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Bernardo Provenzano

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Bernardo Provenzano 1958

Bernardo Provenzano (* 31. Januar 1933 in Corleone, Sizilien) ist der Kopf der Cosa Nostra, der sizilianischen Mafia. Auf Grund seiner Entschlossenheit wurde er auch Binnu u tratturi (sizilianisch für „Binnu der Traktor“) genannt oder kurz Zu Binnu („Onkel Binnu“).

Biografie

Aufstieg

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Ein Jugendbild von Bernardo Provenzano

Provenzano gehört den Corleonesi an, einer Mafia-Familie aus dem Bergstädtchen Corleone. Als im Jahr 1948 Michele Navarra, der damalige Pate der Corleonesi, ermordet wurde, war Provenzano bereits dabei. Navarras Nachfolger war Luciano Liggio, der den Mord Navarras veranlasst hatte. Am 10. September 1963 ermordete Provenzano einen letzten Anhänger Navarras - und zog sich alsbald von der Bildfläche zurück. Im Verborgenen arbeitete er beharrlich an seinem Aufstieg an die Spitze der Organisation. Als Liggio 1974 wegen Mordes verurteilt worden war, wurde Totò Riina sein Nachfolger. Provenzano galt seither als dessen rechte Hand. Im Verlaufe eines gnadenlosen Mafia-Krieges 1981 und 1982, dem Hunderte Mafiosi zum Opfer fielen, stiegen die Corleonesi zur führenden Mafia-Familie in Sizilien auf. Im Januar 1993 wurde Riina verhaftet und schließlich verurteilt, unter anderem wegen der Attentate auf Giovanni Falcone und Paolo Borsellino. Provenzano soll sofort sein Nachfolger und damit faktisch Capo di tutti Capi („Boss aller Mafia-Bosse“) geworden sein.

Leben im Untergrund

Von den frühen 1960er Jahren bis zu seiner Festnahme 2006 wurde er nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Da es nur ein Fahndungsfoto aus seiner Jugendzeit gab, veröffentlichte die italienische Polizei jahrelang nur ein Phantombild. Als 1992 seine Frau und Kinder ihr Versteck verlassen hatten, gab es Vermutungen, er selbst sei nicht mehr am Leben. Im Oktober 2003 unterzog er sich in einer Privatklinik (la clinique Casamance) in Aubagne nahe Marseille (Frankreich) einer Prostata-Operation (angeblich sogar auf Kosten des italienischen Staates[1]), von der die Fahnder zu spät erfuhren. Eine Razzia im Januar 2005 in verschiedenen Orten Siziliens führte zwar zur Verhaftung von 46 Verdächtigen, aber Provenzano wurde nicht gefasst.

Festnahme

Nach 43 Jahren auf der Flucht wurde der inzwischen 73-jährige Bernardo Provenzano am 11. April 2006 zusammen mit einer weiteren Person von der italienischen Polizia di Stato in einem heruntergekommenen Schuppen etwa 2 km vom Stadtzentrum von Corleone festgenommen. Seiner Festnahme ging eine zweiwöchige Observation voraus. In seinem Versteck fanden sich etwa 200 kleine Kassiber-ähnliche Zettel, genannt pizzini, mit denen er mit der Außenwelt kommunizierte. Provenzano soll sich durch einen derartigen Zettel verraten haben, da es der Polizei inzwischen gelang, die stafettenartige Weiterleitung der Zettel an seine Gefolgsleute zu überwachen. Nach seiner Festnahme wurden drei weitere Personen festgenommen, denen vorgeworfen wird, Provenzano versorgt und seine Nachrichten weitergeleitet zu haben.

Ein abgehörtes Telefonat habe die Ermittler auf die richtige Spur gebracht, berichteten italienische Medien. Darin habe sich ein Vertrauensmann mit seinem Gesprächspartner darüber abgestimmt, wann er dem „Boss“ die saubere Wäsche bringen soll. In seinem Versteck fand sich auch eine Schreibmaschine, die er angeblich zum Schreiben seiner Nachrichten benutzte. Nach Aussage der Polizei soll Provenzano keinen Widerstand geleistet und seine Identität zugegeben haben. Ein DNA-Vergleich mit Gewebeproben, die nach seinem Klinikaufenthalt 2003 in Frankreich gesichert wurden, zeigte Medienberichten zufolge, daß es sich tatsächlich um den lange gesuchten Mafia-Boss handle. Sein Rechtsanwalt Salvatore Traina hatte noch zwei Wochen vorher angegeben, dass sein Mandant vermutlich schon vor Jahren verstorben sei.

Welche Konsequenzen die Festnahme Provenzanos für das organisierte Verbrechen auf Sizilien hat, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt niemand sagen. Die Erfahrung zeigt, daß die Mafia noch nie lange auf einen Nachfolger auf dem Posten des „Bosses der Bosse“ warten musste. Mindestens ebenso spannend dürfte aber sein, was die Vernehmung Provenzanos und die Auswertung der zahlreichen (zum Teil verschlüsselten) „pizzini“ ergeben. Sie könnten ein vollkommen neues Licht auf die Jahrzehnte der italienischen Nachkriegsgeschichte werfen – jedoch gilt auch für Provenzano, was man auf Sizilien Omertà nennt: das Gesetz des Schweigens. Die bisher einzigen bekannt gewordenen Äußerungen Provenzanos, der auch eine von seinen fünf Bibeln aus seinem Versteck mitnehmen durfte, waren „möge Gott Sie segnen“ und „Gott möge Sie beschützen“, wenn er im Gefängnis von Terni angesprochen wurde.

Provenzano soll bei seiner Festnahme den anwesenden Beamten gesagt haben: „Ihr wisst nicht, was ihr tut“. In seinem Prozess schweigt der grosse Boss bisher. Es wird vermutet, dass eine neue, jüngere Generation von Mafia-Bossen bereits bereit steht. Als Nachfolger werden besonders Salvatore Lo Piccolo aus Palermo und Mateo Messina Denaro aus der Provinz Trapani gehandelt.

Bedeutung

Die Bedeutung von Provenzano wurde lange unterschätzt. Ihm werden 50 Morde zur Last gelegt, Falcone nannte ihn den blutrünstigsten Killer der Mafia. Aber erst 1993, nachdem verschiedene pentiti (ehemalige Mafiosi als Kronzeugen) ausgesagt hatten, bekam die Suche höchste Priorität. Nachdem er immer wieder der Verhaftung entkommen konnte, wurde unter anderem vom obersten Mafiajäger Piero Grasso die Anschuldigung erhoben, dass Provenzano von Politikern, Unternehmern und Polizisten geschützt worden sei.

2004 wurde unter der Regie von Marco Amenta der Film „Il fantasma di Corleone“ („Das Phantom von Corleone“) [1] gedreht, der sich mit der Frage beschäftigt, weshalb Provenzano all die Jahre nie gefasst wurde. Eine zentrale Aussage in der Dokumentation ist die von Michele Riccio, einem hochrangigen Carabinieri, erzählte Begebenheit, dass er, als er Provenzano hätte verhaften können, von höherer Stelle (Oberst Mori) zurückgepfiffen wurde. Der Film argumentiert glaubwürdig, dass Provenzano nicht zuletzt durch den Schutz höherer staatlicher Beamter so lange entkommen konnte. Das bestätigt in Amentas Film auch Guido Lo Forte, Staatsanwalt in Palermo.

Der Gemeinderat der Stadt Corleone hat inzwischen den Tag der Festnahme zum Gemeindefeiertag erklärt und will einer Straße den Namen „Via 11 Aprile“ geben, um die Festnahme zu würdigen.

Quellen

  1. Der meistgesuchte Mafia-Boss festgenommen. Neue Zürcher Zeitung 12. April 2006.