Dorfkirche Ruchow

Die frühgotische Dorfkirche Ruchow ist ein denkmalgeschütztes Kirchengebäude in Ruchow, einem Ortsteil der Gemeinde Mustin im Landkreis Ludwigslust-Parchim (Mecklenburg-Vorpommern). Das Bauwerk gehört zur Kirchgemeinde Witzin in der Propstei Wismar im Kirchenkreis Mecklenburg in der Nordkirche.
Geschichte
Das Kirchdorf Ruchow wurde am 27. Oktober 1234 erstmals urkundlich erwähnt Ruchow Ecclesia cum Omnibus pertinentii suis. Bischof Brunward von Schwerin verlieh dem Nonnenkloster Dobbertin neben der freien Wahl des Propstes auch das Archidiakonat über die Kirche zu Ruchow. [1] Fürst Heinrich der Löwe weilte 1320 in der Kirche zu Ruchow Datum in ecclesi ville Rochowe und erließ dort eine Urkunde in Angelegenheiten des Klosters zum Heiligen Kreuz in Rostock mit dem Ankauf des Dorfes Bandow. [2] Mitte des 14. Jahrhunderts saßen die Ritter von Brüshaver auf Ruchow und stifteten 1357 der Kirche zu Ruchow eine Vikarie, die mit erheblichen Einkünften aus Ruchow und Groß Upahl ausgestattet war. Sie wurde 1357 durch Fürst Nikolaus III. genehmigt vnam kotam cum sua area sitam apud ecclesiam Ruchow und 1367 durch den Schweriner Bischof Friedrich II. von Bülow bestätigt. [3] Das alles geschah zu besonderen Ehren der Heiligen Jungfrau Maria, ihrer Mutter Anna, des Heiligen Nikolaus und der Heiligen Agnes. Am 25. April 1414 war Nicolaus Schakke als Priester und Vikar zu Ruchgouw (Ruchow) Zeuge einer Pfändung in den Dörfern Lentzen (Lenzen) und Lennewitz (Lähnwitz) wegen Schulden des Herrn Rodenbeke. [4]
Die ständigen Streitigkeiten mit dem klösterlichen Konvent aus Dobbertin um das Kirchenpatronat wurden erst 1601 beigelegt. 1616 ging dann das Gut und das Kirchenpatronat an die von Parkentin über, welche ab 1605 weitere 130 Jahre die Güter Bolz und Tieplitz besaßen. Jahrelangen Zwist gab es auch beim Verstummen des Grabgeläut für die Verstorbene. Der Patron der Ruchower Kirche war um 1620 Barthold von Parkentin auf Bolz. Da sich die von Cramon auf Borkow und Mustin mit einer Beihilfe zur Erneuerung des Kirchturmes weigerten, versagten diese das Glockengeläut bei deren Beerdigungen. Die Versagung des Geläutes wurde als schwere Kränkung empfunden. Man klagte beim Herzog Adolf Friedrich, dort wurde das Verfahren anschließend bei Gericht verschleppt und Claus von Cramon kam immer noch nicht unter die Erde. Zum Ausgang des Streits fehlen die Akten. [5] 1648 gab es zwischen der Kirche und den von Parkentin in Ruchow Probleme wegen der Beschulung der Dorfkinder.
1737 ging der Güterbesitz an den preußischen Kammerherrn Gebhard Ludwig Friedrich von Bredow. 1767 war der Domänenrat Ludwig von Eldenhorst, ab 1789 die von Behr-Nagendank, 1792 die von Pritzbuer und ab 1794 die von Schaumburg-Lippe Besitzer von Ruchow. Nach 1866 soll es in Ruchow eine Ritterschaftliche Küsterschule gegeben haben. [6]
Baugeschichte
Die Feldsteinkirche mit dem Langhaus wurde um 1275 erbaut[7]. Sie ist ein für diese Zeit und in der Gegend typischer einschiffiger Feldsteinbau von zwei Jochen mit einem eingezogenen, quadratischen Kastenchor von 1267 [8] im romanisch-gotischen Übergangsstil.
Das Untergeschoss des eingezogenen Westturmes vom Ende des 14., Anfang des 15. Jahrhunderts besteht aus Feldsteinen. Das auf 1614 [9] datierte Turmobergeschoss als verbretterter, hölzerner Aufsatz hat eine schlanke, recht wunderlich wirkende Kirchturmspitze. Die Schiefstellung des Spitzenhelmes ist unverkennbar, ebenso das hohe Rücksprungsportal als Eingangspforte. Nach einer Sage soll die erste Kirche noch ohne Turm erbaut worden sein. Die Brüsehaver versprachen den Baumeistern eine Belohnung für denjenigen, der am schnellsten die Kirche in Witzin, Groß Raden oder Ruchow fertig hatte, daher hatte die Ruchower zuerst keinen Turm. [10]
Am aus Backsteinen gemauerten Chorgiebel befindet sich über dem Zahnfries ein großes Rippenkreuz und zu beiden Seiten Spitzbogenarkaden mit Halbsäulen und kleinen Kapitellen und an den Dachschrägen noch steigende Dreieckblenden. Der Backsteingiebel wird wie die beiden Langhausseiten durch Fenster als gestaffelte Dreiergruppe mit schräg eingehender Laibung aufgelockert. Die Domikalgewölbe mit den Scheitelringen im Kirchenschiff und Chor sind durch einen spitzbogigen Triumphbogen getrennt.
1815 war der Kirchturm baufällig und drohte einzustürzen, da heftige Windstürme die Holzaufsätze vom Turmsockel weggeschoben hatten. Nach dem Abbruch des Turms sollte wegen der leeren Kirchenkasse neben der Kirche nur ein einfacher Glockenstuhl errichtet werden. Um die Verunstaltung zu vermeiden, ließ 1820 der damalige Kirchenpatron Fürst Georg Wilhelm von Schaumburg-Lippe durch den Landbaumeister Brandt den Turm erneuern und das Innere für fast 1500 Reichstaler umfassend restaurieren, woran eine Tafel in der Kirche erinnert. Bis 1825 führte Dr. Voss aus Güstrow als Bevollmächtigter der Fürstlich Schaumburg-Lippeschen Rentenkammer gegen das Klosteramt Dobbertin einen Prozess wegen verweigerter Beiträge zur Reparatur des Kirchturms. [11] Bei einem Sturm nach 1870 brach die Spitze ab und wurde um so schlanker wieder errichtet. Neben der Eingangstür soll sich im Mauerwerk eine steinerne bronzezeitliche Reibmühle befinden.
1930 soll der Kirchturm als Ersatz für Holzschindeln mit Zinkblech gedeckt worden sein. [12]
Nach 1960 wurde der Turm um etwa sechs Meter gekürzt. Er erhielt ein Notdach; das Dachwerk hatte man nach 1980 durch eine Stahlkonstruktion gegen Absturz gesichert. [13] Das Dachwerk und die angrenzenden Mauerwerksbereiche des Chores konnten ab 2005 instand gesetzt werden.
Ausstattung
In der Ostwand des Chores ist ein gotischer Eucharistie-Schrank mit Tür und Giebelbogen eingebaut, der zur Aufbewahrung der Abendmahlsgeräte und wohl auch als Tabernakel diente.
Ein gotisches Triumphkreuz, wohl Anfang 14. Jahrhundert, das ursprünglich unterhalb des Triumphbogens zwischen Kirchenschiff und Chor angebracht war, befand sich Anfang des 20. Jahrhunderts an einer Wand im Chor. Heute hängt es wieder an seinem ursprünglichen Ort.
Das Altargemälde im ovalen Akanthusrahmen in dem prachtvoll geschnitzten Altaraufsatz um 1700 stellt die Kreuzabnahme Christi mit einer Kopie nach Peter Paul Rubens dar. In der Predella sind Gethsemane und die Grablegung dargestellt.
In den Kirchenfenstern befindet sich eine Reihe von Familien-Wappen derer von Brüshaver und von Restorff.
Im Zuge der Gewölbesicherungsarbeiten wurden 2008 Malereibefunde freigelegt. Die figürlichen und ornamentalen Darstellungen mehrerer Apostel und Heiliger mit einem hohen liturgischen Symbolgehalt konnten 2009 restauriert werden.
Orgel
Die Orgel (I/P/7) auf der Empore der Kirche stammt in ihrem Ursprung aus der Werkstatt des Orgelbauers Joachim Richborn aus Hamburg. Das Orgelpositiv mit fünf Registern entstand 1684 [14] [15] und gehörte der Reformierten Gemeinde in Bützow, die ihre Gottesdienste in der Schlosskapelle feierten. [16]
1794 ermöglichte eine großzügige Spende der Fürstin Juliane zu Schaumburg-Lippe den Erwerb des Positivs für 150 Reichstaler. [17] Im Februar 1796 wurde sie durch den Orgelbaumeister Heinrich Schmidt aus dem Kloster Dobbertin aufgestellt [18] und dabei um zwei Register sowie Pedal erweitert. [19]
1820 war die Orgel renovierungsbedürftig und wurde nach ihrem Totalausfall 1825 durch den Güstrower Orgelbauer Friedrich August Noebe 1827 repariert. Nach einer Inschrift am Orgelgehäuse erfolgte 1939 eine weitere Renovierung.
Am 6. Oktober 2014 wurde die Orgel abgebaut, das Positiv kam zur Restaurierung nach Dresden zum Orgelbau Jehmlich und die Schmidt-Orgel nach Lübeck zum Orgelbauer Reinalt J. Klein. [20] Nach Abnahme der Orgel wurde im Sommer 2015 die Bemalung an der Westwand durch den Rostocker Restaurator Heiko Brandner gereinigt und gefestigt. Die Draperie wirkt von unten wie eine Stoffbespannung, bei der sich die Kordeln bewegen würden. [21]
Das restaurierte Richborn-Positiv von 1684, nun als älteste Orgel Mecklenburgs bezeichnet, kehrte Anfang November 2015 nach Ruchow zurück und wurde im Altarraum aufgestellt. Die Einspielprobe nahm der Orgelsachverständige Friedrich Drese vor und spielte natürlich zuerst ein Stück aus der Zeit des Hochbarocks und zeigte dann, dass auch Werke von Johann Sebastian Bach (Barock) und Felix Mendelssohn Bartholdy (Romantik) auf der Orgel klingen. [22] Die Neueinweihung beider Orgeln fand am 4. Juni 2016 mit Orgelsegnung durch den Schweriner Oberkirchenrat Andreas Flade und einem Festkonzert im Beisein des Ministerpräsidenten Mecklenburg-Vorpommern Erwin Sellering statt. Auf der sich nun an der Nordseite des Chores befindenden Richborn-Orgel spielte Prof. Klaus Eichhorn aus Berlin und auf der Schmidt-Orgel der Orgelsachverständiger des Kirchenkreises Mecklenburg und Leiter des Mecklenburgischen Orgelmuseum in Malchow Friedrich Drese. [23]
Glocke
Die 1720 von Michael Beguhn gegossene Glocke bekam 1828 einen Riss und wurde durch einen Glockengießer in Rostock repariert. 1830 hatte auch der Lübecker Ratsgießmeister Friedrich Wilhelm Hirt eine neue Glocke gegossen.
Eine alte zerbrochene und im Turm gelagerte Glocke sollte 1801 verkauft werden. Sie war in zwei Stücke geborsten, die eine Hälfte hing sogar noch im Getriebe. Die Glockenteile wurden aber erst 1810 auf dem Jahrmarkt in Schwerin öffentlich versteigert und an einen jüdischen Händler für 464 Reichstaler abgegeben. Der Verkaufserlös kam in die Kirchenkasse.
Kirchhof
Ernst August Ludwig Reinhard, geboren am 9. April 1805 in Mustin i. L., war Lehrer und 1848 Mitglied der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche. Er starb am 19. Juli 1877 in Bolz und wurde auf dem Friedhof in Ruchow bestattet.
Gemeinde
Ruchow gehört zur Kirchgemeinde Witzin mit den Dörfern Bolz, Buchenhof, Diedrichshof, Groß Raden, Klein Raden, Lenzen, Loiz, Lübzin, Rosenow und Tieplitz.
Besonderheiten
Die Kirchturmspitze war schon lange schief. Sogar in einer Sage wurde darüber eine Erklärung gesucht. Es wird erzählt, dass zu Zeiten derer von Brüshaver ein Schatz im Kirchenfundament vergraben sei. Der Patron von Parkentin hatte einen Riesen bei der Suche erwischt und verjagt. Aus Rache warf dieser einen großen Stein, den kaum zehn Pferde fortbewegen konnten, nach dem Alten. Doch der Stein traf nur die schlanke Kirchturmspitze, die seitdem schief steht. Der Stein flog weiter in den Ruchower See, wo sich heute die kleine Insel befindet. [24]
Quellen und Literatur
Gedruckte Quellen
Ungedruckte Quellen
- Landeskirchliches Archiv Schwerin
- Specialia Abt. 2. Nr. 264 Ruchow, Abt. 4. Nr. 626 Ruchow.
- Landessuperintendentur Wismar, Specialia.
- Landeshauptarchiv Schwerin
- LHAS 1.5-4/3 Urkunden Kloster Dobbertin
- LHAS 3.2-3/1 Landeskloster Dobbertin
- LHAS 5.12-7/1 Mecklenburg-Schwerinsches Ministerium für Unterricht, Kunst, geistliche und Medizinalangelegenheiten
Literatur
- Friedrich Schlie: Die Kunst- und Geschichts-Denkmäler des Grossherzogthums Mecklenburg-Schwerin, Band 4: Die Amtsgerichtsbezirke Schwaan, Bützow, Sternberg, Güstrow, Krakow, Goldberg, Parchim, Lübz und Plau. Schwerin 1896, S. 165 f. Vorlage:IA
- Gerd Steinwascher: Der erste Besitz des Hauses Schaumburg-Lippe in Mecklenburg. Die Güter Bolz, Trieplatz und Ruchow. In: MJB 105 (1985) S. 69-128.
- Horst Alsleben: Die untypische Kirchturmspitze. In: Mecklenburg 1996 Band 38, 10 S. 18.
- ZEBI eV., START eV.: Dorf- und Stadtkirchen im Kirchenkreis Wismar-Schwerin. Bremen, Rostock 2001. ISBN 3-86108-753-7 S. 82–83.
- Georg Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Mecklenburg-Vorpommern. München, Berlin 2000.ISBN 3-422-03081-6 S. 501.
- Tilo Schöfbeck: Das Land Sternberg im Mittelalter (7. - 13. Jh.). Genese einer Kulturlandschaft im Gebiet der Warnower. In: Slawen und Deutsche im Hochmittelalter östlich der Elbe. Band 8, Studien zur Archäologie Europas, Bonn 2008 ISBN 978-3-7749-3485-6
- Tilo Schöfbeck: Mittelalterliche Kirche zwischen Trave und Peene. Berlin 2014 ISBN 978-3-86732-131-0
- Rüdiger Rump: Ruchow durch Orgel international. SVZ Schwerin, Anzeiger für Sternberg, Brüel, Warin. 6. Juni 2016.
- Rüdiger Rump: Holzwurm im Altar - Orgel bedroht. SVZ Schwerin, Anzeiger für Sternberg, Brüel, Warin. 31. August 2016.
Einzelnachweise
- ↑ MUB I. (1863) Nr. 425
- ↑ MUB V. (1870) Nr. 4233.
- ↑ MUB XIV. (1886) Nr. 8321, MUB XVI. (1893) Nr. 9673, 9701.
- ↑ LHAS 1.5-4/3 Urkunden Kloster Dobbertin Reg. Nr. 99.
- ↑ Ulrich Graf von Oeynhausen: Geschichte des Ritterschaftlichen Gutes Mustin, Amts Sternberg. 1905, S. 34–35.
- ↑ LHAS 5.12-7/1 Mecklenburgisch-Schwerinsche Ministerium für Unterricht, Kunst, geistliche und Medizinalangelegenheiten. Nr. 4417 Landschulen.
- ↑ Tilo Schöfbeck: Dendrotaten aus Kirchen zwischen Trave und Peene. 2014 S. 364.
- ↑ Tilo Schöfbeck: Dendrodaten aus Kirchen zwischen Trave und Peene. 2014 S. 364.
- ↑ Tilo Schöfbeck: Dendrodaten aus Kirchen zwischen Trave und Peene. 2014 S. 364.
- ↑ Burghard Keuthe: Parchimer Sagen. Teil 2, Parchim 1997 ISBN 3-932370-27-9 S.113.
- ↑ LHAS 3.2-3/1 Landeskloster Dobbertin, Nr. 4155-4158.
- ↑ Adolf Friedrich Lorenz: Denkmalpflege in Mecklenburg, In: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, Band 95 (1931), S. 184-198.
- ↑ Horst Alsleben: Für Kirchturm ist Hilfe notwendig. SVZ Sternberg 3. August 1996
- ↑ Baujahr nach Balgeninschrift
- ↑ Roswitha Spöhr: Ihre Klänge mögen viele erfreuen. SVZ Schwerin, Anzeiger für Sternberg, Brüel, Warin. 5. November 2015.
- ↑ Friedrich Drese: Mecklenburgisches Orgelmuseum, Malchow, Mitteilung vom 29. Oktober 2013.
- ↑ Gabriele Struck: Sensation: Wertvolle Orgel entdeckt. Richborn-Orgel aus dem 17. Jahrhundert in Ruchow gefunden. Schweriner Volkszeitung, 5. November 2013, S.5.
- ↑ LHAS 3.2-3/1 Kloster Dobbertin. 3185, Nachlaß des Orgelbaumeisters Schmidt 1797/98 aus Dobbertin.
- ↑ Mecklenburgisches Orgelinventar
- ↑ SVZ Schwerin, Anzeiger für Sternberg, Brüel, Warin 6. September 2014
- ↑ Rüdiger Rump: Neuer Wandschmuck für alte Orgel. SVZ Schwerin, Anzeiger für Sternberg, Brüel, Warin. 19. September 2015
- ↑ Älteste Orgel Mecklenburg-Vorpommerns ist zurück, Meldung des NDR vom 3. November 2015, abgerufen am 3. November 2015
- ↑ Rüdiger Rump: Ruchow durch Orgeln international. SVZ Schwerin, Anzeiger für Sternberg, Brüel, Warin. 6. Juni 2016.
- ↑ Burghard Keuthe: Parchimer Sagen. Teil 2, Parchim 1997 ISBN 3-932370-27-9 S. 176.
Weblinks
Koordinaten: 53° 42′ 50,8″ N, 11° 58′ 59,6″ O