Volksentscheid
Bei einem Volksentscheid entscheiden die stimmberechtigten Bürger in einer Abstimmung (lat. Referendum - Abstimmung durch eine Volksbefragung) über eine Verfassungs- oder Gesetzesänderung. Es entscheidet hierbei die einfache oder eine qualifizierte Mehrheit über Annahme oder Ablehnung des Gesetzentwurfs. Manchmal wird auch der Begriff "Plebiszit" synonym verwendet (lat. plebs = Menge, aber auch Pöbel und Bürgerstand), womit jedoch zumeist nur Volksentscheide gemeint sind, die von "oben", also von der Exekutive, eingeleitet werden.
Kurzstatus auf: Volksgesetzgebung (enthält auch Information über Österreich)
Argumente zum Volksentscheid
Pro Volksentscheid
- Zufriedenheit: Volksentscheide dienen der Autonomie der Bürger.
- Parteienabsolutismus lösen: Die Demokratie ist zur Zuschauerdemokratie geworden. Das Volk ist auf Akklamation bei Wahlen reduziert.
- Volksmeinung ungleich Politikermeinung: Viele Bürger fühlen sich von den Parteien unzulänglich vertreten.
- Festigung der Demokratie: Dem Lobbyismus einflussreicher Organisationen wird der Boden unter den Füßen weggezogen. Es ist weitaus schwieriger ein Volk zu beeinflussen als einzelne Personen.
- Gute Beispiele: Volksentscheide werden in vielen Staaten erfolgreich praktiziert (z. B. Schweiz).
- Rechtskonformität: Volksentscheide widersprechen nicht der Aussage des Grundgesetzes.
- Erzwingen von Themen: Das Volk kann durch eine Volksinitiative Themen erzwingen, die Politiker zu meiden suchen.
- Wechselhaftigkeit parlamentarischer Meinungen: Die Meinung des Volkes ist nicht so wechselhaft, wie wechselnde parlamentarische Mehrheiten.
- Bildung: Das politische Interesse und damit die politische Bildung wächst, da sich die Bürger mit bestimmten Themen auseinandersetzen müssen.
- Politische Reife: Das Volk kann selbst politisch sinnvoll agieren (z. B. friedliche Revolution in der DDR)
- Förderung von Interessenverbänden: Interessenverbände werden durch Plebiszite gefördert, da sie in der politischen Meinungsbildung normalerweise nur einen indirekten Einfluss haben. Sie können jedoch Plebiszite organisieren und damit direktdemokratische Politik betreiben.
- Inkompetenz der Politiker: Obwohl Parlamentarier Berufspolitiker sind, wissen sie nicht immer über das Bescheid, worüber sie entscheiden.
- Weniger Fehlentscheidungen: Mittels Volksentscheiden Reformen auf den Weg zu bringen dauert zwar länger, dafür entstehen keine unausgegorenen Schnellschüsse.
- Weniger Prestigeprojekte: Die Bürger neigen dazu, gegen sinnlose Prestigeprojekte, die viel Geld kosten und den Ruhm einzelner Politiker mehren sollen, zu stimmen, was zu effektiverem Mitteleinsatz führt.
Contra Volksentscheid
- Populismus: Das Volk sei unfähig, sinnvolle politische Entscheidungen zu treffen (emotionalisierter Unverstand, Populismus).
- Unwissenheit: Das Wissen für Entscheidungen fehle vielen.
- Unmündigkeit: Der unmündige Bürger brauche einen Vormund.
- Fehlende Fachkompetenz: Das Volk sei nicht kompetent, sinnvolle politische Entscheidungen zu treffen.
- Medienbeeinflussung: Entscheidungen werden durch Medien beeinflusst.
- Dauerauseinandersetzungen: Ständige politische Auseinandersetzungen werden hervorgerufen.
- Verantwortung: Dem Parlament gelinge eine Flucht aus der Verantwortung („Ihr habt es doch so gewollt!“). Gesetze werden über den plebiszitären Umweg gemacht, um die Verantwortung abzugeben.
- Pluralismus nicht repräsentiert: Volksentscheide widersprechen der pluralistischen Gesellschaft (nur schwarz-weiß, ja-nein etc.)
- Radikalisierung durch Polarisierung: Die schiere Auswahl zwischen "ja" oder "nein" führt zu extremen Positionen im Volk, woraus sich eine Radikalisierung ergibt.
- Abhängigkeit: Die Bürger sind auf Vereine bei der Nutzung von Volksentscheiden angewiesen und würden gerade durch demokratisch nicht legitimierte bevormundet.
- Minderheiten nicht berücksichtigt: Minderheitenmeinungen lassen sich im Volksentscheid nicht berücksichtigen
- Stimmungsdemokratie: Der Ausgang der Volksentscheide sei abhängig von momentanen, manipulierbaren, wechselnden Gefühlslagen.
- Fehlende Beteiligung: Die Beteiligung an Volksabstimmungen, etwa in der Schweiz, ist bei unwichtigeren Fragen gering.
- Fehlende Alternative: Internationale Verträge (Beispiel EU-Verfassung) wurden unter den Regierungen ausgearbeitet nach dem Muster "für keinen ideal, aber für jeden tragbar". Dem Volk fehle diese Kompromissbereitschaft.
- Abgeordnete: können die Wahlberechtigten doch schon wählen, diese sind qualifiziert für das Weiterleiten der Interessen des Volkes an das Parlament
- Aktive Minderheiten gewinnen den Volksentscheid, während die Meinungsmehrheit der Abstimmung fern bleibt.
- Effizienz: Der Prozess des Volksentscheids braucht naturgemäß ziemlich lange, vom Volksbegehren bis zur Abstimmung und ist somit sehr ineffizient
Volksentscheide in Deutschland
In Deutschland ist der Volksentscheid auf Bundesebene, außer bei einer Neugliederung des Bundesgebietes, z. Zt. nicht vorgesehen. Auf Landesebene gibt es ihn jedoch in allen Bundesländern. Im kommunalen Bereich sind direkte Bürgerentscheide in allen Bundesländern, dank einer Volksabstimmung auf Landesebene, auch in Berlin, möglich. Besonders weitgehende direktdemokratische Elemente finden sich im Bundesland Bayern. Dort ist unter anderem die Abwahl des Parlaments durch einen Volksentscheid möglich. (Art. 18 Abs. 3 Bayerische Verfassung) (siehe auch: Bürgerbegehren)
In Artikel 20 des deutschen Grundgesetzes heißt es, die Staatsgewalt werde vom Volke "in Wahlen und Abstimmungen" ausgeübt. Volksabstimmungen auf Landes- und Bundesebene werden damit grundsätzlich auf die gleiche Stufe wie Wahlen gestellt. Für die tatsächliche Durchführung von Volksentscheiden auf Bundesebene müsste das Grundgesetz jedoch erneut geändert werden, da als Gesetzgeber bisher nur der Bundestag (zusammen mit dem Bundesrat) aufgeführt ist. Einen entsprechenden Vorschlag zur Änderung des Grundgesetzes hat die FDP am 25. Januar 2006 in den Bundestag eingebracht (Bundestagsdrucksache 16/474). Darin schlägt sie vor, das Grundgesetz durch die Einführung der unmittelbaren Bürgerbeteiligung in Form von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene zu ändern bzw. zu ergänzen. Auch die Linkspartei und die Grünen plädieren seit langem für die Ergänzung der Gesetzgebung auf Bundeseben durch direkttemokratische Elemente. In Teilen der SPD ist dafür Unterstützung zu finden - die Mehrheit der Großen Koalition hält solche Schritte allerdings für nicht nötig.
Auch nach dem Ersten Weltkrieg waren in manchen Gebieten Volksentscheide über den Verbleib der Gebiete bei Deutschland durchgeführt worden, deren Ergebnisse aber nicht immer umgesetzt werden konnten.
Volksentscheide in den USA
In den Vereinigten Staaten spielen Volksentscheide in den Rechtsordnungen einzelner Bundesstaaten, z.B. Kalifornien, eine große Rolle, leiden jedoch unter sehr geringer Beteiligung des Staatsvolkes an den Abstimmungen, weswegen sie nach Möglichkeit auf den Tag einer Wahl von allgemeinerem Interesse gelegt werden. So fanden im Zusammenhang mit der US-Präsidentschaftswahl 2004 163 Volksabstimmungen zu den verschiedensten Themen in 34 Staaten statt. Volksentscheide sind in den Ländern jeweils verschieden und es gibt allein in den USA bis zu 56 verschiedene Arten Volksentscheide durchzuführen.
Volksentscheide in der Schweiz
Die Schweiz, als eine im besonderen Maße direkte Demokratie mit repräsentativen und plebiszitären Merkmalen, verfügt über eine ausgesprochene Kultur von Volksentscheiden. Solche finden auf Bundesebene in zwei Fällen statt:
- Bei einer Volksinitiative: 100'000 Bürger können mit ihrer Unterschrift eine Änderung der Verfassung oder eines Gesetzes verlangen, über die obligatorisch abgestimmt werden muss (Art. 138 ff. der schweizerischen Bundesverfassung).
- Bei einem Referendum: Eine obligatorische oder fakultative Volksabstimmung über ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz oder eine Verfassungsänderung oder über wichtige völkerrechtliche Verträge (Art. 140 ff. der schweizerischen Bundesverfassung). In der Schweiz wird eine fakultative Volksabstimmung durchgeführt, wenn diese von mindestens 50.000 Bürgern verlangt wird. In einem solchen Fall sagt man auch, dass gegen eine bestimmte Gesetzesvorlage das Referendum ergriffen wurde. Verlangen weniger als 50.000 Bürger eine Abstimmung, gilt ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz als angenommen.
Vergleichbare Volksentscheide finden auch in den Kantonen statt; diese haben in den Einzelheiten jedoch alle ihr eigenes System. Es kommt insbesondere vor, dass sie weitergehende Volksrechte kennen, z.B. ein fakultatives Referendum auch über Ausgabenbeschlüsse (sogenanntes Finanzreferendum).
Kein eigentlicher Volksentscheid, aber ebenfalls die Ausübung eines traditionellen politischen Rechts der Einzelnen ist die Petition: Jede Person hat das Recht, einen Wunsch oder eine Anregung an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen. Die Behörden sind lediglich dazu verpflichtet, die Begehren zur Kenntnis zu nehmen, sie sind jedoch weder verpflichtet die Petition zu behandeln noch dazu Stellung zu nehmen (was aber Praxis ist). Siehe Art. 33 ff. der schweizerischen Bundesverfassung.
Siehe auch: Politisches System der Schweiz
Volksentscheide in anderen Staaten
In den meisten europäischen Ländern werden Volksentscheide mit Volksinitiative und Volksbegehren eingeleitet. Die zur Durchführung notwendigen Mindestbeteiligungen (so genannte Quoren) sind recht unterschiedlich geregelt, i. d. R. restriktiv, um den Missbrauch von Volksabstimmungen z. B. für Kampagnenpolitik zu verhindern. Prinzipiell möglich, wenngleich in den meisten Verfassungen nicht vorgesehen, wäre es auch, dass Parlamente dem Staatsvolk Einzelfragen zur Abstimmung geben (parlamentarisches Quorum).
Siehe auch
Wahlrecht, Volksbegehren, Volksabstimmung
Weblinks
- »Wir sind Deutschland« - "Öffentliche Petition" an den Deutschen Bundestag zur Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung
- "Direkte Demokratie ausbauen - Volksgesetzgebung verwirklichen" - Dreistufige Volksgesetzgebung in Österreich
- Volksentscheid gegen die Rechtschreibreform in Schleswig-Holstein
- Mehr Demokratie e.V. (Verein für direkte Demokratie)
- Schweiz: Die politischen Rechte im Bund
- Schweiz: Infos zu aktuellen Abstimmungen und Infos zur Schweizer Politik
- Datenbank über Volksbegehren in den deutschen Bundesländern
- Informationen zu kommunalen Bürgerbegehren in Deutschland
- Deutsches Institut für sachunmittelbare Demokratie
- Initiative für mehr direkte Demokratie in Österreich
- Aktionsseite für Volksentscheide in Hamburg