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RBMK

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Ein RBMK (russische Abkürzung für Реактор Большой Мощности Канальный (reaktor balschoi moschnosti kanalnui), in etwa Hochleistungs-Reaktor mit Kanälen) ist ein Kernreaktor sowjetischer Bauart. Der bekannteste RBMK ist der Reaktorblock Nr. 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl, in dem sich am 26. April 1986 ein schwerer Unfall mit bis heute andauernden Folgen ereignete. Dabei handelte es sich um den Typ RBMK 1000. Die Zahl 1000 steht für die maximal mögliche elektrische Leistung des Reaktors in Megawatt (MW). Die dabei anfallende Heizleistung ist etwa dreimal so hoch.

Der Reaktortyp RBMK wurde Mitte der 1960er Jahre in der Sowjetunion entwickelt. Dabei konnte man auf Erfahrungen mit den ersten sowjetischen Kernkraftwerken Obninsk und Bjelojarsk zurückgreifen. Ziel war es, in relativ kurzer Zeit und ohne größere Investitionen in die Entwicklung neuer Technologien eine größere Anzahl von Leistungsreaktoren zu errichten. Ein weiterer Vorteil der RBMKs war es, binnen kurzer Zeit größere Mengen waffenfähiges Plutonium zu erzeugen.

Beim RBMK handelt es sich um einen graphitmoderierten Siedewasser-Druckröhrenreaktor. Anstelle eines Druckbehälters besitzt er eine große Anzahl von Druckröhren (über 1600), in denen sich der Kernbrennstoff befindet. Durch Kernspaltung entsteht Wärme, welche durch Wasser aufgenommen wird und in weiterer Folge durch Regelstäbe kontrolliert verdampft. Dieser Wasserdampf wird durch Dampfabscheider geleitet, um mitgerissenes Wasser in den Reaktor zurückzuführen. Der Sattdampf wird durch Turbinen geleitet, und somit elektrischer Strom erzeugt.

Als Vorzüge dieses Reaktortyps wurden gesehen:

  • stetige Kontrolle jedes einzelnen Druckrohrs,
  • einfache Möglichkeit, die Gesamtleistung durch Hinzufügen weiterer Druckrohre zu erhöhen,
  • Möglichkeit, den Brennelementwechsel während des Betriebs durchzuführen. Dadurch konnte man längere Wartungsperioden vermeiden und schnell große Mengen an waffenfähigem Plutonium gewinnen, was nur möglich ist, wenn sich die Brennelemente nur kurz im Reaktor befinden, da sonst durch Neutroneneinfang nicht spaltbares Plutonium entsteht.

Nachteile:

  • Der Dampfblasenkoeffizient (oder Void-Effekt) ist positiv, und somit ist die Kettenreaktion der Kernspaltung schwer zu kontrollieren
  • das Fehlen eines Schnellabschaltsystems, das heißt, dass die Regelstäbe im Ernstfall viel zu langsam einfahren
  • das Fehlen wichtiger Sicherheitsbarrieren wie ein Druckbehälter oder ein Betonsicherheitsmantel (Containment)
  • extreme Freisetzung von Radioaktivität auch während des Normalbetriebs (daher wurden RBMK-Reaktoren nur in der ehemaligen Sowjetunion und nur an großen Gewässern gebaut)
  • fehlende Redundanz der Kontroll- und Sicherheitseinrichtungen
  • Der sowjetischen Reaktorbauphilosophie entsprechend wurden dem menschlichem Operator mehr Kompetenzen zugewiesen als der automatischen Steuerung. Dadurch konnte die Verkettung von Fehlentscheidungen, die zur Katastrophe von Tschernobyl führte, ihren Lauf nehmen.
  • Bedeutendster Nachteil ist jedoch die Tatsache, dass als Moderator Graphit, als Kühlmittel jedoch Wasser zum Einsatz kommt – im Gegensatz zu Leicht- bzw. Schwerwasserreaktoren, in denen Wasser beide Aufgaben erfüllt. Kommt es zu einer Überhitzung, bei der Wasser verdampft, sinkt die Kühlwirkung bei beiden Bauarten. Bei den Wasserreaktoren sinkt dabei gleichzeitig die Moderatorwirkung, so dass auch die Leistung abnimmt. Bei RBMK-Reaktoren läuft dagegen die Kettenreaktion aufgrund der Hitzebeständigkeit von Graphit so lange weiter, bis das Brennelement wieder herausgenommen wird oder die Steuerstäbe (fangen langsame Neutronen ein) eingefahren werden. Dadurch kann es konstruktionsbedingt sogar zu einer Leistungssteigerung kommen. Dies kann zu schwer kontrollierbaren Situationen führen und war einer der Gründe des GAUs von Tschernobyl.

Kernkraftwerke des Typs RBMK wurden nur auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion errichtet. Ihre Standorte liegen heute in Litauen (Ignalina), Russland (Kursk, Smolensk, Sosnowi Bor) und der Ukraine (Tschornobyl). Noch 1983 wurde in Kostroma im heutigen Russland mit dem Bau eines RBMK-Reaktors begonnen. Das Projekt wurde jedoch nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl zugunsten von Planungen für einen Reaktor vom Typ WPBER-600 aufgegeben.

Nach dem Unfall von Tschernobyl wurden bei zahlreichen Reaktoren Verbesserungen durchgeführt, um einen derartigen Unfall unwahrscheinlicher zu machen. Die Einfahrzeit der Kontrollstäbe wurde von ca. 20 Sekunden auf 2 Sekunden reduziert, große Teile der Kontroll- und Sicherheitseinrichtungen wurden redundant angelegt, bei einigen Reaktoren, speziell Leningrad 1 und 2, wurde ein Notkühlsystem eingerichtet. Weiterhin wurden die Reaktortanks verstärkt.

Siehe auch

Literatur

  • Tschernobyl – Zehn Jahre danach. Der Unfall und die Sicherheit der RBMK-Anlagen, Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit, Köln, 1996, (GRS; Bd. 121), ISBN 3-923875-74-6