Wir schaffen das
„Wir schaffen das!“ ist ein von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel auf einer Bundespressekonferenz am 31. August 2015 in Hinblick auf die Flüchtlingskrise in Europa ab 2015 geäußerter Ausspruch, der in den Medien und in der politischen Auseinandersetzung weitreichenden Widerhall fand. Am 5. September 2015 und an weiteren Tagen wie beim CDU-Bundesparteitag am 14. Dezember 2015 wiederholte sie den Satz.[1][2]
Der Satz wurde von Merkel teilweise auch leicht erweitert verwendet. So sagte sie auch „Wir haben schon so viel geschafft, wir schaffen das!“[3] Bei der Neujahrsansprache am 1. Januar 2016 „Wir schaffen das, denn Deutschland ist ein starkes Land“.[4]
Nach den vermutlich islamistisch motivierten Anschlägen in Würzburg und Ansbach im Juli 2016 unterbrach Merkel ihren Sommerurlaub für eine Pressekonferenz, in der sie ihren Satz wiederholte und einen Neun-Punkte-Plan vorstellte, mit dem vor allem für mehr Sicherheit vor Terroranschlägen gesorgt werden soll. Sie erweiterte den Satz um Hinweise auf die veränderte politische Weltlage „in Zeiten der Globalisierung“.[5]
Einschätzung des Slogan durch Medien und Politiker
Der Satz gilt als Kern-Slogan, bzw. Soundbite der „neuen Willkommenskultur“. Er wurde von Medien sehr schnell als positives Signal in der Flüchtlingspolitik Deutschlands rezipiert. So schrieb der Journalist Georg Diez in seiner Kolumne in der Zeitschrift Der Spiegel die Überschrift „Ja, wir schaffen das“.[6] Die Holocaust-Überlebende Ruth Klüger bezeichnete bei der Gedenkstunde zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag den Satz als einen schlichten und dabei heroischen Slogan.[7][8][9] Auch leichte Abwandlungen des Satzes wurden in der Presse genutzt, um Merkels Satz zu unterstützen. So lautete im Januar 2016 die Überschrift des Journalisten Walter Wüllenweber im „Stern“: Obergrenze – das schaffen wir nicht.[10]
Der Journalist Hans-Georg Damerau verwendete die Überschrift Flüchtlingspolitik – „Wir schaffen das nicht“, um Merkels Flüchtlingspolitik zu unterstützen, da ein Wir schaffen das nicht keine Option sei.[11] Der Journalist Thomas Seifert schrieb in einem Leitartikel im der Wiener Zeitung Wir müssen das schaffen.[12]
Der Friedensforscher Egbert Jahn verwendete bei den Frankfurter Montags-Vorlesungen im November 2015 den Titel Wir schaffen das (nicht)! – Die Ratlosigkeit der deutschen und europäischen Flüchtlingspolitik, um auf die Flüchtlingspolitik in Europa einzugehen.[13]
Der Spruch war aber bald auch Gegenstand von Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik, z. B. durch Umwandlung des Spruchs in sein Gegenteil („Wir schaffen das nicht“), um vorzubringen, dass Deutschlands Aufnahmekapazitäten erschöpft seien.[14][15] In einem Gemeinschaftsartikel von zehn Spiegel-Autoren vom 19. September 2015 findet sich die Formulierung Schaffen wir das? Sicher ist, dass Merkel unterschätzt hat, welchen Sog ihre Worte auslösen würden, wie sehr sich Menschen nun angelockt fühlen von dem Versprechen eines besseren Lebens in Deutschland.[16] Anfang Oktober sagte Innenminister Thomas de Maizière „Wir schaffen das nicht ohne Weiteres – das ist schon eine große Anstrengung.“[17] Im Oktober 2015 verwendete auch der Oberbürgermeister von Tübingen Boris Palmer, Mitglied der Grünen, den Satz Wir schaffen das nicht.[18]
Der Journalist Alexander Marguier bezeichnete Merkel in Bezug auf den Satz in der Zeitschrift Cicero als „Sprücheklopferin“.[19] Der Satz wurde von Kritikern auch weiteren Änderungsformen verwendet. Berthold Kohler schrieb im Oktober 2015 in der FAZ Wir schaffen das, ich kann nicht anders.[20] Der Journalist Theo Sommer wählte am 26. Januar 2016 in seiner Kolumne in der Wochenzeitung Die Zeit die Überschrift „Merkels ‚Wir schaffen das‘ überzeugt nicht mehr“.[21] Hans-Peter Uhl, Bundestagsabgeordneter der CSU, sagte im Januar 2016 Wir schaffen das so nicht.[22] Peter Tomaschko, Landtagsabgeordneter der CSU in Bayern, sagte im Januar 2016 Wir schaffen das nicht mehr.[23] Das morgenweb schrieb im Januar 2016 Wir schaffen das – aber nicht so.[24] Ende Februar 2016 titelte die Kronen Zeitung Jetzt warnt Schäuble: Weniger Flüchtlinge, sonst schaffen wir das nicht und zitierte Finanzminister Wolfgang Schäuble mit den Worten Sonst schaffen wir das nicht mehr.[25]
Zum Jahrestag des Satzes schrieben Roland Schulz und Rainer Stadler im Süddeutsche Magazin: „Seit einem Jahr beschäftigt Deutschland diese Frage - eine Glaubensfrage: Wir schaffen das, Wir schaffen das, Wir schaffen das nicht!, Warum wir das schaffen müssen, Schaffen wir das?, oder Wir schaffen das - aber so nicht heißen die entsprechenden Buchtitel. Parteitage, Talkrunden, Ministerien, Leitartikler haben sich an der Frage abgearbeitet, Wirtschaftsverbände, Kirchen, Gewerkschaften, ebenso die ganz große Politik.“[26]
Sigmar Gabriel sagte im Sommerinterview des ZDF: Es reiche nicht, ständig zu sagen, wir schaffen das, sagte Gabriel weiter. Vielmehr müssten die Voraussetzungen geschaffen werden, "dass wir es auch hinkriegen" - das aber habe die CDU/CSU "immer blockiert".[27]
Der Satz selbst wird in Nähe zu Barack Obamas „Yes we can“ (2008) gesehen, auch Helmut Kohl hatte 1990 im Bezug auf die Deutsche Einheit die Parole „Wir werden es schaffen“ verwendet.[28]
Allen drei Sätzen ist gemeinsam, dass ein konkretes Objekt und eine genaue Bestimmung der Wir-Gruppe fehlen (Wer genau gehört zur Wir-Gruppe und was genau werden „wir“ schaffen bzw. können „wir“?).
Einen differenzierten Kommentar zu dem Satz der Bundeskanzlerin gab Walter Wüllenweber aus Anlass des ersten Jahrestags der ersten Erwähnung des Slogans im August 2016 ab: „Deutschland macht Fortschritte bei der Unterbringung der Flüchtlinge, bei der Verwaltung und in der Schulbildung. Die ehrenamtliche Hilfe aus der Zivilgesellschaft wird immer professioneller. All das schafft Deutschland. Nur das Abschieben abgelehnter Asylbewerber, das schaffen wir nicht.“[29]
Nils Minkmar schrieb im Der Spiegel:„Wer sind wir, wenn alle Grenzen offen sind, wenn die Kanzlerin auch für Syrer zuständig ist? Diese Frage unterminiert die Wirkung des schönen Satzes ‚Wir schaffen das!‘ Denn vielen wertkonservativen Deutschen - darunter sind übrigens keineswegs nur Wähler der Union, sondern auch viele Grüne und Sozialdemokraten - ist nicht mehr spontan verständlich, wer dieses ‚Wir‘ eigentlich sein soll. Und ein beschwörender, aufmunternder Satz, der sein Subjekt verliert, ist wirkungslos“.[30]
Einzelnachweise
- ↑ Im Auge des Orkans. In: Zeit online, 20. September 2015, abgerufen am 24. Januar 2016.
- ↑ Rede auf Parteitag zur Flüchtlingspolitik: „Und deshalb werden wir das schaffen“. Auf tagesschau.de vom 14. Dezember 2015, abgerufen am 26. Januar 2016.
- ↑ Bleibt Merkel beim „Wir schaffen das?“ Auf tagesschau.de vom 17. Februar 2016, abgerufen am 19. Februar 2016.
- ↑ „Wir schaffen das, denn Deutschland ist ein starkes Land“. Auf faz.net vom 31. Dezember 2015, abgerufen am 26. Januar 2016.
- ↑ Angela Merkel wiederholt "Wir schaffen das", dazu 9-Punkte-Plan Auf spiegel.de vom 28. Juli 2016, abgerufen am 21. August 2016.
- ↑ Ja, wir schaffen das.In: Der Spiegel vom 25. Oktober 2015, abgerufen am 26. Januar 2016.
- ↑ Rede von Ruth Klüger: „Zwangsarbeiterinnen“. Videomitschnitt der Rede auf der Website des deutschen Bundestages.
- ↑ Rede von Ruth Klüger: „Zwangsarbeiterinnen“. Auf der Website des deutschen Bundestages.
- ↑ „Wir schaffen das“: KZ-Überlebende nennt Merkel-Satz heroisch, Spiegel-Online vom 27. Januar 2016, abgerufen am 29. Januar 2016.
- ↑ Walter Wüllenweber: Obergrenze – das schaffen wir nicht. In: Der Stern. Ausgabe 5/2016, 28. Januar 2016 , Online abweichend.
- ↑ Flüchtlingspolitik – „Wir schaffen das nicht“, Ostsee-Zeitung vom 20. Januar 2016, abgerufen am 2. Februar 2016.
- ↑ Wir müssen das schaffen Wiener Zeitung vom 24. Februar 2016, abgerufen am 28. Februar 2016.
- ↑ Wir schaffen das (nicht)! – Die Ratlosigkeit der deutschen und europäischen Flüchtlingspolitik, Frankfurter Montags-Vorlesungen vom 2. und 16. November 2015, abgerufen am 2. Februar 2016.
- ↑ Wir schaffen das nicht, Wirtschaftswoche vom 6. Oktober 2015, abgerufen am 2. Februar 2016.
- ↑ Wir schaffen das nicht, Bayerkurier vom 20. November 2015, abgerufen am 2. Februar 2016.
- ↑ Herzdame, Der Spiegel vom 19. September 2015, abgerufen am 8. Februar 2016.
- ↑ De Maizière beklagt schlechtes Benehmen von Flüchtlingen, Die Zeit vom 2. Oktober 2015, abgerufen am 19. Februar 2016.
- ↑ Wir schaffen das nicht – Palmer reizt seine Grünen, Die Welt vom 21. Oktober 2015, abgerufen am 2. Februar 2016.
- ↑ Die Sprücheklopferin. In: Cicero vom 16. September 2015, abgerufen am 26. Januar 2016.
- ↑ Wir schaffen das, ich kann nicht anders, FAZ vom 8. Oktober 2015, abgerufen am 2. Februar 2016.
- ↑ Merkels „Wir schaffen das“ überzeugt nicht mehr. In: zeit online vom 26. Januar 2016, abgerufen am 26. Januar 2016.
- ↑ „Wir schaffen das so nicht“, n-tv vom 19. Januar 2016, abgerufen am 2. Februar 2016.
- ↑ Tomaschko über Asylpolitik: „Wir schaffen das nicht mehr“, Augsburger Allgemeine vom 23. Januar 2016, abgerufen am 2. Februar 2016.
- ↑ „Wir schaffen das – aber nicht so“. Auf: morgenweb.de vom 28. Januar 2016, abgerufen am 2. Februar 2016.
- ↑ Jetzt warnt Schäuble: Weniger Flüchtlinge, sonst schaffen wir das nicht Kronen Zeitung vom 25. Februar 2016, abgerufen am 28. Februar 2016
- ↑ Roland Schulz, Rainer Stadler: Land der begrenzten Möglichkeiten. Süddeutsche Magazin Nummer 31, 5. August 2016: 8-25
- ↑ Kritik an Merkel: Gabriel fordert Obergrenze für Integration Merkur.de vom 28. August 2016, abgerufen am 28. August 2016
- ↑ Alfons Kaiser: Angela die Baumeisterin – „Yo, wir schaffen das!“ Auf: faz.net vom 12. Oktober 2015.
- ↑ Walter Wüllenweber: Deutschland ein Jahr nach den historischen 72 Stunden. Eine Bilanz. In: Der Stern. Ausgabe 35/2016, 25. August 2016, S. 41
- ↑ Nils Minkmar: Familienaufstellung. Der Spiegel 34/2016: 118-120