der Mann Rassezeichen der Neandertaler, der Cro-Magnons und Anklänge an den Schädel von Chancelade zeigt, die auch an dem Hirnschädel der Frau auffallen, treten bei dieser die Cro-Magnon-Merkmale etwas zurück…“

„In beiden Schädeln kommen die sehr bemerkenswerten Folgen während des Diluviums stattgefundener Kreuzungen zum Ausdruck.Vorlage:Ref

Jüngere Forschungsergebnisse

Nach Robert Bonnets ersten Einordnungsversuchen aus dem Jahr 1914 hatte er fünf Jahre später, 1919, den Plan, die Oberkasseler Skelette mit anderen pleistozänen Skeletten zu vergleichen, um so seine Ergebnisse zu fundieren und zu präzisieren. Wegen des 1. Weltkrieges musste er sich dabei allerdings auf Literaturdaten beschränken. In den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts griff Karl Saller die Frage erneut auf und ordnete die Funde einer „Oberkasselrasse“ zu: Dabei gab er ihnen eine Eigenständigkeit, die von anderen Wissenschaftlern allerdings nicht geteilt wurde. Sie vertraten die Meinung, „daß die Jungpaläolithiker entschieden homogener waren, als dies idealtypologische Differenzierungen in eine Cro-Magnon-, Grimaldi-, Brünn- oder Combe-Capelle-Rasse vermuten lassen“. (Henke)

Skelettfunde. Der Ellbogenknochen (dritter von rechts) weist einen abgeheilten Bruch auf.

Der Mainzer Anthropologe Winfried Henke, für den die Oberkasseler Funde die „bedeutungsvollsten jungpaläolithischen Fossilien der Bundesrepublik Deutschland“ Vorlage:Ref sind, unterzog 1986 die Skelette einer wissenschaftlichen Inventur (s. Literatur). Darüber hinaus untersuchte er mit Hilfe moderner Forschungsmethoden ganz besonders die beiden Schädel. Ihm ging es darum, die morphologischen Affinitäten zu vergleichbaren europäischen Funden festzustellen und die Frage zu beantworten, ob sich die Oberkasseler von anderen europäischen Fossilfunden aus der gleichen Zeit bzw. zeitnaher Perioden cranilogisch deutlich abgrenzen lassen oder ob aufgrund „vergleichend-statischer Befunde eher angenommen werden darf, daß die Oberkasseler sich in die Vergleichsstichprobe unauffällig einfügen“.

Henke kommt zu dem Ergebnis, dass der Mann von Oberkassel insbesondere „in den Breitendimensionen des Gesichtsschädels (Jochbogenbreite, Unterkieferwinkelbreite, Orbitabreite) sowie den occipitalen Breitenmaßen“ Vorlage:Ref von der Vergleichsstichprobe abweicht, „während die anderen metrischen Daten des Craniums weitgehend dem Durchschnitt entsprechen und somit unauffällig sind“. Die Frau von Oberkassel zeigt gegenüber ihrer geschlechtsspezifischen Vergleichsstichprobe eine deutliche Abweichung zu schmaleren Dimensionen des Hirnschädels. „Insgesamt“, so Henke, „weicht das weibliche Skelett aufgrund der univarianten metrischen Analyse deutlich zu dem – dem männlichen Schädel entgegengesetzten – Typenpol ab.“

Zusammenfassend bestätigt die Analyse von Henke, „daß die Oberkasseler in einigen metrischen Merkmalen eine Extremposition einnehmen“. Die untersuchten Schädel liegen allerdings hinsichtlich ihrer Morphologie keineswegs „außerhalb des Verteilungsspektrums der Vergleichsstichproben“.

Der Mann von Oberkassel kann aufgrund der metrischen Daten des Hirnschädels „nur als durchschnittlich robust-männlich gekennzeichnet“ werden, während Henke die Frau „als grazil und deutlich zum hyperfemininen Typenpol“ tendierend einstuft.

Im Hinblick auf die Einordnung des Mannes von Oberkassel ordnet er sich laut Henkes Untersuchung „deutlich dem cromagniden Formenkreis“ zu. Entsprechend verwirft er die Kennzeichnung des Oberkasselers als von dem cromagniden zu trennenden, eigenständigen Typus, wie es Saller getan hatte.

Zur Frau von Oberkassel schreibt Henke, dass sie „im Gegensatz zu dem Mann deutliche Affinitäten zu dem dem cromagniden Typus komplementären Combe-Capelle-Typus“ zeigt, also zu einem jüngeren Typus.

Kultgegenstände

Neben den menschlichen Überresten des Oberkasseler Grabes sind die beiden bearbeiteten Grabbeigaben besonders interessant, weisen sie doch auf die Kulturstufe hin, auf der sich die Oberkasseler Menschen befanden.

Den „Haarpfeil“ hatten Steinbrucharbeiter sofort bei der Bergung der Skelette entdeckt, den Tierkopf fand Professor Heiderich, als er damit begann, die in dem Steinbruch gefundenen Teile zu sortieren. Dabei fielen ihm kleine Knochenbruchstücke mit eingravierten Linien auf, die nicht zu den beiden menschlichen Skeletten gehörten. Verworn berichtet darüber:

„Als er (= Peter Uhrmacher) mir diese Bruchstücke noch an demselben Abend brachte, konnten wir mit freudiger Überraschung feststellen, daß dieselben zusammengehörten und von einem flachen, plastisch geschnitzten Tierkopf stammten, wie solche mehrfach von südfranzösischen Fundorten bekannt geworden sind. Die Bruchstellen der Stücke waren noch frisch und scharf, so daß kein Zweifel darüber bestand, daß die Schnitzerei erst bei der Auffindung der Skelette von den Arbeitern unerkannt zerbrochen worden war. Andererseits ging aber aus der Tatsache, daß die Arbeiter diese Knochenbruchstücke gleichzeitig mit den Skelettknochen dem Boden entnommen hatten, ebenso wie aus dem Rötelüberzug derselben zweifelsfrei hervor, daß die Tierkopfschnitzerei eine Beigabe der Skelette vorstellte, ebenso wie auch der ,Haarpfeil' als Beigabe der Skelette aufgefunden worden war. Leider fehlte zur vollständigen Zusammensetzung der Tierkopfschnitzerei ein größeres Bruchstück, das bereits bei der Entnahme der Knochenreste aus dem Boden verloren gegangen sein muß und auch bei dem nachträglichen Absuchen der Fundstelle nicht mehr aufzufinden war.“

„Schließlich fanden sich unter den menschlichen Skelettresten auch noch einige Bruchstücke von Säugetierknochen, die aber keinerlei Bearbeitungsspuren zeigten.“ Vorlage:Ref

Beschreibung

Kulturbeigaben des Doppelgrabes von Oberkasssel. Figur 1: Vier Ansichten des „Haarpfeils“; Figur 2: Drei Ansichten des „Pferdekopfes“; Figur 3: „Unbearbeiteter, pfriemenförmiger Tierknochen“ (Aufnahmen 5–7 rechts oben)

In dem Bericht vom 23. Juni 1914 vor der Bonner Anthropologischen Gesellschaft beschrieb Verworn die beiden geschnitzten Gegenstände, den „Haarpfeil“ und den „Pferdekopf“:

„Die Knochengeräte liefern den wichtigsten Anhaltspunkt für die Feststellung der Kulturstufe und der Zeitstellung des Fundes. Sie gestatten glücklicherweise mit größter Schärfe und Genauigkeit die Zuweisung derselben in das untere Magdalénien.“

„Der „Haarpfeil“, welcher nach Angaben der Arbeiter unter dem Kopf des einen Skeletts lag, ist ein aus harten Knochen geschnitztes, ca. 20 cm langes, im Querschnitt rechteckiges, sehr fein poliertes Glättinstrument, von großer Schönheit der Arbeit und vorzüglicher Erhaltung. An seinem Griffende ist ein kleiner Tierkopf ausgearbeitet, welcher Ähnlichkeit mit einem Nagetierkopf oder einem Marderkopf hat. Das andere Ende ist stumpf. Auf den Schmalseiten zeigt das Instrument eine für die Rentierzeit sehr charakteristische Kerbschnittverzierung.“

„Die zweite Knochenschnitzerei ist eine jener kleinen brettartig schmalen, auf beiden Seiten gravierten Pferdeköpfe, wie sie von Girod und Massenad in Laugerie Basse und von Piette in den Pyrenäen in größerer Zahl und mannigfachen Variationen gefunden wurden und ein charakteristisches Leitfossil, der unteren Magdalénienschichten vorstellen.“

„Das Oberkasseler Exemplar, das sich in einzelnen Bruchstücken erst bei der Durchsicht der Menschenknochen fand, ist leider bei dem Ausgraben der Skelette zerbrochen worden und nicht mehr ganz vollständig. Außerdem sind noch zwei weniger charakteristische Knochenstücke, welche Bearbeitung erkennen lassen, gefunden worden.“Vorlage:Ref

Aktueller Forschungsstand

Der Grund dafür, dass in den ersten Fundberichten der Knochenstab als „Haarpfeil“ bezeichnet wurde, lag wahrscheinlich darin begründet, dass er sich unter dem Schädel eines der beiden Skelette befunden hatte. In späteren Beschreibungen wurde er als „Schaber“, „Glätter“ oder als „Knochenpfriem“ bezeichnet. Da dieses Fundstück aber bis heute ohne Parallelen geblieben ist, lassen sich über seine tatsächliche Verwendung keine genauen Aussagen machen.

Tierkopfschnitzereien von französischen Fundorten, die Max Verworn zum Vergleich mit dem Oberkasseler Tierkopf heranzog.

Das zweite Kunstwerk ist ebenfalls eine Knochenschnitzerei, die allerdings bei der Bergung in mehrere Teile zerbrochen ist. In der zusammengesetzt ca. 8,5 cm langen, 3,5-4 cm breiten und knapp 1 cm dicken Figur sah Max Verworn 1914 einen jener „Pferdeköpfe“ der „unteren Magdalénienschichten“.

Bereits 1927“, schreibt Anne Bauer (s. Literatur) in ihrer Zusammenfassung des derzeitigen Forschungsstandes, „wurde mit Recht die Schnitzerei als Tierkörper aufgefasst. Heute sieht man allgemein darin die Darstellung eines zur Gattung der Hirsche gehörenden (cervidenartigen) Tieres. Leider fehlen die Kopfpartie, das hintere Körperviertel und die Beine. Der Umriss des Tierkörpers ist ausgeschnitten, während die Innenfläche eingraviert ist. Die Gravierungen in der Innenfläche bestehen aus parallelen Linien. Am Bauch und am Nacken wird die Körperform durch eine deutliche parallele Schraffur betont. Auf der rechten Kopfseite ist ein größerer Teil des einen spitz zulaufenden Ohres erhalten.Vorlage:Ref

Im südwestlichen Europa, in Frankreich und Spanien sind eine Anzahl ähnlicher Stücke als Grabbeigaben gefunden worden, die als contours découpés (wörtlich übersetzt: ausgeschnittene Umrisse) bezeichnet werden. Es sind in der Regel Tierköpfe, oft Pferdeköpfe, die gehäuft in Südwestfrankreich in den Schichten des mittleren Magdalénien gefunden wurden. So wurde mit Hilfe der kleinen, leider beschädigten Schnitzerei der gesamte Oberkasseler Fund in die Zeit eingeordnet, in der sich das Magdalénien in das westliche Mitteleuropa ausbreitete.

An der Zugehörigkeit zum späten mittleren Magdalénien wurde erst in den letzten Jahren gezweifelt. Denn das Oberkasseler Stück sei, so Baales (s. Literatur), untypisch für ein contour découpé und außerdem weit entfernt von dem sonstigen Verbreitungsgebiet gefunden worden. „Mittlerweile“, so Anne Bauer, „sind auch aus der jüngsten Altsteinzeit, dem Spätpaläolithikum andere vergleichbare Objekte gefunden worden. Insbesondere wird eine Bernsteinfigur aus Weitsche in Niedersachsen, die bereits den spätpaläolithischen Federmesser-Gruppen, der dem Magdalénien folgenden Kulturstufe, zugerechnet wird, als Parallele herangezogen.

Das älteste Haustier der Welt?

Wenig Beachtung im Vergleich zu den Skeletten und den Kulturbeigaben schenkten die Wissenschaftler, die vor mehr als 90 Jahren den Oberkasseler Fund auswerteten, den Knochenresten, die von Tieren stammten. In dem ersten Bericht von 1914 werden sie nur beiläufig erwähnt, ausführlicher geht Steinmann 1919 auf diesen Teil der Grabfunde in seinem Text „Das geologische Alter der Funde“ ein.

Zusammen mit den Menschenskeletten“, heißt es bei ihm, „lagen ein Eckzahn von Rangifer tarandus, dem Renn, und ein Vorderzahn von Bison priscus, dem Bison, in der rötlich gefärbten Kulturschicht. Beim Verfolgen dieser Schicht in östlicher Richtung nach der ehemaligen Basaltwand zu gelang es, noch einige andere Tierskelettreste aufzudecken. Hier fand sich ein rechter Unterkiefer gewöhnlicher Größe mit den Zähnen c, P4, m1 und verschiedene Wirbel, sowie Knochenbruchstücke von Canis lupus, dem Wolf, ferner ein Prämolar von Ursus spelaeus, dem Höhlenbären, sowie mehrere Knochenreste von Capreolus caprea, dem Reh. Manchen der Knochen haftete Holzkohle an. Nach Aussage des Steinbruchaufsehers J. Bonn sind bei der Weganlage vor der Entdeckung der Menschenskelette noch mehrere Tierknochen gefunden, darunter auch nach der Beschreibung des Aufsehers ein großer Reißzahn von Ursus spelaeus. Sie sind leider den Weg des übrigen Abraums gegangen.Vorlage:Ref

1986, Im selben Jahr, in dem Henke seinen Bericht über die Inventur der menschlichen Knochenreste veröffentlichte, befasste sich ein anderer Wissenschaftler, Günter Nobis, mit den Tierknochen. Dabei kam es teilweise zu einer Revision des Befundes, wie ihn Steinmann 1919 veröffentlicht hat. Drei Knochenreste ordnete Nobis den Raubtieren (Carnivora) zu. Das sind im einzelnen Knochen des Braunbären (Ursus arctos), vom Luchs (Felis familiaris), wobei Nobis diese Zuordnung mit einem Fragezeichen versah, und des Haushundes (canis familiaris). Paarhufer (Artiodactyla) sah Nobis durch folgende Tiere vertreten: durch den Auerochsen (Bos primigenius) oder Wisent (Bison bonasus), den Rot- oder Edelhirsch (Cervus elaphus) und das Reh (Capreolus capreolus), wobei Nobis hinter das Reh ebenfalls ein Fragezeichen setzte.

Aus der Revision der Tierreste aus dem Doppelgrab von Oberkassel ergibt sich das Bild, dass in der Umwelt des Oberkasseler Menschen Tierarten wie Braunbär, Luchs, Wisent, Ur, Rothirsch und Reh lebten. Diese Fauna lässt auf eine schon lichte Waldbedeckung schließen, wie sie in der ersten Wärmephase der Nacheiszeit vor ungefähr 14.000 Jahren auftrat.

Von besonderer Bedeutung“, so Nobis in seiner Zusammenfassung der Ergebnisse seiner Forschung, „sind die im Tiermaterial von Oberkassel früher dem Wolf zugeschriebenen Canidenreste. Der morphologische und metrische Vergleich lehrt, daß die Summe von Domestikationsmerkmalen für einen Haushund spricht. Bei gebotener Vorsicht kann also von einer spätpaläolithischen Haustierwerdung des Wolfes gesprochen werden: Der Haushund von Oberkassel, der vor ungefähr 14 000 Jahren den jagenden Menschen der Cromagnon-Rasse begleitete, ist somit das bisher älteste Haustier der Menschheit.

Das Auftreten des Haushundes in Oberkassel und das fast zeitgleiche Auftreten erster Haushunde in Zentraleuropa, im Vorderen Orient, in Fernost und in Nordamerika „läßt an mehrere voneinander unabhängige Zentren autochthoner Wolfsdomestikationen im Jungpaläolithikum denken. In dieser Zeit erreichte der Mensch im Zuge seiner geistigen Entfaltung eine ‚Kulturhöhe‘, die das Phänomen ‚Haustierhaltung‘ auslöste.Vorlage:Ref

Ob der Hund aus dem Oberkasseler Grab tatsächlich den ältesten Haustierfund darstellt, ist mittlerweile umstritten. So sehen Forscher nach einer Erbgutanalyse von Wolf und Hund, dass die Domestikation des Hundes sehr viel früher geschah.

Radiokohlenstoffdatierung

Nachdem Wissenschaftler in den Jahren und Jahrzehnten nach 1914 neben den Altersbestimmungen, die die geologischen Verhältnisse der Fundstelle ergeben, auf Vergleiche der Skelette und der Kulturbeigaben des Grabes mit anderen archäologischen Funden angewiesen waren, um eine historische Einordnung durchführen zu können, gibt es seit den 60er Jahren darüber hinaus die Möglichkeit der Radiokohlenstoffdatierung. Diesem Verfahren wurden 1994 im Rahmen einer Studie an der Universität Oxford Knochenproben aus dem Oberkasseler Doppelgrab unterzogen. Diese und weitere Untersuchungen in den folgenden Jahren kamen zu dem Ergebnis, dass die Funde aus einer Zeit ca. 12.000 v. Chr. stammen und somit zum späten Magdalénien gehören.

Rekonstruktionen

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Denkmal für den „homo obercasseliensis

Die sterblichen Überreste der Toten und die sonstigen Funde aus dem Oberkasseler Grab befinden sich heute im Rheinischen Landesmuseum und sind somit einem großen Publikum zugänglich. Jeder Besucher kann die Grabfunde betrachten und sich ein Bild davon machen. In den vergangenen Jahren haben das auch immer wieder Künstler und Wissenschaftler getan und von den im Oberkasseler Grab bestatteten Toten ein grafisches oder plastisches Abbild geschaffen.

Nicht weit von der Fundstelle in Oberkassel befindet sich ein Denkmal von Viktor Eichler: „Der erste rheinische Steinzeitmensch“. Der von Eichler im Anschluss an Forschungsansätze aus den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts so benannte „Homo obercasseliensis“ hockt über einem erlegten Bären. „Homo obercasseliensis“ und Beute befinden sich auf einem Sockel in der Mitte eines Brunnens. Eine Inschrift gibt das Alter des „ersten rheinischen Steinzeitmenschen“ noch mit 40.000 Jahren an.

Als Demoplastik einer Frau vom Ende der letzten Eiszeit wurde für das Neanderthal Museum von Elisabeth Daynès eine weibliche Figur geschaffen, die einen Rekonstruktionsversuch der Frau aus dem Grab in Oberkassel darstellt.

1964 veröffentlichte M. M. Gerassimow (s. Literatur) eine Arbeit, in der er fossilen Schädeln ein Gesicht gab. Darin finden sich auch Rekonstruktionen der Köpfe der beiden Toten aus dem Oberkasseler Grab.

Quellen

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Literatur

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Commons: Doppelgrab von Oberkassel – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

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