Konrad Utz
Konrad Utz (* 1968) ist ein deutscher Philosoph, der als Professor für Philosophie an der Bundesuniversität von Ceará in Fortaleza (UFC, Brasilien) arbeitet. Er entwickelt ein eigenständiges philosophisches Gesamtsystem, dessen Grundbegriff der Zufall ist.
Leben
Utz studierte katholische Theologie in Tübingen und Pune (Indien), promovierte in Tübingen in Philosophie und ist seit 2006 Professor für Philosophie an der Universidade Federal do Ceará (UFC – Bundesuniversität von Ceará) in Fortaleza (Brasilien).
Werk
Utz entwickelt ein umfassendes philosophisches System aus dem Begriff des Zufalls. Seine hauptsächlichen Inspirationsquellen sind Kant und Hegel, daneben Aristoteles und die indische Philosophie. Neben seinen philosophischen Arbeiten hat Utz 2006 das Kinderbuch „Geschichten von Drache und Bär“ veröffentlicht. Das Buch wurde mit dem Kinderbuchcouch-Star ausgezeichnet. Verschiedene Geschichten wurden vom Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt.
Positionen
Zufall
Der Zufall ist nach normalem Verständnis der Übergang aus der (nichtnotwendigen) Möglichkeit in die Tatsächlichkeit (vgl. auch Modallogik). Ein Würfelwurf kann sechs verschiedene Augenzahlen zum Ergebnis haben, jede von ihnen ist mögliches, keine ist notwendiges Ergebnis. Wenn der Würfel gefallen ist, dann ist eine einzige davon tatsächlich gegeben. Gemeinhin stellt man sich den Übergang nun so vor, dass die Möglichkeiten schon allein für sich gegeben sind und die Tatsachen an ihnen selbst feststehen. Utz versucht zu zeigen, dass dies nicht der Fall sein kann und dass Möglichkeit und Tatsächlichkeit ihren Ursprung im Zufall haben müssen.[1] Der Übergang ist ursprünglicher als dasjenige, wozwischen er Übergang ist, die Mitte ist der Ursprung der beiden Seiten (nämlich zunächst von Möglichkeit und Tatsächlichkeit, dann von weiteren Differenzierungen), die sich aus ihr auseinandersetzen. Die Entgegensetzung etabliert sich im Eintreten des Zufalls, und sein Eintreten artikuliert sich stets in Entgegensetzung. Für dieses wechselbedingte Eintreten verwendet Utz den Terminus „ingressive Dialektik“.[2] Der Zufall in diesem Sinn ist der Ursprung allen Seins und aller Bestimmung, allen Bewusstseins und aller Werte. Der Zufall fungiert also nicht als Gegenbegriff zur Ordnung – der wäre das Chaos –, sondern stellt Vermittlung von Ordnung und Unordnung, Bestimmtheit und Unbestimmtheit, Bedingtheit und Unbedingtheit dar. Der Zufall selbst setzt Bestimmtheit und Ordnung frei – nur dass diese eben dergestalt niemals vollständig und total sind.
Das Ereignis ist der Zufall in seiner Auseinanderlegung in Raum und Zeit. Als der Ursprung des Seins ist das Ereignis allem kategorial bestimmten Seiendem vorgeordnet, wiewohl es außer diesem nichts, nämlich nicht etwas ist. Andererseits ist alles Seiende konstitutiv unvollständig, nämlich unvollständig begründet und unvollständig bestimmt. Das Sein kann im Einzelnen wie im Ganzen nicht für sich selbst aufkommen und ist nur insofern real, als es im Ereignis eintritt. Dieses Eintreten ist ursprünglich dialektisch, i.e. es artikuliert sich in Differenzierungen, die nicht vollständig auf eine dem Eintreten vorgegebene Gesamtordnung rückführbar sind. Das Ereignis als das dialektische Eintreten ist Mitte und Ursprung des Seins, welches sich aus ihm heraus entfaltet in Vergangenheit und Zukunft, räumliche Dimensionalität und schließlich (in Anlehnung an Kant) in die Kategorien des Individuums, der Funktion, des Sachverhalts und des Gesetzes.
Theorie des Bewusstseins (Subjekt-, Erkenntnis-, Handlungstheorie)
Anton Friedrich Koch schreibt:[4] „Utz geht aus vom logisch-mathematischen Begriff der Funktion […] die auf eine Eingabe von einem oder mehreren Argumenten hin jeweils eine wohlbestimmte Ausgabe als Wert liefer[t]. Eine Kaffeemühle liefert Kaffeemehl, wenn Kaffeebohnen eingegeben werden; die Addition liefert eine Summe, wenn zwei Summanden eingegeben werden usw. Utz erklärt nun das Bewusstsein als eine unterbrochene Funktion. Man schneide, bildlich gesprochen, eine Funktion in der Mitte entzwei und erhält dann zwei Halbfunktionen (in Utz‘ Terminologie zwei asymmetrisch ungleichgültige Bezüglichkeiten), eine vordere und einer hintere Halbfunktion. Beide sind doppelt ungesättigt. Die vordere hat eine oder mehrere Leerstellen für Argumente, und es fehlt ihr die hintere Hälfte. Die hintere hat eine Leerstelle für den Funktionswert, und ihr fehlt die vordere Hälfte. Sie kommen daher nie für sich vor und sind doch grundlegender als ihr zusammengesetztes Ganzes. Das Bewusstsein ist nach Utz nun dadurch charakterisiert, dass nicht eine vordere Halbfunktion durch eine hintere Halbfunktion zu einer Funktion ergänzt wird, sondern dass eine Halbfunktion sich zu einer anderen so verhält wie das Argument zur vorderen oder wie der Wert zur hinteren Halbfunktion. Die Eingabe eines Argumentes in das Bewusstsein führt nicht automatisch weiter zu einer Ausgabe, sondern sie verbleibt in der vorderen Halbfunktion, wird in das Bewusstsein hereingenommen, ist mehr Hereinnahme als Eingabe. Und die Ausgabe des Bewusstseins, eine Tätigkeit, ist nicht der unmittelbare Effekt einer Hereinnahme, sondern erfolgt spontan aus dem Bewusstsein selbst. In der einfachsten Form des Bewusstseins ist also entweder die einer Halbfunktion hereinnehmend, während die ergänzende ausgebende, d.h. die spontan tätige Halbfunktion auf eben diese erstere gerichtet ist und als solche die Aufmerksamkeit darstellt; oder das Verhältnis ist umgekehrt, die spontan-tätige Halbfunktion ist die zugrundeliegende und die hereinnehmende die oblique. Im ersteren Fall sprechen wir von gewahrendem Bewusstsein, im letzteren von wollendem. Dieses Grundmodell, das schon für einen so einfachen Organismus wie einen Wurm gelten mag, wird sodann systematisch ausgebaut und angereichert, so dass in der Folge Intentionalität und dann auch, unter dem Stichwort der Konversion des Bewusstseins, genuine Alterität und damit Intersubjektivität, Gesellschaft und Geist hergeleitet werden können.“
Theorie der Freundschaft
Bewusstes Sein wendet sich anderem bewusstem Sein zu. Dies ist eine ursprüngliche Wendung oder eine Konversion des Bewusstseins:[5] im einfachen, egozentrischen Bewusstsein kann es keinen Grund für diese Konversion geben, noch lässt sie sich aus diesem absehen. Wohl aber lässt sich einsehen, wie das konverse Bewusstsein aus dem egozentrischen entspringt: Dieses letztere wendet seine eigenen Grundzüge, das Erkennen und das Wollen, auf das Gegenüber hin und erfasst es in dieser Wendung als anderes Selbst. Das auf den anderen hingewendete Erkennen ist das Anerkennen, das entsprechende Wollen das Wohlwollen. Bewusstsein von anderem Selbst ist ursprünglich anerkennendes und wohlwollendes Bewusstsein – und in eins damit (egozentrisch) erkennendes und begehrendes. Die Einheit dieser vier Momente kann man mit der Umgangssprache „Lieben“ nennen, wodurch das Wort allerdings einen ganz nüchternen, unspektakulären Sinn erhält. Selbstverständlich kann das bewusste Subjekt in der Folge von der ursprünglichen Anerkennung und dem Wohlwollen abgehen und einen Anderen missachten und ihm übelwollen. Aber die ursprüngliche Konversion bleibt dabei doch unaufhebbar im Hintergrund bestehen und impliziert eine Verpflichtung gegen das andere Selbst. Die Gegenseitigkeit des Liebens ist die Freundschaft, und in ihr vollendet sich das Bewusstsein insofern, als seine inhärente Unvollständigkeit erfüllt wird mit bzw. von einem, das ihm entspricht: dem ihm wohlwollend und anerkennend entgegenkommenden anderen bewussten Sein.
Das Schlusskapitel von „Bewusstsein. Eine philosophische Theorie“ eröffnet den Ausblick auf eine Theorie des Geistes, die unter anderem eine Theorie der Sprache, der Wissenschaft und der Kunst enthalten soll.[6] Dazu liegt allerdings noch keine Ausarbeitung vor.
Literatur
Hauptwerke
- Die Notwendigkeit des Zufalls. Hegels spekulative Dialektik in der „Wissenschaft der Logik“, Paderborn: Schöningh, 2001, 327 Seiten. ISBN 978-3506792143
- Philosophie des Zufalls. Ein Entwurf, Paderborn: Schöningh, 2005, 202 Seiten. ISBN 978-3506713964
- Freundschaft. Eine philosophische Theorie, Paderborn: Schöningh, 2012, 346 Seiten. ISBN 978-3506773982
- Bewusstsein. Eine philosophische Theorie, Paderborn: Schöningh, 2014, 382 Seiten. ISBN 978-3506781239
Ausgewählte Artikel
- Quid mihi? Zur Methode der Grundlegung der Ethik bei Kant. Deutsche Zeitschrift für Philosophie 64 (2016): 213–227.
- Praktische Vernunft in der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 69/4 (2015), 474-501.
- Sankara, Hegel and the Realization of Truth. In: Kuruvilla Pandikattu, Binoy Pichalakkattur, ed., An Indian Ending: Rediscovering the Grandeur of Indian Heritage for a Sustainable Future, Delhi (Indien): Serials Publications, 2013, 211-224. ISBN 978-8183875936
- A subjetividade na „Ciência da Lógica“, in: Veritas (Porto Alegre) 33 (2010), 116-129.
- Filosofia da Amizade: uma proposta, in: Ethic@ 7 (2008), 151-164.
- Die neue Zeit oder Neues Mittelalter, in: Orientierung (Zürich) 12/2008, 139-143.
- Freundschaft und Wohlwollen bei Aristoteles, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 57 (2003), 543-570.
- Absolute Methode?, in: K. Utz, Alexander Oberauer, Anton Friedrich Koch, ed., Der Begriff als die Wahrheit. Zum Anspruch der Hegelschen Subjektiven Logik, Paderborn: Schöningh, 2003, 189-207. ISBN 978-3506792150
Kindergeschichten
- Geschichten von Drache und Bär, mit Illustrationen v. Daniel Napp, Düsseldorf: Sauerländer, 2006. ISBN 978-3794160686
- Auch als Hörbuch, gelesen von H. Gertzen, Freiburg: Basisklang, 2006. ISBN 978-3867425001
- Mehrere weitere Geschichten beim Bayerischen Rundfunk, Radio Mikro, ab 2009.
- In chinesischer Übersetzung: Peking: Dipper 2014.
Weblinks
- Currículo do Sistema de Currículos Lattes (Konrad Christoph Utz) – Utz‘ portugiesischer Lebenslauf auf dem offiziellen brasilianischen Portal „Plataforma Lattes“
- Interview Konrad Utz auf der Kinderbuch-Couch
- Redezeit mit Konrad Utz im WDR5
- Die Philosophie des Zufalls: Ordnung und Ereignis | radioWissen | Wissen | Bayern 2 | Radio | BR.de
Einzelnachweise
- ↑ K. Utz, Philosophie des Zufalls. Ein Entwurf, Paderborn 2005, 38-41.
- ↑ K. Utz, Philosophie des Zufalls. Ein Entwurf, Paderborn 2005, 89-110.
- ↑ Zum ersten mal in: K. Utz, Die Notwendigkeit des Zufalls. Hegels spekulative Dialektik in der „Wissenschaft der Logik“, Paderborn 2001, 306.
- ↑ A. Koch, Hermeneutischer Realismus, Tübingen 2016, 72-74.
- ↑ K. Utz, Freundschaft. Eine philosophische Theorie, Paderborn 2012, 63-83.
- ↑ K. Utz, Bewusstsein. Eine philosophische Theorie, Paderborn 2014, 365-375.
Personendaten | |
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NAME | Utz, Konrad |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Philosoph |
GEBURTSDATUM | 1968 |