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Heeresversuchsanstalt Peenemünde

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Nachbau einer V2-(A4) Rakete
Die Frau im Mond an der V2
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Modell des Prüfstands VII

In Peenemünde auf Usedom wurde 1936 eine Heeresversuchsanstalt errichtet, die 1938 durch eine Erprobungsstelle der deutschen Luftwaffe ergänzt wurde.

Auf den Raketenstartplätzen wurden insbesondere die Modelle V1 und V2 unter Leitung von Walter Dornberger und Wernher von Braun entwickelt und getestet; Abteilungsleiter für Steuerung und Lenkung war Helmut Gröttrup.

Die wichtigste Abschussrampe für V2-(A4) Raketen war der Prüfstand VII. Von Peenemünde aus erfolgten aber nur Versuchsstarts, da sowohl die Flugbombe V1 (Fi-103) als auch die ballistischen Rakete V2 (Aggregat 4) eine zu geringe Reichweiten aufwiesen, um von Peenemünde aus geeignete feindliche Ziele erreichen zu können.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieg unterhielt die UDSSR bis 1952 einen sowjetischen Marine- und Luftwaffenstützpunkt, dann wurde das Gelände der NVA der DDR übergeben. Auch nach der Deutschen Wiedervereinigung von 1989 blieb das Gebiet noch bis 1990 ein militärisches Sperrgebiet.

Geschichte

Da in Kummersdorf keine großen Raketen gestartet werden konnten, mußte ein geeignetes Gelände gefunden werden. Major Walter Dornbergers Projektabteilung "WaPrüf 11" führte diese Standortsuche durch und wurde in den Weihnachtstagen 1935 fündig. Angeblich soll die Mutter von Wernher von Brauns als gebürtige Anklamerin den Tipp für Peenemünde an der Nordspitze Usedoms gegeben haben. Der "Peenmünder Haken", an dem schon der schwedische König Gustav II. Adolf im Dreißigjährigen Krieg gelandet war, liegt nördlich von Zinnowitz beim Fischerdorf Peenemünde, die Gegend war einsam und bot die Möglichkeit längs der Pommerschen Küste in Richtung Ost-Nord-Ost Raketen abzuschiessen und deren Flug von der Insel Ruden bis zu 400 km zu beobachten.

Im Frühjahr 1936 konnte nach einer Besichtigung des Raketenprojekts in Kummersdorf der Oberbefehlshaber des Heeres Generaloberst Werner von Fritsch überzeugt werden und im April gelang es auch die Luftwaffe an dem Projekt zu beteiligen, da General Albert Kesselring ursprünglich aus dem Heer stammte. Aus Mitteln des Reichsluftfahrtministeriums wurde für 750.000 RM das Gelände erworben, Heer und Luftwaffe wollten sich die Projekt und Betriebskosten teilen.

Ab Sommer 1936 begann die Errichtung der Anlagen im Stil üblicher Luftwaffenstützpunkte und Fliegerhorste. Das Gelände wurde mit 25 km Schienen, drei Häfen und zahlreichen Strassen infrastrukturell erschlossen; zwischen 1937 bis 1940 wurden etwa 550 Mio. RM in die Heeresversuchsanstalt investiert.

Bereits im Mai 1937 konnten das Heer die ersten 90 Mitarbeiter von Kummersdorf nach Peenemünde ins "Werk Ost" verlegen, 1938 folgte die Luftwaffe ins "Werk West".

Sehr spät wurden die Briten auf das Projekt aufmerksam und versuchten es mit der "Operation Hydra" am 17. August 1943 zu zerstören, was aber nicht gelang. Die Massenherstellung wurde nach dem britischen Luftangriff schnell in unterirdische Produktionsstätten (z.B. Mittelbau-Dora) verlegt.

Es wurden in Peenemünde weiterhin A4-Raketen - bald auch V2 genannt - gestartet. Bis zur Einstellung des Startbetriebs wegen der vorrückenden sowjetischen Streitkräfte sind in Peenemünde und auf der zur Versuchstelle gehörenden Insel Greifswalder Oie 282 Raketen gestartet worden, davon 175 vom Prüfstand VII.

Hauptsächlich zum Zweck der Ausbildung der Raketeneinheiten und aus Tarnungsgründen wurden zahlreiche Versuchsstarts der A4-Rakete auch in Blizna und in der Tucheler Heide durchgeführt. Walter Dornberger suchte danach noch nach weiteren Orten zum Aufbau einer Versuchsstation und zur Ausbildung von Soldaten an der Raketenwaffe: u.a. in den Wäldern bei Wolgast, im Weserbergland und in der Nähe von Liebenau bei Nienburg, allerdings kam es nur noch zu zwei Versuchsstarts in der Nähe dieses Orts Anfang April 1945.

Am 17. Februar 1945 begann die Räumung des Geländes und die Evakuierung konnte bis Anfang März abgeschlossen werden. Peenemünde und Heeresversuchsanstalt wurden am 4. Mai 1945 von sowjetischen Truppen besetzt. Diese demontierten die größtenteils noch erhaltenen Anlagen bis 1946 und transportierten sie in die UdSSR. Nicht demontierte Anlagen wurden durch eine deutsche Firma gemäß Beschluß des Alliierten Kontrollrats gesprengt. Die "Sowjetische Militäradministration" für Mecklenburg legte fest, daß die Baumaterialien den Neubauern kostenfrei zur Verfügung gestellt wurden.

1945-1952 war Peenemünde sowjetischer Marine- und Luftwaffenstützpunkt. 1952 erfolgte die Übergabe des Stützpunkts an die NVA der DDR u.a. als Marinestützpunkt der 1. Flottille der NVA.

Bis 1990 war der gesamte nördliche Bereich der Insel Usedom bis hinunter nach Karlshagen Sperrgebiet der Nationalen Volksarmee (NVA), die dort einen wichtigen militärischen Flugplatz betrieben hat. Der schon zur einstigen Heeresversuchsanstalt gehörende Flugplatz wurde 1961 erweitert, so dass er auch von Düsentriebflugzeugen des "Jagdgeschwaders 9" der NVA genutzt werden konnte.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands erfolgte 1993 die Auflösung des Truppenstandortes.

Der Stein den Anstosses

Auswirkungen und Bedeutung

In Peenemünde wurden zahlreiche technische Pionierleistungen vollbracht: es wurde nicht nur die erste Großrakete gestartet, die in den Weltraum vorstoßen konnte, sondern es wurde auch die erste Anlage des industriellen Fernsehens zur Übertragung der Raketenstarts in den Kontrollbunker installiert.

Allerdings wurde dieser technische Fortschritt im wahrsten Sinne des Wortes mit Blut bezahlt; allein die Errichtung und die anschließende Produktion der V2 im Mittelbau-Dora kostete rund 20.000 Häftlinge das Leben. Auch in der Nähe der Versuchsanstalt auf Peenemünde bei Karlshagen im Lager Trassenheide waren zumeist sowjetische Kriegsgefangene zur Zwangsarbeit inhaftiert. Obwohl selbst durch die "Operation Hydra" am 17. August 1943 schwer getroffen, mußten sie die Aufräumarbeiten in der Heeresversuchsanstalt nach dem schweren britischen Luftangriff leisten.

Noch heute wird dieser "blutige" Teil der Raumfahrtgeschichte gerne verdrängt; den beteiligten Wissenschaftlern war der Einsatz von KZ-Häftlingen und deren Existenzbedingungen bekannt.

Durch den militärischen Einsatz der V2 selbst kamen etwa 8.000 überwiegend zivile Personen ums Leben.

Peenemünde (inclusive seiner Ableger) blieb nicht der einzige Ort in Deutschland, von dem aus größere Raketen gestartet wurden. Auch im Wattengebiet von Cuxhaven (u.a. Operation Backfire) und auf dem ehemaligen NVA-Übungsplatz auf der Halbinsel Zingst wurden Raketen gestartet.

Das demontierte Material und Personal bildete sowohl in der UDSSR als auch im Westen Grundlage der dortigen Raketenprojekte. Ohne Werner von Braun wäre die Geschichte der amerikanischen NASA wohl eine andere gewesen, denn ohne die Versuchsanstalt Peenemünde hätte es eine Mondlandung durch die US-Amerikaner im Jahre 1969 kaum gegeben.


Das Kraftwerk
Hofansicht auf das Kraftwerk
Das Kraftwerk, das Förderband

Anlage

Am nordwestlichen Ende des Flugplatzes sind noch einige Überreste von Startstellen für die Flugbombe V1 erhalten. Sie können im Rahmen von Busrundfahrten, die auf dem Flugplatz stattfinden, besichtigt werden.

Ebenfalls in Betrieb ist noch die Eisenbahn Zinnowitz—Peenemünde, die einst den Beschäftigten der Heeresversuchsanstalt als Verkehrsmittel diente. Allerdings wird sie heute nicht mehr, wie von 1943 bis zum 21. April 1946, elektrisch mit Gleichstrom von 1200 Volt und Oberleitung betrieben. Die Wagen gelangten als Peenemünder Schnellbahnzüge zur Berliner S-Bahn und wurden bis 1952 in die bestehenden Baureihen integriert.

Noch heute erkennt man die einstigen Bahnsteige der Werkbahn. Sie sind in Form von Betonmauern aus Fertigelementen neben der Bahnlinie erhalten, die zum Teil abgekippt werden mussten, um modernen Zügen die Durchfahrt zu gestatten.

Bis zu Beginn der 90er Jahre war auch noch das Anschlussgleis des Flugplatzes für Schienenfahrzeuge befahrbar, allerdings wurde die Anschlussweiche mittlerweile ausgebaut.

Am Ortseingang von Peenemünde befindet sich die Ruine des Sauerstoffwerkes. In dieser Anlage wurde der als Oxidator für die A4 benötigte Flüssigsauerstoff durch Luftverflüssigung gewonnen.

Vom Prüfstand VII, dessen Areal noch heute nicht für die Öffentlichkeit zugänglich ist, ist nur noch die Umwallung, die Betonplatte auf der die Startversuche stattfanden, und der Abgaskanal für statische Brennversuche, in dem sich heute ein Teich befindet, vorhanden.

Alleine das Kraftwerk blieb bis 1990 in Betrieb. Darin ist das Historisch-Technisches Informationszentrum untergebracht, welches an die Anfänge der modernen Raketentechnik erinnert und Ankerpunkt der Europäischen Route der Industriekultur (ERIH) ist.

Zwischen Peenemünde und Karlshagen überquert eine zweikreisige 110kV-Drehstrom-Freileitung die Peene, deren 75 Meter hohe Masten sehr weit sichtbar sind. Diese Leitung wurde zu Beginn der 50er Jahre gebaut, um den im Wärmekraftwerk Peenemünde erzeugten Strom, der nach Auflösung der Heeresversuchsanstalt zum größten Teil nicht mehr auf Usedom gebraucht wurde, effektiv zum Festland abzuführen. Später wurde von dieser Leitung eine Stichleitung zum Umspannwerk Karlshagen errichtet. Nach der Stillegung dess Kraftwerk 1990 wurde die 110-kV-Freileitung vom Abzweig der Stichleitung nach Karlshagen zum Kraftwerk Peenemünde abgebaut, so dass die über die Peene führende 110-kV-Drehstromleitung nur noch das Umspannwerk Karlshagen speist.


Siehe auch

Literatur

  • Volkhard Bode, Gerhard Kaiser: Raketenspuren. Peenemünde 1936-1996 - Eine historische Reportage mit aktuellen Fotos. Christoph Links Verlag - LinksDruck GmbH, Berlin 1996, ISBN 3-86153-112-7
  • Joachim Engelmann: Geheime Waffenschmiede Peenemünde. V2-"Wasserfall"-"Schmetterling", Podzun-Pallas-Verlag Friedberg, ISBN 3-7909-0118-0
  • Bernd Kuhlmann: Peenemünde - Das Raketenzentrum und seine Werkbahn, GVE-Verlag, Berlin, 2. Auflage 2003, ISBN 3892180814