Alkoholkrankheit
Die Alkoholkrankheit (früher: Alkoholismus) ist eine chronische Suchtkrankheit. Das medizinische Diagnosekodierungssystem ICD-10 zählt sie zu den psychischen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen. Der verursachende Stoff ist der Alkohol, genauer Ethanol (Ethylalkohol), der bei der alkoholischen Gärung entsteht.
Um den Krankheitswert der Störung zu betonen, aber auch um die Hemmschwellen bezüglich Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe abzubauen, wird in der heutigen Beratungsliteratur weitgehend auf den Ausdruck „Alkoholismus“ verzichtet.
Die Alkoholkrankheit kann bereits durch den regelmäßigen Konsum kleinerer Mengen beginnen. Nicht immer fallen die Betroffenen durch häufige Rauschzustände auf. Die Alkoholkrankheit eines Betroffenen ist nicht immer nach außen hin bemerkbar. Ist der Betroffene weiterhin leistungsfähig, spricht man von einem funktionierenden Alkoholiker. Die Alkoholkrankheit verläuft relativ unauffällig und langsam. Den erkrankten Personen wird die Schwere ihrer Erkrankung oft nicht bewusst.
Noch immer sind Männer weitaus häufiger betroffen als Frauen. Von den mehr als 4,3 Millionen Alkoholabhängigen in Deutschland sind ca. 70 % Männer, wobei die Tendenz bei Frauen steigend ist. Auch beginnt der Krankheitsverlauf bei Männern meist früher: Während Frauen im Regelfall erst im mittleren Lebensalter beginnen auffällig zu trinken, sind bei Männern die Anfänge eines exzessiven Trinkverhaltens meist schon in der frühen Jugend erkennbar.
Übermäßiger Alkoholkonsum verursacht schwere und bleibende psychische und körperliche Folgeerkrankungen. Die Alkoholkrankheit verläuft nicht selten tödlich, wenngleich die direkten Todesursachen meist durch die Folgekrankheiten (Leberzirrhose und multiple Organschädigungen, Herzinfarkt, Epilepsie) bedingt sind.
Wegen des hohen Abhängigkeitpotentials von Ethanol wird häufig der ausnahmslose Verzicht auf alkoholische Getränke, Speisen, Medikamente, etc propagiert. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht man Unterstützung, etwa durch Selbsthilfegruppen, Psychotherapien.
Krankheitsverlauf und -bild
Krankheitsverlauf (nach Jellinek)
Der amerikanische Physiologe Elvin Morton Jellinek formulierte 1951 ein bis heute weit verbreitetes Modell vom Verlauf der Alkoholkrankheit. Er unterscheidet vier Phasen:
Symptomatische Phase
Der Beginn des Konsums alkoholischer Getränke ist immer sozial motiviert. Im Gegensatz zu durchschnittlichen Trinkern empfindet der spätere Alkoholiker befriedigende Erleichterung. Entweder weil seine inneren Spannungen größer sind, oder er, im Gegensatz zu anderen, nicht gelernt hat, mit ihnen umzugehen. Anfangs schreibt der Trinker seine Erleichterung eher der Situation zu (lustige Gesellschaft), als dem Trinken. Er sucht Gelegenheiten, bei denen beiläufig getrunken wird.
Im Laufe von Monaten bis Jahren lässt seine Toleranz für seelische Belastungen so sehr nach, dass er praktisch tägliche Zuflucht im Alkohol sucht. Da er nicht offen betrunken ist, erscheint sein Trinken weder ihm noch seiner Umgebung verdächtig. Mit der Zeit erhöht sich die Alkoholtoleranz. Der Alkoholiker entwickelt einen gesteigerten Bedarf. Nach weiteren Monaten bis Jahren geht das Stadium vom gelegentlichen zum dauernden Erleichterungs- /Entlastungstrinken über. Für die gleiche Wirkung wird immer mehr Alkohol benötigt.
Prodromale Phase oder Vorläufer-Phase
In der prodromalen Phase oder Vorläufer-Phase der Sucht können plötzlich Erinnerungslücken, Amnesien ohne Anzeichen von Trunkenheit auftreten. Der Trinker kann Unterhaltungen führen und Arbeiten leisten, sich aber am nächsten Tag tatsächlich nicht mehr erinnern. Bier, Wein und Spirituosen hören auf Getränke zu sein, werden zur dringend benötigten „Medizin“. Dem Trinker wird allmählich bewusst, dass er anders trinkt als andere. Er beginnt sich zu schämen und vor Beurteilung durch andere zu fürchten. Er trinkt heimlich bei geselligen Gelegenheiten und legt sich Verstecke mit größeren Alkoholvorräten an. Der Alkoholiker denkt dauernd an Alkohol. Wegen der verstärkten Abhängigkeit tritt das „gierige Trinken“ auf, das Herunterkippen des oder der ersten Gläser. Der Alkoholiker spürt, dass etwas nicht stimmt und entwickelt Schuldgefühle und Scham wegen seiner Trinkart. Er vermeidet Anspielungen auf Alkohol und Trinkverhalten in Gesprächen. Oft verdrängt er eigentliche Bedürfnisse und/oder ist zu depressiv, etwas zu ändern. Teils entlähmt der Alkohol, hilft, wie gehabt zu funktionieren. Der Alkoholkonsum ist bis hierhin schon sehr hoch, fällt aber nicht besonders auf, da er zu keinem deutlichen Rausch führt. Diese Phase endet mit „zunehmenden Gedächtnislücken“. Durch die täglichen Betäubungen mit Alkohol verändern sich Nerven- und Stoffwechselvorgänge. Die körperliche Leistungsfähigkeit und Abwehrkräfte nehmen langsam ab. Es kommt häufiger zu Erkältungkrankheiten oder Kreislaufstörungen.
Die kritische Phase
In der kritischen Phase erleidet der Kranke Kontrollverluste. Schon nach dem Konsum kleiner Mengen Alkohols entsteht ein intensives Verlangen nach mehr, das erst endet, wenn der Trinker zu betrunken oder zu krank ist, um mehr zu trinken. Ein Rest von Kontrolle besteht noch. Der Betroffene versucht, sich zu „beherrschen“. Er verspricht Abstinenz und versucht sie auch einzuhalten, scheitert damit aber auf Dauer. Er sucht Ausreden für sein Trinken. Jeder Kontrollverlust habe einen guten äußeren Grund gehabt.
Die Erklärungsversuche seines Verhaltens sind ihm wichtig, da er außer dem Alkohol keine anderen Lösungen seiner Probleme kennt. Parallel erweitert sich ein ganzes Erklärungssystem, das sich auf das gesamte Leben ausdehnt. Er wehrt sich damit gegen soziale Belastungen. Wegen seiner Persönlichkeitsveränderung entstehen immer häufiger Konflikte mit Freunden, Familie und im Beruf. Der Süchtige kompensiert sein schrumpfendes Selbstwertgefühl durch gespielte übergroße Selbstsicherheit nach außen.
Das Erklärungssystem und die Konflikte isolieren den Kranken zunehmend. Er sucht aber die Fehler nicht bei sich, sondern den anderen und entwickelt ein auffällig aggressives Verhalten. Als Reaktion auf den sozialen Druck durchlebt mancher Kranke Perioden völliger Abstinenz. Er versucht eine andere Methode, sein Trinken zu kontrollieren. Er ändert das Trinksystem und stellt Regeln auf (nur bestimmte Alkoholarten an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten). Auf mangelndes Verständnis seiner Umgebung („ein Bier ist doch o.k.“, "Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren...") für sein Leiden reagiert der Süchtige mit zunehmender sozialer Isolation. Er zieht sich von Freunden zurück und wechselt Arbeitsplätze. Der Trinker „verliert das Interesse“ an seiner Umgebung, er richtet seine Tätigkeiten nach dem Trinken aus und entwickelt ein auffallendes Selbstmitleid. Die soziale Isolation und die Verstrickung in Lügen und Erklärungen werden unerträglich, der Alkoholiker flüchtet in Gedanken oder durch tatsächliche Ortswechsel.
Das Familienleben ändert sich. Die Familie, die den Trinkenden oft noch „deckt“ (Koalkoholismus, Koabhängigkeit), isoliert sich gesellschaftlich oder, ganz im Gegenteil, flüchtet sich vor dem häuslichen Umfeld in ausgiebige Aktivitäten. Der Alkoholiker reagiert mit grundlosem Unwillen. Wenn der „Stoff“ fehlt, startet er abenteuerliche Beschaffungsversuche. Er versucht seinen Vorrat zu sichern, indem er Alkohol an den ungewöhnlichsten Orten versteckt. Körperliche Folgen treten auf, wie Händezittern, Schweißausbrüche und sexuelle Störungen (Impotenz). Sie werden verstärkt durch Vernachlässigung der Ernährung. Die ersten Krankenhauseinweisungen wegen alkoholbedingter Schwierigkeiten erfolgen. Es kommt zum morgendlichen Trinken. Tägliche Trunkenheit wird zur Regel. In der kritischen Phase kämpft der Süchtige gegen den Verlust der sozialen Basis.
Die chronische Phase
Die chronische Phase endet in der Zerstörung des Menschen. Der Alkoholiker baut ethisch ab, Rauschzustände werden länger. Bei einigen treten alkoholische Psychosen wie Schizophrenie auf. Der Alkoholiker trinkt mit Personen weit unter Niveau. Falls keine alkoholischen Getränke verfügbar sind, konsumiert er auch vergällten Alkohol (z.B. Brennspiritus, siehe unter Ethanol). Ein Verlust der Alkoholtoleranz fällt auf, der Alkoholiker verträgt weniger. Es treten undefinierbare Angstzustände und Zittern auf. Auf die Entzugssymptome reagiert der Alkoholiker mit besessenem Trinken. Viele Alkoholiker entwickeln unbestimmte religiöse Wünsche. Die Erklärungsversuche werden schwächer, es kommt der Punkt, an dem das Erklärungssystem versagt. Der Süchtige gibt seine Niederlage zu. Der Kranke bricht zusammen, nicht wenige begehen Suizid.
Trinkt der Kranke weiter, treten im Alkoholdelirium Alkoholpsychosen mit Halluzinationen, Stimmenhören, Angst, Desorientierung auf. Die schwerste Folge ist das lebensgefährliche Delirium tremens, das bei plötzlichem Alkoholentzug auftreten kann. Jetzt werden auch Schizophrenie oder Epilepsie mit lebensbedrohlichen Zuständen offensichtlich. In dieser Endphase ist der Kranke am ehesten bereit, Hilfe anzunehmen. Eine Einweisung in eine spezielle Entgiftungsklinik ist für ihn lebensrettend – und der mögliche Einstieg in eine Entwöhnungsbehandlung, die Erfolgsraten sind jedoch gering, mehrfache Langzeittherapien die Regel.
Ausprägungen der Krankheit (nach Jellinek)
Auf Jellinek geht auch die gebräuchlichste Einteilung von Erscheinungsformen der Alkoholkrankheit zurück:
Der Alpha-Typ (Erleichterungstrinker) trinkt, um innere Spannungen und Konflikte zu beseitigen („Kummertrinker“). Die Menge hängt ab von der jeweiligen Stress-Situation. Es besteht vor allem die Gefahr psychischer Abhängigkeit, da noch keine körperliche Abhängigkeit eingetreten ist. Alphatrinker sind nicht alkoholkrank, aber gefährdet.
Der Beta-Typ (Gelegenheitstrinker) trinkt bei sozialen Anlässen große Mengen, bleibt aber sozial und psychisch unauffällig. Betatrinker haben einen alkoholnahen Lebensstil. Gesundheitliche Folgen entstehen durch häufigen Alkoholkonsum. Sie sind weder körperlich noch psychisch abhängig, aber gefährdet.
Der Gamma-Typ (Rauschtrinker, Alkoholiker) hat längere abstinente Phasen, die sich mit Phasen starker Berauschung abwechseln. Typisch ist der Kontrollverlust: Er kann nicht zu trinken aufhören, auch wenn er bereits das Gefühl hat, genug zu haben. Auch wenn er sich wegen der Fähigkeit zu längeren Abstinenzphasen sicher fühlt, ist er alkoholkrank.
Der Delta-Typ (Spiegeltrinker, Alkoholiker) bleibt lange Zeit sozial unauffällig („funktionierender Alkoholiker“), weil er selten erkennbar betrunken ist. Dennoch besteht eine starke körperliche Abhängigkeit, so dass er ständig Alkohol trinken muss, um Entzugssymptome zu vermeiden. Durch das ständige Trinken entstehen körperliche Folgeschäden. Deltatrinker sind nicht abstinenzfähig und alkoholkrank.
Der Epsilon-Typ (Quartalssäufer, Alkoholiker) erlebt in unregelmäßigen Intervallen Phasen exzessiven Alkoholkonsums mit Kontrollverlust, die Tage oder Wochen dauern können. Dazwischen kann er monatelang abstinent bleiben. Epsilontrinker sind alkoholkrank.
Folgekrankheiten
Körperliche Folgeerkrankungen der Alkoholkrankheit
Krankheiten des Gehirns und des Nervensystems
- Polyneuropathie = Schädigung der Nervenbahnen des sogenannten peripheren Nervensystems.
Beschwerden: Schmerzen, Kribbeln in den Füßen und Unterschenkeln, v. a. Wadenkrämpfe, Gefühlsstörungen und Schwäche in den Beinen, Störung des Lagesinns, Muskelschwund. Es kann eine Unsicherheit beim Gehen hinzukommen, die bis zur Rollstuhlpflichtigkeit führen kann.
Weitere Anzeichen sind Haut- und Nagelveränderungen sowie Potenzstörungen.
Ursachen: Direkte Giftwirkung von Alkoholabbauprodukten und Fehlernährung (Vitamin-B-Mangel)
Behandlung: Alkoholabstinenz. Vitamin-B-Tabletten.
Verlauf: Bei Karenz können sich auch schwere Nervenschäden innerhalb von Wochen und Monaten zurückbilden.
- Alkoholischer Tremor = Zittern.
Anfangs v. a. im Entzug auftretend kann der Tremor chronisch werden. Er ist häufig mit einer Schädigung des Kleinhirns verknüpft.
- Kleinhirnatrophie = Nervenzelluntergang im Kleinhirn.
Beschwerden: Koordinationsstörung mit Stand- und Gangunsicherheit, Tremor von Händen, Armen und manchmal auch des Kopfes, verwaschenes Sprechen.
Ursachen: Giftwirkung des Alkohols und seiner Abbauprodukte. Kein Zusammenhang mit der Dosis.
Behandlung: Karenz. Krankengymnastik.
Verlauf: Auch die Kleinhirnatrophie kann sich bei einem Teil der Betroffenen vollständig zurückbilden, bei einem weiteren Teil bessern.
- Hirngefäßschädigungen.
Während niedrige Alkoholmengen einen schützenden Effekt auf Herzkranz- und Hirngefäße haben sollen, gilt exzessiver Konsum als Risikofaktor für Schlaganfälle und Hirnblutungen. Hier spielen Störungen der Blutgerinnung (durch einen Leberschaden) sowie der Blutplättchen eine Rolle. Ferner Blutdrucksteigerungen, z. B. im Entzug, epileptische Anfälle und Stürze. Bei Alkoholkranken können auch harmlose Kopfverletzungen eine Blutung verursachen, manchmal entwickelt sich dann allmählich ein Bluterguß unter der Hirnhaut, das sogenannte chronische subdurale Hämatom. Zunehmende Kopfschmerzen, Augenmuskellähmungen, Bewußtseinstrübungen und epileptische Anfälle können auftreten.
- Hirnrindenatrophie = Volumen- und Gewichtsminderung.
Die häufigste Ursache für eine Hirnvolumen- und Gewichtsminderung im jüngeren bis mittleren Lebensalter ist der chronische Alkoholismus. Interessanterweise kann sie sich bei Abstinenz vollständig zurückbilden, Die Ursache ist umstritten. Mangelernährung und Hormonstörungen werden vermutet. Ähnliche Hirnsubstanzminderungen lassen sich z.B. bei Magersucht und Depressionen nachweisen. Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der computertomografisch nachweisbaren Hirnatrophie und Hirnfunktionsstörungen.
- Epilepsie.
Epileptische Anfälle gehören zu den häufigsten Folgen des Alkoholismus. Man unterscheidet- Anfälle, die im Entzug auftreten (Gelegenheitskrämpfe, häufig),
- Alkoholepilepsie, die auch bei Alkoholkonsum und nach längerer Abstinenz bestehen bleibt (selten),
- Anfälle als Spätfolge alkoholbedingter hirnorganischer Schäden, z.B. nach Hirnblutungen.
- Alkoholvergiftungen
- Leichte Rauschzustände.
Bei Blutalkoholkonzentrationen von 0,5-1‰ findet sich eine Gang- und Standunsicherheit, verwaschene Sprache, Koordinationsstörungen. Die Fahrtauglichkeit ist herabgesetzt. Typisch ist eine Gesichtsrötung.
Psychisch zeigt sich eine allgemeine Enthemmung, verminderte Kritikfähigkeit und Selbstkontrolle sowie häufig eine Antriebssteigerung. Individuell unterschiedlich kann eine zunehmende Müdigkeit auftreten. Konzentration und logisches Denken sind beeinträchtigt. - Mittelgradige Rauschzustände.
Bei höheren Blutalkoholkonzentrationen von 1,5-2‰ verstärken sich die geschilderten Störungen.
Psychisch fallen die Berauschten durch zunehmende emotionale Entgleisungen auf, Euphorie oder zunehmende Gereiztheit und Aggressivität, häufig beides im raschen Wechsel, treten auf. Das Denken ist meist noch halbwegs geordnet, Konzentration und Auffassungsgabe sind eingeschränkt. - Schwere Rauschzustände.
Bei über 2-2,5‰ kommt es zu zunehmenden Bewußtseins- und Orientierungsstörungen, Angst und Erregung. Die psychischen Funktionen sind insgesamt stark eingeschränkt. Gleichgewichtsstörungen, Schwindel, Sprachstörungen treten hinzu. - Alkoholisches Koma.
Blutalkoholkonzentrationen von über 4‰ sind häufig tödlich. Bei über 5‰ stirbt die Hälfte der Betroffenen. Todesursachen sind eine Dämpfung des Atemzentrums oder ein Einatmen von Erbrochenem.
- Leichte Rauschzustände.
- Gedächtnislücken.
Sogenannte Filmrisse gehören zu den typischen Zeichen einer Alkoholabhängigkeit und sind für den Betroffenen oft sehr beunruhigend. Sie treten vor allem bei raschem Anstieg der Alkoholkonzentration im Blut auf. Die genaue Ursache ist unbekannt.
- Das Delirium tremens
ist im Vergleich zum einfachen Entzugssyndrom eine seltene Komplikation. Die wenigsten Alkoholkranken entwickeln ein Delir. Andererseits entwickeln Menschen mit einem früheren Delir leicht wieder eines. Ein Delir wird oft von einem epileptischen Anfall eingeleitet. Zunehmende Verwirrtheit, Desorientiertheit, Wahnideen, Halluzinationen, Angst und Unruhe, Reizbarkeit, Schlafstörungen, Zittern, Fieber, starkes Schwitzen und Pulsrasen sind weitere Zeichen. Dazu kommen noch viele weitere körperliche Symptome wie Kreislaufstörungen, Blutdruckentgleisungen, Übelkeit, Durchfall, Lungenentzündungen, Schock, Herzstillstand und Bluthochdruckkrisen sind lebensbedrohliche Komplikationen. 10-30% der unbehandelten und noch 1-8% der behandelten Patienten versterben im Delir.
- Der alkoholische Eifersuchtswahn
wurde schon 1891 beschrieben. Dabei liegt die unkorrigierbare Gewißheit von der Untreue des Partners vor, für die absurde Beweise ins Feld geführt werden. Es erkranken fast ausschließlich Männer. Wegen fehlender Krankheitseinsicht ist die Behandlung schwierig. Wahnbildungen mit Eifersuchtsthematik gelten als gefährlich wegen der daraus resultierenden Gefahr für Tötungsdelikte.
- Hirnorganische Störungen bei Alkoholikern.
Bei Alkoholkranken findet sich eine Vielzahl von neuropsychologischen Defiziten, z. B. in den Bereichen Aufmerksamkeit und Konzentration, Gedächtnis, Lernfähigkeit, räumliches Vorstellungsvermögen, Zeitwahrnehmung, Problemlösungsstrategien. Einige Defizite bilden sich unter Abstinenz eher langsam zurück, z. B. Störungen der Aneignung neuer Fähigkeiten, andere rascher. Patienten mit ausgeprägten Störungen haben eine schlechtere Prognose bezüglich des Behandlungserfolges. Hirnorganische Störungen haben auch eine wichtige Bedeutung für die Fahrtauglichkeit und Arbeits- bzw. Berufsfähigkeit Alkoholabhängiger.- Wernicke-Korsakow-Syndrom.
1881 beschrieb Carl Wernicke ein Krankheitsbild von Alkoholkranken, bei denen er eine Gangstörung, Augenmuskellähmungen und eine Bewußtseinsstörung feststellte.
1887 beschrieb der russische Psychiater Korsakow Patienten mit einem Verwirrtheitszustand, Gedächtnisverlust, Konzentrationsstörungen und anderen psychischen Auffälligkeiten sowie Sprachstörungen.
Beide Krankheiten scheinen eine gemeinsame Ursache zu haben, daher wurden sie zu einem Syndrom zusammengefaßt. Für die Entstehung ist ein Mangel an Vitamin B1 von großer Bedeutung. Es kommt zu einem schweren Hirnschaden. Überwiegend betroffen sind Männer zwischen 50 und 70 Jahren. 5 bis 10% aller Alkoholkranken sind betroffen. Die Krankheit kann sehr schwer verlaufen. Es versterben ca. 20% der Erkrankten. - Die Hepatische Enzephalopathie
beinhaltet psychische und neurologische Auffälligkeiten bei Patienten mit Lebererkrankungen. Dabei kommt der Leberzirrhose die entscheidende Bedeutung zu.
Es wird eine akute Form von einer chronischen Form unterschieden. Bei der akuten Form kommt es rasch zu einer Bewußtseinsstörung mit Unruhe, Benommenheit bis zur tiefen Bewußtlosigkeit, Krampfanfällen u.a. Sie kann zum Tode führen. Die schleichend verlaufende chronische Form geht mit verschiedenen Beschwerden einher, Tremor, Gangstörungen, Sprachstörungen, Beeinträchtigungen der Konzentration, des Gedächtnisses, geringe Belastbarkeit u.a.
Die Störungen sind prinzipiell rückbildungsfähig.
Mitverursachend für die Erkrankung ist ein erhöhter Ammoniakgehalt im Blut. Ammoniak entsteht beim Abbau von Eiweiß, gelangt ins Gehirn und wirkt dort als Gift. Die Therapie strebt eine Verminderung des Ammoniakgehaltes im Blut durch eiweißarme Kost und bestimmte Medikamente an.
- Wernicke-Korsakow-Syndrom.
Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes
- Mund, Rachen, Speiseröhre
Chronischer Alkoholkonsum in Verbindung mit Mangelernährung kann zu Schleimhautschäden führen. Krebserkrankungen im Nasenrachenraum sind bei Alkoholkranken häufiger als in der übrigen Bevölkerung. Auch der Kehlkopfkrebs ist meist bei kombiniertem Alkohol- und Zigarettenkonsum zu finden.
Die Speiseröhrenentzündung, die sich v.a. durch Schwierigkeiten und Schmerzen beim Schlucken bemerkbar macht, ist bei Alkoholkonsum oft anzutreffen. Der Verzicht auf Alkohol und Nikotin ist die Therapie der Wahl.
Der Speiseröhrenkrebs wird durch Alkohol, heiße Getränke, Rauchen und andere Gifte verursacht. Möglicherweise spielt unter anderem die Art der Getränke eine Rolle. So ist afrikanisches Bier auf Maisbasis offenbar eher mit Krebsentstehung vergesellschaftet. Die Symptome sind leider uncharakteristisch und machen sich erst spät bemerkbar: Schluckbeschwerden, Gewichtsverlust sowie Schmerzen hinter dem Brustbein. Nur selten kann eine Operation Heilung bringen.
Ösophagusvarizen = Krampfadern der Speiseröhre sind eine Folge der Leberzirrhose. Die wichtigste und bedrohlichste Komplikation stellt die Blutung aus Ösophagusvarizen dar. Etwa 30% der Patienten sterben bei ihrer ersten Blutung am Blutverlust. Je schlechter die Leberfunktion, desto häufiger und desto schwerer ist meist die Blutung.
Anzeichen der Blutung sind Bluterbrechen und „Teerstuhl“, d. h. schwarz verfärbter Stuhl. Es handelt sich um eine Notfallsituation, die sofortiger intensivmedizinischer Behandlung bedarf.
Zu einer Blutung kann es auch beim sog. Mallory-Weiss-Syndrom kommen. Durch heftiges Erbrechen entstehen Schleimhautrisse am Übergangsbereich zwischen Speiseröhre und Magen.
- Magenerkrankungen
Akute Magenschleimhautentzündung: Ein sehr häufiges Krankheitsbild, das durch Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Aufstoßen, Druckgefühl im Oberbauch, Bauchschmerzen und einen unangenehmen Geschmack im Mund gekennzeichnet ist. Komplizierend kann es zu einer Magenblutung kommen. Unter Verzicht auf die verursachenden Substanzen kommt es in der Regel zur Abheilung. Die Gabe von Medikamenten ist nicht nötig.
- Bauchspeicheldrüsenentzündung
Die Bauchspeicheldrüse hat eine wichtige Verdauungsfunktion. Außerdem bildet sie Insulin (Zuckerstoffwechsel).- Akute Entzündung: Zu 40% durch Alkoholabusus verursacht. Die Erkrankung beginnt plötzlich mit heftigen Bauchschmerzen, die sich manchmal gürtelförmig ausbreiten. Übelkeit, Erbrechen und Fieber sowie andere Symptome können hinzukommen. Bei schwerem Verlauf kommt es zum Kreislaufschock und zum Nierenversagen. Eine schwere Entzündung kann also tödlich sein. Daher ist die sofortige Krankenhausbehandlung notwendig.
- Chronische Entzündung: Zu 80% durch Alkoholabusus verursacht. Häufig nur geringe Beschwerden. Schmerzen in der Tiefe des Oberbauches, Ausstrahlung in den Rücken, Spätschmerz nach dem Essen, Stunden bis Tage dauernd. Fettunverträglichkeit mit Aufstoßen, Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen.
Komplizierend kann eine Verdauungsstörung hinzutreten, manchmal eine Zuckerkrankheit (Diabetes). Akute Schübe können wie die akute Entzündung verlaufen und müssen entsprechend behandelt werden. Die Therapie besteht in einer Diät aus häufigen, evtl. fettarmen, kleinen Mahlzeiten, bei Verdauungsstörungen und Unterfunktion werden Fermente gegeben.
- Leberschäden
- Fettleber ohne entzündliche Reaktion
- Fettleberhepatitis mit Entzündung
- Leberzirrhose
Die Leber ist ein lebenswichtiges Organ, in dem Nahrungsstoffe umgebaut und gespeichert werden, Giftstoffe abgebaut.
Sowohl der Alkohol als auch seine Abbauprodukte wirken als Gift auf die Leber. Bei chronischem Alkoholkonsum kommt es zum Leberzellschaden. Trinkmengen zwischen 60-80 g/Tag beim Mann und 20 g/Tag bei der Frau für die Dauer von mehr als 10 Jahren können zur Leberzirrhose führen.
(60g Alkohol = 1,5 l Bier oder 0,75 l Wein oder 0,2 l Whisky )
Die Fettleber macht meist keine Beschwerden. Die Fettleberhepatitis kann zu Appetitlosigkeit, Übelkeit, Gewichtsverlust, Schmerzen im rechten Oberbauch, zu Gelbsucht und Fieber führen. Sie bildet sich unter Alkoholverzicht vollständig zurück.
Die Leberzirrhose führt zur Leberunterfunktion bis zum Leberversagen und zum Pfortaderhochdruck mit den Folgen der Speiseröhrenkrampfadern, der Milzschwellung und der Wasseransammlung in der Bauchhöhle. Die Allgemeinsymptome gleichen denen der Leberentzündung. Leistungsminderung und Abgeschlagenheit, Müdigkeit und Depressionen können hinzutreten.
An der Haut treten sog. Leberhautzeichen auf, Gefäßspinnen, Rötung der Handflächen, Weißnägel. Eventuell kommt es zur Gelbsucht mit Juckreiz.
Hormonelle Störungen führen beim Mann zum Verlust der Sekundärbehaarung („Bauchglatze“), Potenzstörungen, Hodenatrophie, bei der Frau zu Menstruationsstörungen.
Hepatische Encephalopathie und Leberausfallkoma.
Durch mangelnden Abbau von für das Gehirn giftigen Substanzen, z. B. von Ammoniak, einem Abbauprodukt von Eiweiß, kommt es zu Bewußtseinsstörungen. Dabei kann es zu Verrwirtheit, Konzentrationsstörungen, Verlangsamung, Stimmungsschwankungen, Sprachstörungen kommen, aber auch zu einem tiefen Koma und zum Tod.
- Alkoholbedingte Herzmuskelerkrankung.
Die alkoholische Herzerkrankung betrifft nur weniger als 1% der chronisch Alkoholkranken. Es kommt zur Erweiterung der Herzkammern. Dadurch kommt es zur Herzschwäche mit Atemnot bei Belastung, später auch in Ruhe, durch eine Lungenstauung. Außerdem treten Herzrhythmusstörungen auf.
Als Komplikation kann es zum Lungeninfarkt, Hirninfarkt (Schlaganfall) und zum plötzlichen Herztod kommen.
Abstinenz kann zu einer Besserung führen. Bei Fortschreiten der Erkrankung leben nach zehn Jahren nur noch 10-20% der Betroffenen.
- Bluthochdruck
ist bei Alkoholkranken häufiger als in der Normalbevölkerung zu finden. Die genaue Ursache hierfür ist nicht bekannt. Beschwerden können längere Zeit fehlen. Typische Symptome sind Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrensausen, Nervosität, Herzschmerzen, Herzklopfen, Nasenbluten, Atemnot bei Belastung.
Bluthochdruck muß konsequent behandelt werden, um Spätschäden zu vermeiden. Arteriosklerose (Blutgefäßverkalkung) durch Hochdruck führt u.a. zur Herzkranzgefäßverkalkung mit der Folge des Herzinfarktes, zum Hirnschlag und zu Nierenschäden.
- Koronare Herzkrankheit (Verkalkung der Herzkranzgefäße)
Trotz der dem Alkohol nachgesagten Schutzwirkung auf die Blutgefäße leiden Alkoholkranke häufiger an Angina pectoris und erleiden häufiger einen Herzinfarkt durch Verkalkung und Verengung der Gefäße des Herzens. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass ab einer bestimmten Alkoholmenge die gefäßschützende Wirkung von den schädlichen Wirkungen übertroffen wird. Vor allem indirekte Folgen, wie die alkoholbedingte Fettstoffwechselstörung, möglicherweise auch eine direkte Gefäßschädigung, spielen eine Rolle.
Blut besteht zu ca. 45% aus Zellen, den roten und weißen Blutkörperchen sowie den Blutplättchen. Die roten Blutkörperchen dienen dem Sauerstoff- und Kohlendioxydtransport.
Anämie = Blutarmut entsteht bei einem Mangel oder einer Unterfunktion der roten Blutkörperchen. Bei Alkoholabusus und Fehlernährung fehlen die Blutkörperchen-wachstumsstoffe Vitamin B12 und Folsäure, weshalb abnormale und unreife Blutkörperchen in geringerer Zahl produziert werden, es entsteht eine Anämie. Die weißen Blutkörperchen dienen der Abwehr von Krankheitserregern. Durch Alkoholeinwirkung kommt es zu Funktionsstörungen und zu einem Mangel. Hierdurch werden verschiedene Infektionskrankheiten begünstigt. Gehäuft treten Lungenentzündungen, Tuberkulose und andere bakterielle Erkrankungen auf, die dann schwerer verlaufen als bei normaler Abwehrlage. Die Blutplättchen setzen Inhaltsstoffe frei, die für die Blutstillung notwendig sind. Bei Blutplättchenmangel kommt es zur erhöhten Blutungsneigung und u.U. zu kleinen punktförmigen Blutungen aus den kleinen Gefäßen aller Organe, sichtbar an der Haut.
Stoffwechselerkrankungen und Hormonstörungen
- Zuckerkrankheit
- Durch eine chronische Bauchspeicheldrüsenentzündung kommt es zum diabetes mellitus, wenn mehr als 90% des Organs zerstört wurden. Übergewicht und ein erhöhter Blutfettspiegel verstärken die Erkrankung. Krankheitszeichen sind z.B. Müdigkeit, Durst, vermehrtes Wasserlassen, Gewichtsverlust, nächtliche Wadenkrämpfe, Juckreiz, Sehstörungen.
- Fettstoffwechselstörungen.
- Die Leber ist wichtiges Organ des Fettstoffwechsels. Wird sie durch Alkohol überlastet, wird weniger Fett verarbeitet, u. a. der Cholesterinspiegel im Blut steigt an. Fettstoffwechselstörungen sind ein wichtiger Risikofaktor für Arterienverkalkungen u. a. mit den Folgen Herzinfarkt und Hirnschlag oder auch der Verschlußkrankheit der Beine („Raucherbein“).
- Gicht
- Die Gicht ist eine chronische Gelenkkrankheit. Der typische Gichtanfall, z.B. am Großzehengrundgelenk, verursacht plötzlich beginnende enorme Schmerzen, eine Schwellung, Rötung und Überwärmung. Gicht entsteht als Folge einer erhöhten Harnsäurekonzentration im Blut. Harnsäure entsteht beim Abbau von Eiweiß. Alkoholkonsum hemmt wiederum die Harnsäureausscheidung über die Nieren. Deshalb findet sich bei Alkoholkranken häufig ein erhöhter Harnsäurespiegel im Blut und ein akuter Gichtanfall kann ausgelöst werden. Chronische Gicht führt zu Gelenkzerstörungen und zu Ablagerungen in der Niere, die die Niere schädigen können.
- Hormonstörungen
- Hormone sind die Botenstoffe des Körpers, Produkte der verschiedenen Drüsen des Körpers. Vorgänge des Stoffwechsels, des Wachstums und der Fortpflanzung werden durch Hormone gesteuert. Als Beispiel seien Kortison und Östrogen genannt. Durch chronischen Alkoholkonsum werden die komplizierten Regelkreise gestört. Folgen sind u.a. bei Männern Hodenatrophie, Potenzstörungen, Brustwachstum (Verweiblichung), bei Frauen Zyklusstörungen, Haarwuchs vom männlichen Typus (Vermännlichung). Allgemeine Zeichen sind z.B. Akneneigung, Osteoporose, Stammfettsucht.
Hautveränderungen
An der Haut lassen sich zahlreiche Erkrankungen der inneren Organe ablesen. Typische Hautveränderungen bei Alkoholkranken sind Folge der Gerinnungsstörungen, der Lebererkrankung, der Hormonstörungen usw. Sogenannte Leberhautzeichen sind die Gefäßspinnen, die Rötung der Handinnenflächen, die Gelbverfärbung der Haut und auch die sog. Lacklippen und die Lackzunge sowie die Weißnägel.
Erwähnt seien noch das Rhinophym, die gerötete Knollennase, sowie die Rosazea mit Rötung von Stirn, Wangen, Nase und Kinn.
Krankheitsursachen
Individuelle Ursachen
Die Hauptursache für die Erkrankung scheint in der psychosozialen Entwicklung zu liegen. Alkohol – und Drogen allgemein – werden häufig zum Abbau innerer Spannungen eingesetzt. Diese Spannungen treten auf, wenn das Selbstbild eines Menschen (z.B. besonders männlich oder erfolgreich zu sein) durch gegenteilige Erfahrungen in der Realität gefährdet wird. Drogenkonsum ist daher häufig bei Menschen zu beobachten, die dem narzißtischen Persönlichkeitstypus entsprechen.
Allerdings werden auch genetisch verursachte Unterschiede diskutiert, etwa im Alkoholabbau (Effizienz der Alkoholdehydrogenase) oder im Neurotransmitterstoffwechsel des Gehirns. Grundsätzlich muß wohl, wie bei vielen psychischen Erkrankungen, von einer multifaktoriellen Entstehung ausgegangen werden, die auch von der sog. Vulnerabilität (psychische Verletzlichkeit) des Einzelnen abhängt.
Erbliche Faktoren spielen in vielen Fällen eine entscheidende Rolle. Viele Alkoholiker haben oder hatten bereits Suchtkranke in der Familie. Wissenschaftler und Ärzte sind sich jedoch nicht schlüssig, ob das Suchtverhalten in diesen Fällen wirklich vererbt oder eher erlernt/abgeguckt ist. Einige Studien (v. a. durch Zwillinge) lassen jedoch vermuten, dass die Vererbung eines erhöhten Suchtpotentials sehr wahrscheinlich ist.
Neuere Untersuchungen gehen von einer 50 bis 60 prozentigen genetischen Disposition aus. Wissenschaftler des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN) teilten in der Fachzeitschrift «Molecular Psychiatry» mit, dass Untersuchungen zwei Mutationen im CRHR1-Gen die Anfälligkeit zum gesteigerten Alkoholkonsum beeinflussen. Dieses Gen ist für ein Protein verantwortlich, welches bei der Verarbeitung von Stress und der Steuerung von Gefühlen eine Rolle spielt. Das Risiko der Erkrankung von Kindern, deren Eltern Alkoholiker sind und nicht bei ihnen aufwuchsen, ist etwa drei bis vier mal höher.
Die Defizite eines Alkoholpatienten werden oft von dessen Lebenspartner mitgetragen oder kompensiert. Meistens gewinnt der Lebenspartner aus seiner Hilfeleistung eine persönliche oder gesellschaftliche Anerkennung; er kann sein persönliches Selbstwertgefühl steigern. Partner, die solchen Mechanismen unterliegen, werden als Co-Alkoholiker bezeichnet.
Gesellschaftliche Ursachen
Alkohol ist in vielen Kulturen eine gesellschaftlich anerkannte, einfach und billig zu beschaffende Droge, deren Konsum in manchen Situationen geradezu erwartet wird. Beispiele sind die „bürgerliche“ Trinkkultur (Wein, Sekt, Whisky) oder das „proletarische“ gemeinsame „Saufen“ von Bier und Schnaps. Die Grenzen sind hier jedoch fließend, so ist beispielsweise das „Feierabendbierchen“ auch in „höheren“ Schichten eine Normalität. Alkohol ist in vielen Nationen in den Alltag integriert. Besonders „trinkfeste“ Männer galten als bewundernswert männlich und erfahren. Dies erschwert die Auseinandersetzung mit dem Problem und begünstigt Alkoholmissbrauch und Alkoholsucht.
Verbreitung und Ausmaß der Krankheit
Die Verbreitung und die Folgen der Alkoholkrankheit werden meist unterschätzt. Nach aktuellen Schätzungen gibt es 4,3 Millionen alkoholabhängige Menschen in Deutschland, darunter 30 % Frauen. Weitere ca. 5 Millionen konsumieren Alkohol in riskanter (suchtgefährdeter) Weise. Das Statistische Bundesamt zählte im Jahr 2000 16 000 Tote durch Alkoholkonsum; dabei trat der Tod in 9 550 Fällen durch Leberzirrhose ein. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung berichtete 2004 sogar von 40 000 Todesfällen als Folge übermäßigen Alkoholkonsums in Deutschland, davon 17 000 an Leberzirrhose (Zum Vergleich: Drogentod durch illegale Drogen 1 477, Tod als Folge des Tabakrauchens: 110 000). Hinzu kommen jährlich etwa 2 200 Kinder, die wegen des Alkoholmissbrauchs ihrer Mütter geschädigt zur Welt kommen. Weiterhin wird geschätzt, dass etwa 250 000 Kinder, Jugendliche und Junge Erwachsene unter 25 Jahren stark alkoholgefährdet oder schon abhängig sind. Alkoholiker findet man in allen gesellschaftlichen Schichten. Vor allem jugendliche Alkoholkranke kommen nicht selten aus gehobenen Schichten. Ihnen fehlt meist die Zuneigung der immerzu beschäftigten Eltern. (siehe Jugendalkoholismus)
Gesellschaftliche Folgen
Die Folgekosten der Alkoholkrankheit sind enorm, da neben den Belastungen des Gesundheitswesens auch indirekte Kosten wie die Verluste an volkswirtschaftlicher Produktivität durch Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung, sowie Folgekosten von alkoholbedingten Verkehrsunfällen, Straftaten und erhöhte Scheidungsraten von Alkoholkranken zu berücksichtigen sind. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren schätzt den jährlichen volkswirtschaftlichen Schaden auf 20 Milliarden Euro; andere Schätzungen belaufen sich auf 15 bis 40 Milliarden Euro. Dem stehen staatliche Einnahmen an Alkoholsteuern von zur Zeit etwas mehr als 3,5 Milliarden Euro gegenüber. Die Umsätze der Alkoholindustrie Deutschlands belaufen sich auf gleich bleibend zwischen 15 und 17 Milliarden Euro, die mit rund 85 000 Beschäftigten erzielt werden.
Neben diesen materiellen Kosten muss man natürlich auch die seelischen „Kosten“ im Sinne des verursachten Leides berücksichtigen.
Behandlung
Bei einem Alkoholentzug wird der Alkohol abrupt abgesetzt. Weil dabei sehr heftige bis lebensbedrohliche Entzugserscheinungen auftreten können, sollte der Patient nach Möglichkeit stationär in einem Krankenhaus entgiften. Manche Krankenhäuser haben spezielle Entgiftungsstationen für Alkoholiker, wo erste Kontakte mit Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen geknüpft werden können. Die stationäre Entgiftung dauert 8 bis 14 Tage. Während dieser Zeit treten häufig Entzugssymptome wie Übelkeit, Nervosität, Schlafstörungen, der starke Drang Alkohol trinken zu müssen (Saufdruck), Gereiztheit und Depressionen auf. Ist die körperliche Abhängigkeit schon weiter fortgeschritten kommen starkes Schwitzen, Zittern (vor allem der Hände) und in äußerst schlimmen Fällen Krampfanfälle und Halluzinationen (Delirium tremens) hinzu. Um die o.g. vegetativen Entzugserscheinungen behandeln zu können, werden auf Entgiftungsstationen Medikamente vergeben, die, je nach Erfolg der Behandlung, langsam reduziert werden. In Deutschland üblich ist die Verwendung von "Distraneurin" (Wirkstoff Chlometiazol) oder eines Präparates von Benzodiazepin- Typ (z.B. Diazepam, früher Valium). Um die Gefahr von Entzugskrampfanfällen zu reduzieren, empfiehlt sich die Verwendung eines Antiepileptikums. Hat der Patient den Entzug überstanden, ist sein Körper vom Alkohol entgiftet. Damit der Suchtkranke es schafft trocken zu werden, sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Eine Therapie kann entweder in einer statitionären Entwöhnungsbehandlung, als Langzeit- oder Kurzzeittherapie stattfinden oder ambulant erfolgen. Ambulante Therapien werden seit 1996 von Kostenträgern übernommen. Für die ambulante Behandlung ist eine mittelfristige Abstinenz von 2-3 Monaten wenigsten Voraussetzung. Weiterhin ist eine soziale Einbindung durch Arbeitsplatz oder Familie Voraussetzung. Siehe Indikationskriterien für ambulante Behandlungen [1]. Die Therapien finden meistens in Gruppengesprächen und gelegentlich Einzelgesprächen statt und werden von Sozialpädagogen, Psychiatern, Psychotherapeuten, Ergotherapeuten, Heilpraktikern und Pfarreien durchgeführt. Erste Anlaufstellen für eine ambulante oder stationäre Therapie sind Suchtberatungsstellen oder psychosoziale Beratungsstellen. Auch die Gesundheitsämter können weiter helfen. Die wesentliche Erkenntnis, die ein Alkoholkranker aus der Therapie mitnehmen kann, ist, dass der Zustand der „Alkohollosigkeit“ unabdingbare Voraussetzung für seine „Trockenheit“ ist, sie allein ist noch nicht das Überwinden der Krankheit. Trocken zu werden und zu bleiben, ist somit keine Struktur, die angenommen werden kann, sondern sie ist ein lebenslanger Prozess, an dem der Kranke mitzuarbeiten hat. Trockenheit bedeutet letztendlich, sich seiner „alkoholischen“ Denk- und Gefühlsstrukturen bewusst zu werden, sie zu erkennen, zu durchschauen und zu überwinden. Das Ergebnis davon, führt in die Gewissheit, dass das Leben des „trockenen“ Alkoholikers, des Suchtmittels nicht mehr bedarf – sondern er in der Lage ist ohne dieses ein intensiveres Lebensempfinden zu erlangen. Somit ist die „Abstinenz“ für den Suchtkranken nicht der Verzicht auf oder das Verbot für alkoholische Getränke, es ist vielmehr die täglich zu spürende Bereicherung seines Lebens, durch die Überwindung der Krankheit.
Seit vielen Jahren haben sich Selbsthilfegruppen (z. B. Anonyme Alkoholiker) bewährt. Hier treffen sich in regelmäßigen Abständen trockene Alkoholiker, die über ihr gemeinsames Problem sprechen. Selbsthilfegruppen wirken außerordentlich unterstützend auf den Therapieerfolg, in manchen Fällen können sie sogar als Alternative zur klassischen Therapie in Betracht gezogen werden. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn der Patient genügend Rückhalt durch Familie und Freunde hat.
Wünschenswert und unterstützend ist die Bereitschaft des Lebenspartners/der Partnerin, der Kinder und weiteren Angehörigen zur Änderung auch des eigenen Verhaltens. Auch für Angehörige und Freunde von Alkoholikern gibt es Selbsthilfegruppen, sowohl gemeinsam mit, wie auch getrennt von den Selbsthilfeangeboten für Alkoholkranke.
Medikamente
Bei Alkoholkranken ist die Übertragung vieler Botenstoffe im Gehirn gestört, z.B. erhöht sich die Anzahl der Glutamat-Bindungsstellen. Daher wurde versucht, durch die Opioidantagonisten Acamprosat und Naltrexon regulierend einzugreifen und die psychischen Entzugserscheinungen zu mildern – ein Verfahren, das bei Opioidsüchtigen bewährt ist. In den USA wird derzeit eine injizierbare Depotformulierung von Naltrexon klinisch erprobt (Handelsname Vivitrex). Schon wesentlich länger im Gebrauch ist die Substanz Disulfiram (Antabus (R)), die einen anderen Mechanismus nutzt: durch Hemmung eines für den Alkoholabbau wichtigen Enzyms erhöht sich der Acetaldehyd-Spiegel, und der Süchtige bekommt schwere Kopfschmerzen und Brechreiz. Das soll ihm das Trinken verleiden.
Zur Behandlung bei Suchtkrankheiten wird auch Akupunktur verwendet.
Der Nutzen der medikamentösen Suchtvorbeugung ist beim Alkoholismus bisher fraglich (Cochrane-Report).
Prognose
Der Erfolg hängt meist weniger von der Art und Dauer der Therapie als von der Willenskraft des Süchtigen ab. Trotzdem gilt, je eher eine Alkoholkrankheit behandelt wird, desto besser ist die Erfolgsaussicht. Ist der Patient einsichtig und hat er den starken Wunsch mit dem Trinken aufzuhören, hat er recht gute Chancen. Immerhin schaffen es ca. 50 % langfristig abstinent zu bleiben, wobei „kleine“ Rückfälle in Schüben zum Normalfall gehören.
Schwere Rückfälle machen einen erneuten Entzug mit anschließender Therapie unumgänglich. Viele Patienten gelangen erst nach mehreren Therapiemaßnahmen zu einer stabilen Trockenheit. Zu Rückfällen kann es nach Jahren und sogar Jahrzehnten noch kommen. Eine Heilung im eigentlichen Sinne gibt es somit nicht. Die Krankheit kann nur durch Abstinenz gestoppt, aber nicht geheilt werden.
Kritik
Das Konzept von Alkoholismus als Krankheit und insbesondere Jellineks Theorie der "Trinkertypen" sind nicht unumstritten in der Forschung. Insbesondere sehen heute viele Autoren die Vorstellung eines unumkehrbaren Prozesses kritisch, da er bei Betroffenen gemäß einer sich selbst erfüllenden Prophezeihung wirken kann: bei einem Ex-Alkoholiker, der gesagt bekommt, dass jeder Verstoß gegen die Abstinenz ihn unmittelbar in seinen alten Zustand versetzt, wird ein "Rückfall" auch entsprechende Auswirkungen haben. Im therapeutischen Bereich werden daher mittlerweile auch alternative Konzepte angeboten, etwa zum sogenannten kontrollierten Trinken.
Gerade dieses "kontrollierte Trinken" ist heftig umstritten. Ein in Phasen verlaufendes Krankheitsbild (prodromale, kritische, chronische Phase) zeigt bereits im ersten Abschnitt auffallendes Verhalten des Erkrankten. Das bemerkt er selbst und versucht mit vielen "Kontrollmechanismen" - regelmäßig scheiternd - zu beherrschen. Die Krankheit schreiten voran, durch die kritische bis chronische Phase, wenn auch unter Selbstverleugnung einer vorhandenen Krankheit. Der Wunsch zu kontrollieren, der ja bei einem, der normal mit Alkohol umgehen kann, nie auftauchen wird, ist bereits der Kontrollverlust: eines von zwei untrüglichen Kriterien für die Alkoholkrankheit (den Alkoholismus). (Das zweite bzw. andere Kriterium, ist der Einsatz des Alkohols, um die eigene Stimmungslage zu verändern - subjektiv als Verbesserung empfunden). Wer nun in der "Vorphase" der heraufziehenden Krankheit, den Eigenversuch des "kontrollierten" Trinkens anwenden möchte, wird selten darin Erfolg haben, den Alkoholismus damit zu bekämpfen, einzig die Trinkgewohnheiten moderater gestalten zu wollen und die psychische Dimension dieser Erkrankung völlig unberücksichtigt zu lassen. Allerhöchstens in einer Konstellation, da der Betroffene lediglich zuviel trinkt - ohne Alkoholiker zu sein - könnte die Selbstbeschränkung den Ausbruch der Erkrankung verhindern oder verzögern. Nur - bis heute steht der Beweis aus, dass diese besondere Form des Alkoholmissbrauches überhaupt vorkommt. Regelmäßiges "über die Stränge schlagen", das diesen Wunsch zur Selbstrestriktion erst auslösen könnte, führt in relativ kurzer Zeit zu einer (körperlichen) Abhängigkeit, die sich nicht durch eine Selbstdisziplinierung aufheben lässt. Insofern beißt der Hund sich irgendwie in den eigenen Schwanz:
Zuviel trinken, ohne Alkoholiker zu sein, wird den Wunsch nach Eindämmung des Alkoholkonsumes nicht wachrufen.
Zuviel trinken mit vorhandener Abhängigkeit, lässt sich nicht durch Herunterfahren des Levels regulieren, da dies jeder Alkoholiker schon mehrfach versucht hat, und dies eigentlich dem Aufzäumen des Pferdes von hinten entspricht: Wenn die psychische Situation des Abhängigen eine Verwandlung erfährt (nota bene: von ihm selbst herbeizuführen), dann wird der Alkohol als stimmungsbeeinflussendes Mittel nicht mehr benötigt und verliert seine Bedeutung für den Erkrankten. Diese Veränderung des eigenen Denkens, Fühlens und Handelns ist jedoch nur dann möglich, wenn auf den Einsatz des Suchtmittels verzichtet wird. Dann führt mit zunehmendem Erfolg der Lebensmeisterung, ohne "Stoff", die zunehmend als Bereicherung empfundene Steigerung der Lebensqualität, auch dazu, ein ausgesprochenes Glücksempfinden des Betroffenen darüber herzustellen, des Suchtmittels nicht mehr zu bedürfen. In diesem inneren Gleichgewicht wird der ehemals nasse Alkoholiker selten den Wunsch verspüren, Alkoholika in Maßen konsumieren zu können. Vermutlich ist somit der Wunsch nach kontrolliertem Trinken, nur bei denen vorhanden, die ihre eigene Alkoholabhängigkeit (noch) nicht angenommen haben.
Literatur
van Treeck, Bernhard: Drogen- und Suchtlexikon, Lexikon-Imprint-Verlag, Berlin, 2003, ISBN 3-89602-
Siehe auch
- Kreuzbund
- Jugendalkoholismus
- Binge Drinking
- Abstinenzverein
- Alkoholpräventionsprogramm
- Entgiftung
- Anonyme Alkoholiker
- Guttempler
- Blaues Kreuz
- CDT
- Branntweinpest
- Prohibition
Weblinks
- Robert-Koch-Institut: „Kosten alkoholassoziierter Krankheiten“
- Anonyme Alkoholiker im deutschsprachigen Raum
- Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft für Suchtkranke und Angehörige
- Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V.
- Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme
- Seite für Kinder und Jugendliche aus suchtbelasteten Familien
- Körperliche und seelischen Folgen des Alkoholmissbrauchs
- Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten des Alkoholismus (alkoholratgeber.de)
- Stiftung SPI - Suchtberatung, Tagesstätten, Therapeutische Wohngemeinschaften
- Selbsthilfe- Angehörigen und Expertenforum