Deutsche Christen
Die Deutschen Christen (DC) waren eine rassistische und faschistische Bewegung innerhalb der protestantischen Kirchen Deutschlands zur Zeit des Nationalsozialismus. Sie standen der NSDAP nahe und strebten eine Synthese von Christentum und Nationalsozialismus an.
Nach Adolf Hitlers Machtergreifung gewannen sie seit Juni 1933 die Leitung einiger protestantischer Kirchen. Sie versuchten nun, die Deutsche Evangelische Kirche (DEK) in eine "Reichskirche" unter dem von Hitler ernannten "Reichsbischof" Ludwig Müller umzuwandeln und die Judenchristen analog zum staatlichen Arierparagraphen auszuschließen. Damit lösten sie den Kirchenkampf mit andersdenkenden evangelischen Christen aus, die daraufhin 1934 die Bekennende Kirche gründeten.
Die Anfänge
Die Wurzeln der DC lassen sich in verschiedenen Gruppen im deutschen Protestantismus des ausgehenden Kaiserreichs und der Weimarer Republik ausmachen, die völkisches, national-konservatives und rassistisches Gedankengut pflegten.
1917 beim 400-jährigen Jubiläum der Reformation gaben der Flensburger Pastor Friedrich Andersen, der Schriftsteller Adolf Bartels und Hans Paul Freiherr von Wolzogen "95 Thesen" heraus, die ein Deutschchristentum auf evangelischer Grundlage begründen sollten. Darin hieß es:
- Die neuere Rassenforschung endlich hat uns die Augen geöffnet für die verderblichen Wirkungen der Blutsmischung zwischen germanischen und nichtgermanischen Volksangehörigen und mahnt uns, mit allen Kräften dahin zu streben, unser Volkstum möglichst rein und in sich geschlossen zu halten.
- Religion ist die innerste Kraft und feinste Blüte im geistigen Leben eines Volkes, kann aber nur in völkischer Ausprägung kulturkräftig wirken...Eine innigere Verbindung zwischen Deutschtum und Christentum ist nur zu erreichen, wenn dieses aus der unnatürlichen Verbindung gelöst wird, in der es nach bloßem Herkommen mit der jüdischen Religion steht.
Der "zornige Gewittergott" Jehova sei ein anderer als der "Vater" und "Geist", den Christus verkündet und die Germanen geahnt hätten. Kindliches Gottvertrauen und selbstlose Liebe sei das Wesen der germanischen "Volksseele" im Kontrast zu jüdischer "knechtischer Furcht vor Gott" und "materialistischer Sittlichkeit". Kirche sei keine "Anstalt zur Verbreitung des Judentums": Darum sollten Religions- und Konfirmandenunterricht keine Stoffe des Alten Testaments wie den Dekalog mehr lehren, und auch das Neue Testament sei von jüdischen Einflüssen zu "reinigen", damit man den Kindern Jesus als Vorbild für "Opfermut" und "männliches Heldentum" darstellen könne.
1921 schrieb Andersen Der deutsche Heiland, in dem er den Gegensatz zum Judentum auf eine apokalyptische Entscheidung zuspitzte:
- Wer wird siegen, der sechseckige Stern Judas oder das Kreuz? - Die Frage ist vorläufig noch nicht auszumachen. Der Jude geht jedenfalls zielbewusst seinen Weg...: Niederwerfung seines tödlich verhassten Gegners. Wenn die Christenheit Karfreitag feiert, sollte sie sich jedenfalls nicht in Träume wiegen; ... sonst könnte noch einmal ein viel schrecklicheres Golgatha kommen, wo das Judentum der ganzen Welt am Grabe des zu Boden getretenen Christentums seine Jubelgesänge zu Ehren des menschenmordenden, völkerausrottenden Jahu singt.
Gegen die "Verseuchung mit jüdischen Ideen" vornehmlich aus dem Alten Testament sollten sich Kirche und Deutschtum "gegenseitig nützen und stützen". Dann würde das Christentum seinen Ursprungscharakter als "Volks- und Kampfesreligion" zurückgewinnen und sei dann tauglich, dass der große Ausbeuter der Menschheit, der böse Feind unseres Volkes endlich unschädlich gemacht werde.
Dazu wurde im selben Jahr in Berlin der Bund für deutsche Kirche gegründet. Andersen, Pastor Ernst Bublitz und Studienrat Kurd Joachim Niedlich gaben zweimal monatlich die Zeitschrift "Die Deutschkirche" heraus, die mit 12.000 Stück Auflage die Ideen des Bundes propagierte. Jesus solle als "tragisch-nordische Gestalt" gegen die "Zweckreligion" gestellt, das Alte Testament durch die "Deutsche Mythe" ersetzt werden. Jede biblische Geschichte sei nach deutschem Empfinden zu messen, damit das semitische Empfinden aus dem deutschen Christentum entweicht wie der Beelzebub vor dem Kreuz.
Daneben entstanden weitere derartige Gruppen wie der Bund für deutsche Kirche. Sie vereinten sich 1925 mit zehn völkischen, germanophilen und antisemitischen Verbänden zur deutschchristlichen Arbeitsgemeinschaft.
Das Programm der Abschaffung des Alten Testaments fand teilweise heftigen Widerspruch auch bei deutschnationalen Christen, die der rassistische Angriff auf die eigenen Glaubensgrundlagen abstieß. Der Theologe Johannes Schneider schrieb 1925:
- Wer das Alte Testament preisgibt, wird bald auch das Neue verlieren.
1927 reagierte der Evangelische Kirchenbund auf die zunehmende Radikalisierung der deutschchristlichen Gruppen mit einem Kirchentag in Königsberg, wo das Verhältnis des Christentums zu "Vaterland", "Nation", "Volkstum", "Blut", "Rasse" geklärt werden sollte. Viele dortige Referenten versuchten, sich vom Rassismus abzugrenzen, zeigten aber nur, wie weit dieser schon in ihr Denken eingedrungen war. Paul Althaus z.B. erklärte:
- Volkstum ist eine geistige Wirklichkeit...niemals freilich wird ein Volkstum ohne die Voraussetzung z.B. der Blutseinheit. Ist aber das Volkstum einmal gezeugt, so kann es als geistige Wirklichkeit...auch fremdes Blut sich an[zu]eignen. Wie groß immer die Bedeutung des Blutes in der Geistesgeschichte sein mag, das Herrschende ist doch, wenn einmal zum Volkstum geboren, der Geist und nicht das Blut.
Auf dieser Basis ließ sich das Sendungsbewusstsein der radikaleren Deutschchristen kaum bremsen. Im Jahr 1928 sammelten sie sich in Thüringen, um die so genannte 'Thüringer Kirchenbewegung Deutsche Christen' zu gründen. Diese suchte den Kontakt zur NSDAP. Ihr Mitteilungsblatt trug den Namen 'Briefe an Deutsche Christen'.
1932 gründete der Berliner Pfarrer Joachim Hossenfelder die so genannte 'Glaubensbewegung Deutsche Christen', die im ganzen Reich tätig war. In ihren "Richtlinien" hieß es:
- Wir sehen in Rasse, Volkstum und Nation uns von Gott geschenkte und anvertraute Lebensordnungen. [...] Daher ist der Rassenvermischung entgegenzutreten. [...] In der Judenmission sehen wir eine schwere Gefahr für unser Volkstum. Sie ist das Eingangstor fremden Blutes in unseren Volkskörper.
Da sie alle anderen deutsch-christlichen Gruppen umfasste oder diese sich ihr angliederten, konnte sie im Oktober 1933 ca. 1 Million Mitglieder verzeichnen. Rund ein Drittel aller protestantischen Pfarrer in Deutschland – d. h.: etwa 6000 Personen – gehörten dieser "Glaubensbewegung" an.
Der Aufstieg...
Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 wurde in diesen Kreisen als Wende emphatisch begrüßt und theologisch vielfach als Anbruch einer neuen Zeit verstanden, die Gott dem durch das von ihnen so genannte 'Schanddiktat von Versailles' gedemütigten Deutschland geschenkt habe. Fest- und Dankgottesdienste der DC, aber auch anderer kirchlicher Kreise, bestimmten die kirchliche Landschaft in diesem 'Schicksalsjahr'.
Am 23. Juli 1933 wurden Kirchenwahlen angesetzt. In einem Aufruf dazu nannte Hossenfelder die DC "die SA Jesu". Am Vorabend der Wahl sprach sich Hitler in einer Rundfunkrede deutlich für die DC aus. Das Ergebnis war eine überwältigende Mehrheit für sie: Sie konnten in nahezu allen Gremien Mehrheiten gewinnen.
Am 27. September 1933 fand eine Nationalsynode in der Lutherstadt Wittenberg statt. Hier wurde der Königsberger Wehrkreispfarrer Ludwig Müller zum Reichsbischof gewählt. Friedrich von Bodelschwingh, den die Mehrheit der 28 deutschen Landeskirchenleitungen innerhalb der neu gegründeten Deutschen Evangelischen Kirche zuvor zum Reichsbischof nominiert hatte, musste zugunsten Müllers auf das Amt verzichten.
Damit stiegen Einfluss, Ansehen und Wirkmöglichkeiten der DC enorm an, zumals sie Müller bereits vor seiner Wahl zu ihrem "Schirmherrn" bestimmt hatte, nachdem er von Hitler zum "Beauftragten für Kirchenfragen" ernannt worden war.
Müllers Wahl und von Bodelschwinghs Rückzug wurden Anlass zum Ärgernis für die so genannte Jungreformatorische Bewegung, die sich als Gegenpartei bei den Kirchenwahlen vom Juli gebildet hatte und unterlegen war. Diese Gruppe sah in der DC eine Gefährdung der reformatorischen Botschaft vom Glauben an Jesus Christus allein, der die Alleingeltung in der Kirche haben müsse. Sie forderten: "Kirche muss Kirche bleiben!"
... und Fall der Deutschen Christen
Trotz der erstaunlichen Dynamik der DC und ihres nicht unerheblichen Rückhaltes sowohl in der Pfarrerschaft als auch in den Gemeinden, und obgleich die DC von der Stimmung des Jahres 1933 profitierte und durch Parteiorgane der NSDAP gefördert und unterstützt wurde, verloren die DC überraschend und schlagartig an Einfluss. Dies erklärt sich vor allem durch den sog. 'Berliner Sportpalastskandal'.
Am 13. November 1933 fand eine Massenkundgebung im Berliner Sportpalast statt. Der Gauleiter (!) der DC, Dr. Reinhold Krause, hielt eine Rede, in der er ganz offen aussprach, was zuvor zwar publiziert, scheinbar jedoch nicht in das Bewusstsein mancher Pfarrer und Gemeindeglieder gedrungen war:
„Der Sturm der nationalsozialistischen Revolution hat auch vor den Türen der Kirche nicht halt gemacht. (...) Die Seele des deutschen Volkes“ gehöre „restlos dem neuen Staat“. So war es nach Krause nur folgerichtig, dass „der Totalitätsanspruch des nationalsozialistischen Staates auch vor der Kirche nicht halt machen“ könne. Der Nationalsozialismus wolle diese „aus seinem Geist erneuern und neu gestalten[...]“. Der Gauleiter ging aber noch weiter. So forderte er die Abschaffung des „Alten Testaments mit seiner jüdischen Lohnmoral“, die Reinigung des Neuen Testaments von der „Sündenbock- und Minderwertigkeitstheologie des Rabbiners (!) Paulus“ und schließlich die Einrichtung von abgesonderten Gemeinden für Christen jüdischer Abstammung: „Hierbei gehört auch, dass unsere Kirche keine Menschen judenblütiger Art mehr in ihren Reihen aufnehmen darf.“
Krause sprach aus, was in manchen Kreisen der DC bereits anerkannt und begrüßt worden war. Für viele Christen in der Glaubensbewegung war damit allerdings die Maske gefallen: Die DC verloren zahlreiche Mitglieder. Die Versammlung wurde insgesamt zum Eklat und läutete den Fall der DC ein, die von nun an eine geringere Rolle spielten und sich zudem in verschiedene Richtungen aufspalteten. Ein weiterer Grund für sinkende Mitgliederzahlen dürfte das Wesen des totalitären Staates gewesen sein, der mit Führerkult und Rassenlehre, die beide eschatologisch geprägt waren, selbst eine "Ersatz-Religion" schuf (vgl. dazu auch Alfred Rosenbergs „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“).
So wurde die Glaubensbewegung selbst zur 'Reichsbewegung Deutsche Christen', 1937 ging aus ihr unter neuer Führung eine 'national-kirchliche Bewegung Deutsche Christen' hervor. Hossenfelder selbst war gezwungen, von seinem Posten als Reichsleiter der Glaubensbewegung zurückzutreten. Er gründete später die 'Kampf- und Glaubensbewegung DC'. Reinhold Krause formierte eine 'Glaubensbewegung Deutsche Volkskirche'. Daneben traten noch weitere DC-Gruppierungen auf: Radikalere Kräfte sammelten sich in der 'Nationalkirchlichen Bewegung DC'. Der 'Bund für deutsches Christentum' ist als vergleichsweise gemäßigt anzusehen.
Ideologisch-theologische Ansichten
Bei aller Verschiedenheit der Gruppierungen, die den Deutschen Christen vorausgingen bzw. sich unter dem Dach der 'Glaubensbewegung DC' sammelten, lassen sich doch Kernansichten benennen.
Zunächst wollten sie Kirche im Sinne des Art. 24 des Parteiprogramms der NSDAP verstehen, der von einem "Positiven Christentum" sprach. Kirche sollte dem neuen Staat zuarbeiten und Adolf Hitler bei seiner 'Sendung' aktiv beistehen. „Der Staat Adolf Hitlers ruft nach der Kirche, die Kirche hat den Ruf zu hören.“ (Entschließung der GB-DC, April 1933)
Betont wurde der völkische Gedanke. Deutschtum und Christentum waren sich entsprechende Größen, denen die "Mächte der Finsternis" (ebd.) gegenüber standen: Bolschewismus, Parlamentarismus und nicht zuletzt das Judentum. Sie forderten eine Reichskirche mit starker Zentralgewalt, analog dem NS-Staat (Führerprinzip, Gleichschaltung). Viele Mitglieder der DC waren volksmissionarisch tätig, versuchten die Menschen aber oftmals nicht vom protestantischen Christentum, sondern von einer sonderbaren Deutschtümelei zu überzeugen. Die DC edierten Gesangbücher, gaben eigene Schriften zur Unterweisung heraus und entwarfen eigene Gottesdienstformen.
Nachwirkungen
Nach 1945 blieben die verschiedenen DC-Strömungen bedeutungslos. Sie bildeten kleinere Gemeinschaften und Zirkel, die in Distanz zu Theologie und Kirche und ohne Einfluss verblieben. Auf die Geschichtsschreibung des Kirchenkampfes, die zum Teil hagiographischen Charakter trägt, suchten vereinzelt der DC nahestehende Personen in einer sog. 'Kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft' Einfluss zu nehmen.
Literatur
- Friedrich Baumgärtel, Wider die Kirchenkampflegenden, Neuendettelsau 1959.
- Otto Diem, Der Kirchenkampf. Evangelische Kirche und Nationalsozialismus', 2. Auflage, Hamburg 1970.
- Heiner Faulenbach, Deutsche Christen, in: Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG), 4. Auflage, 1999.
- Rainer Lächele, Ein Volk, ein Reich, ein Glaube. Die "Deutschen Christen" in Württemberg 1925-1960, Stuttgart 1994
- Kurt Meier, Die Deutschen Christen, Halle 1964 [Standardwerk]
- ders., Kreuz und Hakenkreuz. Die evangelische Kirche im Dritten Reich, 2. Auflage, München 2001
- Klaus Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich.
- Band 1: Vorgeschichte und Zeit der Illusionen, 1918–1934, Berlin 1977
- Band 2: Das Jahr der Ernüchterung 1934, Berlin 1985
- Günther van Norden u. a. (Hg.), Wir verwerfen die falsche Lehre. Arbeits- und Lesebuch zur Barmer Theologischen Erklärung
- Marikje Smid Deutscher Protestantismus und Judentum 1932-33 München: Christian Kaiser, 1990 ISBN 459018089
Siehe auch:
- Volkskirche
- Artur Dinter
- (Robert Wünsche)