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Alphonse Daudet

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Alphonse Daudet
Die Mühle bei Fontvieille, in der Daudet jedoch nie gewohnt hat

Alphonse Daudet (* 13. Mai 1840 in Nîmes, Département Gard; † 16. Dezember 1897 in Paris) war ein französischer Schriftsteller, der sich zunächst als Lyriker und dann als Dramatiker und vor allem Erzähler betätigte. Zu Lebzeiten mit fast seinem gesamten Schaffen erfolgreich, ist er heute immerhin noch mit zwei oder drei Titeln bekannt und eine feste Größe in der französischen Literaturgeschichte, wo sein Image allerdings eher das eines Jugendbuchautors ist. Seine bekanntesten Werke sind der humoristische Roman Tartarin de Tarascon (Tartarin von Tarascon), der Sammelband Lettres de mon moulin (dt. Briefe aus meiner Mühle) und der seine Jugend schildernde Roman Le Petit-Chose. Er war Bruder von Ernest Daudet und der Vater von Léon Daudet, die im deutschen Sprachraum aber praktisch unbekannt sind.

Leben

Kindheit und Jugend in der Provence

Alphonse Daudet war drittes und letztes Kind des Seidenwarenfabrikanten und -händlers Vincent Daudet und seiner Frau Marie Adelaide, geborene Reynaud. Seine frühe Kindheit verlebte er, wie in gutsituierten Familien nicht unüblich, bei einer Amme in einem Dorf. Neunjährig (und offenbar zweisprachig Französisch/Okzitanisch) verließ er mit seiner Familie seine Geburtsstadt Nîmes und zog um nach Lyon, wo sein Vater einen beruflichen Neuanfang versuchte, nachdem seine Firma, vielleicht im Gefolge der Februarrevolution 1848, pleitegegangen war. In Lyon besuchte Daudet das Collège-lycée Ampère, bis ihn 1856 die finanzielle Situation der Familie zwang, die Schule ohne Besuch der beiden Abschlussklassen („Philosophie“) und damit ohne „bac“ zu verlassen.

Mit 16 verlor er seinen ältesten Bruder. Insgesamt erlebte er seine Kindheit offenbar als wenig glücklich.

Nach dem Abgang vom Lycée wurde Daudet im April 1857 Hilfslehrer („Maître d’études“ alias „pion“) auf einem Collège (kathol. Gymnasium) in Alès. Diese offenbar sehr unbefriedigende Stellung gab er jedoch rasch auf, nicht ohne Erfahrungen zu sammeln, die er später in seinem ersten Roman Le Petit Chose verarbeitete.

Ende 1857 findet man ihn in Paris bei seinem drei Jahre älteren Bruder Ernest, der sich dort schon als Journalist versuchte und der später (1882) die Geschichte ihrer gemeinsamen Zeit in seinen Erinnerungen Mon frère et moi (Mein Bruder und ich) beschrieb. Daudet schloss sich der Pariser Bohème an und infizierte sich offenbar schon sehr bald mit einer Syphilis, die ihm sein ganzes Leben lang zu schaffen machen sollte.

Erfolg in Paris

In Paris war Daudet mit einem schmalen Band von Gedichten angekommen, die er 1858 unter dem Titel Les Amoureuses veröffentlichte und die wohlwollend aufgenommen wurden. 1859 wurde er freier Mitarbeiter der Zeitung Le Figaro, wobei er sich mit Gedichten und Chroniken nach und nach einen Platz in der Literaturszene erarbeiten konnte.

Ebenfalls 1859 begegnete er dem bekannten okzitanischen Autor Frédéric Mistral, den er bewunderte, ohne jedoch auch seinerseits Okzitanisch zu schreiben zu versuchen.

1860 bekam er eine Stellung als wenig beanspruchter Privatsekretär bei dem Herzog von Morny, einem Halbbruder Napoleons III. und einflussreichem Politiker. Morny alimentierte ihn bis zu seinem Tod 1865 und unterstützte ihn so in seiner Karriere als Schriftsteller.

Kurz nachdem er zusammen mit einem Partner ein erstes Theaterstück, La dernière idole (Das letzte Götzenbild/Idol), verfasst hatte, unternahm Daudet im Winter 1861/62 in Begleitung eines älteren Cousins eine dreimonatige Reise durch Algerien. Hier hoffte er seine gesundheitlichen Probleme zu beheben. Der Zweck einer völligen Genesung wurde naturgemäß nicht erreicht, doch sammelte Daudet viel Material für spätere Werke, insbesondere den Tartarin. In seiner Abwesenheit wurde in Paris sein Stück erfolgreich aufgeführt.

Ein Jahr später folgte ebenfalls aus gesundheitlichen Gründen ein mehrmonatiger Aufenthalt auf Korsika. Auch dieser verschaffte ihm Stoffe und Themen für spätere Werke. Wiederholte Besuche in seiner südfranzösischen Heimat lieferten ihm Ideen und Anregungen, insbesondere für die meistens kurzen Erzählungen und Skizzen, die ab 1866 sukzessiv in Zeitschriften erschienen und 1869 gesammelt als Lettres de mon moulin (dt. Briefe aus meiner Mühle, 1879) herauskamen. Entgegen dem Titel enthält der Sammelband praktisch keine Briefe, geht aber von der Rahmenfiktion aus, die Texte seien sukzessiv in einer alten provenzalischen Mühle verfasst und nach Paris geschickt worden.

1867 heiratete Daudet Julia Allard; die Ehe war glücklich. Seine Frau war selbst literarisch tätig und ist bekannt durch ihre Impressions de nature et d’art (1879), L’Enfance d’une Parisienne (1883) und einige literarische Studien, die sie unter dem Pseudonym Karl Steen veröffentlichte.

Ab Ende 1867 im Feuilleton einer Zeitschrift und 1868 in Buchform erschien Le Petit-Chose (dt. Der kleine Dingsda, 1877), worin Daudet auf anrührende Weise seine alles andere als leichten jungen Jahre verarbeitet. 1872 erschien der Roman Aventures prodigieuses de Tartarin de Tarascon) (dt. Die wunderbaren Abenteuer des Tartarin von Tarascon und das dreiaktige Schauspiel L’Arlésienne, eine Bearbeitung seiner gleichnamigen Erzählung, zu dem Georges Bizet die Bühnenmusik schrieb. Aber erst der Roman Fromont jeune et Risler aîné (1874) brachte den großen Erfolg und wurde von der Académie française preisgekrönt. Mit Jack (1876), der Geschichte eines unehelichen Kindes, das Opfer der Selbstsucht seiner Mutter wird, knüpfte er an diesen Erfolg an. Von nun an konzentrierte er sich auf Romane und publizierte erfolgreich Werke wie Le Nabab (Der Nabob) (1878), Les Rois en exil (1879), Numa Roumestan (1881), L’Evangéliste (1883) und Sappho, ein Pariser Sittenbild (1884). Trente ans de Paris, à travers ma Vie et mes Livres (1887) enthält die Entstehungsgeschichten zu seinen Büchern, und in Souvenirs d’un homme de lettres (1888) breitete er seine Erinnerungen aus. L’Immortel (1888) ist eine satirische Attacke gegen die Académie française, die Daudet nie aufgenommen hatte. Ab 1889 schrieb Daudet auch wieder für das Theater. Daneben entstanden weitere Erzählungen, wie beispielsweise La Belle Nivernaise und die Tartarin-Fortsetzungen Tartarin sur les Alpes (1885) und Port-Tarascon. Dernières Aventures de l’illustre Tartarin (1890).

1886 lieh Daudet Geld an Édouard Drumont, den Gründer der französischen Antisemitenliga, damit dieser sein zweibändiges antijüdisches Pamphlet La France juive vollenden konnte.

Krankheit und späte Jahre

Alphonse Daudet

1884 traten die ersten Anzeichen einer Rückenmarkserkrankung auf. Daudet litt zunehmend an Tabes dorsalis, den späten Folgen seiner Syphilisinfektion. Seine letzten Lebensjahre waren stark von der zur völligen Paralyse fortschreitenden Krankheit geprägt. In dieser Zeit entstand sein wohl ergreifendstes Werk, das erst 1930 unter dem provenzalischen Titel La Doulou (= la douleur) veröffentlichte (dt. Im Land der Schmerzen). In dieser Notizensammlung betrachtet Daudet mit schonungslosem Blick seine Krankheit und die damit einhergehenden Veränderungen seiner Person und seiner Umgebung. „In meinem [...] Knochengerüst hallt der Schmerz wie die Stimme in einer Wohnung ohne Möbel und Vorhänge.“[1] Bereits auf einen Rollstuhl angewiesen, unterstützte er junge Schriftsteller und schrieb noch einige Werke. Daudet starb am 16. Dezember 1897 während der Dreyfus-Affäre, in der er sich trotz seiner Freundschaft mit Émile Zola gegen Alfred Dreyfus gestellt hatte.

Daudet wurde auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris beerdigt; Zola hielt die Totenrede.[2]

Literarische Bedeutung

Die Romane haben Daudets Ruhm begründet, doch seine heutige Bekanntheit beruht vor allem auf seinen Jugendwerken, den Briefen aus meiner Mühle und vor allem dem Tartarin von Tarascon. [3] Daudet bekannte, er erfinde wenig, er schreibe alles nach der Natur.[4] Seine Erfahrungen, sein Milieu, die Männer, mit denen er bekannt war, Personen, die mehr oder weniger wichtige Rollen im Pariser Leben spielten, alle wurden in seiner Kunst eingearbeitet. Von großer Bedeutung für seine Entwicklung war die Freundschaft mit Frédéric Mistral und damit verbunden seine Hinwendung zu Themen und Stoffen seiner provenzalischen Heimat. Daudet war auch ein enger Freund von Edmond de Goncourt (der in seinem Haus starb), von Gustave Flaubert und Émile Zola, der ihn un charmeur nannte. Sein Stil gilt als realistisch-impressionistisch,[5] doch sein Werk entzieht sich jeder schulmäßigen Einordnung in die künstlerischen Strömungen seiner Zeit,[6] ob Naturalismus, Realismus oder Impressionismus. Er verwahrte sich auch gegen den Vorwurf, Dickens zu imitieren (den er sehr schätzte). „Daudet war Individualist und behauptete sich so bis an sein Ende.“[7]

Werke

  • Les Amoureuses (1858)
  • La Double Conversion (1859)
  • Lettres de mon moulin, Erzählungen (1866; dt. Briefe aus meiner Mühle, 1879) E-Buch: Originalsprache, deutsche Übersetzung
  • Le Petit Chose, Roman (1868; dt. Der kleine (Herr) Dingsda, 1877)
  • L’Histoire d’un Enfant (1868)
  • Aventures prodigieuses de Tartarin de Tarascon, Roman (1872; dt. Die wundersamen Abenteuer des Tartarin von Tarascon, 1882) E-Buch: Originalsprache, deutsche Übersetzung
  • L’Arlésienne Schauspiel (1872)
  • Fromont jeune et Risler aîné, Roman (1874; dt. Fromont junior und Risler senior, Stuttgart 1887)
  • Contes du Lundi, Erzählsammlung (1875; dt. Montagsgeschichten, 1880)
  • Jack (1876)
  • Le Nabab, Roman (1877; dt. Der Nabob, Stuttgart 1888)
  • Les Rois en exil, Roman (1879; dt. Die Könige im Exil, Stuttgart 1890)
  • Numa Roumestan, Roman (1881; dt. Numa Roumestan, Stuttgart 1889)
  • Sappho, Roman (1884; dt. Sappho, Pariser Sittenbild, 1884)
  • Tartarin sur les Alpes (1885)
  • La Belle Nivernaise (1886)
  • Trente ans de Paris (1887)
  • La Doulou (1887−1895; dt. Im Land der Schmerzen, Bremen 2003).[8]
  • Souvenirs d’un homme de lettres (1888)
  • L’Immortel, Roman (1888; dt. Der Unsterbliche, Stuttgart 1888)
  • Port-Tarascon. Dernières Aventures de l’illustre Tartarin (1890)
  • Les Femmes d’artistes (dt. Adolf Gerstmann: Künstler-Ehen. Pariser Skizzen, Leipzig 1884)
  • Le Soutien de famille (1898) (dt. Die Stütze der Familie, Stuttgart/Leipzig um 1919)

Literatur

  • Alphonse Daudet: Briefe aus meiner Mühle. Reclam Verlag, Stuttgart 1999, ISBN 3-15-003227-X.
  • Alphonse Daudet: Meistererzählungen. Manesse Verlag, Zürich 1959, ISBN 3-7175-1088-6.
  • Alphonse Daudet: Sappho: Ein Pariser Sittenbild. Ullstein, Frankfurt am Main; Berlin 1992, ISBN 3-548-30291-2.

Einzelnachweise

  1. Alphonse Daudet: Meistererzählungen. 1959, S. 313.
  2. Alphonse Daudet: Lettres de mon moulin. 1998, S. 266.
  3. Alphonse Daudet: Meistererzählungen. 1959, S. 319.
  4. Alphonse Daudet: Meistererzählungen. 1959, S. 317.
  5. Alphonse Daudet: Briefe aus meiner Mühle. 1999, S. 182.
  6. Alphonse Daudet: Sappho: Ein Pariser Sittenbild. 1992, S. 236.
  7. Alphonse Daudet: Briefe aus meiner Mühle. 1999, S. 207.
  8. Das Einmannorchester der Schmerzen, das bin ich. In: FAZ vom 27. Juni 2014, S. 10.
Wikisource: Alphonse Daudet – Quellen und Volltexte (französisch)
Commons: Alphonse Daudet – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien